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Morels Erfindung

Ich habe vor kurzem „Morels Erfindung“ gelesen. Seitdem geht mir nicht mehr aus dem Kopf, was da beschrieben wurde, was da passiert ist und wie das überhaupt weiter geht. Kurz zum Inhalt: Ein Mann verliebt sich in die perfekte Projektion einer Frau, in ihre Aufzeichnung, die so perfekt ist, dass sie nicht von einem sowieso abhandenen Original zu unterscheiden ist. Das Einzige, was diese Frau nicht kann, ist auf den Verliebten einzugehen, weil es sich ja insgesamt um eine Aufzeichnung handelt. Wir, die Leser, halten in unseren Händen ein Tagebuch, das davon erzählt, wie dieser Mann die Insel erreicht, herausfindet, dass es sich bei den dargestellten Menschen und Gesprächen um Projektionen handelt und zu guter Letzt sogar lernt, die Maschinen zu bedienen, die die Aufzeichnung immer wieder von Neuem starten lassen. Er bedient sie nachher so gut, dass er in der Lage ist, sich in günstiger Position innerhalb einer von ihm neu gestarteten Aufzeichnung an der Seite seiner Liebe zu präsentieren, die alte Aufzeichnung ohne ihn zu löschen und alles in der neuen Aufzeichnung so aussehen zu lassen, als wäre er schon immer Teil der Aufzeichnung gewesen.

Nur eines spricht dagegen, ihn als Grundbestandteil dieser neuen, von ihm in die Wege geleiteten Projektion zu sehen: das Tagebuch: „Morels Erfindung“. Der Verfasser des Tagebuchs, ich sage mit Absicht nicht der Autor des Buches, will, dass wir ihn als einen Bestandteil der Projektion, der dargestellten, aufgezeichneten Wirklichkeit wahrnehmen und nicht als hinzugeschnitten, als nachträglich eingeschoben. Warum schreibt er also dieses Tagebuch? Wie viele andere sind vor ihm auf der Insel gewesen und haben sich womöglich ähnlich verhalten, haben sich auf die gleiche Weise in die Aufzeichnung hineinbegeben wie er, ohne darüber etwas zu hinterlassen? Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Trithemius - 20. Aug, 10:33

Danke für den Hinweis. Jetzt verstehe ich auch, was Coster immer sagt, dass nämlich schon alles, was passiert, im großen Buch verzeichnet ist. FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher fragt, ob nicht die Wirklichkeit ist, was in den Datenbanken der Unternehmen und der Geheimdienste über uns gespeichert ist.

"Ob wir nicht schon in einem Zustand sind, wo plötzlich das, was über mich gespeichert wird, was über mich gelesen wird, die Wahrheit ist und das wirkliche, in der Welt lebende Individuum, das Ich, sozusagen nur noch ein Abklatsch dieser Wahrheit."

http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/hr/sendung_vom_18082013-102.html

Shhhhh - 20. Aug, 15:47

Das ist richtig. Was aber passiert, wenn wir der aufgezeichneten Wirklichkeit per Mutwillen sozusagen etwas hinzufügen und dies auch noch öffentlich machen? Und wie ist unser Handeln denn überhaupt anders zu verstehen, als mit dem Willen etwas darstellen zu wollen, was auch rezipiert wird?

Zu Schirrmacher und der Datenbankengeschichte fiel mir gerade dieser Text ein, der gerade am Anfang von einer konstruierten Wirklichkeit ausgeht, wie wir sie alltäglich in unserem Handeln entdecken können, natürlich längst nicht so extrem, wie hier dargestellt, aber bezöge man es zum Beispiel lediglich auf einer Standpunkt innerhalb einer Diskussion, bei der wir unserem Gesprächspartner gefallen wollen, so ist die Situation durchaus innerhalb jeden Alltags absolut jeder Person zu finden:

https://differentia.wordpress.com/2013/08/13/ich-werde-nicht-uberwacht-ein-selbstuberwachungsexperiment-feldforschung/
steppenhund - 21. Aug, 10:25

Das erinnert mich an meine große Liebe - nein, nicht die zu einer Frau sondern die zu einer Programmsprache. In den Achtzigerjahren war ich sehr erfolgreich mit der Sprache FORTH. Sie war ressourcenschonend, wahnsinnig schnell zur runtime und auch sehr schnell zu programmieren.
(Einen visuellen Editor, damals noch eine Seltenheit, konnte man in einem Tag programmieren. Ich habe damit Krebs- und Chromosomenanalyse programmiert. Auch heute noch sind auf Weltraumstationen 40% der eingebauten Geräte in FORTH programmiert.)
Was mich dabei so fasziniert hat, war die Verschmelzung von Vorhandenem mit dem von mir Dazuprogrammierten. In der Fachsprache heißt es, dass FORTH threaded interpreted code verwendet. Das sagt den Laien nicht. Aber tatsächlich, auf Morels Erfindung übersetzt, hieße es, ihn wirklich als Grundbestandteil zu sehen.
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Einen andere Assoziation, die sich mir aufdrängt, sind meine ehemaligen Überlegungen zu Original und Kopie. Anfänglich wurden Telefaxe auf Thermopapier ausgedruckt, da war die Unterscheidung leicht. Später als der Normaldruck aufkam und dazu die Auflösung so stark zunahm, dass man keine Ecken und Kanten mehr erkennen konnte, war es nicht mehr möglich, das Original von der gesendeten Kopie zu unterscheiden. Ich kann mich noch erinnern, wie ich in Japan begeistert war, als ich sah, wie die dortigen Telefax-Maschinen auf ein gesendetes Orignal einen Stempel platzierten. So wie ein kleiner Unterschriftenstempel, kreisrund, war damit in roter Tinte festgehalten, dass dieses Original per Telefax versendet worden war.
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Und die dritte Assoziation betrifft Günter Anders, der sich in den Fünfzigerjahren einmal über das Fernsehen ausgelassen hat. "Was ist jetzt real? Das Footballgame in Dallas oder die Übertragung, die ich hier in New York sehe?" An dieser Frage werden wir noch einmal stark zu kiefeln haben, wenn wir nicht mehr wissen, ob bestimmte Aussendungen verfremdet worden sind.

Shhhhh - 21. Aug, 19:59

Ja, es geht in dem Buch tatsächlich um so etwas wie Original und Kopie. Allerdings glaube ich nicht, dass es uns Alfonso Bioy Casares so einfach machen wollte. Was wir lesen ist bereits eine Kopie. Es gibt kein original erhaltenes Tagebuch, dessen Inhalt sich Bioy ermächtigte, um es uns dann zu präsentieren, selbst wenn die Anmerkungen auf Seite 81 meiner Suhrkamp-Ausgabe auf genau jenes anspielt - im übrigen war dies meine erste eingelegte Lesepause, zu der ich aus Zeitgründen gezwungen war und wie mir bereits vorher klar war, der Anfang einer Schlüsselszene des Romans.
Aber zurück zu Kopie und Original. Was ist denn Original und was Kopie, die vor dem geistgen Auge erschienene Skizze eines Gemäldes, bevor es gemalt wird oder das hinter Glas geschützte Kunstwerk in einem Museum? Ich denke, Bioy wollte eher darauf hinaus, das das Original nie als ein solches zu betrachten ist, es gibt kein Original, es gibt keinen Urzustand, keinen Anfang.
Das ist nur meine eigene bescheidene Interpretation eines winzigen Details dieser Erzählung
steppenhund - 21. Aug, 22:04

Naja, so winzig scheint mir dieses Detail nicht zu sein. Da dreht sich unter anderem jede Diskussion über Kunst darum. Ja man könnte sogar behaupten, dass Kunst davon lebt, ein Originator zu sein.
Ich behaupte einmal, dass es in 50-100 Jahren das Thema schlechthin sein wird, wie weit wir noch ein Original finden werden können. Letztlich wird es von den Menschen abhängen, die sich Authentizität bewahren können, was in der heutigen Zeit schon nicht mehr so leicht ist.
Shhhhh - 22. Aug, 08:23

Nicht die Kunst, allerhöchstens die Kunstschaffenden sind die Originatoren. Und die Diskussion über das Original, den Urzustand ist schon seit geraumer Zeit in Gange, die gesamte Wissenschaft richtet sich darauf aus, das Ur- zu finden.
steppenhund - 22. Aug, 13:08

Den Begriff Kunst hatte ich als Oberbegriff verwendet - eine virtuelle Zusammenfassung aller Kunstschaffenden.
Trithemius - 22. Aug, 09:24

Anders als in der bildenden Kunst, wo das Original noch an Material gebunden ist, kann man bei Texten das Original (von lateinisch origo ‚Ursprung) kaum noch auffinden. Was ist beispielsweise bei meinem Kommentar das Original? Während des Schreibens habe ich ihn laufend verändert, Tippfehler getilgt, Sätze umgestellt, Wörter ausgetauscht. Was dann zu sehen ist, nachdem ich auf Kommentar senden geklickt habe, ist nur scheinbar das Original. Aber dieses vermeintliche Original ist auch im Nachhinein noch form- und knetbar, und zwar spurlos zu verändern. Auch du kannst in dieses Original eingreifen und es völlig verändern. Wir sehen nur noch die Oberfläche eines Textes, ohne das wirkliche Original je auffinden zu können. In alter Drucktechnik gab es das Manuskript, die Vorlage, und den darauf beruhenden Druck. Beim Manuskript konnte man vom Original sprechen, obwohl wir auch nichts über dessen Entstehung wussten. Es gab aber zumindest eine Urschrift. MIt ihr ließ sich das Gedruckte vergleichen. In der schwarzen Magie galt für Zauberbücher das Abschreibverbot. Denn nur das Original, die Handschrift, hatte Zauberkraft. Die Kraft steckte im Material der Handschrift. Für die Germanen steckte die Kraft sogar im Material der eInzelnen Rune. (vergl. Egils Errettung der kranken totkranken Helga: http://abcypsilon777.blog.de/2006/11/16/uber_sprache_und_schrift_2_buchstabenmag~1335820/ )
Unsere Wertschätzung des Originals hat auch etwas mit dem bis heute nicht ausgestandenen Universalienstreit zu tun. Deine Frage : Wie wirklich ist die Wirklichkeit? wäre zu ergänzen "Wie wirklich ist die Wirklichkeit in einer Schriftkultur?

Shhhhh - 22. Aug, 11:34

Das ist mir alles zu weit weg vom Buch. Es ging eher um die willentliche Veränderung eines Originals/ einer Kopie mit Ansage, ohne jedoch auf den Hinweis zu verzichten, die Kopie als Original betrachten zu sollen geschweige denn die eigene Tat zu vertuschen.
Die Frage "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" stammt ja nicht von mir, sondern ist von Paul Watzlawik gestellt worden. Wenn demnach unterschiedliche Sinne oder aber sogar der gleiche Sinn mit unterschiedlichen Mitteln angesprochen wird, wie etscheidet dann der Mensch? Stell dir vor, du wärst auf dieser Insel und würdest diese Aufzeichnung der Personen sehen, die perfekte Projektion. Du könntest nur an der fehlenden Reaktion dieser gezeigten Menschen erkennen, dass etwas nicht stimmt und würdest mühevoll erarbeiten müssen, dass es sich nur um Projektionen handelt. Alles wäre für dich echt, sogar nachdem du erfahren hast, dass es sich nur um die Aufzeichnung ein paar schöner Tage auf einer Insel handelt, wäre das Ganze noch echt. Und nur wenig später findest du in einem Keller das Tagebuch, in dem beschrieben wird, wie sich eine Person in diese Aufzeichnung hineingestohlen hat, sozusagen hineingeschnitten. Und diese Person verlangt von dir, deine ursprüngliche Meinung beizubehalten, obwohl du weißt, dass sie falsch war. Das ist das Dilemma.
Trithemius - 22. Aug, 12:03

Hm, ich dachte der Dialog wäre schon weiter fortgeschritten und krieg jetzt einen drüber. Natürlich geht es um aufgeschriebene Wirklichkeit, um Erscheinungen der Schriftkultur. Du redest ja über ein Buch, in dem es um Aufzeichnungen geht, oder?
Watzlawick meint allerdings die Konstruktion der Wirklichkeit durch menschliche Kommunikation, mithin Sprache.
Shhhhh - 22. Aug, 12:19

Vielleicht ist Aufzeichnung als Universalbegriff genau das was uns hier scheitern lässt. Die Aufzeichnung, von der ich rede ist eine Aufzeichnung in Bild, Ton, Geruch und allen anderen Sinnen derer wir mächtig sind. Die Tagebuchaufzeichnungen legen nur Zeugnis über das Handeln des Protagonisten ab und schildern die Abläufe der gesehenen Bilder.

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