Ohne Brille
Seit Tagen bin ich nun schon zu Hause und putze und repariere Dinge und immer wieder fällt mir etwas auf: Mein Nachbar steht jeden Morgen gegen halb zehn auf und setzt sich an den Tisch in die Küche, um Zeitung zu lesen. Soll er machen. Er reagiert manchmal ein wenig empfindlich, wenn ich ihn nicht grüße, denkt dann, es wäre etwas und fragt mich, und ich musste dann immer sagen, ich habe ihn gar nicht gesehen, weil ich nicht auf ihn geachtet habe.
Seit ein paar Wochen nun ist mir das zu blöd und ich grüße immer, ich hebe nur kurz die Hand und gehe weiter. Das Problem nämlich ist, ich kann ihn da wirklich oft nicht sehen. Die Fensterscheibe spiegelt so dermaßen, dass mir der Raum dahinter, dort wo mein Nachbar sitzt, verborgen bleibt und mir stattdessen einen Ausschnitt des grünen Hintergrunds unseres Gartens liefert.
In den Nachtstunden dreht sich das dann um. Dann sitzt er da drinnen und sieht mich nicht, wie ich ihn grüße, weil er dann den Garten nicht sehen kann. Ich bin deshalb aber nicht verstimmt. Die abends gesparten Grüße, setze ich ja jetzt morgens ein.
Habe heute Morgen, als ich im Radio saß und Auto hörte, folgende Vorabankündigung für die Sieben-Uhr-Nachrichten mitbekommen:
„Elon Musk kauft den Kunstnachrichtendienst Twitter.“
Ich musste mich die ganze Zeit fragen, was wohl eine Kunstnachricht sei, wenn es denn eine gäbe. Ich saß im Auto und fuhr zur Arbeit und überlegte tatsächlich, ob Kunstnachrichten künstlich, künstlerisch oder gekünstelt sein sollten. Was ich dann aber wieder gut fand, war die Länge der Nachricht, die wohl auf 280 Zeichen beschränkt ist. Das ist mal kurz.
Wenn du in einem Stadtviertel lebst, bei dem die Weihnachtsbaumbeleuchtung auf Halbmast hängt, ist entweder der Weihnachtsmann gestorben oder die Stadtverwaltung muss noch die jüngsten Einsparungen in ihrer Gemeinde verdauen. Weitere Erklärungen, auch wenn ich sie mir lieber nicht vorstellen möchte, überlasse ich den geschätzten Lesern. Ich wünsche eine allseits besinnliche Vorweihnachtszeit (hoffentlich ist er nicht tot)!
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Motivation gefällig?
Neulich sah ich einen Typen im Holzfällerhemd direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite am helllichten Tag gegen einen Stromkasten pinkeln. Sein Bier stand auf dem Stromkasten.
Heute Abend sah ich den gleichen Typen zehn Meter weiter rechts stehen und ich wollte mich gerade wieder aufregen, als ich merkte, dass da überhaupt niemand steht. Das war nur eine Lücke im Efeu, durch die das Gemäuer hindurchschien.
Ich saß gerade in der Nordstadt vor dem Spandau und trank einen Kaffee, als eine alte Dame mit einem Rollköfferchen an mir vorbei fahren wollte. Sie hatte schrecklich dünne O-Beine und ich lächelte ihr aufmunternd zu. Sie lächelte nicht zurück, verlangsamte jedoch ihren Gang und bog ab, direkt auf mich zu.
„Heute sind schon wieder Mörder auf der Straße“, sagte sie und zeigte in Richtung Christuskirche.
„Was?“ ich hatte irgendwie nicht richtig verstanden, glaubte ich.
„Mörder. Heute Morgen gegen sechs Uhr war ich da, weil ich da wohne, an der Christuskirche.“
„Mörder?“
„Ja, heute Morgen, weil ich da wohne. Ein eins achtzig großer Arbeitsloser hat mich in den Arm gekniffen und festgehalten. Dann hat er ein Messer gezogen und es mir hier“, sie zeigte auf ihren dünnen Hals, „ hin gehalten.“
„Was?“
„Ja. Weil ich ja da wohne, an der Christuskirche. So, jetzt muss ich aber weiter, ins Krankenhaus, mein Mann liegt dort, er ist schwerkrank.“
„Oh, äh, na dann, äh gute Besserung“, stammelte ich. Mir fiel einfach nichts ein. Sie winkte mir noch kurz, dann drehte sich die Alte um und humpelte mit ihrem Rollkoffer weiter den E-Damm hinunter.
Seit einem Paar Wochen, genauer seit Beginn meines Praktikums, komme ich immer wieder an dieser Straße vorbei. Glücklicherweise bin ich dem Radfahrer, vor dem hier gewarnt wird, noch nicht persönlich begegnet...
Ich sollte mehr Sport treiben, war mein erster Gedanke, als ich an einem Sonntagabend ins Theater kam, um meiner Tätigkeit dort nachzugehen. Dieser Gedanke rührte daher, dass ich den Fahrstuhl rief, obwohl es nur drei Stockwerke zu erklimmen galt. Gerade eingestiegen und die gewünschte Etage gedrückt, fiel mir auf, dass das Licht des Knopfes für die dritte Etage nicht funktionierte. Plötzlich zeigten alle Pfeile nach oben und ich dachte noch, dass jetzt entweder jemand anderes den Fahrstuhl benutzen wollte oder dass ich tatsächlich in der dritten Etage landen würde.
Auf dem Rückweg dann fuhr ich aus alter Gewohnheit die Goseriede entlang, obwohl sie mich gar nicht mehr auf bestem, höchstens noch auf drittbestem Wege nach Hause beförderte. Den Umweg nahm ich in Kauf. Weniger erfreut war ich jedoch über den Umstand, dass die Sensoren im Straßenpflasterbereich scheinbar nicht mehr funktionierten, denn die automatische Rotauslösung der eigens für Radfahrer und Fußgänger errichteten Ampel ließ sich durch meine Überfahrt nicht zum Einschalten bewegen.
Und am Dienstag stehe ich an einer anderen Fußgängerampel und betätige das Sensorfeld mit der Hand, doch die Leuchte zeigt mir nicht an, ob sich mein Warten auszahlt oder ob die Ampel kaputt ist. Ich denke zum ersten Mal darüber nach, was das wohl zu bedeuten hat.
Und wenn ich nicht am Dienstagabend ein weiteres Mal im Theater gewesen wäre und nicht auch noch die Leuchte der zweiten Etage am Lastenaufzug kaputt gewesen wäre, ich schwöre, mir wäre nie etwas über die Lippengekommen deswegen, aber so.
Synchronzität nannte Jung das. Ich landete in der dritten Etage, die Ampel schaltete irgendwann auf Rot, genauso wie die andere und auch der Lastenaufzug hielt im zweiten Stock. Vielleicht sollte ich, statt mich mit Sport zu überfordern, erstmal nach einer Brille Ausschau halten.