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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Freitag, 20. Juli 2012

Literaturvermittlung und Literaturkritik: Dr. Tilmann Lahme

Geschafft. Zu allererst muss ich mich bedanken bei denen, die während der Vorlesungszeit des Öfteren unseren Sohn betreuten und mit Langmut für Kurzweil sorgten. Ebenso viel Langmut bewiesen auch diejenigen, denen ich meine Entwürfe unter die Nase hielt und nach ihrer Meinung fragte. Auch den Lesern mutete ich mitunter viel Geduld und zu, die zum Schluss hin zwar nachließ, mich aber durch die Seitenaufrufe bestärkt nicht davon abbringen konnte, das Projekt zu Ende zu bringen; immerhin haben es drei Texte in die Top 25 der meistaufgerufenen Artikel meines Blogs geschafft. Die Veranstaltung selbst stieg auf meiner persönlichen Beliebtheitsskala bereits hoch ein und konnte sich am Ende in den Top 3 behaupten. Selten habe ich so viel mitnehmen können, wie in dieser „Vorlesung“. So, genug der Lobhudelei, der letzte Beitrag will verfasst werden:

Tilmann Lahme, ehemaliger FAZ-Redakteur, Gastprofessor für Literaturkritik an der Universität Göttingen 2010/2011 bestritt einen Großteil des Programms der letzten Veranstaltung in der Vorlesungsreihe „Angewandte Literaturwissenschaft“. Dass ihm das offensichtlich Spaß machte, war unschwer zu erkennen.

Nach Fridtjof Küchemann kam also ein weiterer Redakteur der seitens Dr. Alexander Košenina hochgelobten Zeitung, die FAZ, in die Vorlesung und bestätigte erst einmal all die seltsam anmutenden Vorgänge innerhalb der Redakteurssitzung. Vielleicht sollte statt langweiliger Bundestagsdebatten lieber diese Veranstaltung übertragen werden. Er bestätigte die harten Bandagen, die niemals persönlich, sondern sachdienlich gemeint sind. Er bestätigte auch den „leichten“ Einstieg, bei dem es weniger darauf ankommt, eine fundierte Ausbildung im Schreiben zu besitzen, sondern vielmehr auf das Spezialistentum in einer Disziplin. Und er versuchte das „nicht gerade unterdurchschnittliche Selbstwertgefühl“ – Arroganz wollte er es nicht nennen, vielleicht Dünkel? – der Redakteure zu erklären. Das hörte sich alles sehr gut an. Am Ende der Vorlesung hätte ich ihn beinah fragen wollen, wann er denn bei uns ein Seminar hält. Das hielt aber nicht lange an, obwohl mich sein Konzept der Textkritik innerhalb eines Seminars, bei der ein von Studenten verfasster Text nicht weniger als viermal gegengelesen, redigiert und besprochen wird, durchaus überzeugte – und das nicht nur in Hinblick auf eine Karriere bei der Zeitung. Nein, es gab, im Nachhinein betrachtet, einfach zu viel auszusetzen.

Das ging schon los, als er dem Plenum von seiner Zeit beim Radio erzählte und neben NDR1 und dem Radio Nora, bei dem er arbeitete, keinen weiteren zu nennen bereit war, dessen Programm nicht aus 27sekündigen Wortbeiträgen besteht, bevor der nächste Hit gespielt wird. Dass die Musik bei NDR1 nicht jedermanns Sache ist, kann ich gut nachvollziehen und auch bei seinem Sender war das Musikprogramm anscheinend kein Bringer, aber die Wortbeiträge waren toll. Hallo? D-Radio, D-Radio Kultur spielen nicht nur gute Musik, sondern zeichnen sich gerade durch ihre Wortbeiträge aus. Aber das schien Herrn Lahme nicht in den Kram zu passen, bei seiner Polemik gegen die öffentlich Rechtlichen.

Apropos Polemik, das kann Dr. Tilmann Lahme besonders gut. Er ließ sich unter anderem auch über Schreiber aus, die in jedem Artikel Foucault und Bourdieu zitieren aber eigentlich keine Ahnung haben. Lahme zitiert sich da lieber selber und kramt die alte Kamelle Juli Zeh hervor. Dass er auch Bourdieu zitieren kann, lässt er natürlich ebenfalls durchblicken. Als es um die Leser der NZZ geht, die ihre Zeitung gut sichtbar unter dem Arm tragen, aber den Inhalt leider genauso wenig verstehen wie der „normale Leser“, lässt er die nächste Breitseite niederprasseln. Es geht nicht um die Lektüre der NZZ, sondern einzig und allein um Distinktion, jaja die feinen Unterschiede.

Doch wer ist denn der „normale Leser“? Seine Seminarteilnehmer an der Universität Göttingen waren es jedenfalls nicht. Die lasen ja gar keine Zeitung. Und das, obwohl es doch den guten Schreiber ausmachen sollte, auch ein guter Leser zu sein. Hier spätestens hätte sich der ein oder andere an die eigene Nase fassen mögen. Tat aber keiner. Stattdessen wurde herzlich gelacht, während der glasschwenkende Wassertrinker dem Plenum den Spiegel vorhielt. Ein Cosmopolitan hätte ihm besser gestanden.

Gab es denn auch Wissenswertes, etwas das man mitnehmen konnte? Ja. Und zwar mehr als in den Nebensatz am Ende des dritten Absatzes hineinpasst. Schreiben fürs Hören war eine Anregung, die Jan Ehlert schon vorgetragen hatte und hier bestätigt wurde. Ein Text muss gut klingen, wenn er laut vorgetragen wird, was man von so mancher Albumrezension bei D-Radio Kultur leider nicht behaupten kann. Die klingen oftmals gestokelt und lassen den am Radio-Pult stehenden Ableser erkennen.

Mehr Geld für Dozenten und mehr Attraktivität der praxisnahen Veranstaltungen an der Universität. Offene Türen hat er da bei Dr. Alexander Košenina eingerannt und sicherlich auch im Plenum. Das Plenum war überhaupt ungewöhnlich oft Stichwortgeber, selbst wenn es sich gar nicht zu Wort meldete. So wurde von Dr. Alexander Košenina sinngemäß aus den Studienleistungen zitiert und in die Gesichter der anwesenden Erbringer geblickt. Mir blieb das leider verschlossen, denn ich habe diese Studienleistungen nicht lesen können. Ein Manko, das sich abstellen ließe, wären die Arbeiten veröffentlicht worden, z.B. in einem Blog.

Überhaupt mangelte es an Diskussion in der Vorlesungsreihe, die ihrem Charakter damit trotz des Talkshowambientes leider gerechter wurde, als es zu wünschen war. Wieso wird in so großer Runde immer noch mit dem mehr als kläglichen Angebot des stud-ips gearbeitet, in dem außer einer Rundmail vieles an den Studenten einfach abzuprallen droht. Es ist ja schon erstaunlich, dass man mittlerweile Sonderzeichen für sein Passwort verwenden kann, das war ja nicht immer so, zeigt aber auf welch hohem Niveau hier gearbeitet wird. Hauptsache, ich bekomme meine BWL-Bücher aus dem ersten Semester noch an den Mann oder mein WG-Zimmer während meines Auslandaufenthalts!

Es wurde vermehrt nach Übung verlangt, nach schriftlicher Übung, Austausch, Gegenlesen, Korrekturen, damit neben dem Ergebnis einer guten Recherche, die den Geisteswissenschaftler ja auszeichnet, auch noch etwas anderes hängenbleibt bei den Studenten; eine solide Basis in der „Kunst des Schreibens“. Was ist so schwer daran, endlich online zu gehen und die vielfältigen kostenlosen! Angebote zu nutzen, die zur Verfügung gestellt werden, um ein Forum, eine Diskussionsplattform für eine Veranstaltung zu bieten, die entweder an zu vielen oder zu wenigen Eingaben der Studenten krankt? Es wäre jedenfalls schön gewesen, wenn es so eine Plattform gegeben hätte für die Vorlesung, wo jeder hätte mitdiskutieren können, wo die Beiträge hochgeladen worden wären, wo auch außerhalb des sperrigen Termins 14:15-15:45 Uhr noch etwas hätte passieren können. Die Liste mit der Sekundärliteratur dort von einigen Studenten auszuwerten und zu diskutieren zum Beispiel, da guckt doch sonst keiner rein. Ich will gar nicht wissen, welche Studenten zum ersten Mal die Rückseite des „Programmheftes“ betrachteten, als Dr. Alexander Košenina in der dritten oder vierten Veranstaltung explizit darauf verwies; gesehen habe ich einige. Eine interessante Frage wäre zudem, wie sich der Verriss des Romans von Juli Zeh („Schilf“) durch Tilmann Lahme in die Debatte um die Rolle des Feuilletons als Kulturvermittler einfügt.

An Attraktivität mangelt es sicher nicht, schon gar nicht bei so hochkarätigen Veranstaltungen wie dieser. Aber mehr geht immer und nicht jeder fühlt sich bereits vom Titel einer Veranstaltung so gut angesprochen, dass er sie auch besuchen möchte. Wenn aber nur die Gastdozenten für die Attraktivität sorgen sollen, dann ist das ein hartes Brot für den Veranstalter vor allem finanziell.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Literaturmuseum/Literaturarchiv: Dr. Ute Pott

Teil 11

Meine Mutter erzählte einmal, wie sie mit meiner Urgroßmutter, also ihrer Oma, durch die Amtsgartenstraße von Ottersleben ging. Dabei kam es zu einer Begegnung mit einem dritten Beteiligten, der freundlich grüßend mit den beiden ein Gespräch begann. Meine Urgroßmutter war ebenfalls ins Gespräch vertieft und so wurden Herzlichkeiten über Wohlbefinden und Wetter ausgetauscht. Als das Gespräch dann zu Ende war und beide Frauen wieder allein waren, wandte sich meine Uroma an meine Mutter und fragte sie, wer dieser Mann überhaupt gewesen sei. Meine Mutter sagte darauf, der alte Lehrer Soundso wäre das gewesen. Dieser alte, längst in Rente gegangene Lehrer war der Lehrer meines Opas, später Direktor an der Schule meiner Mutter und viel später immer noch Direktor, als meine Mutter selbst Lehrerin wurde und an dieser Schule zu unterrichten begann.

So ungefähr konnte man sich den Ablauf der Veranstaltung vorstellen, deren Protagonistin Frau Dr. Ute Pott war, Leiterin des Gleimhauses in Halberstadt, in der Vorlesungsreihe „Angewandte Literaturwissenschaft“. Denn alles, was ich sagen wollte, war, dass meine Uroma kurzsichtig war und keine Brille tragen wollte, wofür ich gerade einen ganzen Absatz benötigt habe. Frau Pott verschleierte ihre Kurzsichtigkeit allerdings nicht durch unverfänglich geäußerte Artigkeiten, sondern bat uns aus dem selben Grunde, alle ein wenig näher an sie heranzurücken und die Bänke ganz hinten zu räumen, weil sie nämlich gern ihre Brille abnehmen, uns nicht fressen, sondern tatsächlich besser sehen wollte.

Da dies nicht die einzige Anekdote blieb, die Frau Pott an diesem Tage für uns übrig hatte, war trotz des weitschweifigen Erzählstils keine Langeweile aufgekommen. Dr. Alexander Košenina blieb diese Art der Erzählung natürlich nicht verborgen und so unterbrach er Frau Pott das ein oder andere Mal, um mit dieser Unterbrechung gleichzeitig noch ein paar neue Fragen aufzuwerfen. Frau Pott ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken und hielt alle von ihr eröffneten Erzählstränge fest im Griff. Wie die Enden ihres Schals schlang sie die Erzählfäden um sich, entknotete, überwarf und zupfte an diesen, bis alles wieder seine Ordnung hatte.

Dieser generellen Liebe zum Detail war eine innige Beziehung zu ihrer Arbeit beigemischt, die sich zu einem nicht geringen Anteil aus ebensovielen kleinen Details zusammensetzte: den Briefen des Gleimhauses, insbesondere den Briefen Anna Louisa Karschs. Unklar blieb, wie es wirklich dazu kam, dass sie zuerst stellvertretende und später Leiterin des Gleimhauses wurde, aber die Arbeit an diesen Briefen, so konnte man während ihrer Schilderung spüren, hatten es ihr angetan und sie seither nicht mehr losgelassen. Ihre Bewerbung auf die Stelle war demnach reine Formsache. Die Fragen hinsichtlich des Inhalts einer Bewerbung wurden von ihr deshalb nicht anders beantwortet, als es die lange Reihe Vorredner auch getan hatte/hätte. Was viel wichtiger zu sein schien, war das Herzblut, mit dem sie bei der Sache war, das man ihr angemerkt haben musste, das den Ausschlag gab für den bekommenen Job. Da war das falsche Geburtsdatum – sie gab in der Bewerbung an, 1765 geboren worden zu sein – nurmehr das i-Tüpfelchen, mit dem sie ihrem Brennen für die Sache (unbewusst?) Ausdruck verliehen hatte.

Ganz die Vermittlerin war sich Frau Pott auch nicht zu schade für das Einbeziehen der Wandtafel. Sie zeichnete dort die vier Säulen des Arbeitens in einem Museum nach: Sammeln, Bewahren, Erforschen/Dokumentieren und Vermitteln. Das waren zwar eher dünne Striche, die von einem dicken Körper abstachen und irgendwie an Kafkas Käfer erinnerten, aber, wie ich fand, längst noch nicht so weit hergeholt, wie der Vergleich, dass Gleim eine Vorstufe von Facebook erfunden hätte, indem er seiner Freunde Konterfei auf Gemälden um sich herum platzieren ließ. Ganz die Vermittlerin wurde dieser Zusammenhang natürlich nur bemüht, um zu zeigen, dass man jemanden dort abzuholen hat, wo er steht, und die Jugend von heute, also insbesondere Schulklassen, die das Gleimhaus besuchen, kann man mit diesem Vergleich eher „abholen“ als durch einen „Brigadeabend“*. Ich fühlte mich ebenfalls gut abgeholt.

*eine stark verkürzte Erklärung des in der Vorlesung häufig gefallenen Begriffes. Brigadeabende fanden im Gleimhaus zu Zeiten der Trennung in BRD und DDR sehr häufig statt.

Teil 13

Montag, 2. Juli 2012

Medientext und Medienübersetzung: Dr. Nathalie Mälzer-Semlinger

Teil 10

„Die Alltagssprache ist das Badezimmer der Seele.“ Ich habe absolut keine Ahnung mehr, weshalb ich diesen Satz während der Vorlesung „Angewandte Literaturwissenschaft“ mit der Gastdozentin Frau Dr. Nathalie Mälzer-Semlinger und dem Thema „Medientext und Medienübersetzung“ aufgeschrieben habe. Ich kann mich weder an den Kontext erinnern noch mit Nachdruck behaupten, dass es überhaupt einen Kontext gegeben hat. Ich erwähne das nur deshalb, weil ich trotz allem nicht um diesen Satz herumkomme, der in der Mitte des Blattes thront und die letzte inhaltliche Notiz darstellt, die ich von dieser Veranstaltung gemacht habe.

Lassen wir den Satz einfach so stehen und beginnen am Anfang meiner Aufzeichnungen: Frau Mälzer-Semlinger präsentierte sich ganz in Schwarz und hob mit sinusartiger Stimmmodulation zum Vortrag an. Die Satzenden litten dabei besonders unter ihrer abnehmenden Lautstärke. Wahrscheinlich hat sie in einer solchen „Verlustphase“ einen Satz gesagt, der weitestgehend ähnlich geklungen haben mochte wie den von mir gehörten. Frau Mälzer-Semlinger brachte aber auch Qualitäten mit, die es mir nicht unbedingt erlaubten, in den weniger lauten Satzenden abzuschalten. Es war interessant. Es ging um Übersetzungen.

Übersetzer das klingt, wenn man einmal von der heute gebräuchlichen Verwendung des Wortes absieht, wie ein Berufsstand, der sich ständig über einen Fluss bewegt, um an den jeweiligen Ufern Menschen einzusammeln und sie auf der anderen Seite wieder aus dem Boot zu lassen, Übersetzer eben. Im denkbar ungünstigen Falle bleiben Übersetzer im Gedächtnis, man könnte zum Beispiel Charon, den Fährmann des Acheron, als Übersetzer bezeichnen. In fast jedem Fall verdienen sie eine Art von Anerkennung, bleiben aber fast immer hinter wichtigeren Personen zurück. Bei den Übersetzern heutzutage sind die weitaus wichtigeren Personen die Autoren. Und so führt der Übersetzer ein Schattendasein, er kann sich zwar im Stillen rühmen, ein Werk übersetzt zu haben, kann daraus auch persönliche Befriedigung ziehen, außer mit einer Fußnote á la „kongenial übersetzt“ wird er sonst aber häufig übergangen. Der Übersetzer ist außerdem Freiberufler und verdient neben dem spärlichen Ruhm auch noch wenig Geld. Dass es überhaupt Übersetzer gibt, scheint bei diesen Voraussetzungen nicht unbedingt logische Konsequenz zu sein. Glücklicherweise gibt es auch im Feld der Übersetzungen ein paar finanziell gut ausgestattete Enklaven, die sich eine Übersetzung auch etwas kosten lassen, Theater und Kunstkataloge lohnt es sich zu übersetzen, wie Frau Mälzer-Semlinger zu berichten wusste.

Mir fallen Übersetzer eher negativ auf bzw. verbleiben aufgrund negativer Eindrücke besser im Gedächtnis. Ein Freund von mir schilderte einmal die Übersetzung eines Satzes innerhalb eines Buches, der in der Originalsprache alle Buchstaben des Alphabets enthielt. Dies geschah deshalb, damit der Protagonist einen Beleg der Schriftsprache seines Kontrahenten in der Hand halten konnte, um den Schreiber bei Fälschung anderer Schriftstücke zu entlarven. Der Satz machte überhaupt keinen Sinn schon im Original. In der Zielsprache machte er aber noch weniger Sinn, weil er nicht mehr alle Buchstaben des Alphabets enthielt und dem Leser konnte sich dieser perfide Zusammenhang überhaupt nicht mehr erschließen. Über all die übersetzten Bücher, die ich gelesen habe und all die Bücher, die übersetzt wurden und werden, die ich nicht gelesen habe, konnte ich mir dieses Detail merken. Ich fühle mich selbst ein wenig schlecht dabei. Ein weiteres Detail blieb haften: ich las vor nicht allzu langer Zeit den Brautigan-Roman „Träume von Babylon“, übersetzt von Günther Ohnemus, und da fiel mir auf, dass er das wahrscheinlich originale Centstück oder den Penny mit Pfennig übersetzt hat. Schrecklich fand ich das, behielt die Beobachtung aber bis eben für mich. Als ich neulich durch Zufall auf Dreisat "Kommissar La Bréa" einschaltete („Tod an der Bastille“) fiel mir ebenfalls ein schrecklicher Schnitzer ein. Bonjour wurde als Begrüßung beibehalten, ok – das hat Ohnemus übrigens in pekuniären Angelegenheiten bis auf den genannten Fauxpas ansonsten ebenfalls getan – was mich dann überraschte: es wurde dem Kommissar eine englische Vokabel in den Mund gelegt. Er rief lauthals verkündend zum „Teamtalk“ auf, der in einer halben Stunde beginnen sollte. Den Franzosen, der das über die Lippen bekommt, wenn er mit Franzosen spricht, den möchte ich sehen!

Eigentlich wollte ich gar nicht meckern. Eigentlich muss ich den Übersetzern dankbar sein, denn ich beherrsche zwar mehrere Sprachen in ausreichender Qualität, um nicht zu verhungern, aber zum Übersetzen, geschweige denn Bücher lesen und verstehen, würde es nicht reichen. Was ich dann alles verpasst hätte, wenn es Günther Ohnemus, Carl Weissner, Thomas Lindquist, Burkhart Kroeber, Wolfgang Farkas und viele andere mehr nicht gegeben hätte! Und irgendwie bin ich jetzt doch um diesen Satz herumgekommen.

Teil 12

Freitag, 22. Juni 2012

Onlinejournalismus/digitale Medien: Fridtjof Küchemann und Jan Ehlert

Teil 9

Wer spricht? Die FAZ hat Tom Cruise in die Vorlesung „Angewandte Literaturwissenschaft“ geschickt, alias Fridtjof Küchemann von FAZ.net, ein echter Schwiegermuttertyp. Aber das war nicht alles. Am Anfang dachte ich, er hätte einen Besen verschluckt, so kerzengerade saß er da. Trotzdem wirkte das Ganze nicht nur kontrolliert, sondern auch irgendwie lässig – wie ein frischgebackener Leutnant eben.

Meine Assoziation mit Tom Cruise nahm Gestalt an, als er von einem Artikel erzählte, den er für das Feuilleton der FAZ geschrieben hatte. Dieser wurde in „studentischer Runde“¹ heiß diskutiert, wie er dem Plenum erklärte und er meinte damit nichts anderes als eine Redakteurssitzung des Feuilletons bei der FAZ morgens gegen 11.00 Uhr. Die Argumente können banal, witzig oder wohlüberlegt sein, es gibt nur einen Platzhirsch, Frank Schirrmacher, und danach kann jeder, der das Zeug dazu hat, sein Stück vom Kuchen abbekommen, also 3-4 Seiten insgesamt pro FAZ. Herr Küchemann hat das Zeug dazu, selbst aus der banalen Werbekampagne einer wohltätigen Stiftung, die einen „Fernseher“ auf der Oxford Street in London postierte, einen Artikel zu machen. Dreht sich dieser Artikel zufällig um den Kauf eines kleinen Unternehmens, dass sich der Gesichtserkennung im Internet verschrieben hat und zufällig an die Firma verkauft wurde, der das Gesicht heilig ist: Facebook? Das würde ich Atmosphäre nennen! Ich dachte auch deshalb an Tom Cruise, weil es eine dicksche Dystopie namens Minority Report gibt, die mit Tom Cruise erfolgreich² verfilmt wurde und bei der es unter anderem auch um die Problematik der auf Gesichtserkennung basierende, auf den „Konsumenten“ zugeschnitte Werbebotschaften geht, die ihn, Tom Cruise alias John Anderton, letztendlich verraten und zu einer halsbrecherischen Flucht zwingen. Tom Cruise auch deshalb, weil mir dieser durchaus sympathisch ist und mir auch Fridtjof Küchemann sehr sympathisch war. Ich muss im Nachhinein sagen, dass mir viel lieber gewesen wäre, wenn er eine komplette Sitzung für sich gehabt hätte und sie nicht hätte teilen müssen mit Jan Ehlert von NDR-Kultur, der auch dabei gewesen ist aber längst nicht über diese Strahlkraft verfügte.

Wer spricht? Dieses Credo, erläuterte Herr Küchemann, begleitet ihn bereits von Anbeginn seiner Karriere als Journalist. „Cui bono?“ würde wahrscheinlich auch passen und selbst „wen interessiert’s?“ war er sich nicht zu schade zu fragen, indem er den Zeitungsbetrieb in seiner jetzigen Form als ein längst überholtes, ja schon fast widersinniges Unterfangen darstellte: als er nämlich auf die Zukunft der Zeitung zu sprechen kam, redete er von den Prozessen der Zeitungsherstellung und Verwertung wie von einem Ameisenhaufen, den er genau studiert hätte aber leider für ineffizient erklären müsse. Dieser nicht ganz uneigennützigen Selbstkritik Küchemanns folgte dann ein lauter Gedankengang von Alexander Košenina, der sich wunderte, weshalb die Leute überhaupt noch Radio hören. Ob Riepl am Ende Recht hat, wird die Zeit, äh FAZ beweisen müssen. Doch zurück zu seinem selbstbewussten Auftreten, das selbst das eigene Hinterfragen mit ins Kalkül zog: Als ich noch Azubi war und das Unternehmen, in dem ich lernte, anfing, rote Zahlen zu schreiben, kam der Hauptaktionär, der Sohn des Geschäftsgründers, in unsere Filiale und beschwor die Mercedes-Benz-Mentalität in uns. Wir sollten genauso stolz sein, wie ein Mitarbeiter von Mercedes Benz, der mit stolz geschwellter Brust auf die Frage, wo er denn arbeitet, antwortet: ich arbeite bei M. B. (ich kürze das hier mal ab, nicht dass nachher noch jemand denkt, ich bekomme Geld dafür). Genauso sollten wir von unserem Unternehmen reden, stolz sein, auf das, was wir tun und die frohe Botschaft ins Land tragen. Hat alles nichts genutzt, ein anderer hat es gekauft. Worum es mir ging, war die Botschaft, die Fridtjof Küchemann hier verbreitete. „Ich bin bei der FAZ! Ich bin beim Flaggschiff des Printjournalismus! Ich muss mir darauf etwas einbilden, sonst bin ich den Job gar nicht wert!“ Mit jeder Faser verkörperte er diese Marke, identifizierte sich damit, machte sich ihre Argumente zu Eigen, ihre Arbeit. Er ist auch Teil dieser Arbeit, und darauf kann er mit Recht stolz sein, aber das darf man nicht vergessen, wenn man fragt, wer spricht.

Wer spricht? Jan Ehlert. Er produziert Dreiminutenakter über Bücher in zweifacher Ausführung³, gesendet zu einer Zeit, „wo wir alle beschäftigt sind“, wie Dr. Alexander Košenina sagte. Jan Ehlert war Pikenier, durchlief den steinigen Werdegang vom Studenten, zum Volontär, zum Redakteur und schreibt neben seinen gesprochenen Rezensionen noch für Tagesschau.de und andere. Er sieht sich an Nummer 5 von 5 Redakteuren, wenn es darum geht, Buchrezensionen selbst wählen zu können, nimmt also eher, was er kriegt. Da gibt es keine espritlastigen Sitzungen, sondern eher den Gang in das Büro der Vorgesetzten, die stapelweise Arbeit haben, wovon nur wenig wirklich Spaß macht? Naja, so hat er das natürlich nicht gesagt.

Zweieinhalb Minuten, länger sollte es nicht brauchen, um ein Thema zusammenzufassen. Jan Ehlert fühlt sich in der Lage, jedes Thema in diese Zeitspanne zu pressen, gibt aber gerne zu, dass dabei einiges verloren gehen kann. Den Verlust hebt er sich auf, hat ihn sozusagen in der Hinterhand, denn nichts ist schlimmer, als ein Beitrag, der nicht auf zweieinhalb Minuten gepresst worden, sondern tatsächlich nur zweieinhalb Minuten wert ist.

Zweieinhalb Minuten, länger am Stück sprach er selten. Mit Interaktion hatte er es auch nicht so, zumindest nicht mit Fridtjof Küchemann. Auf die Fragen von Dr. Alexander Kosenina antwortete er präziser, nicht so weitschweifig, bescheidener. Leider konnte ich ihn nicht richtig sehen, eine Phalanx von mehr als 18 Studenten saß vor mir, und weil Jan Ehlert ebenfalls saß, blieb er dahinter verborgen. Der ganze Eindruck, den er damit bei mir hinterließ, war geprägt von seinem Wissen um die eigenen Fähigkeiten – bei aller Bescheidenheit. Als die Sitzung dem Ende zuging, ließ er sich dann doch zu dem ein oder anderen Statement hinreißen, wenn sie auch längst nicht so radikal waren, wie das von Fridtjof Küchemann, der die Zeitung ja gleich abbestellen wollte. Seine Prognose ging hin zum Universaljournalisten, der sich überall ein bisschen auskennt und hofft, möglichst selten ohne echten Experten auskommen zu müssen. Bei dieser Beurteilung bliesen sie ins gleiche Horn. Einig waren sie sich auch, was den Vorteil des Internets gegenüber dem Printmedium anging, der ihrer Meinung nach in den Kommentaren zu suchen sei. Leider „zu suchen“, weil längst nicht alles, was dort verfasst wird, tatsächlich Qualität hat. Umso mehr freut es natürlich, wenn einem dadurch neue Sichtweisen aufgezeigt, womöglich Inspirationen für andere Blickwinkel oder neue Artikel geliefert werden. Insgesamt muss ich sagen, dass auch Jan Ehlert eine eigene Sitzung verdient hätte, vielleicht wäre der Rundfunk dann nicht so kurz gekommen. Schön war, dass der Rundfunk überhaupt noch Gehör fand.

Der Text ist ein wenig lang geworden, wie mir scheint. Dabei gäbe es noch einiges zu berichten. Meine Assoziationen sind diesmal ziemlich weit hergeholt, aber dafür kann ich nichts. Die kommen einfach so. Wie das gehen kann mit den irrlichternden Gedankengängen konnte ich während der Stunde übrigens auch sehr gut bei zwei Studentinnen im Plenum beobachten. Nicht selten wurde sowohl von Jan Ehlert als auch Fridtjof Küchemann auf die Metapher „den Fuß in der Tür haben“ verwiesen. Es ging dabei darum, wie sie beide an ihre Jobs gekommen sind. Es dauerte danach nicht lange, da erschien auf dem Bildschirm des Laptops der einen Studentin, plötzlich die Seite eines Verkaufsportals – für Schuhe. Das konnte natürlich Zufall sein...


¹ So kann man sich die Redakteurssitzung bei der FAZ vorstellen, da sitzt ein Haufen Junggebliebener und klärt bei lockerer Atmosphäre, wie die FAZ am nächsten Tag auszusehen hat, so berichtete Fridtjof Küchemann.
² Ein Kassenschlager, mehr meinte ich mit "erfolgreich" nicht.
³ In zweifacher Ausfertigung deshalb, weil die Fassung fürs Internet eine nackte ist, ohne Musik und Firlefanz. Das geht auf die GEMA zurück (das konnte ja nun wirklich keiner ahnen!).

Teil 11

Donnerstag, 14. Juni 2012

Editoren an Wissenschaftsakademien: Dr. Monika Meier und Prof. Dr. Wenchao Li

Teil 8

Edieren ist von außen betrachtet eine komische Angelegenheit. Da werden lose Blätter zu einem Nachlass sortiert und dann zu Akten gebündelt, die dann in Regale gestellt werden, um die man ein Gebäude baut, das dann von Leuten besucht wird, die an die Regale gehen, die Akten entnehmen, diese transkribieren, vielleicht die einzelnen Blätter neu sortieren und ein Buch dazu verfassen, das in ein Regal gestellt wird, um das ein Gebäude gebaut wird, das dann von Leuten besucht wird, die an die Regale gehen, die Bücher entnehmen, in andere Gebäude gehen und dort Akten aus anderen Regalen nehmen – weil sie es sehr genau nehmen – um ihre dazu gemachten Notizen in einem Buch niederzuschreiben, das zu anderen Büchern in ein Regal gestellt wird, um das man ein Gebäude baut, das dann von Leuten wie mich besucht wird, die vor einem Regal mit 1000 handschriftlich verfassten Akten von Leibniz stehen und beeindruckt sind, oder in ein anderes Gebäude gehen und vor einem Regal stehen, in dem 850seitige 10bändige Leibnizeditionen stehen und beeindruckt sind oder in ein anderes Gebäude gehen und vor einem Regal stehen, das 1000 Bücher enthält, die den gesamten Stand der Leibnizforschung enthalten und beeindruckt sind und sich dann plötzlich fragen, wer war denn dieser Leibniz überhaupt?*



*Dieser Text ist einem schwarzen Notizbuch entnommen, welches insgesamt drei Entwürfe dieser Textfassung enthielt. Nach der Datierung des Verfassers zu urteilen, entstand diese endgültige Fassung am 14.06.2012 irgendwann am Vormittag. Es handelt sich dabei um einen Text, der Bezug nimmt auf die Vorlesung „Angewandte Literaturwissenschaft“, die am 13.06.2012 stattfand und das Thema „Editoren an Wissenschaftsakademien“ hatte. Der Vorlesung wohnten bei: als Hauptverantwortlicher Prof. Dr. Alexander Košenina, als Gastdozenten Dr. Monika Meier und Prof. Dr. Wenchao Li sowie 18 nicht näher beschriebene Zuhörer.


edit: Ich wurde angehalten, meine "Polemik" ein wenig verständlicher zu gestalten, da der Eindruck entstehen könnte, dass ich die Arbeit der Editoren nicht zu würdigen weiß. Im Gegensatz zu den restlichen 57 eingetragenen Teilnehmern der Veranstaltung, die nicht an dieser Sitzung teilnahmen, war ich sehr wohl anwesend; den Vorwurf möchte ich deshalb so nicht stehen lassen. Das vehemente Plädoyer von Dr. Wenchao Li gegen die "schnelle" Evaluation, dieser allgemeine Kontrollzwang, der insbesondere an den Universitäten und Forschungseinrichtungen überhand nimmt, machte mich betroffen, betrifft mich längst, auch wenn Dr. Alexander Košenina keine Anwesenheitslisten ( die letzte Instanz der Kontrolle ) herumreicht.
Den Rest lasse ich jetzt einfach unkommentiert stehen, dazu kann sich jeder seine eigenen Gedanken machen.

Teil 10

Donnerstag, 7. Juni 2012

Leitung eines Literaturhauses: Kathrin Dittmer

Teil 7

Abgeklärter Enthusiasmus. Auf mehrere Gastdozenten traf diese Beschreibung schon zu, wenn es darum ging, das eigene Tätigkeitsfeld mit all seinen Höhen und Tiefen vor dem Plenum breit aufzufächern; Mathias Wehrhahn ebenso wie Volker Bürger. Kathrin Dittmer, die Leiterin des Literaturhauses Hannover, verkörperte diese Art der Selbstwahrnehmung in ihrer bisher reinsten Form, doch dazu mehr im weiteren Verlauf.
Wahrscheinlich hat die Schafskälte das Plenum im Hörsaal zur Vorlesung „Angewandte Literaturwissenschaft“ ausgedünnt. Ich hätte meine Winterjacke auch gern an den Nagel gehängt und die Kapuze gern gegen ein paar Flip Flops eingetauscht, den Kugelschreiber gegen einen Cocktail mit Sahne – aber das Leben ist ja kein Ponyhof. So ähnlich schien mir auch die Berufsauffassung von Kathrin Dittmer zu funktionieren, die als eine von zwei Festangestellten das Literaturhaus Hannover leitet und als deren Vertretung in genanntem Hörsaal erschien und mit einer gehörigen Portion stoischer Pragmatik bewaffnet den Kampf gegen stille Minuten bestritt. Das ging sogar so weit, dass sie zu reden begann, wenn sich bereits abzeichnete, dass das ans Plenum übergebene Wort demselben nicht zu entlocken war.

Der von ihr präsentierte Lebenslauf gestaltete sich ähnlich unspektakulär wie die meisten Lebensläufe, die während der Vorlesungsreihe so vorgestellt worden sind. Nicht einmal das „obligatorische“ Auslandspraktikum wurde erwähnt (absolviert?). Dieses vorgebrachte Understatement der Gastdozenten ist jedesmal wie ein Sonnenstrahl, der es durch eine dunkle Wolke schafft. Und an dieser Stelle möchte ich auch gleich noch etwas klarer stellen, was missverständlich aufgefasst wurde. Mein „Bla Bla“ aus dem vorigen Artikel hätte ich gern korrigiert auf „Geplauder“, und nichts läge mir ferner, diesen immer wieder angesprochenen Punkt in jeder Vorlesung wegzustreichen, denn es ist sehr wohl interessant, wie sich so ein Berufsleben entwickelt und was der ein oder anderen Zäsur oder Weichenstellung vorausgegangen war. An solchen Stellen wünschte ich mir manchmal nur ein wenig mehr Präzision – diese Stellen werden von den Vortragenden aufgrund des guten Auskennens in der eigenen Biographie häufig als selbstverständlich angenommen und oberflächlich abgehandelt – und wenn schon keine Präzision so doch zumindest Präzisierung durch gezieltere Fragen.
Und endlich, endlich ist sich wieder jemand nicht zu fein, auszusprechen, dass Arbeit nicht nur Spaß bedeutet, sondern Arrangement mit allerlei ungeliebten „Nebentätigkeiten“ für die von jedem selbst gefordert wird, darin einen Nutzen für sich und diese Arbeit abzuleiten. Das kann eine schlichte Erfolgskontrolle sein, die es einem ermöglicht, sich danach auf die Schulter zu klopfen oder es beim nächsten Mal anders zu machen. Das kann auch bedeuten, sich mit Dingen zu beschäftigen, die kein Arbeitsvertrag vorher schriftlich als zugeteiltes Aufgabengebiet definiert hat. Oder es heißt, sich in seiner Freizeit mit Dingen zu beschäftigen, die in Teilen zur Kür (Krimi lesen) aber in anderen Teilen zur Pflicht (zur Vorbereitung auf eine Lesung den Autor anzulesen) gehören. Frau Sullner äußerte sich ja sehr diplomatisch, was ihre Lesegewohnheiten anging. Frau Dittmer sagte es offen heraus: sie liest (Kür und Pflicht) in der Freizeit. Und das macht ihr Spaß – auch an der Arbeit.

Das Literaturhaus Hannover hat ein umfangreiches Programm, das sich aus Lesungen, Diskussionen, Preisvergaben (LiteraTour Nord z.B., dessen Preisträger aus dem Jahr 2000 ebenfalls bei uns zu Gast war) uvm. zusammensetzt. Als Verein „getarnt“ arbeiten sich die beiden Mitarbeiter(:innen?, ja, die Veranstaltung hatte auch ein Genderproblem, nicht nur dass Frau Dittmer so sprach wie Frau Kiehl schreibt, nämlich die weibliche Form anhängend, als würde sie von einem Doppelpunkt, einer kleinen Pause mitten im Wort, getrennt; auch Prof. Košenina war ein ums andere Mal bemüht, aus jedem Anwesenden eine Chefin zu machen) an der Gegenwartsliteratur ab, haben ein Auge auf die Finanzen, die längst nicht nur aus Spenden und erst recht nicht nur aus Mitgliedsbeiträgen bestehen und kümmern sich um alle möglichen Dinge – von der Hotelbuchung bis hin zum Schülerwettbewerb der HAZ als Jurymitglied. Bei der Erwähnung dieses Wettbewerbes rollte Frau Dittmer mit den Augen und war froh, dem diesjährigen als Mitglied der Jury noch nicht beigewohnt zu haben. Verständlich, denn wer liest schon gerne 1000 Aufsätze. Ein kleiner Wermutstropfen blieb bis zum Schluss übrig und gab dann auch den Ausschlag für den von ihr bis zur Vollendung verkörperten „abgeklärten Enthusiasmus“: sie sagte nicht, was ihr von all den Dingen, die sie so tut, am meisten Spaß macht.

Teil 9

Montag, 4. Juni 2012

Feuilleton/Literaturredaktion: Frau Martina Sulner

Teil 6

Dieses Mal habe ich mir wirklich ungebührlich lange Zeit gelassen, um meine Beschreibung der Vorlesung „Angewandte Literaturwissenschaft“ abzuliefern. Es war Vorlesungsunterbrechung und ich war im Urlaub, deshalb dauerte es diesmal etwas länger. Zu Gast war Frau Martina Sulner von der HAZ. Thematisch „überschattet“ war die Veranstaltung von dem Titel „Feuilleton / Literaturredaktion“.
Ich habe mich während der Vorlesung schon einige Male davon überzeugen lassen können, dass es sich bei den Gastdozenten nicht ausschließlich um „Elfenbeinturmbewohner“ handelt. So wurde ich auch hier wieder angenehm überrascht von einer Dame, die ganz und gar nicht den Eindruck vermittelte, abseits des realen Lebens und in abgehobener Position vor sich hin zu arbeiten; die sich mit klarer, lauter Stimme gegen geöffnete Fenster und damit verbundenem Straßenlärm durchsetzte. Das Plenum war beschaulich brav und leise, aber auch in besonderem Maße interessiert. Frühe Fragen verzerrten den Dialogcharakter der Vorlesung, ein Pluspunkt. Inhaltlich kam nicht viel Neues auf den Tisch. Das übliche Bla Bla beim Lebenslauf. Was ich schon länger nicht mehr gehört hatte, war der ominöse Anruf eines potentiellen Arbeitgebers, der da einfach mal so wissen wollte, „ob sie (Frau Sulner) nicht diesen oder jenen Job machen wolle“, in ihrem Fall den Pauschalistenjob bei der HAZ. Mentoren seien wichtig, Praktika nicht zu vergessen usw. Was gäbe es also noch Interessantes zu berichten, fragte ich mich.



Diese Todesanzeige geht zurück auf die Äußerung Martina Sulners, in 15 Jahren werde es immer noch Zeitungen geben. Recht hat sie, nur wie sieht diese Zeitung der Zukunft aus? Die HAZ hat kein Feuilleton, genauso wenig wie jede andere Zeitung im „Madsack-Imperium“. Todesanzeigen und sinkende Auflagen haben sie aber alle. Die Todesanzeigen finden sich übrigens recht häufig in dem Teil der Zeitung, der sich Feuilleton nennt. Ist das Zufall? Ist es Zufall, dass das Feuilleton laut Prof. Košenina immer die Seiten der Zeitung sind, die in Fitnessstudios, Bibliotheken, Friseursalons usw. als erstes vergriffen sind und wie hängt das mit den Todesanzeigen zusammen? Prof. Eva Martha Eckkramer von der Universität Mannheim äußert sich dazu ungewöhnlich vage für eine Wissenschaftlerin: „Anscheinend gehört der Todesanzeigenteil zu einem der meistgelesenen Teile einer Tageszeitung, der einen sehr hohen Grad an Aufmerksamkeit genießt.“¹ Arg rüde äußert sich dieser Blogger: „Hier in meiner unmittelbaren Umgebung interessiert es den geneigten Tagesblatt-Leser weit mehr, wer in den Todesanzeigen steht und wie die Heimmannschaft der 8.Liga am vorherigen Samstagnachmittag gespielt hat, obwohl man selbst dem Spiel seine bierflaschenbewehrte Aufwartung gemacht hatte. Wenn da im Feuilleton über eine Seite hinweg nur "Zicke-zacke-Hühnerkacke" zu lesen ist, merkt dass doch keine Sau.“ Es könnte also lange und ausgiebig darüber diskutiert werden, ob die Todesanzeigen deshalb im Feuilleton stehen, weil sie so beliebt sind, oder ob das Feuilleton deshalb immer vergriffen ist, weil die Todesanzeigen darin abgedruckt sind – die altbekannte Huhn-und-Ei-Frage, wobei ich noch nicht herausgefunden habe, wer die Todesanzeigen ins Feuilleton getan hat. Es könnte auch danach gefragt werden, ob sich hinter dem Feuilleton-Leser ein Aufschneider versteckt, der, seit es den Kindle gibt, leider nicht mehr als sogenannter „Bildungsbürger“ enttarnt werden kann, weil er nicht mehr in der Straßenbahn eine leicht zerlesene Ausgabe der „Dialektik der Aufklärung“ liest, sondern in einen kleinen schwarzen Kasten guckt, der auch die neueste Ausgabe des Lustigen Taschenbuchs anzeigen könnte. Solche Fragen will ich hier aber gar nicht stellen.

Was macht eine Zeitung zukunftsfähig? Frau Sulner sagte, dass es eine Gratwanderung sei, den „etablierten“ Abonnenten (Altersgruppe 60+) nicht zu verschrecken und andererseits den „jungen Leser“ zu gewinnen. Hier wird natürlich nicht nach Antworten gesucht, sondern lediglich die Schwierigkeit des Unterfangens herausgestellt. Frau Sulner äußerte sich – nicht ohne Bedauern – zu den letzten Marktanalysen der Madsack-Gruppe, die allesamt leider schon viel zu alt sind, um noch repräsentativ zu sein. Hoffentlich sind sie nicht schon so alt, wie die Abonnenten, wobei dies allerdings erklären würde, was bei der NP gerade passiert. Wie es nicht geht, beweist nämlich seit längerem die Neue Presse, indem sie sich bei den Schlagzeilen dem Niveau der Bildzeitung nähert. Auf Rückfrage meinerseits bei einem dort tätigen Redakteur sagte dieser, dass das ein heikles Thema sei und kontrovers diskutiert wurde, letztendlich aber der Abgrenzung (Schärfung?) des eigenen Profils dienen sollte. Aha! Mein Schuss ins Blaue dazu sähe ungefähr folgendermaßen aus: man betrachte einmal die Statistiken der Seite meedia.de² und veranschauliche sich die Grafiken der HAZ/NP und der Bild nebeneinander. Da fällt auf, dass sich die Käuferschicht der Bild nicht aus Abonnenten, sondern eher aus Direkteinkäufern zusammensetzt und die der NP und HAZ größtenteils aus Abonnenten. Die Zahl der Abonnenten zu erhöhen ist wie gesagt eine „Gratwanderung“, also bleiben nur die Direktkäufer. Das heißt, derjenige, der seine Zeitung althergebracht am Kiosk oder beim Bäcker einkauft, soll statt zur Bild jetzt zur NP greifen Das macht man mit einer reißerischen Schlagzeile und funktioniert wohl ähnlich wie bei dem Impulskauf an der Supermarktkasse, wenn man dort steht, wartet und plötzlich zu den Tic Tac greift. Ähnliches dachte sich wohl die NP und versucht nun mit reißerischen Schlagzeilen und A4-formatigen Werbeaufstellern, den Käufer beim Kiosk oder Bäcker auf die NP einzuschwören. Dadurch dass auch die Bild sinkende Auflagen hat und sich die NP trotzdem dazu durchrang, diese Strategie zu fahren, hätte das Ganze durchaus etwas altruistisches – denn wer liest schon gerne die Bild. Hätte, weil es scheinbar nur funktioniert, wenn das Niveau bei der NP selbst auch sinkt. Nicht die Zeitung ist hier die Ware, sondern der Leser.

Der hier zu Tage tretende Solipsismus zeigt sich auch an anderer Stelle. Wenn zum Beispiel Di Lorenzo und Schirrmacher von Katrin Göhring-Eckardt interviewt werden und sich im Kommentarstrang unter dem Interview nicht nur gelöschte Einträge (Meinungsfreiheit?!?), sondern vor allem unbeantwortete Kommentare wiederfinden (auf den Inhalt des Interviews einzugehen, obwohl streckenweise durchaus lesenswert, würde hier zu weit führen). Ich teile nicht die Meinung, dass „schöne Worte“ den Nimbus des „Einkanalmediums Zeitung“ hinwegredigieren können. Uneingelöst bleibt somit das „Dialogangebot“ (davon sprach auch Frau Martina Sulner). Da unterhält und streitet man sich lieber über die Zeitungsgrenzen hinaus aber bitte schön im erlesenen Kreis. Die heutige Avantgarde – und damit meine ich nicht den Literaturwissenschaftler oder die, die es noch werden wollen – liest ja sowieso mehrere Zeitungstitel, sie kann dem Gequassel problemlos folgen und folgt den Quasslern natürlich überall hin; sie geht dafür ins Fitnessstudio, zum Friseur oder in die Bibliothek, denn an steigenden Abonnentenzahlen kann man die Avantgarde leider nicht ausmachen. Wenn sich die Zeitungsmacher also weiterhin vor einem „echten“ Dialog verschließen, den Leser dazu verdammen, trotz bekundetem Interesse (Abonnement) immer ein wenig außen vor zu bleiben, ist das Feuilleton nichts weiter ein Statusemblem und die Zeitung nichts weiter als gutes Papier, um die guten schwarzen Schnürschuhe zum Glänzen zu bringen.

¹Eva Martha-Eckkramer, Sabine Divis-Kastberger, Die Todesanzeige als Spiegel kultureller Konventionen, Mannheim 2009?, S.19.
²Hier können sich fast alle Zeitungstitel der Madsack-Gruppe und so ziemlich alle großen Zeitungstitel angeschaut werden, ein Blick, der sich lohnt.

Teil 8

Freitag, 18. Mai 2012

Dramaturgie und Theater: Volker Bürger und Dr. Ole Hruschka

Teil 5

Felix Schwenzel schrieb vor kurzem, dass ihm genau die Vorträge auf der Republica am besten gefallen hatten, die von einer gewissen Unprätentiösität getragen wurden. Die Menschen, denen er zugehört hatte, waren allesamt flauschig und unprätentiös. So gesehen war auch das „Gespräch“ – um hier Dr.Ole Hruschka, zu zitieren, der dem gebotenen Rahmen nicht den sperrigen Begriff einer Vorlesung überzustülpen bereit war – welches am letzten Mittwoch in der Vorlesungsreihe „Angewandte Literaturwissenschaft“ stattfand, von solchem Charakter.

Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich bei meinem ersten Arbeitsantritt auf einer der Bühnen des Staatstheaters bei der Vorstellung durch einen Kollegen den anderen Anwesenden durch Hände in den Hosentaschen aufgefallen wäre. Ich glaube es waren drei Dinge, die ich bereits vor meinem ersten Arbeitsantritt eingebleut bekam: kein Pfeifen und Summen auf der Bühne, kein Handyklingeln und der wichtigste Punkt: habe niemals die Hände in den Hosentaschen. Im Ballhof ist das nicht ganz so strikt, da gibt es sogar mal Musik auf der Bühne, während ein Stück aufgebaut wird. In der Oper allerdings gab es Zeiten, da war bei einem solchen „Vergehen“ ein Kasten Herri fällig.

Dunkle Kleidung, nicht zwingend schwarz, reicht für uns Aushilfen aus, wenn wir nicht in den Pausen oder sogar während der Stücke Kulissen zu bewegen haben. Die schwarze Bekleidung mag für Festangestellte der Bühnentechnik gelten, für Dramaturgen und auch für solche, die es einmal waren, gilt das nicht, wie gut zu beobachten war. Sicherlich mag der ein oder andere Regisseur oder Schauspieler auf seinen schwarzen Rolli bestehen, wenn er außerhalb des Theaters auf ein Publikum trifft, und sicherlich zeigt er damit mehr Willen zur Identifikation zum Theaterschaffen als der Arzt, der in seiner Freizeit statt zur weißen Hose und weißem T-Shirt lieber die volle Farbpalette ausschöpft, bis hin zum gern getragenen rosafarbenen Polohemd mit dem kleinen grünen Krokodil drauf. An Identifikation mangelte es trotz der vermissten schwarzen Kleidung allerdings nicht. Letztendlich hat es wohl Stanislawski auf den Punkt gebracht: so ist doch der pragmatische, nämlich die Ausblendung alles gerade Unwichtigen, das Verhängen aller nicht bespielten Teile, schlicht ihre Neutralisation der Hauptgrund für das alles dominierende Schwarz am Theater.

Doch genug der Äußerlichkeiten und ersten Eindrücke. Ich bin übrigens genau anders herum vorgegangen, als ich meinen Beitrag hier begann und habe nur einen der beiden Vortragenden genannt, nämlich denjenigen, der in der Sitzung nur „nebenbei“ vorgestellt worden ist. Dr. Ole Hruschka störte das nicht, ganz im Sinne der Unprätentiösität, schob er sich während der Dramaturg Volker Bürger vorgestellt wurde, von seinem „Hiwiplatz“ rechts außen an der Tür in die Mitte des Raumes hinter den großen Schreibtisch und sortierte erstmal seine mitgebrachte Literatur, bevor er sich selbst ins Gespräch einbrachte und auf Fragen antwortete, die ihm gar nicht gestellt worden waren. Volker Bürger war nicht weniger unprätentiös, für Professor Alexander Košenina, so schien es mir, jedoch der interessantere Besucher. Bürgers Antworten begannen stets bei der zuletzt gestellten Frage und arbeiteten sich dann bis zur ersten Frage zurück. Am Schluss der „Vorstellung“ musste er einmal nachhaken, wie denn die erste Frage „nochmal gewesen“ sei, aber insgesamt machte er einen hochkonzentrierten, aufgeräumten Eindruck. Ein kleines Schatzkästlein an Zitaten hatte er ebenfalls im Gepäck, um die Aufgaben des Dramaturgen hinreichend zu erklären. Hier hielt er sich an die „richtige Reihenfolge“ und gab dann zum Beispiel wieder, dass der Dramaturg der erste und letzte Zuschauer sei. Mir kam es so vor, als sei der Dramaturg so etwas wie der Theaterredakteur.

Leider war die Vorlesung in puncto Tipps und Tricks längst nicht so ergiebig wie andere Veranstaltungen zuvor, was auch damit zusammenhängt, dass sich vieles wiederholte. Viel spielt sich im Theaterleben einfach über Sehen und Gesehen werden ab. Da muss es also nicht verwundern, wenn neben den einschlägigen Praktika vor allem die persönlichen Kontakte als Türöffner benutzt werden. Das wirklich Schöne ist: dieses lästige Bewerbungen Schreiben scheint in diesem Berufszweig längst nicht den Stellenwert einzunehmen, wie es in anderen Bereichen so üblich ist. Der Vitamin- B-Faktor ist dafür umso höher anzusetzen, was für den einen gut, für den anderen aber auch ziemlich ungünstig verlaufen kann (Volker Bürger berichtete anbei von einem Kollegen, der 800 Bewerbungen geschrieben hatte. Hut ab! Wenn man dabei auch noch auf Eigenheiten des jeweiligen Stadttheaters Rücksicht nimmt und sich durch Kenntnis der Spielstätte auszeichnen möchte, ist das eine echte Mammutaufgabe.). Interessanter als der Werdegang der beiden waren ihre Ansichten zum Berufsbild des Dramaturgen. Die unterschieden sich nicht groß voneinander, ergänzten sich aber gut, denn Dr. Ole Hruschka repräsentierte die distanzierte Perspektive, er war ja „nur“ bis 2007 als Dramaturg tätig. Volker Bürger vertrat hingegen den direkteren Blick auf das Tätigkeitsfeld. Diese Mischung aus Nähe und Distanz beschreibt dann auch gut den Zwiespalt, mit dem sich ein Dramaturg dem Theaterstück und seinen Protagonisten (Regisseure, Schauspieler, Bühnenbildner, Publikum usw.) nähern muss.

Vielleicht hätte meine Adaption zu einem kommentierten Fußballspiel hier viel besser gegriffen, wenngleich sich das Personalkarussell mit weniger öffentlicher Wahrnehmung dreht als beim Fußball ( längst nicht alle Zeitungen leisten sich einen Feuilleton, einen Sportteil hat sogar das hinterletzte Umsonstschmierpapier ). Es ist aber mindestens genauso schnell, was Volker Bürger so kommentierte: „Um Theater neu zu erfinden, braucht es auch neue Menschen“. Prof. Alexander Košenina konterte ungewohnt (ungewollt wahrscheinlich auch) bissig, indem er kurz danach von Amerika sprach: „In Amerika kann man sich alle paar Jahre neu erfinden…“ Das gab mir persönlich besonders zu denken, worüber ich auch noch nicht fertig bin.

Teil 7

Freitag, 11. Mai 2012

Lektorat und Verlag: Sabine Felsberg und Matthias Wehrhahn

Teil 4

Dem gewonnenen Freitagstexter ist die längere Pause zwischen Beitrag und Vorlesung geschuldet. Außerdem war ich mit mehreren Textenwürfen ins Rennen gegangen, die allesamt in meinem Ideenbuch verewigt sind, es aber bis auf den letzten nicht in dieses Blog geschafft haben.

Eigentlich hatte ich vor, aus der Vorlesung am letzten Mittwoch ein Fußballspiel zu machen. Die Mannschaften der Buchmarktliga, der FC Verlag geführt von Matthias Wehrhahn als krasser Außenseiter und die SpVgg Lektorat mit Sabine Felsberg an der Spitze, sollten im Continentalstadion aufeinandertreffen. Der Unparteiische, Alexander Košenina leitender Professor der Veranstaltung, gäbe, nachdem er die „Fans“ zur Ruhe bittet, den Ball frei. Anstoß hätte der Erstligist SpVgg Lektorat im Stadion des Drittligisten. So ungefähr sollte es losgehen. Es schlichen sich jedoch Zweifel ein im weiteren Verlauf der Vorlesung, ob ich den Vortragenden damit gerecht werden könnte, denn der Lektorin gleich zu Beginn vorzuwerfen, das Tempo verschleppt zu haben, trifft zwar im Kern zu – Professor Alexander Košenina musste wie schon öfter während der Vorlesungsreihe behutsam auf die Eingangsfragen zurückkommen, weil ihm wie auch mir die Antwort nicht konkret genug erschien – deshalb war das Gesagte aber nicht weniger informativ. Matthias Wehrhahn hingegen war präziser aber nicht weniger ausführlich, was in der Gegenüberstellung die bloße Veränderung der Reihenfolge des Genannten ergeben hätte.

Bei dem ungewollten Seitenhieb auf den universitären „Arbeitsalltag“ kam mir zum ersten Mal die Idee des Fußballspiels: ich wollte daraus ein verwandeltes Abseitstor konstruieren. Das wurde vom Publikum auch dementsprechend gewürdigt. Als Sabine Felsberg nämlich in einem Nebensatz erwähnte, dass sie nicht an der Uni bleiben mochte, sie wollte lieber arbeiten, hatte sie die Lacher auf ihrer Seite. Und wie bei einem Abseitstor bleibt so etwas zwar im Kopf, am Ergebnis ändert sich aber wenig. Überhaupt verfestigte sich in mir der Gedanke, die Hauptthesen, also die essentiellen Ratschläge, in Tore zu verwandeln. Ich hätte den Außenseiter, den FC Verlag, mit einer 2:0 Führung in die Halbzeit geschickt und mit einem knappen 3:2 gewinnen lassen. Das entpuppte sich als eines der Probleme bei der Übertragung auf den Rasen, denn mein Faible für Außenseiter spiegelte sich sozusagen nur im Ballbesitz wider. Der Redeanteil von Matthias Wehrhahn war größer aber Sabine Felsberg sagte nicht weniger wichtige Dinge, auch wenn sie häufiger nicht gleich auf den Punkt kam.

Machen, einfach mal machen, rechtfertigte dann den ersten regulären Punkt des „Spiels“ für Matthias Wehrhahn: Gründet einen Verlag! war seine Devise und dem kann ich nur zustimmen. Ein Freund von mir hat das gemacht und ein Buch eines befreundeten Professors verlegt. Ich habe Korrektur gelesen seinerzeit, umsonst und nicht als einziger. Das Thema ist mir nicht gänzlich unbekannt gewesen, es interessiert mich sogar ausgesprochen und außerdem kann ich so was und wurde dafür schon des Öfteren bezahlt: Korrekturlesen. Mit der Aufgabe ist mein Freund, der im übrigen Verlagskaufmann gelernt hatte, bevor er studieren ging, nicht immer glücklich gewesen, weil der Autor kein leichter Umgang ist. Hin und wieder verkauft er noch ein Buch über Amazon, wickelt Versand und Bezahlung ab, demnächst wird er auf einer Tagung, bei der sein Professor einen Vortrag hält, ein paar Bücher einpacken und versuchen, sie dort an den Mann zu bringen. Ansonsten ist das Projekt ein wenig eingeschlafen. Mir brachte es einen Folgeauftrag ein, diesmal mit Bezahlung und von umfangreicherem Kaliber. Hier durfte ich mehr tun, als nur ein paar Sätze umformulieren und Kommas setzen. Ich sollte auch Zitationen vereinheitlichen, sinnlose Satzenden ausmerzen, das gesamte Dokument formatieren, ein Inhaltsverzeichnis anlegen usw. Hurenkinder und Schusterjungen habe ich nur wenige ausgemerzt, das wird wohl der Verlag besorgt haben. Mittlerweile liegt die Arbeit vor. Wie bei meinem Freund ist das Ganze bei mir ein wenig eingeschlafen.

Das 2:0 waren dann die Kontakte; die erwähnten beide, daher war das keine einfache Entscheidung. Matthias Wehrhahn ist dafür sogar auf wissenschaftliche Tagungen gefahren und hatte, wie er sagte, bei einigen seiner dort geknüpften Kontakte Engelsgeduld beweisen müssen, bis sich daraus etwas ergab. Abschreckend wirkten aber weder die Zeitspanne bis zur Entstehung einer fruchtbringenden Verbindung, noch die scheinbar seltsamen Rituale auf solchen Tagungen, die laut Professor Košenina „sehr seltsam“ sein sollen. Natürlich spielten die Kontakte bei Sabine Felsberg keine geringere Rolle aber für die erste Halbzeit sollte dies genügen.

Die zweite Halbzeit wurde durch den Anschlusstreffer eingeläutet, der gerade in punkto „Generation Praktikum“ eine fahlen Beigeschmack enthielt. Aber natürlich hatte Sabine Felsberg Recht, wenn sie sagte, dass Eigeninitiative im Praktikum durch nichts zu ersetzen ist – es ging dabei nicht ums Kaffekochen. Es geht auch nicht um die Punkte für die Schlüsselqualifikation, die kann sich jeder halbwegs intelligente Student auch so ergaunern, es geht um die Schlüsselqualifikation an sich. Ich habe mir die Punkte nicht ergaunert aber anrechnen lassen, weil ich vorher eine Ausbildung gemacht und die Qualifikation zum Ausbilder erworben hatte, bevor ich studieren ging. Um das ASP kam ich aber nicht herum, was gut war, denn Praxis ist eben nicht zu ersetzen.

Den Ausgleich hätte ich „vorverlegt“, was mir einerseits zum Spannungserhalt gedient hätte und andererseits eine zweite Schwäche meiner „Übertragung ins Fußballspiel“ offenbarte: Die „Fans“, das Plenum bzw. Publikum. Ich konnte das Publikum ja nicht einfach auf das Spielfeld rennen lassen, den Rasen, Torpfosten und Eckfahnen entwendend am Spielgeschehen teilnehmen lassen. Wie sollte ich also die „Nachspielzeit“, die „dritte Halbzeit“ ins Spiel bringen, ohne nicht ein bisschen kreativer werden zu müssen? Gar nicht. Deshalb ist die Beantwortung der Frage, die nicht der eigentlichen Frage gewidmet war, eine doppelte Ausnahme, was sie sozusagen schon wieder regulär macht. Um ehrlich zu sein, habe ich die Frage vergessen, denn die Antwort darauf war viel zu kurz und auch unwichtig. Den wirklich interessanten Teil erbrachte erst das „Nachtreten“, ein unangenehmes Geständnis für den Belletristikbuchmarkt aus Sicht des Verlegers: Keine Gedichte, keine Kurzgeschichten, keine Newcomer! Belletristik zu verlegen, ist wie Schach, nur mit Würfeln ( Lukas Podolski sagte einmal, dass Fußball wie Schach sei, nur eben ohne Würfel ).

Das 3:2 wäre die absolute Hingabe gewesen, die Liebe zu dem, was man da macht, denn gute Bezahlung gibt es irgendwie immer woanders ( wahrscheinlich muss man dafür seine Großmutter verkaufen ). Das war ebenfalls kein eindeutiger Treffer, denn beide sprachen davon. Beeindruckt hat mich aber die abgeklärte Begeisterung von Matthias Wehrhahn, das Bekenntnis, damit nicht reich zu werden, wovon sicherlich auch Sabine Felsberg ein Lied singen kann, wo sie doch den „sicheren“ aber wahrscheinlich thematisch wie finanziell eingeschränkten Hafen der Festanstellung durch Selbstständigkeit ersetzt hat. Gegen den Trend zu arbeiten und sich auf eine „Grille“ zu versteigen, das imponiert, das gab den Spielausgang vor.

Tja, so hätte ein spannendes Fußballspiel enden können, bei dem die „Sieger und Verlierer“ auf dem Rasen nicht das Wichtigste waren.

Teil 6

Donnerstag, 3. Mai 2012

Literaturvermittlung und Salon: Eckhard Stasch, Jens Meyer-Kovac

Teil 3

Gotzeidank kommen tatsächlich noch echte Leute in die Vorlesung, Reinkarnationen jenes Stuckrad-Barres, der in seiner Show nicht nur den Mund zum Aufmachen findet, sondern vor allem für Widerworte nutzt. Die optische Größe dieser beiden sei einmal dahingestellt, doch auch das Format zu besitzen, sich nicht an den leitenden Dozenten, sondern an das „lethargisch anmutende“ Publikum zu wenden, hat etwas wachgerufen, was ich in der Vorlesung davor vermisst hatte, ohne es wirklich benennen zu können. Hier sprach niemand auf Augenhöhe. Hier sprachen verquere Geister in einer Art solipsistischen Dialog gegeneinander. Ständig musste seitens des Professors nachgefragt und konkretisiert werden, nie gab es eine einfache Antwort, ein glückliches Schulterzucken und ein: „Ja, so war das damals“. Hier wurde tatsächlich das erreicht, was ich mir von der Vorlesung erhofft hatte, auch wenn dem leitenden Dozenten sicher einiges nicht so geschmeckt hat.

Da gab es zum Beispiel das Bild des überkommenen „Salons“ in Berlin, bei dem ältere Frauen in windschiefen Einteilern an geschüttelt oder gerührten Drinks nippen, während einerseits der Vortrag seinen langweiligen Verlauf nimmt und andererseits der Putz von der Decke rieselt. Auch James Bond geht längst mit der Zeit und auch wenn die Protagonisten des „Literarischen Salons“ selbst längst in die Jahre gekommen sind, so wissen sie doch um ihren eigenen Wert. Sie sind jung und brauchen das Geld. Ob es nun Absicht oder Vorsicht ( der Größenunterschied war doch sehr offensichtlich ) war, will ich nicht beurteilen, aber der leitende Dozent lehnte meistenteils an einer Wand, von der ebenfalls der Putz rieselte – der weiße Putz auf dem Sauberlaufboden der schwül, überhitzen, vom Straßenlärm teils übertönten Veranstaltung im Raum 003 zeitigte ein Ergebnis, was ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht wagte, vorzustellen: Am Ende bleibt der Dreck nämlich einfach liegen.

Hier ist übrigens nicht von Genugtuung die Rede, sondern von einem Prozess, der sich verselbstständigt hat. Hier wird darüber philosophiert, ob es noch gesellschaftlich toleriert wird, wenn Carsten Maschmeyer 40.000 € locker macht und sich in den "Literarischen Salon" einkauft. Darüber haben wahrscheinlich – ganz ehrlich – nur wenige nachgedacht, mir aber kam der Gedanke und ich war froh auf eine so ehrliche ambivalente Antwort zu treffen, trotz der Schwierigkeiten, dies überhaupt vortragen zu können, denn die Fragen waren ja schon längst über diesen Punkt hinaus. Wie so oft waren die Gedanken des Professors über die wirklich unwegsamen Strecken, die Ypsilons ( wenn das überhaupt jemand versteht ), weit hinaus, stattdessen hagelte es Lobgesang, der zu elektrisierenden Schauern führte, die in den Füßen endeten – auf dem Teppich liegen blieben, zu dem man dann beschämt herabsah. Ich sah dort aber auch den rieselnden Putz.

Die kleinen Spitzen, das Ungesagte, machten den Vortrag erst richtig interessant. So etwas überhört man gerne bei seinem Lieblingsprofessor, bei den Gastdozenten nicht unbedingt. Wenn sie dann von ihren Dozenten sprachen, und welche Freiheiten sie genossen, und was die Dozenten ihnen alles zutrauten, Projekte in die große Welt entließen, unfertig, „unprofessionell“ – um im Wortlaut der Sprecher zu bleiben. Wo ist dieser Mut der hiesigen Dozenten, welcher Dozent ruft seine Studenten zur „Zweitverwertung“ auf? Wo sind die Dozenten, die sich zwanglos im Café um die Ecke mit ihren Studenten auf einen schlecht gemachten „latte macchiato“ treffen? Wo ist das Café der Germanisten nochmal? Was verbirgt sich hinter der „Kadettenanstalt“ und traut sich das überhaupt noch jemand zu fragen, bei der offensichtlichen Geringschätzung ( im Sinne der Masse, nicht im Sinne von Qualität ), die einem stets und ständig entgegengebracht wird? Wer sind diese Gesichter, denen nur die Fragen nach den Formalia locker im Ärmel sitzen? Wo ist das zum Zerreissen gespannte Publikum, das nicht nur durch Anwesenheit, sondern durch aktive Teilnahme glänzt?

Sie schauen betreten zu Boden, nicht in der Lage von der Nacktheit des Kaisers zu sprechen, weil sie keine Kinder mehr sind, sondern „gestandene Master-Literaturstudenten“, denen man nicht das kleinste Quäntchen Selbstinitiative zugesteht. Niemand „sieht“ den Dreck auf dem Fußboden. Niemand macht einen Vorschlag, wen sie im „Literarischen Salon“ hören wollen, aber alle unterschreiben den Sympathisantenwisch, als würden sie gerade den „Gefällt-mir-Button“ bei Facebook drücken. Ich will Andreas Glumm ( googelt doch einfach mal selber, ihr Smarties! ) im „Literarischen Salon“ sehen, dann komme ich vorbei und schaue mir den ganzen Zirkus an – Bukowski und Brautigan sind ja leider schon tot, was nicht heißt, dass ich mich nicht für neue Literatur interessiere, was schlicht heißt, dass ich weiß, dass meine Zeit hier begrenzt ist und ich nicht für jeden Scheiß Zeit habe.

So! Eckermann hat fertig.

Teil 5

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