Willkommen

Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

Kontakt

shhhhtwoday(at)googlemail.com

Aktuelle Beiträge

Studenten - ein lustiges...
Studenten - ein lustiges Völkchen. Die Norddeutschen...
Shhhhh - 22. Mär, 21:06
Rheinschiffer ist besser...
Rheinschiffer ist besser als Rheinscheißer ("Gibt's...
Shhhhh - 22. Mär, 21:04
Am ältesten ist die seit...
Am ältesten ist die seit dem 13. Jahrhundert belegte...
C. Araxe - 21. Mär, 21:59
Bei uns gibt es nur R(h)einschiffer.
Bei uns gibt es nur R(h)einschiffer.
Lo - 20. Mär, 23:10
Altsprachler und Schwallhalla-Kenner:...
Altsprachler und Schwallhalla-Kenner: Schifffahrt →...
NeonWilderness - 15. Mär, 23:12

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Prüfangst

Habe heute im Seminar eine Menge über Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler gelernt. Wir sind in Gruppen eingeteilt worden und sollten an den einzelnen Stationen die Aufgaben lösen. Es wurde viel diskutiert und ernsthaft gearbeitet. Es gibt:

Milde- und Strengefehler
Tendenz zur Mitte/zu Extremen
Reihungsfehler/rhythmische Schwankungen
logischer Fehler/Halo-Effekt
Wissen um die Folgen-Fehler
Kontrastfehler und Ähnlichkeitsfehler/Fehler der gleichen Art
Nähe Fehler


Bei den vielen Fehlerarten, die es gibt und die man als Lehrer machen kann, frage ich mich, ob es überhaupt noch ein Richtig gibt. Unterstützt wurde das Ganze noch durch ein Schlagwort am Ende des Seminars, als es dann nämlich hieß: Wir erreichen sowieso keine Objektivität, nennen wir das Ganze doch gleich „kontrollierte Subjektivität“.

Und weil das alles schon merkwürdig genug war, begegnete mir heute Abend auf dem Weg zur Vorlesung eine ehemalige Arbeitskollegin aus dem Strandleben. Sie ist jetzt seit einem Jahr Lehrerin und hatte heute ihre ersten mündlichen Prüfungen als Prüfer in einer Abschlussklasse. Sie sagte, das sei ganz seltsam gewesen, weil sie ja sonst schon Mittag zu Hause sei. Diesmal jedoch hatte sie am Vormittag frei und erst am Nachmittag gingen die Prüfungen los. Ich sagte noch so etwas wie, ach, dann konntest du wenigstens ausschlafen. Das konnte sie nicht, sie hat vielmehr kein Auge zugetan, weil sie so aufgeregt war.
Trithemius - 13. Mai, 20:08

Kann ich bestätigen. Hab oft erlebt, dass Kollegen vor mündlichen Abiturprüfungen aufgeregt waren wie die Prüflinge. Witzig ist die Liste der möglichen Bewertungsfehler. Mir scheint da eine Sorte Namenmagie mitzuspielen nach dem Motto: Benannt, gebannt. Aber das ist nicht so, besonders nicht in einem Fach wie Deutsch. Weil es ein "Richtig" selten gibt, wäre es gewiss sinnvoll, das Notenschema abzuschaffen und anders zu bewerten, denn ohne Bewertung würde die Schule ihre Aufgabe als Selektionsinstrument nicht erfüllen. Von allen Dingen, die ich am Lehrerberuf gehasst habe, stand der Zwang zur Notengebung ganz oben. Man verteilt Lebenschancen, und diese Rolle habe ich nie gewollt.

Shhhhh - 13. Mai, 20:30

Man verteilt Lebenschancen? Wären es Chancen, bestünde die Hoffnung oder wenigstens ein berechenbares Maß an Wahrscheinlichkeit, all das zu werden, was man werden möchte. Aber seien wir mal ehrlich, das hat noch niemanden, der sich ernsthaft etwas vorgenommen hat, aufgehalten;)
Lo - 14. Mai, 08:53

Zumindest aber beinflusst man die Höhe möglicher Barrieren.
Trithemius - 14. Mai, 09:00

Es ist nicht in allen Bundesländern so, aber in NRW beispielsweise muss jemand nach zweimaliger Nichtversetzung hintereinander das Gymnasium verlassen. Und man kann von einem noch unfertigen jungen Menschen nicht unbedingt dieses Zielbewusstsein erwarten, dass er sich ernsthaft vorgenommen hätte, etwa Arzt oder Ingenieur zu werden. Dein letzter Satz ist klingt ein bisschen zynisch. Ich habe Unmengen von gescheiterten Schulkarrieren erlebt, und oft traf es gerade die Schüler, die sich für Mitschüler eingesetzt hatten etwa als Klassen-, Kurs- oder Schülersprecher. Manchen fehlte nur ein Ausgleich in einem wissenschaftlichen Fach, also eine Drei statt einer Vier. Das ist doch angesichts der vielen Ungereimtheiten in der Notengebungspraxis eher eine Lotterie als ein ehrlicher Ablauf, wenn jemand, der hätte ein guter Lehrer etwa werden können stattdessen Taxifahrer wird.
Shhhhh - 14. Mai, 09:29

Du sprichst von verteilten Lebenschancen und wirfst mir Zynismus vor? Und genau das Problem, was du gerade schilderst, sehe ich in der Notenvergabe ebenfalls.
Aber gehen wir noch einmal kurz zurück: Was das Wort Lebenschancen bei mir auslöste, habe ich beschrieben. Was ich noch unerwähnt ließ, war der optimistische Beigeschmack, den das Wort "Chance" für mich hat, denn mal ganz ehrlich, die Einserkandidaten sind in dieser Verteiltaktik doch sowieso kaum von Belang, die können sich sowieso alles aussuchen und haben keinen Grund zur Klage. Es bleiben also Wackelkandidaten und die schlechten Schüler, die aus welchen Gründen auch immer, nicht die Reife besitzen, den gewünschten Schulabschluss zu machen.
Und jetzt kommen die Lehrer ins Spiel, die aufgrund von "Ungereimtheiten in der Notengebungspraxis" Lebensentwürfe zerstören. Ich denke, dass mit solchen Seminaren, wie sie an der Universität angeboten werden, durchaus eine gewisse Transparenz in der Notenvergabepraxis hergestellt werden kann. Wenn also ein zukünftiger Lehrer dahingehend sensibilisiert wird, welche Fehler passieren können, dann ist das doch eine feine Sache.
Ich finde es im Übrigen überhaupt nicht zynisch, wenn ich von einem zielbstrebigen jungen Menschen spreche, der sich irgendwann in seinem Leben - und sei es erst nach dem Abschluss der regulären Schulpflichtjahre - ein Ziel setzt und alles dafür tut, es zu erreichen. Die Chancen dafür bekommt er auch und zwar in weit besserem Ausmaß, als das noch vor 40 Jahren der Fall war.
Trithemius - 14. Mai, 10:40

Es ist dein Satz gewesen, ich habe dir nicht Zynismus vorgeworfen, dazu kenne ich dich doch viel zu gut. Also entschuldige bitte, wenn ich nicht deutlich genug gemacht habe, was ich meinte. Dieser Satz erinnerte mich an den Satz: Jeder hat seinen Marschallstab im Tornister. Das ist gewiss ein zynischer Satz angesichts der oftmals eben nicht vorhandenen Chancen. Was das betrifft stimmen wir sowieso überein.

Ein "zielstrebiger junger Mensch" kann gewiss etwas mehr erreichen als eine lahme Ente, aber man hat als Lehrer oft mit Kindern zu tun. Wenn die dann mal von einem Notenhammer niedergeschlagen werden, richten sie sich vielleicht nicht mehr auf, bevor sie überhaupt etwas wie einen Lebensentwurf haben konnten. Dass Lehramtsstudierende die Fehlerquellen bei der Notengebung systematisiert bekommen und sie damit sensibilisiert werden, ist gewiss besser als das Thema gar nicht zu behandeln, wie in meinem Studium. Was ich meinte war, dass man Fehler kennen kann, aber trotzdem nicht umhin kommt, solche zu machen.
Shhhhh - 14. Mai, 19:10

Wir sind weit davon entfernt, von Chancengleichheit sprechen zu können. Den Satz mit dem Marschallstab kenne ich auch irgendwoher, hört sich fast nach Bordieu an, haben wir darüber nicht schon einmal gesprochen?
Ich bin da ganz deiner Meinung, wenn es darum geht, dass die Fehler deshalb trotzdem passieren, wünsche mir das aber nicht. Und wenn ich dann besagte ehemalige Arbeitskollegin treffe, die vor Aufregung vor den mündlichen Prüfungen nicht schlafen konnte, so gibt mir das doch ein nicht ungutes Gefühl.
Trithemius - 14. Mai, 20:16

Die Systematisierung der Fehlerquellen in der Notengebung macht mir ein ungutes Gefühl. Denn ich fürchte, es ist der Versuch, die Praxis der Notengebung zu retten, obwohl diese Benotung längst auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. Es ist ja auch ein Armutszeugnis der Hochschulen, wenn sie ihre Energie darauf richten, Systeme durch genaue Untersuchung und Analyse zu verteidigen oder zu erhalten, die man ernsthaft nicht verteidigen kann und nicht erhalten sollte. Weil aber gewisse Kräfte in der Gesellschaft darauf pochen, dieses Selektionsinstrument haben zu wollen, stellen sich die Universitätslehrer in den Dienst. Man will ja den gutbestallten Posten nicht verlieren, weil man unbotmäßig ist. Es ist Forschung in die gänzlich falsche Richtung, denn dass Notengebung ungerecht ist, ist ein systemischer Fehler, den man einfach nicht umgehen oder vermeiden kann. Das konnte ich heute morgen nicht so formulieren, weshalb wir uns leider missverstanden haben.

Das mit dem Marschallstab wird Napoleon zugeschrieben.
Shhhhh - 14. Mai, 20:52

Ich fürchte, Bourdieu hat plagiiert, denn ich fand den "Marschallstab" bei ihm, ohne, dass er darauf hinwies, von wem er sich diesen "geborgt" hatte;).

http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/personal/lohmann/lehre/som3/bourdieu1992.pdf

Welches alternative Konzept zur Notenvergabe kenne ich denn? Gar keins! Ehrlich gesagt, habe ich mich noch nicht damit befasst, nach Alternativen zu suchen, und wie Sauerbier werden sie uns an der Uni auch nicht hinterhergetragen aber: Noten haben weit mehr Aufgaben zu erfüllen, als zu selektieren, hier mal eine von unseren Listen:
1.Orientierungs- und Berichtfunktion
2. Beratungsanlass
3. Pädagogische Funktion
4. Auslese-, Rangierungs-,Berechtigungsfunktion
Stellt man die Notenvergabe insgesamt in Frage, wird es ja nicht besser, sondern viel schlimmer. Denn nicht nur - worauf gewisse Kräfte in der Gesellschaft pochen - auf das Selektionsinstrument, müsste verzichtet werden, auch jede andere Funktion einer Benotung fiele unter den Tisch.
Trithemius - 15. Mai, 12:00

Denkbar wäre doch eine reglmäßige schriftliche Einschätzung der Leistungen ohne Benotung durch die Lehrkraft, wie sie in den ersten Grundschuljahren schon praktiziert wird. Damit würden alle Punkte abgedeckt, sogar der 4. teilweise, wie es mit der Empfehlung beim Übergang von der Grundschule auf eine weiterführende Schule schon üblich ist.
Aber man hätte den negativen Effekt ausgeschaltet, dass Schüler nur für die Note arbeiten und darüber das Interesse an den schulisch vermittelten Dingen verlieren. Es geht ja auch um angstfreies Lernen und um Verhinderung von Maßnahmen der Benotung, die Schüler und Eltern oft als Willkür und Aburteilung erleben. Natürlich können auch ausführliche Bewertungen zu Phrasen gerinnen, die dann wieder den Charakter von "Gut", "Befriedigend" oder "Ungenügend" bekommen, aber es wäre gewiss sinnvoller, solche Bewertungsformen und deren Gefahren im Studium zu thematisieren als das Notenschema zu verteidigen. Ich kenne mich nicht mehr in der aktuellen pädagogischen Fachliteratur aus, aber ich bin sicher, es gibt genügend alternative Überlegungen und Konzepte, dazu brauchen wir nicht den TV-Philosophen Precht, der ja nur deshalb Aufmerksamkeit bekommt, weil er die Haare schön hat, was im TV prima rüberkommt, ansonsten aber nichts Neues erzählt, sondern in der alternativen Pädagogik, den Konzepten seit Beginn des 20. Jahrhunderts wie in einem Steinbruch wildert.

Danke für den Textauszug. Ich glaube, der Marschallstab im Tornister ist ein Topos, den man ohne Quellenangabe verwenden kann.

Shhhhh - 15. Mai, 13:16

In den ersten 4, meinetwegen sogar 6 Schuljahren auf Noten zu verzichten, halte ich für nur bedingt richtig, denn eine Gewöhnung an das Notenvergabesystem setzt dann erst in der Pubertät ein und das könnte doch viel eher dazu verleiten, nur für die Note zu lernen. Spätestens mit dem Abitur kommt man doch aber nicht mehr um eine Benotung herum, denn spätestens hier, erfüllt die Note ja ihren Zweck der Selektion, der nicht immer sinnvoll aber immer notwendig ist; schließlich wäre es zwar schön, alle Schüler zu Ingenieuren zu machen, aber nicht alle haben das Zeug dazu (ich zum Beispiel).
Um die alternativen Konzepte kümmere ich mich morgen, da spreche ich einen Professor, der ähnlich begeistert vom Notenvergabesystem ist, wie du. Wenn der nichts weiß, dann gibt es wohl auch nichts Gescheites.
Teresa HzW - 16. Mai, 15:45

Ach!
Soeben "musste" ich auch einen Wahrnehmungsfehler korrigieren, lieber Shhhhh, ich dachte die ganze [bloggende] Zeit, Sie studieren "Literaturwissenschaften"! Ob ich da einem Halo-Effekt aufgesessen bin... ;-)))

Shhhhh - 16. Mai, 16:03

Diese Annahme wurde sicherlich verstärkt durch die starke Präsenz der dazugehörigen Vorlesung, die ich letztes Jahr kommentiert hatte, trifft aber nur zum Teil zu. Ich studiere auf Lehramt Geschichte und Germanistik, zu der in ein nicht unerheblicher Teil Literaturwissenschaft dazuzählt.
Darüber hinaus belege ich nicht selten Dinge, die mich vorrangig interessieren und nur bedingt in den engen Kanon meines verschulten Studiums passen, um das Passendmachen kümmere ich meist erst später, und wenn es nicht geht, dann war es trotzdem nie umsonst bisher.
Inwieweit der Halo-Effekt auf Ihre Gedanken bezüglich meines Studienfaches anzuwenden ist, muss ich Ihnen überlassen, ich bin da kein Fachmann;)
Teresa HzW - 16. Mai, 16:59

Na also... doch kein [ganzer] Halo-Effekt :-)
denn wenn das "Literarische" sooooo breiten Raum einnimmt, dann sind Sie ja doch so ein halber [dreiviertelter] GermanenWissenRatLiter{weiss}schaf[f]t[l]er :-)))

Also... wie wahr das dann [nach meinem Wortspiel, das mir ganz spontan zu Ihrer mich erhellenden Antwort einfiel] mit diesen Wahrnehmungseffekten!? ;-)

Jedenfalls und um zu diesem Kommentar doch noch die ernste Kurve hin zu bekommen:
Das wars! Die starke Präsenz Ihrer Vorlesungswiedergaben hier bzw. da sehen Sie mal, wie aufmerksam ich die mit-verinnerlichte :-)
diefrogg - 16. Mai, 22:57

Das war jetzt grad genau...

der Beitrag für mich! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Zeit ich momentan damit aufwende, keine Fehler zu machen.

In einer solchen Lebenslage erleichtert es einen sehr zu wissen, dass andere Leute ganze Seminarien aufwenden, Fehler zu analysieren. Und dabei zum Schluss kommen, dass Fehler - vor allem Fehler beim Urteilsvermögen - eigentlich eher die Norm als die Ausnahme sind.

Shhhhh - 17. Mai, 09:06

Es macht das Ganze vielleicht etwas erträglicher, wenn man weiß, dass es vielen so geht, nur leider erleichtert es die Situation keineswegs. Das ist so ähnlich wie mit der Schadenfreude: klar kann man sich freuen, wenn anderen ein Malheur passiert aber die schönere Freude ist, wenn man zusammen lacht.
kiezneurotiker (Gast) - 18. Mai, 06:21

kontrollierte Subjektivität

Das ist eine gute Bezeichnung für das Dilemma. Ich muss ab und zu mal Auszubildende benoten und gräme mich jedes mal hinterher mit den Gedanken, ob nicht wieder zu milde (weil der war ja voll nett) oder zu streng (ich fand den irgendwie voll doof und der roch auch so komisch nach Mottenkugeln) benotet habe.

Shhhhh - 19. Mai, 14:46

Da kann man nur immer wieder hinterfragen, mehr geht da nicht.

Suche

 

Status

Online seit 4900 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Mär, 21:06

Lesen

Credits


xml version of this page
xml version of this page (summary)
xml version of this page (with comments)

twoday.net AGB

Blogverzeichnis Creative Commons Lizenzvertrag
Shhhhh.

Alles nur Theater
Auf Spatzen geschossen
Auslaufmodell Buch
Den Ball gespielt
Der alltägliche K(r)ampf
Die kleine Form
Gedankeninseln
Geldregierung Arbeitsplatz
Gelegenheitslyrik
HaCK
Herr Fischer
Klassenraum
Links
Mensagespräche
Nichts Spezielles
Ohne Brille
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren