Der alltägliche K(r)ampf
Der Jüngste ist gerade in der Wau Wau Phase. Das bedeutet so einiges. Auf der Straße werden alle vorbei laufenden Hunde ordentlich begrüßt und verabschiedet. Hunde, die zu weit weg sind, werden besonders laut gerufen, Hunde die nah dran sind auch. Nur Hunde, die nicht da sind, die werden leise angekündigt. Die sind dann eben noch woanders. Ärgerlich sind Hunde, die um Ecken verschwinden oder hinter Fahrzeugen. Da kann es schon mal passieren, dass das zweite Wau leiser klingt, als wäre der Rufer zwischendurch die Treppe hinuntergefallen.
Ganz bemerkenswert fand ich heute seine Feststellung, als eine Frau mit zwei angeleinten Hunden an uns vorüber ging. Da hieß es dann Wau Wau Wau Wau. Und weil es so schön war gleich nochmal: Wau Wau Wau Wau.
Blöd ist dafür, dass auch andere Tiere für Wau Waus gehalten werden. Vor allem kleine Kunststofftiere von Schleich. Der Eisbär ist Wau Wau. Das Reh ist Wau Wau. Der Tiger ist Wau Wau. Alles Wau Wau. Heute Morgen rief er mir zu, er hätte jetzt den Wau Wau, dabei war es der Eisbär. Nicht müde werdend erklärte ich ihm, dass es sich dabei um einen Eisbär handelt. Da nahm er den Eisbär und schlug ihn dem Ältesten auf den Kopf. Jetzt frage ich mich die ganze Zeit, ob er das mit einem Wau Wau nicht gemacht hätte.
Krkkk! Heute ist es mal wieder ganz besonders schlimm mit dem Internet. Es geht einfach zu langsam. Es geht so langsam, dass ich mich manchmal frage, ob ich nicht wenigstens eine CD oder Diskette 2 einlegen könnte zwischendurch, nur fürs Gefühl versteht sich.
Ich habe vor etlichen Wochen mal ein Kabel von meinem Provider zugeschickt bekommen, dass ich statt des Splitters und den ganzen anderen Kabeln zu installieren hätte. Wieso, habe ich Dussel auch noch gefragt und bekam prompt zur Antwort, dass das heutzutage ganz anders läuft und so wie ich das installiert habe, dürfte es eigentlich gar nicht laufen.
Ich habe da ja gar nichts installiert. Ich habe lediglich ein paar Kabel irgendwo reingesteckt und so lange probiert, bis so etwas wie eine Internetverbindung zustande kam. Der Mitarbeiter, ich konnte seinen pikierten Blick ob meines Unverständnisses durch die Telefongabel kosten, wies mich nach mehrmaligem Nachfragen daraufhin, dass meine Weise völlig veraltet sei. Ich bräuchte keinen Splitter mehr.
Das Kabel habe ich verlegt. Haha. Verlegt im Sinne von verloren. Das liegt irgendwo herum, vielleicht haben es meine Kinder als Lasso benutzt oder als Angelschnur. Ich jedenfalls habe es nicht benutzt. Ich habe den Router neu gestartet und ihm Schläge und Erschütterungen aus nicht unbeträchtlicher Höhe angedroht. Jetzt läuft es wieder, manchmal. Manchmal aber auch nicht.
Die Heizung streikte und niemand hatte daran herumgefummelt. Meine Frau hatte heute Morgen den Temperaturregler heruntergedreht. So wie wir es eigentlich immer handhaben, wenn niemand zu Hause ist, mehr nicht. Heute Abend ging sie, nicht mehr. Sie heizte und heizte aber kein Heizkörper wurde warm. Ich schaltete aus und wieder ein. Keine Veränderung. Scheiße.
Meine Frau war gerade aus dem Haus, als mir drei Dinge einfielen: einen Klempner anrufen, nichts tun oder etwas anderes. Ich entschied mich für etwas anderes und räumte alles frei. Die Schränke darunter und daneben, die Arbeitsplatte darüber und die Verkleidung für die Rohre, die nach unten an der Wand hinter den Schränken entlang laufen. Weil ich kein Licht unter der Therme hatte, holte ich mir einen kleinen Strahler fürs Fahrrad.
Ganz schön verstaubt das Teil, dachte ich, als ich von unten hineinleuchtete. Lauter Fussel hingen da herum und ein Plastikteil, ein schwarzes, das so aussah, als wäre es ein elektrisches Gerät, die Pumpe vielleicht?, das wackelte ein bisschen herum. Das muss so, beruhigte ich mich, da hat doch niemand dran rumgefummelt. Die Kinder kommen nicht in Frage, weil sie da oben nicht herankommen, und meiner Frau glaube ich das, wenn sie das sagt.
Mit Thermen ist es ja nicht ganz so heikel wie mit dem Inneren von Motorhauben. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich raus, welche Rohre für welche Warmwasserleitung verantwortlich waren, denn die Warmwasserversorgung ging noch, und welche Rohre somit übrigbleiben müssten für die Einspeisung der Heizkörper. Die Rohre verlaufen an der Therme herunter hinter einem Küchenschrank entlang. Der hat keine Rückwand, weil ich da nur Werkzeug und Getränke drin lagere, außerdem kommen so die echten Monteure immer gut an die Rohre heran.
Die Rohre verlaufen durch die ganze Wohnung. Ich verfolgte sie hinter den Schränken entlang, durch die Mauern hindurch, hinter anderen Schränken entlang. Durch den Fußboden, an Stellen, wo sie nicht an Wänden entlang gelegt werden konnten, verfolgte ich sie. Am Ende war ich ganz Rohr. Ich wusste alles über sie.
Was mir ein wenig Sorgen bereitete, war der Umstand, dass ich den Draht nicht mehr finden konnte, den wir vor geraumer Zeit als Temperaturfühler vorgestellt bekommen hatten von unserem Klempner. Der war irgendwie weg. Da wir aber auch einen neuen Heizkörper und an allen Heizkörpern neue Ventile bekommen hatten, war ich mir nicht mehr sicher, ob wir überhaupt noch einen hatten oder ob der gar nicht mehr gebraucht wurde neuerdings. Ich grübelte noch ein wenig und ging dann zurück in die Küche.
Dort angekommen fand ich heraus, wo ich den Heizkreislauf mit Wasser befüllen konnte und beschloss das als nächstes zu probieren. Ging nicht. Mit dem Aufdrehen des Hahns passierte gar nichts. Ach scheiße, da war ja noch ein Hahn, diesmal aber ohne Drehgriff. Zange also und aufdrehen. Den anderen Hahn hatte ich vorher wieder zugedreht, weshalb auch diesmal nichts passierte. Dann sickerte es in meinem Kopf und ich drehte den anderen Hahn wieder auf. Das Wasser lief.
Das Wasser lief ganz schön schnell, also drehte ich mal ganz schnell wieder zu. Wie weit ich den oberen Hahn, den ich nur mit der Wasserpumpenzange drehen konnte, drehen musste, hatte ich vergessen. Mein Adrenalinspiegel stieg noch schneller als der Wasserdruck, der dann plötzlich verharrte, bei 1,7 bar. Das war in Ordnung. Aber die Heizkörper wurden trotzdem nicht warm. Dafür hatte sich die Schlauchklemme des Zulaufschlauches gelöst und nun tropfte es am Schlauch herab auf den Küchenboden. Scheiße.
Ich hatte das Tropfen nur bemerkt, weil ich mir plötzlich wegen der vielen Rohre nicht mehr sicher war und alle erneut überprüft hatte. Wie sich herausstellte, war die Schlauchklemme daran schuld. Wahrscheinlich hatte sie dem Aufdrehen der Zuläufe nicht standhalten können und sich ein wenig gelöst. Ich holte einen großen Schraubendreher und drehte. Nach fest kommt ab, dachte ich noch und dann tropfte es nicht mehr auf den Küchenboden. Ein kleiner feiner Strahl landete auf dem unteren Boden des Küchenschrankes, hinter dem die Rohre entlang gehen. Supergeil!
Ich ging hinüber in die Toilette und drehte die Hauptwasserleitung ab, ließ das restliche Wasser aus dem nahegelegenen Hahn purzeln und besorgte mir eine größere Lampe. Die Funzel vom Fahrrad war einfach zu klein. Ich entwirrte meine Schreibtischlampe, stand blöd in der Küche herum und kramte dann endlich eine Verlängerungsschnur hervor, nachdem ich die einzige Steckdose in Reichweite als für mich in Frage kommende ausschloss, weil da bestimmt etwas wichtiges drin steckte, was ich jetzt gar nicht herausfinden wollte. Ich hatte schon genug mit diesen Rohren zu tun und den Wegen, die die in der Wohnung machten.
Als ich genügend Licht hatte, dachte ich kurz darüber nach nichts zu tun und rief dann den Klempner an. Vielleicht hat er ja einen Notdienst. Hatte er nicht. Ich ging hinunter zu unseren zuverlässigen Nachbarn, um sie nach einer Notfallnummer von unserem Klempner zu fragen. Hatten sie nicht. Bis vorhin ging nur die Heizung nicht, jetzt hatten wir auch kein Wasser mehr. Das hatte ich sauber hingekriegt.
Tiefe Atmung, Überlegen, Beruhigen, ein paar Handtücher zur Sicherheit, ganz viel Licht zwischen den Einlegeböden des Küchenschrankes und mit Schraubendreher und Rohrzange bewaffnet schraubte ich die Klemme ab. Der Schlauch rührte sich nicht, tropfte nicht und überhaupt war nichts zu machen. Also nahm ich die Schlauchklemme, drückte sie ein wenig weiter nach oben und drehte sie wieder fest zu. Dann drehte ich den Haupthahn auf und ging zurück zur Klemme, die hielt. Gut. Wasser ging wieder. Ich bin also nicht ganz blöd, dachte ich.
Doch was sollte ich mit der Heizung machen? Na klar. Internet! Ich gab die Typenbezeichnung ein, eine Junkers ZWN 18 irgendwas und schrieb dazu Pumpe, weil ich annahm, dass entweder die Pumpe kaputt sein muss oder es doch an dem fehlendem Temperaturfühler liegt. Dann ließ ich die Suchmaschine den Rest erledigen. Es wurde prompt geliefert. Kapitel xy auf Seite 26 hieß es: Wie stelle ich die Pumpe ein. Drei Einstellmöglichkeiten gibt es, wovon die erste nicht zulässig sei, weil sie nur für Heizungsanlagen ohne Regelung einzustellen geht. Ich dachte an den vermissten Draht, der uns als Temperaturfühler vorgestellt worden war von einem Klempner und daran, dass ich mit dieser Einstellung alle meine Probleme lösen würde. Nicht zulässig, nicht zu lässig!
Egal. Ich stellte alles ein und machte irgendwas falsch. Plötzlich erklang da ein Geräusch, was ich so nicht kannte und das Rohr, welches ich als Zuleitung für die Heizkörper entlarvt hatte, begann heiß zu werden. Ich drückte ein weiteres Mal alle Knöpfe und verstand nicht, was da jetzt passiert war, weil ich offensichtlich gar nichts verändert hatte. Die Heizkörper wurden warm.
Die Temperatur ist seitdem im Kinderzimmer von 15,4° C auf 18° C gestiegen. Hier vorn im Arbeits- und Esszimmer sind es schon beachtliche 19,6° C. Ich kühle gerade herunter, mit einem Bier.
Immer häufiger, wenn ich abends vorm Spiegel stehe und mir die Haare aus der Stirn streiche, fallen mir dabei ein paar Haare aus. Die liegen dann im Waschbecken wie gefallene Kameraden, bevor ich sie mit dem Wasserstrahl ins Jenseits befördere.
Außerdem ist da dieses kleine Härchen, oft hoffnungslos zerknickt und verzottelt, halb so lang wie die übrigen Haare, einsam auf weiter Flur inmitten der größer werdenden Geheimratsecken und steht seinen Mann. Da inspiziert der kleine Napoleon die Schlachtreihe und versucht die Moral der Truppe aufrecht zu erhalten, bevor es in die finale Schlacht geht, denke ich. „Ruhe im Glied!“, ruft er und kann sich selbst kaum gegen meine Hand erwehren. Nur weil er so klein ist, entgeht er meiner oft geübten Geste.
Früher trug ich die Haare ja nicht in der Stirn, da trug ich sie nach hinten weg. Da waren die Geheimratsecken keine Ecken, sondern Eckchen. Wenn ich zum Friseur kam, wurde am Schluss noch eine stumpfe Schere genommen und großflächig ausgedünnt. Sehr feines Haar und unheimlich viel. „Mann, sind das viele!“, sagte mal ein Friseur. Da war ich richtig stolz drauf.
Kurz bevor es zu spät war, trug ich sogar noch ein einziges Mal einen Pferdeschwanz. Schulterlanges, leicht gewelltes Haar, in straßenköterblond. Die Eckchen waren schon zu Eckerchen angewachsen, mokierten sich über meinen Stil und krochen dabei langsam aus ihrem Versteck. Eckerchen wie Meckerchen, das Haar in der Suppe.
Als ich noch ein kleiner Junge war, stand ich in weinerlichem Ton vor dem Spiegel und wollte nicht in den Kindergarten, weil ich einen Stietz hatte. Wenn man so wie ich mehr als einen Wirbel am Hinterkopf trägt, konnte das schonmal vorkommen, dass sich so ein vorwitziger Rekrut in Richtungen verabschiedete, die für das Heer nicht vorgesehen war. „Ruhe im Glied!“, hätte ich dann am liebsten gebrüllt aber es kam nur ein Fiepen mit ein paar Tränen und vielleicht ein kleines Stämpferchen mit dem rechten Fuß. Gegen diese Deserteure war kein Kraut gewachsen, da half keine Spucke, selbst die von Mutti nicht, kein Kämmen und kein Zuckerwasser. „Setz‘ doch ´ne Mütze auf“, sagte dann meine Mutter und für sie war alles geklärt.
´Ne Mütze! Als ich beim Bund war, kurze glattgekämmte Haare trug, schwarz gefärbt inklusive schwarzem Hautrand, weil selbstgemacht, da hatte ich ´ne Mütze. Tarnfleck und mindestens zwei Nummern zu klein. Wenn ich die abnahm, trug ich danach immer noch Mütze, weil sich darunter ein Vogelnest gebildet hatte, dessen Rand den ehemaligen Rand der Mütze markierte. Der ging tagelang nicht weg. Da hat man am Wochenende frei und kommt nach Hause und hat immer noch Mütze auf. Nicht umsonst erinnert der Gruß beim Militär ans Mütze lupfen. Nur dass ich eben keine aufhatte.
Nee, ein Mützentyp bin ich nicht, werde ich wohl auch nie sein, obwohl mir der Wind jedes Jahr kälter vorkommt. Vom Klimawandel hat mein Schädel noch nichts mitbekommen. Wenn´s mir zu bunt wird, trage ich Kapuze.
Irgend so ein Komiker hat mal Ende der Neunziger einen Witz in seinem Programm gehabt, dass ihm das Haupthaar ausfiele und auf dem Rücken wieder anwachse. Wie ich da gelacht habe. Jetzt lache ich nicht mehr. Zupfe mir die Haare vom Rücken. Aus den Ohren. Vom Ohrläppchen. Aus der Nase. Aber Bart? Fragen Sie bloß nicht danach!
Vielleicht wurde uns ein Rad gestohlen. Ich will bis jetzt nichts unversucht lassen, solange nicht klar ist, ob ich das Fahrrad nicht in meinem Schussel irgendwo habe stehen lassen. Seit zwei Stunden weiß ich nun davon und überlege die ganze Zeit, wie ich herausfinde, wo ich das Fahrrad denn zuletzt benutzt und dann stehenlassen haben könnte.
Vielleicht steht es bei Herr Putzig, den ich letzte Woche am Samstag besucht hatte und den ich in immer noch akzeptablem aber nicht mehr nüchternem Zustand verlassen habe. Ich weiß, wie ich nach Hause kam, zu Fuß. Deshalb könnte es ja sein, dass das Fahrrad dort steht. Herr Putzig geht nicht ans Telefon. Herr Putzig ruft zurück und sagt mir, dass vor seiner Haustür kein Fahrrad zu sehen ist. Mir ist in der Zwischenzeit eingefallen, dass ich auf dem Hinweg ebenfalls zu Fuß war, also kein Rad dabei hatte.
Vielleicht könnte ich es an der Faust stehen lassen haben. Um das restlos aufzuklären, um alles zu erklären, wie es kommt, dass ich mich dort herumtreibe, müsste ich sehr weit ausholen. Ich kürze ab: am Kulturzentrum Faust e.V steht das Rad nicht, weil der einzige Tag, an dem es dort offensichtliche Berührungspunkte gab, war ich zu Fuß, mein ältester Sohn ist Zeuge.
Vielleicht steht das Rad am Spandau. Eine höchstwahrscheinliche Angelegenheit, denn am Dienstag musste ich das Auto nach vollbrachter Arbeit an der Faust abstellen. Es könnte also sein, dass ich mit dem Rad hingefahren bin und es dort einfach vergessen habe. Wenn ich da nicht ein paar eindrückliche Erinnerungen an eine Busfahrt hätte. Ich bin mir sehr unsicher, auch weil der Weg zum Spandau der gleiche ist wie zur Uni, bzw. Bibliothek und ich dort häufiger zu Gast bin, um Bücher vorzuzeigen und zu verlängern oder Bücher zurückzugeben.
Das Wetter an dem Tag könnte entscheidend sein, denn wenn es furchtbar kalt war, bin ich bestimmt mit dem Bus gefahren. Ich suche also nach einem Wetterbericht für Hannover vom 05.01.2016. Ich bekomme nichts. Sobald ich ein Suchergebnis anklicke, aktualisiert sich die Datumsangabe auf den heutigen Tag. Ich muss mit dem Textauszug in den Suchergebnissen, dem sogenannten Snippet, vorliebnehmen, und bekomme heraus, dass die Tiefsttemperatur bei -6° Celsius gelegen hat. Der Snippet endet vor der Höchsttemperatur. Mist.
Ich rufe im Spandau an. Vielleicht ist jemand da, den ich kenne, der mir kurz sagen kann, ob ein solches Fahrrad, wie wir es besitzen bzw. besaßen, davor auf dem Bordstein geparkt ist. Das kann man von der großen Panoramascheibe aus sehen. Es ist niemand da, den ich kenne. Ich kriege also nicht einmal ein Snippet. Ich werde hinfahren müssen – mit dem Bus.
Bukowski ließ sich von Frauen regelmäßig das Gesicht zerkratzen. Ich hatte dafür meinen jüngsten Sohn. Wenn ich ihn auf dem Arm hielt oder wenn er im Gitterbett mir gegenüber stand, zerfurchte er mir mit seinen kleinen Händen mit den spitzen Krallen das Gesicht. Meine Ohren litten auch sehr darunter, aber ohne sichtbare Spuren.
Seit zwei Tagen rangen wir denselben jede Minute einzeln ab, lechzten nach jeder Abwechslung im öden Krankenhausaufenthalt. Ich schimpfte mit ihm und warf mir Desinfektionsmittel in die blutenden Kratzer. Ich sah aus wie nach einer abgesagten Rasur mangels eigener Fähigkeiten, im Bart verblieben.
Er streichelte mich dann sofort ganz sanft, wenn ich ihn ausschimpfte, oder er versuchte mir die Hand zu geben, wenn er im Gitterbett stand. Das hatte ich ihm kurz zuvor beigebracht. Dann konnte ich ihm nie lange böse sein, diesem ausgefuchsten, kleinen Quälgeist mit seiner linkisch vorgereckten Hand.
Jetzt schläft er. Ich lege mich ebenfalls hin. Hoffentlich entlassen sie uns morgen.
Man kann sich in Schwerin eine halbe Stunde über Parkplätze unterhalten, habe ich gelernt, ohne das Thema langweilig zu finden. Die Innenstadt ist schön und liegt gut am Fuß.
Überraschend fand ich die vergoldete Treppe, die von außen einzusehen ist, sozusagen innen an der Fassade entlang nach oben führt. Also die Überraschung war nicht die Treppe sondern ihr Standort: im Justizministerium. Ich hätte sie ja eher im Finanzministerium erwartet.
Das Krankenhaus ist auch nett aber langweilig. Der Jüngste treibt sich gerade hier mit mir rum. Nachbereitung der Feiertage.
Man soll ja nicht mit Schulden ins neue Jahr gehen, und da es bald soweit ist, also das neue Jahr startet, muss ich noch etwas loswerden:
Seit Jahren schon belastet mich ein Problem, welches ich mit einem bestimmten Freund von mir teile. Er weiß davon gar nichts, vermute ich, weil er kaum etwas dafür kann. Es ist meiner Einbildung entsprungen dieses Problem. Oder nicht ganz. Ich hatte diesen Freund, als er noch studierte einmal in seiner Heimatstadt Berlin besucht, um dort ein paar Leute zu treffen. Dafür durfte ich bei ihm übernachten und wir gingen natürlich am Abend zuvor noch aus. Ich humpelte zu diesem Zeitpunkt schon etwas, weil ich irgendwo hineingetreten war und mir die Haut zwischen zwei Zehen aufgerissen hatte.
Der Alkohol betäubte den Schmerz und am nächsten Morgen übertönte der Kopfschmerz jeden anderen Schmerz in den Zehen. Wir verabredeten uns lose am frühen Nachmittag des Folgetages – mein Treffen mit den anderen Freunden sollte erst am frühen Abend beginnen – um gemeinsam in der Mensa der Uni essen zu gehen. Einen Neurotizismustest sollte ich bei der Gelegenheit auch noch für ihn ausfüllen, da er die Ergebnisse für eine Studienarbeit benötigte. Dafür gab es einen kostenlosen Kaffee.
Ich ging zu Fuß die komplette Prenzlauer Alle hinunter über den Alex und die Straße Unter den Linden wieder hinauf. Keine Ahnung, was mich da geritten hatte. Mein Fuß war auf Heimreise am nächsten Morgen ein Klumpen rohes Fleisch, aber ich hatte schon wieder Kopfschmerzen und merkte das nicht.
Tags darauf bemerkte ich auf meinem linken Oberschenkel ein paar komische Knubbel unter der Haut und machte mir langsam Sorgen. Mein Fuß sah schrecklich aus und ich dachte schon, ihn abschneiden zu lassen. Ich humpelte in die Notaufnahme. Die behielten mich gleich da. Verpassten mir ein paar ordentliche Injektionen und bescheinigten mir großes Glück. Ein paar Stunden wäre ich nirgends mehr hingegangen, dann hätte man mich getragen und wohin, wäre mir nicht mehr wichtig gewesen.
Im Krankenhaus hatte ich jede Menge Zeit und so nahm ich mir einen Schreibblock und einen Stift und schrieb ein böses Pamphlet auf meinen Freund. Natürlich nur zum Spaß. Ich machte ihn für alles verantwortlich: für meine Gewaltmärsche, meine Schmerzen, meine Kopfschmerzen, meinen Krankenhausaufenthalt und zuletzt auch noch für den hinterlistigen Test, den ich ihm zu beantworten hatte. Der Test war überhaupt das fieseste von allem. Darin kamen Fragen, die ein „normaler“ Mensch sich nicht einmal ausdenken konnte. Das ist auch gut so und sollte so sein, aber die Anordnung der Fragen ließ einen manchmal schon stutzen, denn es gab eine eingebaute Steigerung, die meistens ganz harmlos begann und plötzlich ins Extreme driftete, so dass ich manchmal das Gefühl hatte, meine vorherigen Antworten zu überdenken und vielleicht etwas harmloseres anzustreichen. Ich war natürlich reichlich normal, wie mir mein Freund bescheinigte. In meinem Pamphlet aber stilisierte ich ihn und somit auch mich zur Bestie. Ich hatte großen Spaß dabei.
Ich schrieb den Text nie zu Ende, den fertigen Teil aber sandte ich ihm zu, und wir konnten gut darüber lachen. Jedenfalls lachte er mit, vielleicht auch nur mir zuliebe. Ich war ja noch immer ans Bett gefesselt.
Seit dieser Zeit aber ertappe ich mich dabei, während unseres Emailkontakts subtile Dinge in seinen Antworten wahrzunehmen, die mich ärgern sollen. Er macht das nicht bewusst, er weiß nicht einmal, was ich da hineinlese, weil ich darüber mit ihm noch nie gesprochen habe. Es ist ihm überhaupt nichts davon bewusst, aber dieser Text, den ich verfasst habe, schleicht sich immer wieder in meine Lesart seiner Antworten hinein und lässt mich darin Dinge erkennen, die er ganz anders gemeint hat. Ich lese ihn sozusagen, als wäre ich am Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden. Das passiert mir ständig.
In der letzten Mail ging es um ein Feriendomizil, das er mit „chice Location“ beschrieb. Ich las natürlich nicht „schick“, sondern „scheiß“ und antwortete nicht mehr, ich war persönlich beleidigt. Er antwortete auch nicht. Die anderen antworteten auch nicht mehr, und so verlief alles im Sande. Mit einem anderen aus der Runde erörterte ich das Problem später am Telefon und erkannte im Sprechen darüber bereits meinen Fehler. Und nun plagt mich mein schlechtes Gewissen.
Also, lieber AausP, solltest du das hier lesen: nichts für ungut und schöne Weihnachten!
Aceton, haha. Schön machen. Ich stand kichernd auf der Treppe des Kinderbettes, mit der rechten Hand hielt ich mich am Geländer fest, die linke umschloss einen Lappen, der nach Chemikalie roch und rubbelte damit über Holz. Die Dose mit dem Aceton stand auf der obersten Stufe und duftete mir ins Gesicht, haha. Schön machen.
Ich musste an diese Postkarte von Papan denken, die auf unserem Kühlschrank per Magnet festgepinnt war. Darauf zu sehen sind ein Elternpaar in der Tür und eine Horde Kinder beim Spielen. Der Vater fragte gerade: „Zum letzten Mal: wer war das?“ Die Karte zeigte im Vordergrund ein buntes Krikelkrakel, das irgendwie nicht zur Karte zu gehören schien. Die Ansage bezog sich aber genau darauf, haha.
Als ich die Karte seinerzeit bei einem Freund einsackte, wusste ich noch gar nichts über diesen Entwicklungsschritt. Ich fand einfach dieses Ebenenspiel der Karte interessant und ziemlich witzig. Dass aus dem Witz einmal Wissen wird, davon hatte ich noch keine Ahnung.
Jetzt stand ich hier und entfernte gerade ebensolches Krikelkrakel vom eigens erbauten Kinderbett, weil unsere Kinder dachten, sie könnten das Bett damit schön machen. Ich beglückwünschte mich, dass ich so weitsichtig gewesen war, mit dem Rest an Parkettlack über die Lasierung gegangen zu sein beim letzten Umzug, sonst hätte ich wohl die Filzstiftzeichnungen nicht so leicht vom Holz bekommen.
Wirklich schön empfindet ja jeder ein wenig anders, und leider gab es auch Stellen, die ich nicht behandelt habe, da muss der Filzstift vorerst bleiben. Es ist ja auch immer etwas anderes, wenn man so eine Postkarte betrachtet und sich darüber amüsiert, als wenn man sich als Elternpaar wenige Tage später wissend anblickt. Das ist eine Entwicklung, die man mit seinen Kindern teilt. Da lernt jeder von jedem.
Die Eltern lernen, was alles schön ist und Kinder lernen, was Eltern nicht schön finden. Diese Erfahrung sollte man sich im Anschluss mit ein wenig Aceton in einem schlecht gelüfteten Kinderzimmer versüßen, allein natürlich. Haha.
Wahrscheinlich gibt es einen Weg. Es gibt immer einen. Es gibt auch immer einen, der weiß, wie es geht, und derjenige stellt sein Ergebnis dann ins Netz, um anderen die Möglichkeit zu bieten, sich ebenfalls schlau zu machen; wenn es denn funktioniert. Aber fangen wir doch erst einmal vorne an:
Warum sollte ich das Windows 10 Update abstellen? Dafür gibt es keinen Grund. Mich, und nur deshalb stelle ich mir diese Frage, beunruhigt das Update. Für andere mag es handfestere Gründe geben. Für manch einen gibt es wahrscheinlich gar keine Gründe. Für mich gibt es welche. Ich werde dabei immer an den neuesten
Terminator-Streifen erinnert, wo ebenfalls mit einem kostenlosen Update geworben wird. Oder an den
Rasenmähermann, der, einmal an die Höllenmaschine Computer angeschlossen, in jedes Bauteil emigrierte und sich in der ganzen Welt fortzupflanzen trachtete. Schaurige Vorstellung. Deshalb möchte ich kein Windows 10 Update installieren. Deshalb möchte ich mein Windows 10 Update abstellen.
Was kann ich dafür tun? Ich kann mir die Beschreibung dazu im Internet durchlesen. Hier wird ausführlich beschrieben, wie es geht. Ich habe einen Screenshot von den wichtigsten Details gemacht, um Sie Ihnen hier zu präsentieren. Werden Sie schlau draus?
Ich habe Update KB3035583 tatsächlich gefunden. Ich habe es gelöscht, um es bei Neustart wieder auf dem Rechner zu haben. Ich stolperte über den letzten Satz im zweiten Absatz. Für so subtile Sätze bin ich zu dumm. (Wenn Sie den Satz so nicht lesen können, können Sie, indem Sie auf das Bild klicken, eine vergrößerte Variante des Screenshots erhalten.) Haben Sie übrigens die Werbung im unteren Teil des Bildes gesehen?
Warum schreibe ich also eine Anleitung, wenn ich doch sogar zu dumm bin, eine andere zu befolgen? Aus dem einfachen Grund, weil ich vielleicht zu dumm bin für anderer Leute Anleitungen, aber weil ich etwas davon verstehe, Leuten Dinge klarzumachen. Ich kann Sachen erklären, das ist eine meiner guten Eigenschaften. Deshalb schreibe ich eine eigene Anleitung.
So, und jetzt die Anleitung: Sehen Sie das Symbol in der Taskleiste? Ich habe einen roten Kreis darum gemacht. Leider ist der Kreis nur ein ovales Dingens, aber Sie werden sicher wissen, was ich meine und erkennen, worum es sich handelt. Es geht um das kleine störende Symbol dort.
Und jetzt schauen Sie auf diesem Bild! Das ist ein kleiner Aufkleber, wie sie manchmal aus Mickey Maus Heften herausfallen, wenn man zufällig in der Zeitung blättert, um zu sehen, was die Jugend von heute so liest. Oder in der Bravo, Wendy oder was auch immer Sie sich für eine Zeitung suchen. Sie finden darin kleine Aufkleber. Sie können sich natürlich auch welche kaufen, kosten nicht viel. Ein Euro vielleicht. Kleben Sie ihn einfach auf die betreffende Stelle. Je größer Ihre Verunsicherung, umso größer der Aufkleber. Einfache Kongruenz. Funktioniert immer. Garantiert!
