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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Mensagespräche

Donnerstag, 13. Juni 2013

Szenen einer Vorlesung

Die Vorlesung vom Montag war wieder sondergleichen. Da fragt der Professor das Publikum doch tatsächlich nach einem Sendeformat auf RTL oder Pro 7, ich weiß es nicht mehr. "The biggest Loser", kann das sein? Und wenig später fragt er schon wieder nach einem anderen. Da ich ganz vorne sitze, hätte ich ihm darauf gern geantwortet, dass ich kein Reality-Doku-Dreck schaue, dafür lieber die Welt lese. Nur ist mir das leider nicht eingefallen in dem Moment. Dass ihm beim Thema Leistungsbeurteilung überhaupt solche seltsamen Dinge einfallen. Das muss am Mond gelegen haben, oder an der Uhrzeit, oder der Hitze, was weiß ich:

„…Ich muss das Kind nachts wecken können… und dann 8 mal 7! Das muss kommen… und nicht nach 4 Tagen lernen…“

„…Das Schiff ist hundert Meter lang und vierzig Meter breit. Wie alt ist der Kapitän? …und dann fangen die an zu rechnen…“

„…Versetzungen sind wie Siedler von Catan Spielen. 3 Holz sind 1 Schaf... Da ist die Fünf und dort hat er 2 Dreien… das ist alles hoch mysteriös…“

„…Kind kommt nach Hause. ,Na Chantal, was haste geschrieben?‘ ,Ne 4, aber das Beste war eine 3,5.‘

„…Sagen wir, Sie haben ein Date. Sie gehen essen und merken: er schmatzt. Wenn das für Sie ein NoGo ist, ist das gegessen. Haben Sie aber schon 8 Dates vorher absolviert – Sie waren im Zoo oder so – und stellen dann erst fest, dass er schmatzt, ist das vielleicht nicht so schlimm… …um mal ein harmloses Beispiel zu nennen…“

Montag, 10. Juni 2013

Der Fernseher im Kopf

Hinsichtlich des pathetischen Weltrettungsszenarios am Sonntagabend auf Pro 7 könnte man meinen, dass der größte Bildschirm den Fernseher im Kopf nicht ersetzen kann. Es lief nämlich zur besten Sendezeit und in Konkurrenz zum „Tatort“ auf der ARD „Transformers 3“. Die tollen Bilder des einen Films sind natürlich auf einem kleinen Fernseher nicht zu genießen, viel zu schnell kommt man dahinter, welchem Irrtum man aufsaß. Beim Tatort verhält es sich eher anders herum, hier kann ein umso kleineres Bild den Genuss steigern.

Wer die Wahl hat, hat deshalb auch die Qual, zumindest darauf konnten wir uns anschließend bei Tische einigen, der, wie so oft, natürlich in der Mensa stand und uns Gestalten vor dem Hungertod bewahrte. Beim Essen ging das übrigens genauso, denn es gab Köttbullar. Auch das vegetarische Gericht, eine Art Quiche, haute so manchen von uns von den Socken, und der Eintopf, eine riesengroße Schüssel gefüllt mit Milchreis, Kirschen, Zucker und Zimt, brachte die Entscheidungsfindung bei so einigen ebenfalls ins Wanken. Ich entschied mich für Köttbullar und Milchreis, obwohl das zwei vollwertige Mahlzeiten darstellen sollte. Allerdings war ich mir sicher, dass die Löffel auf den Tabletts der Anderen auch ihre Verwendung finden würden, sollte ich nach Verschlingen der Fleischbällchen, Kroketten und Spargel für einen kurzen Moment Schwäche zeigen, wenn ich mich nach den Köttbullar dem Milchreis zuwende.

An einem anderen Tag, so schien es auf den ersten Blick, war die Auswahl nicht so verlockend in der Breite, dafür in der Tiefe. Da standen nämlich, zuerst allein, später in Gesellschaft eines einzelnen Herren, 5 Suppen auf einem Tablett und dampften bis sie kalt wurden. Da wir unweit davon Platz genommen hatten, wurde neben dem Fotos anfertigen mit dem Handy und dem allgemeinen Gerede auch beschlossen, dass derjenige, der zu dem Herrn hingeht und fragt, was es damit auf sich hat, einen Kaffee spendiert bekommt. Das war ich. Weil der Mann die übrige Woche keine Zeit mehr hatte, die Mensa zu besuchen, hat er sich, in seinem Beutel hinterlegt, ein Gefäß mitgenommen, um die erkaltete Suppe später umzufüllen und diese an den verbleibenden Tagen der Woche zu Haus zu verspeisen.

Nun kann man sich darüber streiten, ob es gehaltvoll war, den Rest der Woche nur Suppe zu essen oder am heutigen Tage nicht doch die Quiche statt der Köttbullar probiert zu haben. Über eine falsche Entscheidung musste ich mich jedenfalls nicht ärgern: am Sonntagabend durfte ich am Strand arbeiten und konnte somit weder in den Genuss von „Tatort“ noch „Transformers 3“ kommen. Glück gehabt.

Montag, 13. Mai 2013

Prüfangst

Habe heute im Seminar eine Menge über Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler gelernt. Wir sind in Gruppen eingeteilt worden und sollten an den einzelnen Stationen die Aufgaben lösen. Es wurde viel diskutiert und ernsthaft gearbeitet. Es gibt:

Milde- und Strengefehler
Tendenz zur Mitte/zu Extremen
Reihungsfehler/rhythmische Schwankungen
logischer Fehler/Halo-Effekt
Wissen um die Folgen-Fehler
Kontrastfehler und Ähnlichkeitsfehler/Fehler der gleichen Art
Nähe Fehler


Bei den vielen Fehlerarten, die es gibt und die man als Lehrer machen kann, frage ich mich, ob es überhaupt noch ein Richtig gibt. Unterstützt wurde das Ganze noch durch ein Schlagwort am Ende des Seminars, als es dann nämlich hieß: Wir erreichen sowieso keine Objektivität, nennen wir das Ganze doch gleich „kontrollierte Subjektivität“.

Und weil das alles schon merkwürdig genug war, begegnete mir heute Abend auf dem Weg zur Vorlesung eine ehemalige Arbeitskollegin aus dem Strandleben. Sie ist jetzt seit einem Jahr Lehrerin und hatte heute ihre ersten mündlichen Prüfungen als Prüfer in einer Abschlussklasse. Sie sagte, das sei ganz seltsam gewesen, weil sie ja sonst schon Mittag zu Hause sei. Diesmal jedoch hatte sie am Vormittag frei und erst am Nachmittag gingen die Prüfungen los. Ich sagte noch so etwas wie, ach, dann konntest du wenigstens ausschlafen. Das konnte sie nicht, sie hat vielmehr kein Auge zugetan, weil sie so aufgeregt war.

Samstag, 20. April 2013

Die Fußnote

Konstellation und Charakter der Figur bestimmen das Scheitern in der Tragödie. Doch selten steht die Katastrophe am Anfang. Sie ist das Element, das sich erst aus der Geschichte entwickeln muss. Die Eigenheiten, die Umstände verlangen nach Beschreibung, bevor der Protagonist scheitern darf. So ist es in der Fiktion häufig, wenn auch nicht immer, anzutreffen. In der Realität kann die Katastrophe auch schon einmal am Anfang stehen und die Erklärung erfolgt erst später. Manchmal braucht es jemanden mit genügend Abstand, um hinreichend erklären zu können, weshalb es überhaupt zur Katastrophe, zur Tragödie kam. Und stehen gleich mehrere Tragödien miteinander in Beziehung, dann können durchaus Jahrhunderte vergehen, bis dieser Zusammenhang hergestellt wird. Das nun Folgende berichtet von einem solchen Zusammenhang, von einer Fußnote und einem Ereignis, das die Welt Kopf stehen ließ.

Es war im Jahre 1796 als der damals 24-jährige David Kinnebrook in einer sternklaren Nacht, der Auge-Ohr-Methode nach, die Durchlaufgeschwindigkeit eines Himmelsobjekts bestimmen sollte. Er musste dafür simultan auf die Sekundensignale einer Uhr achten und das Himmelsobjekt bei seinem Durchgang durch den Meridianfaden seines Teleskopokulars im Blick behalten.

Sein Vorgesetzter, niemand geringeres als der 5. Königliche Astronom an der Sternwarte zu Greenwich, Sir Nevil Maskelyne, musste ihn, seinen Angestellten, nach Absolvieren dieser Aufgabe entlassen. Die Differenz in der Genauigkeit der Angaben Kinnebrooks war für den Astronom nicht hinnehmbar. Bis zu 800 Millisekunden wich das Ergebnis seines Assistenten von seinen eigenen Ergebnissen ab, und Maskelyne konnte sich dies nicht anders erklären, als dass es seinem Assistenten an der nötigen Sorgfalt mangelte.

Kinnebrook war zum Zeitpunkt seiner Entlassung noch keine zwei Jahre Maskelynes Assistent und nur 6 Jahre später starb er, 9 Jahre vor seinem ehemaligen Dienstherrn, obwohl dieser 40 Jahre älter war als er. Vor Gram vielleicht? Wir wissen es nicht, denn in die Geschichte eingegangen ist nur das Versagen Kinnebrooks, nicht seine Lebensgeschichte.

Nur wenige Jahre später, um genau zu sein, 24 Jahre später, als David Kinnebrook noch nicht zu einer Fußnote der Geschichte herabgestuft worden war, erfuhr der berühmte Mathematiker und Astronom Friedrich Wilhelm Bessel von diesem Fall. Diese Geschichte beschäftigte ihn intensiv genug, um einen eigenen Test anzustrengen. Er ließ den Test unter vergleichbaren Bedingungen von seinem Personal ausführen. Einige seiner Mitarbeiter, Kinnebrook an Erfahrung teilweise weit überlegen, waren nicht imstande ein so genaues Ergebnis zu generieren. Die Diskrepanzen in den einzelnen Messungen beliefen sich zum Teil auf mehr als eine Sekunde!

Vielleicht postierten sich die Messungen um einen Wert herum und traten umso seltener auf, je größer die Differenz war? Das ließe sich nachprüfen, ist aber bisher nicht von Belang. Wir wissen es nicht, und es wurde auch niemand entlassen, es kam zu keiner zweiten Tragödie. Bessel bewies Umsicht, denn ihm muss plötzlich klar geworden sein, dass diese individuellen Differenzen nicht auf die Arbeitseinstellung zurückzuführen waren, sondern andere Ursachen hatten.

Fortsetzung folgt.

Dienstag, 16. April 2013

PISA, Precht und Empirie

Ich habe mich gestern gleich zweimal in der Vorlesung zur Pädagogischen Psychologie geärgert. Zuerst – da konnte ich mich fast noch gar nicht drüber ärgern, weil ich ja nicht wissen konnte, was danach geschieht – erzählt der Dozent von den ganzen Errungenschaften der Institution Schule und der ganzen Forschung darüber und wie sich dieser Kasper David Precht doch erlauben kann, dies alles einfach über Bord werfen zu wollen, und dass die ZEIT darüber auch noch einen Artikel druckt, der mehr Buchstaben enthält als eine ganze BILD-Zeitung. Ich gebe zu, ich bin kein Freund des Gedankens, alles über Bord zu werfen, ähnlich wenig gefällt mir Precht. Aber im Rahmen einer Vorlesung kann doch die eigene Meinung auch einmal draußen bleiben, gerade wenn es nicht um allgemeines FDP-Bashing geht ( was der Dozent bisher in jeder Sitzung anbrachte ), sondern um Dinge, die direkt mit dem Gegenstand der Vorlesung zu tun haben. In diesem Zusammenhang dann auch noch über Lehrkräfte herzuziehen, die ja eher die ZEIT lesen als die BILD, war für mich als zukünftige Lehrkraft dann auch nicht lustig. Ein Großteil des Plenums lachte sogar an dieser Stelle.

Ferner bin ich kein Freund von PISA, zu vieles bleibt da zu wenig transparent. Umso interessierter war ich plötzlich, als das folgende Schaubild erläutert wurde. Da befanden sich am linken Rand zwei große Felder, in denen von sozialem und kulturellem Kapital die Rede war. Unbedingt sollten wir uns das merken, hieß es, das wäre ganz neu und ein Verdienst der PISA-Studien.

Die aus Platzgründen fehlende Quellenangabe dieses Schaubildes musste ich erfragen. Und irgendwie kamen mir die Begriffe auch seltsam bekannt vor. Ich musste davon schon einmal gelesen haben. Der Hinweis, dass dies völlig neu sei, brachte mich also einigermaßen durcheinander. Wenig später fiel mir dann auch ein, wer dazu geschrieben hatte. Bordieu hat ganz ähnliche Kapitalbegriffe fast 20 Jahre früher eingeführt als PISA. Auf meine Nachfrage hin erhielt ich dann die interessante Antwort, dass mein Einwand absolut korrekt sei, aber erst jetzt auch empirische Daten vorlägen, die Bordieus Theorie stützen würden.

Eigentlich wünsche ich mir das nicht, aber wenn morgen jemand begänne, empirische Daten zu Prechts Vorstellungen einer neuen Schule zu sammeln, könnte ich vielleicht noch zu Lebzeiten ganz andere Witze auf Kosten ganz anderer hören, sollte ich im Rentenalter noch einmal die Muße besitzen, mich in eine Psychologievorlesung zu setzen. Die Arroganz mancher dieser Zunftvertreter schlägt mir manchmal ganz schön aufs Gemüt.

Montag, 8. April 2013

Die Wahl, die man nicht hat

Semesterbeginn. Der Sovielte, dass ich mich gar nicht mehr traue nachzuzählen. Den perforierten Abriss mit aufgedruckter Semesteranzahl an meinem ein halbes Jahr gültigen Studentenausweis reiße ich ab, vernichte ihn; was ich darauf lese, vergesse ich.

So sitze ich also in Erwartung spannender Seminare und Vorlesungen in den zuvor herausgesuchten Räumen und sehe mich mit zunehmend jungen Leuten konfrontiert, also den wirklich jungen Leuten. Schrieb ich gerade Vorlesungen? Im Vorlesungsverzeichnis des Faches Deutsch steht genau eine Veranstaltung, die diese Bezeichnung führt. Der Rest sind Seminare. Interessant ist, dass sich die Bezeichnung Vorlesungsverzeichnis trotz des erheblichen Missverhältnisses der Anzahl von Vorlesungen zu Seminaren immer noch hält. Interessant ist auch, dass kaum ein Modul davon auszugehen scheint, man müsse zum Bestehen des Moduls eine Vorlesung besuchen. Im Musterstudiengang, also einer typischen Belegung während des Studiums zum Erreichen des jeweiligen Abschlusses heißt da großzügig:

Modul L1 Textanalyse:
L 1.1 Vorlesung oder Seminar zur Textanalyse I (inkl. Arbeitstechniken)
L 1.2 Seminar zur Textanalyse II


In wenigen Modulabschnitten, wie hier bei L 1.2, ist die Auswahl auf das Seminar beschränkt, die Vorlesung also ausgeschlossen. Will man jedoch eine Vorlesung zu dem Thema besuchen, sucht man vergeblich. Gibt es gar nicht. Das ist die Wahl, die man nicht hat.

Donnerstag, 7. Februar 2013

Reservierung möglich, Platz im Schatten nicht

Letzter Termin im Semester war die anstehende Klausur in der Psychologievorlesung. Ein paar der verhandelten Themen hatte ich hier, hier und hier bereits angeschnitten. Das erleichterte mir das Lernen, wie ich befand. Leider hatte ich mir längst nicht alle Zusammenhänge auf meine Weise gemerkt, was sich in der Arbeit später noch als Problem herausstellte. Die Annahme, Gelesenes bzw. Gehörtes bei erneutem Lesen wiederzuerkennen, stellte sich als falsch heraus, denn in einem Multiple Choice Test stehen neben den richtigen Antworten häufig auch ähnlich klingende falsche Antworten, die sich mitunter nur durch ein Wort unterscheiden.

Wie gut allerdings gänzlich andere Bereiche in unseren Gehirnlappen funktionieren, selbst wenn man Extremsituationen wie Prüfungen ausgesetzt ist, bewiesen gewisse Vorkehrungen einiger Studenten, die den Ablauf der Prüfungsvorbereitung betrafen. Wir saßen bereits alle an einem Platz unserer Wahl, als der Dozent mit seinen Helfern anrückte und uns freundlich des Raumes verwies. Ein wenig zu spät, dafür aber gut durchorganisiert präsentierte er uns kurze Zeit später den Hörsaal. Mit einem Abstand von zwei Sitzplätzen lagen die Vordrucke der Klausur ausgebreitet. Zwischen den Reihen nach vorn und hinten war jeweils eine Reihe frei gelassen und vorn an der Tafel standen zwei Bereiche mit Namensregistern – links von A bis Klages und rechts von Klatt bis Z. Darin hatten wir uns bei gleichzeitiger Prüfung unserer Identität durch das Hilfspersonal einzutragen. Gute deutsche Organisation.

Als ich endlich an der Reihe war und meine Unterschrift in die dafür vorgesehene Spalte machte, war bereits die Hälfte der Studenten damit fertig. Die „besseren“ Plätze, also die am Rand oder weit oben, waren größtenteils besetzt. Die „besseren“ Plätze, die nicht durch Personen besetzt wurden, waren anderweitig belegt. Da lag zwar kein Handtuch wie auf der Strandliege unterm Sonnenschirm auf Mallorca, dafür aber Taschen, Rucksäcke, Jacken oder Mäntel, die signalisierten: hey, hier sitzt schon jemand. Ich fand keinen Platz im Schatten mehr und musste mit einem Platz in der Mitte einer Reihe vorlieb nehmen. Als die Prüfung beginnen konnte, gesellten sich zu dem vorher schon aufgetretenen Hilfspersonal weitere Leute dazu, die sich mitten in die leer stehenden Reihen oder an den Rand stellten. Die liefen dann herum und beäugten die Prüflinge misstrauisch. Es gab also keine „besseren“ Plätze. Ich musste mich leider auf mein Wissen verlassen.

Dienstag, 29. Januar 2013

Die Nettohoffnung

Wissen Sie, was Nettohoffnung ist? Nein? Das habe ich heute gelernt, ich erkläre es Ihnen: Nettohoffnung ist die Differenz aus der Hoffnung auf Erfolg (HE) und der Furcht vor Misserfolg (FM) (ich halte mich bei dem hier eingeführten Abkürzungskonzept an das von unserem Dozenten nahegelegte, es gibt aber auch andere).

Die folgende Grafik verdeutlicht das Konzept, zumindest verdeutlichte es uns der Dozent der Vorlesung so. Ganz links steht die Hoffnung auf Erfolg. Das könnte zum Beispiel ein vielversprechender Flirt sein, den Sie durch Erfahrung, gutes Aussehen, Manieren und sprachliche Gewandtheit zu einem Abendessen zu zweit ausbauen möchten. Der Hoffnung auf Erfolg gegenüber steht – dargestellt als kleiner blauer Balken, der in der Luft zu schweben scheint – die Furcht vor dem Misserfolg. Als Beispiel könnten hier Ihre Plattfüße dienen oder Ihr leicht graumeliertes Haar, was Sie erwägen lässt, der Flirt könnte auch in die Hose gehen. Zieht man nun die Furcht vor dem Misserfolg von der Hoffnung auf Erfolg ab, so bleibt etwas übrig, ähnlich der Rechnung Fünf minus drei. Der Rest, also das Übriggebliebene, ist Ihre Nettohoffnung.



Die Nettohoffnung bleibt sogar eine Nettohoffnung, wenn es sich wie auf der nun folgenden Grafik zutragen würde: Der kleine in der Luft schwebende Balken ist Ihre Hoffnung auf Erfolg und die Bedingungen dafür sind deshalb so klein, weil Sie sie gar nicht in der Hand haben. Der vielversprechende Flirt müsste blind und taub sein und Schnupfen haben, damit aus dem Flirt etwas wird. Diesmal ist der große Balken Ihre Furcht vor dem Misserfolg, denn: zu ihren Plattfüßen, dem grauen, strähnigen Haupthaar gesellen sich noch eine Brille mit Einmachglasstärke, schiefe Zähne und schlechter Atem, dessen Sie sich natürlich bewusst sind.



Und das ist doch das eigentlich Schöne daran. In der Wissenschaft werden solche Zusammenhänge streng versachlicht. Da ist die Nettohoffnung trotzdem eine Nettohoffnung, selbst wenn sie plötzlich ein negatives Vorzeichen bekommt. Diesen Optimismus teilen natürlich nicht alle, vor allem nicht die Küchenpsychologen. Für die gibt es dann einen anderen Begriff, der sich gemäß der Rechnung nicht aus Hoffnung und Netto zusammensetzen darf, sondern aus Netto und Furcht. Die Küchenmathematiker hätten das übrigens auch anders gemacht, die hätten statt des negativen Vorzeichens einfach den Anfangssatz umgedreht: Differenz aus FM und HE anstatt Differenz aus HE und FM. Das bringt aber auch diese Gruppe auf die gleiche, andere Begriffsfindung wie die Küchenpsychologen. Da Nettofurcht aber blöde klingt, habe ich mir da was neues ausgedacht: nackte Angst.

Eins noch zum Schluss: niemals, ich wiederhole niemals! dürfen Sie sagen Ihre Nettohoffnung beträgt zwei (siehe die Beispielrechnung im ersten Absatz). Mit voller Absicht hat unser Dozent keinerlei Skalierung vorgenommen. Es existiert keine Skalierung. Es existiert überhaupt keine Wertvorstellung von Hoffnung oder Furcht, die Sie obendrein noch gegeneinander ausrechnen können. Alles, was Ihnen bleibt, ist die Hoffnung unterm Strich, ach vergessen Sie’s, es gibt keinen Strich! Nichts, es gibt absolut gar nichts, was Ihnen bleibt außer dem Netto und da können Sie noch froh sein! Beschweren Sie sich doch bei meinem Dozenten oder bei Atkinson oder bei Heckhausen oder bei den anderen Motivationspsychologen! Ich habe damit absolut nichts zu tun! Einen schönen Tag noch.

Mittwoch, 16. Januar 2013

Vergessen Sie Bartlett nicht!

Die heutige Vorlesung widmet sich dem Gedächtnis, wie auch schon die letzte. Von Ebbinghaus gehen wir über zu Bartlett, der kurz tangiert, meinen ersten Ausfall im Mief des Hörsaals markiert. Meine Gedanken schweifen ab, denn weder das unhöfliche Geschöpf in Reihe 1 noch die Grafik zum Drei-Stufen-Modell unseres Gedächtnisses können mich nachhaltig in Beschlag nehmen. Leider kann das für einen winzigen Augenblick dieser Frager, der sich nicht meldet, sondern durch einen Zwischenruf seinen Anspruch geltend macht. Ich sehe nur seinen Hinterkopf aber das reicht, um mir sein Gesicht vorzustellen; Sorte selbstverliebter Klugscheißer. Zu allem Übel hat sein mattschwarzes Haar keine kahle Stelle um den Wirbel, er ist also auch noch jünger als ich, besser informiert und trotzdem ein Arschloch, wie ich es wohl auch war, als ich noch alle Haare hatte.

Meine Gedanken sind jedoch längst beim Automaten draußen in der Vorhalle. Süßigkeiten kann man dort kaufen, Nervenfutter. Der Automat ist einer von den modernen, in denen alles rund zu laufen scheint, in denen es von Seiten der Technik keine Beanstandungen geben dürfte. Allerdings fehlen in der Beschriftung der einzelnen Fächer ein paar Nummern. Ein Spaßvogel von Automatenwärter könnte das gemacht haben. Wählte man so wie ich die Nummer 12, so ist man darauf angewiesen, die Zahlenfolgen natürlicher Zahlen zu kennen, denn eine 12 steht dort nicht. Die oberste Reihe mit ihren vier Fächern beginnt mit der 11, es folgt ein Fach ohne Zahl und darauf die Fächer 13 und 14.

Meinem prozeduralen Anteil im Langzeitspeicher verdanke ich das Wissen, wie ich die Tüte Gummitiere kaufen konnte. Nämlich das Abzählen der Münzen, die Eingabe in den dafür vorgesehenen Schlitz und die Auswahl der Zahlen auf dem Bedienpanel. Meinem semantischen Anteil im Langzeitspeicher verdanke ich das Erraten der fehlenden Nummer des Faches sowie die problemlose Übertragung der Nummer auf ein Produkt. Die 12 steht in diesem Fall für die Tüte Gummitiere und sie kostet 80 Cent. Meinem episodischen Anteil im Langzeitspeicher verdanke ich diese detailreiche Beschreibung des Automaten, weil die Kaufabwicklung durch fehlerhafte bzw. unvollständige Eingänge in meinem Ultrakurzzeitspeicher mein Kurzzeitgedächtnis intensiver beanspruchten und eine Zuhilfenahme des Langzeitspeichers notwendig war, um das Problem zu lösen.

Das episodische Langzeitgedächtnis kann aber noch mehr. Es erlaubt mir, zurückzuverfolgen, wie ich mich wunderte. Wunderte über die Zahlen der Produkte, die nach unten an Höhe gewinnen. Die oberste Reihe bilden die Nummern 11-14, darunter folgt 21-24, darunter 31-34 usw. Wenn Sie im Zimmer 36 eines Hotels wohnen, heißt das für Sie: es ist ungesund aus dem Fenster zu steigen; Sie befinden sich bereits in luftiger Höhe. Im Automaten hingegen ist der Weg von Fach 34 zum Boden kürzer als der Weg von Fach Nummer 12.

Dem episodischen Langzeitspeicher verdanke ich noch ein wenig mehr. Als ich eben von den „Etagen“ des Automaten schrieb, nieste eine Kommilitonin so niedlich, dass einige Studenten lachen mussten; dort saß nicht Tinker Bell, aber so hätte sie geniest. Kurz darauf in Reihe 8 schnarchte ein anderer Student so laut, dass es selbst der Dozent hören konnte. Auch das löste Erheiterung aus.

Soviel zu dieser Episode. Prägen Sie sich den Namen Bartlett ein! Ich bin schon genug gestraft mit dem Wenigen, was ich mir aus der Vorlesung merken konnte und Ihnen hier vorsetzte. Bartlett nämlich war es, der sagte, dass wir die Eigennamen in einer Geschichte am schnellsten vergessen würden.

Donnerstag, 1. November 2012

Kepler, Friseure und s.t.³

Die Raumbelastung an unserer Uni hat sich dermaßen zugespitzt, dass ich eine Vorlesung zur Psychologie in einem Hörsaal der Mathematiker und Physiker besuchen muss. Das heißt, ich muss nicht, es gibt keine Anwesenheitsliste mehr ( also nach den ersten zwei Sitzungen ) und auf die Klausur könnte ich auch verzichten, wenn ich stattdessen anderswo eine Hausarbeit schreibe. Trotzdem bin ich am Dienstag wieder dort gewesen. War interessant, dazu später mehr.

Aus der Zumutung in der ersten Sitzung – wir waren ca. 200 Leute – ist eine erträgliche Anzahl von ca. 100 Studenten geworden. Das eigentliche Problem liegt ja auch nicht in der Anzahl der Studenten, es passen immerhin bis zu 300 in den Saal hinein. Nein, das Problem ist, dass der Raum über kein einziges Fenster, demzufolge über kein Tageslicht, keine Frischluft von draußen verfügt. Außerdem endet die Veranstaltung vor unserer Veranstaltung um Punkt 14:30 Uhr, s.t. Man munkelt, dass die Veranstaltung vor dieser Veranstaltung, die bei einer Dauer von 1,5 h um 12.00 Uhr, s.t., beginnen würde, um 12:00 Uhr, s.t., endet. Weiterhin habe ich gehört, dass es noch zwei Veranstaltungen davor geben soll, bei denen der nahtlose Übergang exakt auf die gleiche Weise erfolgt wie bei der gemutmaßten und dem tatsächlichen Wechsel zu unserer Vorlesung. Was ich außerdem noch mit Gewissheit sagen kann: die auf unsere Vorlesung folgende Veranstaltung beginnt ebenfalls exakt um 16:00 Uhr, s.t. Man möchte vielleicht nicht aber man könnte sich aus dieser Schilderung ein ungefähres Bild vom Zustand der geruchlichen Belastung machen, es sind zwar andere Düfte aber für mehrere Stunden auf dem Mittelstreifen einer Schnellstraße zu verbringen hat ähnliche Wirkungen.

In der letzten Sitzung offenbarte sich ein weiteres Problem, keines was mich direkt betraf, aber es führte an anderer Stelle zu Verstimmungen. Der Inhalt der Vorlesung „Allgemeine Psychologie“, so die Vermutung, ist ein Abriss der Geschichte, ein Abriss in Methoden, kurz: ein kurzer Überblick über alle fachrelevanten Themen in der Psychologie. Was man nicht unbedingt vermutet, sind Ausflüge in die Physik, auch wenn der Hörsaal hauptsächlich für Veranstaltungen der Mathematiker, Ingenieure und Physiker genutzt wird. Es ging dabei auch nicht um ein simples Beispiel an irgendeiner nebensächlichen Stelle. Es ging um die keplerschen Gesetze. Um alle. Mehrere Folien (Powerpoint) lang, erstreckte sich dieser Ausflug, den Zusammenhang habe ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Dafür habe ich alle drei Gesetze verstanden. Ich weiß jetzt sogar, was eine Parallaxe ist, und weshalb das die Beobachtung und Ableitung dieser Gesetze so schwer gemacht haben muss. Ein immenser Aufwand, kann ich nur sagen. Deshalb will ich jetzt auch einmal etwas formulieren, ganz im Sinne der Psychologie. Leider hat das keine allgemeine Gültigkeit, aber es liefert Hinweise auf bestimmte Korrelationen:

Umso mehr Studenten sich im Rahmen des Studiums in geschlossenen Räumen aufhalten, desto größer ist die Zahl derer, die plötzlich merken, dass sie in der falschen Veranstaltung sitzen.

Wenn dann in einem Raum, der größtenteils der Mathematik und Physik vorbehalten ist, eine Psychologievorlesung gehalten wird, in der es zu 50% um die keplerschen Gesetze geht, sitzen Zuspätkommer längst, bis sie gemerkt haben, dass sie hier falsch sind. Was im Kino schon nervt, ist im Hörsaal noch schlimmer, denn die Sitze sind nicht bequem und der Abstand zum Vordermann reicht aus, um jedem Friseur ohne Anstrengung ins Handwerk zu pfuschen. Man kann nicht einmal ein zufällig ausgefallenes Haar von den eigenen Aufzeichnungen pusten, ohne das der Vordermann oder die Vorderfrau davon Wind bekommt.

Da saß ich nun, neben, hinter und vor mir laufen die ganze Zeit verwirrte Studenten entlang, weil sie plötzlich merken, das Oppenheim kein Physiker ist, den sie bloß nicht kennen, sondern das Oppenheim der Chemiker, Philosoph und Privatgelehrte ist, der sich unter anderem auch mit der Gestaltpsychologie beschäftigte – der Physiker hießja Oppenheimer, diese Verbindung liegt demzufolge nahe. Es herrschte also ein allseitig heftiges Gedränge, das nicht bereits an der Tür, sondern erst am Sitzplatz entschieden wurde. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß.

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