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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Auslaufmodell Buch

Freitag, 17. Juni 2022

Clemens J. Setz

War heute versucht, Clemens J. Setz eine Mail zu schreiben, deren Inhalt sich darauf beschränkte, ihm Danke zu sagen für die Unordnung, die er in mir bei der Lektüre seines Buches "Die Bienen und das Unsichtbare" hinterlassen hatte. Habe den Gedanken verworfen.

Sonntag, 24. April 2022

Bobo Siebenschläfer - Abgründe

Meine jüngste Tochter ist gerade zwei geworden, hatte das hier gar nicht mehr angekündigt, weil ich ja schon Tschüß gesagt hatte. Aber naja, nun ist sie halt zwei und jeden Abend lese ich ihr etwas vor. Meistens muss ich ihr von der Kuh Lieselotte vorlesen und zwar immer nur das Buch „Lieselotte lauert“. Lieselotte lauert auf den Postboten und jagt ihn vom Hof, am Ende (Achtung Spoiler!) trägt sie selbst die Post aus, weil sie das Fahrrad des Postboten zerstört. Meine Tochter hat einen Heidenspaß bei dem Buch, weil ich Lieselotte immer anders nenne, mal heißt sie Ulrike, dann wieder heißt sie Gisela, Gertrude oder Sabine. Das findet meine Tochter ganz toll. Außerdem mag sie, dass ich mir immer andere Dinge ausdenke, die da stehen könnten, aber nicht da stehen und dann so tue, als ob sie da stehen und ihr eine völlig verdrehte Geschichte vorlese. Da knattert die Bäuerin der Kuh schon mal nicht im Traktor hinterher, wie es in der Geschichte heißt, sondern im Schuhkarton, auf Schlittschuhen oder in der Straßenbahn. Leisetöne kalauert.

Jedenfalls ist Käthe, so heißt meine Tochter, auch besonders scharf auf Geschichten um die Figur des Bobo Siebenschläfer. Da steht ja wirklich wenig drin. Einfache Hauptsätze aneinandergereiht, meist nur einer pro Seite und viel Quatsch, den ich nebenher erzählen kann. Wenn Bobo mit dem Flugzeug fliegt stürzt regelmäßig eine Maschine ab oder in einem Koffer ist eine Bombe versteckt, und wenn die Familie Siebenschläfer dann endlich am Urlaubsort ankommt, gastiert sie nicht in ihrem Hotelzimmer, sondern im Keller oder auf dem Dach.

Neulich fand ich ein wirklich altes Buch von Bobo mit vielen Geschichten drin. Das lese ich gerade immer wieder vor. Das Buch ist so alt, da darf Frau Siebenschläfer noch aussehen wie das Tier, ein bisschen mopsig, bieder mit Kittelschürze, wenn‘s in die Küche zum Kochen geht, während der Mann den Spaziergang macht. Die Zeichnungen sind mit den modernen Abbildungen nicht mehr zu vergleichen. Dort hat sich das Frauenbild in mehrerer Hinsicht gewandelt: Mama Siebenschläfer ist nicht mehr die biedere Hausfrau, sie darf schlanker sein, moderner daherkommen, auch schon mal etwas ohne den Mann entscheiden und Dinge tun, die sonst der Mann getan hätte.

Warum erzähle ich das alles? In dem alten Buch aus dem Jahr 1984 gibt es ein paar Zeichnungen, die sind, wenn schon nicht aus der Zeit gefallen, so doch zumindest sonderbar. Mama Siebenschläfer geht mit ihrem Sohnemann einkaufen, man sieht sie nur angedeutet im Vordergrund gerade ins Bild hineinfahren, und hinter der Kasse ganz hinten links steht ein absolut scharfes Siebenschläferweibchen: mit Minirock, Wespentaille, große, wohlgeformte Brüste, Arme hinter dem Rücken, und Brust vorgestreckt lächelt sie den Betrachter an.
Bobo_1

Und nur wenige Seiten weiter stehen in Einzelmotiven gezeichnet die Produkte, die Mama Siebenschläfer gekauft hat. Da ist eine Rolle Klopapier dabei, auf dem Klopapier ist als Serviervorschlag ein extrem großes Hinterteil mit tiefer Poritze abgebildet, sitzend auf einem Töpfchen. Den typischen Siebenschläferschwanz gibt es hier nicht, damit der Blick auf das Hinterteil freiliegt, dafür gibt es einen Rücken und die Siebenschläferohren. Ich frage mich seit Tagen, warum mich das so triggert...
Bobo_2

Donnerstag, 13. Juli 2017

Überall bellte ein Hund

Nun bin ich vor kurzem erst wieder auf dieses Phänomen in der Literatur gestoßen und wollte es vor allem für mich einmal sammeln. Der bellende Hund scheint in der Literatur ja seinen festen Platz ingenommen zu haben, häufig um Stimmungen hervorzurufen oder um auf Geschehnisse aufmerksam zu machen, die dem Leser verborgen bleiben sollen. Deshalb hier die zwei Werke, in denen mir der bellende Hund begegnete:

Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen, Suhrkamp BasisBibliothek 2013, S. 9.

"...und mehr noch in einem gelegentlichen Hundegeblaff ihre Bestätigung fand. Wo dieser eigentlich steckte, das entzog sich freilich der Wahrnehmung..."

J.J.Voskuis: Das Büro, Band 1: Direktor Beerta, Verbrecher Verlag 2016, S. 542.

"..."Was hört ihr jetzt?", fragte er. "Ich höre einen Zug", sagte Nicolien. "Und was noch?" - weit entfernt bellte ein Hund - "Ich höre einen Hund." Es war erneut still. Sie horchten nun alle drei..."

Ergänzungen sind gern erwünscht. Wahrscheinlich werde ich selbst noch ein paar vornehmen, sobald ich wieder darüber stolpere.

Montag, 29. Februar 2016

Dröseliges

Ich erwäge, ein Buch zu reklamieren. Ich weiß gar nicht, ob Bücher überhaupt reklamiert werden können. Es geht ja gar nicht, um eine Reklamation des Inhalts wegen, oder doch, eigentlich schon, denn es geht um das Lesebändchen.

Das Lesebändchen befindet sich nämlich in Auflösung. Es löst sich vom Ende her auf. Eben saß ich kurz auf dem Faden, der das Bändchen zusammenhält und zog am Rest und schon hatte sich ein nicht geringer Teil des Bändchens aufgedröselt.

Nun ist es ja nicht so, dass ich mir nicht auch ohne Lesebändchen die Seitenzahl merken könnte. Ich könnte also das gesamte Lesebändchen aufdröseln und den Rest abschnippeln. Das könnte ich auch deshalb schon tun, weil das Buch ein zweites Lesebändchen hat. Ein zweites! Ein Buch mit zwei Lesebändchen, von dem eines sich in Auflösung befindet.

Das kommt mir doch alles sehr surreal vor. Aber nein, es ist so. Das Lesebändchen löst sich auf und ich spiele mit dem Gedanken, das Buch zurückzugeben und mir ein neues aushändigen zu lassen.

Ich habe noch nie ein Buch reklamiert. Ich bat einmal inständig darum ein ungelesenes zurückgeben zu dürfen, weil ich nach dem Kauf feststellte, dass ich ein identisches Exemplar nicht nur schon gelesen hatte, sondern sich auch in meinem Bücherregal befand. Aber reklamieren? Wegen eines Lesebändchen, das sich auflöst, obwohl doch noch ein zweites da ist?

Das ist doch lächerlich. Welche Buchhandlung würde so etwas zurücknehmen? Würden die mir vielleicht einen Preisnachlass gewähren? Einen Gutschein ausstellen? Ein Lesezeichen? Ich muss da morgen mal hingehen und fragen. Nur so rein hypothetisch. Ob das schon mal vorgekommen ist, dass sich ein Lesebändchen aufdröselt und man das Buch deshalb reklamieren möchte, obwohl es doch ein zweites Lesebändchen hat.

Hier passiert leider nichts mehr. So ein Lesebändchen ist ja auch ziemlich kurz. Das kann man nicht ewig aufdröseln. Ich könnte jetzt noch von einem Knoten erzählen, den ich darein knüpfen könnte, und wie sich dieser in die Seiten drückt beim Zuschlagen des Buches und wie mich das ärgern würde. Aber mehr auch nicht. Dass aus einem sich aufdröselnden Lesebändchen überhaupt etwas entstehen kann, ist schon eine kleine Sensation. Aber nur eine ganz kleine.

Ich habe den Schussfaden jetzt angekokelt, damit ich noch was zum Reklamieren habe, falls ich mir das überlegen sollte. Jetzt hat es sich erstmal ausgedröselt. Ende.

Montag, 1. Februar 2016

Walter Benjamins Denkbild "Überzeugen ist unfruchtbar."

Am Freitag las ich ein wenig in Walter Benjamins „Einbahnstraße“. Gleich zu Anfang des Buches stellt Benjamin die Behauptung auf, dass Träume erst dann aufgeschrieben werden sollten, wenn eine Frühstückzeremonie die Nacht vom Tag getrennt hat. Das würde die Parteilichkeit des Schreibenden zur gerade durchlebten Nacht herabsenken und seine Objektivität steigern.

Das wollte ich heute unbedingt berücksichtigen. Was war dann geschehen? Den Traum hatte ich nach dem Frühstück vergessen.

Sonntag, 31. Januar 2016

Herbst in Hannover - Lesung Traumschiff

Als ich die letzten Fußgänger umfahren (nicht umgefahren) hatte, die letzte Ecke, um die ich noch herum musste, in Sichtweite kam, nahm ich während des Radfahrens mein Smartphone aus der Tasche, um auf die Uhr zu sehen. 19:33. Machtergreifung, schoss es mir durch den Kopf. Die letzte Ecke war umfahren, ich schloss das Rad an und sah die Stufen hinauf in die leere Eingangshalle. Alle waren bereits drin, ich war zu spät. Egal, dachte ich und drehte mir eine Zigarette.

Als ich die Tür zum Vortragsraum öffnen wollte, war sie verschlossen. Sogleich kam die Dame am Getränke- und Büchertresen angestürmt und öffnete mir. Das Gespräch, die Lesung hatte bereits begonnen. Gern hätte ich mir noch ein Bier gekauft, musste stattdessen mein Ticket vorzeigen und traute mich dann nicht mehr. Geduckt lief ich durch die Reihen des rechten oberen Teilstücks des T. Die Zuschauer links vom Podium sahen mich kommen, die rechts davon sahen mich gehen. Ich bog links ab, weil ich mir im unteren Bereich des T ein bekanntes Gesicht und eine freien Sitzplatz erhoffte. Das T ergab sich aus der dritten Bestuhlung, die in Front zum Podium aufgebaut war.

Beides war dort vorhanden, bekannte Gesichter und freie Plätze. Vorletzte Reihe links nahm ich Platz. Vor mir ein Mann mit weißem Haar, unglücklicherweise meine Größe. Ich musste mit jeder seiner Bewegungen mitgehen, um das Podium sehen zu können. Direkt hinter mir saß zu Anfang noch jemand, später war er weg. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Der arme Kerl wurde ja nun von beiden Seiten seines Sichtbereiches beraubt.

Als Alban Nikolai Herbst endlich zu lesen begann, waren schon etliche Positionswechsel vollzogen. Die Moderatorin führte ausführlichst ein. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass sie vieles in Watte packte, lieber umschrieb, als direkt herausrücken zu wollen. Herbst ging darauf ein oder nicht, wie man’s nimmt. Manche Dinge beantwortete er einfach nicht, anderes vergaß er vielleicht, und wiederum andere Dinge ergaben sich plötzlich anders, so dass die Antwort gegeben schien.

Als Alban Nikolai Herbst endlich zu lesen begann, war es nicht Traumschiff, sondern ein Gedicht. Ich habe meine Schwierigkeiten mit Gedichten, vor allem, wenn sie vorgetragen werden und ich nicht wenigstens mitlesen kann, wenn sich nichts reimt, wenn mir der Inhalt zu verklausuliert herüberkommt. Ich nahm etwas mit, der Abend war noch jung, ich war hochkonzentriert, ich glaube, es reimte sich sogar manchmal. Eine Ahnung überkam mich, wie das Gedicht mit dem Werk in Verbindung stand. Da rüttelte was an meinem Geist, dann war es vorüber und ich war noch nicht fertig. Wenigstens hatte ich in der Zeit freie Sicht, weil mein Vordermann durch übermäßiges Nicken und Kopfschütteln vergessen hatte, dass sein Weinglas zu seinen Füßen stand, ein wenig davon verschüttete und sich nun daran gemacht hatte, mit Papiertaschentüchern das Malheur zu beseitigen.

Traumschiff. Ein merk-würdiges Buch. Wenn es vorgetragen wird, noch dazu von einem so ausgezeichneten Vorleser wie Herbst, wenn die Passagen bekannt sind, weil schon einmal selbst gelesen, dann offenbart sich eine Schönheit in jedem Satz, nein, ein Geheimnis, dann gelingt plötzlich, wofür vorher ganze Seiten nötig gewesen waren, dann setzt ein Versinken ein, augenblicklich. Das ging dem gesamten Publikum so, hatte ich das Gefühl. Wenn mein Vordermann nur nicht ständig nicken oder den Kopf schütteln würde. Ich zückte mein Notizbuch und schrieb etwas rein, vom Nicken und Schütteln. Meine Nachbarin, eine Kommilitonin aus unserem Seminar, schielte neugierig zu mir herüber. Ich verwies auf den Checker vor mir, sie grinste. Der Platz vor ihr war leer.

Es folgte eine zweite Moderationsphase und nach einer weiteren Schiffsreise ein erneutes Gedicht. Hexameter, für die ich irgendwie ein Gefühl bekam, wenngleich ich sie nicht erkannt hätte, ANH kündigte das vorher an. Es schaukelten mich die Wellen der Betonung. Nur dem Inhalt, dem konnte ich nicht folgen. Schon wieder beschlich mich plötzlich das Gefühl, es reimte sich etwas, dann war es wieder weg. Es folgte eine harte, von Konsonantenclustern geprägte Phase, ein rirtschirsirrirsirtsch, der Reim war reines Wunschdenken, dachte ich mir nun und hoffte auf das Ende. Ich schaltete ab. Ich gab auf fürs Erste. Währenddessen schrieb mir eine andere Studentin aus unserem Kurs ein paar aufgeschnappte Zitate per WhatsApp. Gut dachte, wo ich doch selbst so liederlich in mein Notizbuch kritzelte.

Statt ihn zu fragen, was er als nächstes vorhabe, holte die Moderatorin nun ganz weit aus, wollte ANH nach seinem lyrischen Winter fragen, dachte vielleicht, und nicht zu Unrecht, denn Gedichtbearbeitungen sind ja nicht selten Thema gewesen in den letzten Arbeitsjournalen, jetzt kommt am Ende noch die Lyrik und dann ab aufs Schiff. Aber ANH bügelte das ab. So wäre das nicht. Das könne er doch jetzt noch nicht wissen, da gäbe es einiges, sicher, auch Lyrik, bestimmt.

Das Publikum durfte im Anschluss fragen. Es gab kein Mikro zu Anfang, die Frage kam aus dem linken oberen Balken des T. Ich versuchte, so gut es ging, um die Ecke zu hören, denn zwischen uns lag eine Wand. Nicht möglich. Als das Mikro dann endlich da war, war’s mir egal. ANH las dann noch einmal. Eine wirklich schöne Szene. Ich erkannte sie sofort, stieß meine Nachbarin an. Das ist doch die Szene mit dem „wir“, mit dem echten „wir“, als der Protagonist das Bett einsaut und seine Pflegerin nicht nur vom „wir“ spricht, sondern ihn und sich selbst auch als ein „wir“ betrachtet. Meine Nachbarin nickte und freute sich ebenfalls. Plötzlich ging wieder was, es wurde noch einmal richtig intensiv, ich war wieder im Spiel, dann war’s vorbei. Schön war’s.

Wir gingen noch etwas trinken, ein paar aus unserem Kurs. Unser Dozent kam nicht mit, dafür ANH, seine erste Verlegerin. „Marlboro“, das Buch, welches ich mir neben dem Traumschiff noch signieren ließ. Die Moderatorin kam nach. In einem freien Moment fragte ich ANH wie er das gemacht hätte, das Buch in einem Monat zu schreiben. Ob man dafür am Folgetag noch einmal eine kleine Lektüre anschließt, um wieder in den Text zu kommen. Er verneinte, dafür wäre keine Zeit gewesen. Seine Antwort schweifte ab, und ich war nicht zufrieden, weil ich nicht wissen wollte, wie er vorging, sondern wie es in ihm vorging, wie sich so ein Flow entwickelt, ob da eine Stimmung ist oder ein Schalter, den er umlegen würde. Ich bekam dadurch ein Gefühl dafür, wie schwer es sein muss, Fragen zu formulieren, deren Antwort nicht für einen selbst sind, sondern für ein gesamtes Publikum, wo ich doch selbst kaum in der Lage war, eine Frage zu stellen, deren Antwort mich befriedigt. Das ließ mich anders über die Moderatorin denken.

Wir redeten noch eine ganze Weile, dann dünnte sich die Versammlung aus. Wir Übriggebliebenen wurden wenig später hinaus komplimentiert. Abschied. Ich vergaß, mich von ANHs erster Verlegerin zu verabschieden und ärgerte mich darüber für den Rest der Wachzeit und bis in die nächste hinein. Zu Haus schrieb ich einen ersten Entwurf für mein Blog. In meinem Ärger über meinen flegelhaften Abgang, begann ich den Text mit: „Ich bin so ein Flegel!“ und endete mit: „Was für ein Flegel!“

Egal, mit ANH an einem Tisch war ich schon vorher Flegel: er setzte sich nicht, bevor nicht die Frauen saßen, half ihnen aus und in die Mäntel, rückte Stühle und positionierte jeden Gast einzeln und mehrmals um und um sich herum, bis alle zufrieden waren oder so taten. Ich staunte derweil, guckte nur, hatte mich selbst kaum bewegt. Auf einen dezenten Hinweis hin - kam der von ihm? - holte ich meiner Sitznachbarin einen neuen Stuhl, der alte war irgendwie verschwunden. Wir waren wie ein alter Hund, drehend und ausprobierend, was nun die beste Lage sei, bis wir endlich alle saßen! Ach, ja!

Dienstag, 1. Dezember 2015

Marbach

Nur ganz kurz, weil vom Smartphone:

Ein tolles Archiv und eine tolle Frau B. Mein Spleen ( zumindest dachte ich immer, es wäre einer), Buchumschläge sorgfältig zu Hause aufzubewahren, statt sie die Bücher "schützen" zu lassen und mitzunehmen, wird hier geteilt. Die Bücher haben keine aufgeklebten Signaturen. Ich fühle mich verstanden, gewertschätzt, obwohl ich gar kein Buch bin.

Freitag, 27. November 2015

Ulrich Peltzer - Das bessere Leben - Teil 2

Teil 1




Angelika Volkhardt, 45, Managerin einer großen Reederei, ist eines dieser Bindeglieder, die Peltzer geschickt in seinen Roman einbaut. Die es ihm ermöglichen, große zeitliche Sprünge zu absolvieren und manchmal sogar die Geschichte so realitätsgetreu zu erzählen, als wäre sie so passiert. Warum zum Beispiel Johannes R. Becher die stalinistischen Säuberungen unbeschadet überlebt. Weil ein weiterer deutscher, politischer „Flüchtling“ am gleichen Tisch sitzt, während einer Redakteurssitzung in Moskau, der noch weniger erklären kann, wie er einerseits dorthin gekommen ist und andererseits, wie es um seine tatsächliche Einstellung zum Stalinismus bestellt ist. Dessen Tochter wird die Russischlehrerin von Angelika Volkhardt.

Peltzer überlässt es dem Leser, daraus Schlüsse zu ziehen. Er wertet nicht, weiß oft nicht mehr als der Leser, weil es eben keinen allwissenden Erzähler zu geben scheint. Manchmal schimmert er durch, wenn sich die Figuren in der Zeit vorwärtsbewegen, doch seine hauptsächliche Erzählweise ist der Gedankenstrom, gespickt mit Dialogen, die von den jeweiligen Figuren sogleich in Assoziationen weiterverarbeitet werden, in die Vergangenheit führen, ins Spekulative und immer wieder ins Nichts, weil er erst später – oder früher, je nachdem, wie der Roman gelesen wird – scheinbare Zusammenhänge konstruiert.

Ulrich Peltzer wirft seine Figuren in ein Gesamtpanorama globaler finanzieller, politischer und gesellschaftlicher Verstrickungen hinein, lässt sie darin mehr oder weniger frei schwimmen. Er spielt auf große Zusammenhänge an, Kausalitäten, und er spielt mit den Lesern ein großartiges Versteckspiel, wo und wie sich diese Zusammenhänge offenbaren. Der Thriller ist nicht das Buch, das wir lesen, der Thriller ist im Kopf jedes einzelnen Lesers zu finden, und er geht jedes Mal anders aus. Das ist die große Kunst dieses Romans.

Die Welt von heute verstehen zu lernen, indem man eine Zeitung liest, ist eine höchst naive Vorstellung, dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass den Entwicklungen an der Börse im Wirtschaftsteil die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse vorausgehen. Sie nehmen darauf genauso Einfluss wie es auch anders herum der Fall sein könnte, so dass es tatsächlich egal ist, an welcher Stelle man als Leser beginnt. Darin ähneln sich Peltzers Roman und die Zeitungslektüre. Sie ähneln sich noch auf eine zweite Weise: es wäre genauso naiv, zu glauben, mit dem Lesen des Buches käme der Leser dem Geheimnis der Welt und ihren Mechanismen ein bisschen näher. Das ist Illusion und das bleibt sie auch. Und Peltzers Illusion ist eine der gelungensten.

Alternatives Ende (ein alternativer Anfang fehlt noch, vielleicht, aber ich will lieber nichts versprechen)

Als Fleming nach seinem Alter gefragt wird, antwortet er, dass er sich steinalt vorkomme, dass er sich fühlt, als ob er schon immer mitten im Geschehen dabei gewesen wäre. Einerseits diese Arroganz, alles zu wissen und zu verstehen und andererseits die Unfähigkeit, Beginn und Ende zu markieren, nicht einmal über Tod und Geburt, denn genauso wie Fleming behauptet, den Anfang nicht mehr zu erkennen, genauso wenig kann er aufhören mit seinem Job. Er ist ein Getriebener, und er ist nicht allein. Das lässt die Figuren in Peltzers Roman so ambivalent erscheinen. Das macht sie so interessant. Jochen Brockmann schätzt Fleming auf 56 und dieser antwortet lächelnd darauf: „Da sag ich mal ja, in diesem unseren Leben.“

Donnerstag, 26. November 2015

Ulrich Peltzer - Das bessere Leben - Teil 1

Eine Rezension, die ich gestern noch geschrieben habe für ein Seminar. Ist ein wenig lang, deshalb teile ich sie in zwei Teile auf. Morgen oder heute Abend, je nachdem wie ich es schaffe, kommt dann Teil 2 dazu. Im zweiten Teil gibt es ein alternatives Ende, dass ich kursiv halten werde. Hier im Text sind auch zwei Stellen kursiv, die erste ist von mir noch nicht zu Ende gedacht, jedenfalls nicht wirklich (verdammt, wo ist nur meine Ausgabe von "Homo Faber"?), die zweite würde ich wohl weglassen, wenn ich mich für das alternative Ende entscheiden müsste.



Eine Zeitung von hinten nach vorn zu lesen ist nicht nur vorstellbar, sondern wird auch häufig praktiziert. Aber einen Roman? Kapitelweise am Ende beginnend zum Anfang vorzudringen, würde die Geschichte komplett rückwärts ablaufen lassen. Aber die Gesetze der Kausalität haben umgekehrt angelegt die gleiche Berechtigung wie ihre lineare, chronologische Reihenfolge. Und finden sich beide Strukturen in einem Roman, sowohl die aufeinanderfolgende, einem Zeitfluss unterworfene Erzählung, als auch die auf das Prinzip von Ursache und Wirkung beruhende, die scheinbar willkürliche, die rückwärtsgerichtete Erinnerung, dann sind die Aussichten nicht schlecht, so oder so einen Zusammenhang herzustellen.

Ulrich Peltzers Roman „Das bessere Leben“ ist ein solcher. Zugegeben, nicht alles hängt zusammen. Manches ist nur lose verknüpft, vieles hat gar keine Verbindung, aber Peltzer wäre kein guter Konstrukteur, wenn er diese Klippen nicht zu meistern wüsste; das hat er hier eindrucksvoll bewiesen. Es geht ihm in seinem Buch um nicht weniger als die ganz großen Zusammenhänge, um das Geflecht aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, erzählt aus der Sicht von einem guten Dutzend an Personen.

Gleich zu Anfang des Romans finden wir uns in einem Traum wieder, der fast 40 Jahre in die Vergangenheit führt. Auf den Campus der Kent-State-University im Jahr 1970, wo bei Studentenprotesten vier Studenten unter ungeklärten Umständen zu Tode kommen. Der Träumende ist Sylvester Lee Fleming, Mitte 50, der sich nicht nur zufällig in seine eigene Vergangenheit zurückträumt, sondern sich, auch in der Zeit, zu der der Roman spielt, im Mai eines Jahres befindet: „Er nahm sein Blackberry hoch (07:08, 2.5.2006, Mist)…“ Fleming ist ein Backup-Mann, ein homo Faber der Ökonomie, ein Mann fürs Grobe und Feine, diskret, effizient. Er ist überall zu Hause, virtuos auf der Klaviatur globaler, halblegaler Finanzgeschäfte, dessen einzige Schwäche das Träumen zu sein scheint, das kann er nicht kontrollieren, nur abstellen mittels Tabletten.

Der zweite Protagonist ist kein wirklicher Widerpart. Auch er bereist im Auftrag die Welt, fädelt Deals ein, schließt Verträge ab, klärt Finanzierungen, hofiert Geschäftspartner, lässt sich hofieren. Jochen Brockmann ist Anfang 50, Sales-Manager, wie er sich selbst beschreibt, und arbeitet seit 14 Jahren für die gleiche Firma. Man könnte in ihm fast einen Anachronismus nennen, bedenkt man, wie hoch die personelle Fluktuation in diesen Bereichen ist. Wie schnell hochrangige Manager kommen und wieder gehen, entweder weil sich lukrativere Posten ergeben oder weil kompetenteres Personal nachrückt und altes verdrängt.

Letzterem, so scheint es, fällt auch Brockmann zum Opfer. Sein Arbeitgeber verliert nach und nach die Autonomie an einen Finanzinvestor, einen Hedgefonds, der immer größere Anteile der Firma aufkauft, um am Ende die Aktienmehrheit, somit die Entscheidungsgewalt innerhalb des Konzerns zu erhalten. „Die Branche kränkelt, Übernahmen stehen auf der Tagesordnung“, säuselt Fleming verschwörerisch während ihrer letzten Begegnung in einer Bar. Sie lernten sich kennen in der Lobby eines Hotels in Sao Paulo. Zufällig, könnten wir fragen? „Und?“ fragt Brockmann, irgendwie unberührt, obwohl er längst ahnt, dass sich Fleming nicht ohne Grund in dieser Weise an ihn wendet. „Es wird im Augenblick sehr viel Geld bewegt, man wirft Gewicht ab, schlankere Geschäftsmodelle sind gefragt. Auch im Maschinenbau.“, führt Fleming weiter aus. Und spätestens als er den Namen Basaldella fallen lässt, der Noch-Firmeneigner, bei dem Brockmann angestellt ist, ist klar, welche Rolle der Zufall hier spielt.

Peltzer interpretiert nicht, er konstruiert nur. Geschickt baut er um seine Figuren einen Wald aus Synchronizitäten, die seine Figuren entweder selbst assoziieren, träumen manchmal, wie im Fall von Fleming, oder sie passieren einfach, stellen sich eher zufällig ein wie die Begegnung Angelika Volkhardts und Jochen Brockmann in einem Amsterdamer Restaurant namens „Blue Pepper“. Dort wäre Angelika Ende des Monats mit Fleming verabredet gewesen. Sie reserviert sich dort einen Tisch ein paar Wochen vorher, um das Essen zu probieren und trifft auf Brockmann, der von einer eher ziellosen, in den Straßen und in seinen Gedanken stattfindenden Wanderung ablassen muss, weil ihn plötzlich das Knie schmerzt. Sie essen zusammen, es funkt irgendwie zwischen beiden, und obwohl sie kaum etwas voneinander wissen, versuchen sie später beide, den anderen ausfindig zu machen. Sie wollen sich wieder sehen...Fortsetzung folgt

Teil 2

*Bildquelle: Wikipedia

Freitag, 20. November 2015

Rührselig

Ich bin heute ein wenig rührselig, glaube ich. Eben erst holte ich mir die Lektüre für die kommende Woche ab und las im Gehen das Vorwort aus Franz Hessels "Spazieren in Berlin".

"Aus der Erschütterung, die er nicht überlebte, trifft sein Lächeln mich tiefer als jeder Schrei."
Stéphane Hessel über seinen Vater

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