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Die astralen Novelletten : Scheerbart III

Von der spekulativen Philosphie

Teil I
Teil II

Wenn Timaios davon spricht, dass die Welt nur sich selbst genügen müsse, ohne auf andere angewiesen zu sein, demzufolge eine für sich perfekte Form darstellt, bedeutet dies im Umkehrschluss jedoch, dass sich die Bewohner auch ihrem Planeten anzupassen haben, wenn sie mit ihm in Einklang leben wollen. Diese Erweiterung des platonischen Weltseelekonzeptes ist bei Scheerbart ebenfalls häufig zu finden. Daraus erwachsen in den verschiedenen Novelletten mehrere Probleme, die auf höchst unterschiedliche Weise gelöst werden. In der Venusnovellette z.B. leidet die Bevölkerung, die aus zwei unterschiedlichen Spezies besteht, an einer Verknappung des Platzangebotes wegen der hohen Fruchtbarkeit des Sterns. Die Fortpflanzung geht hierbei völlig unerotisch vonstatten und ist ähnlich der Nahrungsaufnahme eher ein Reflexakt, vergleichbar mit der Atmung des Menschen. Es hält den Menschen notwendigerweise am Leben, man kann es aber nicht vergessen oder sein lassen, ohne zu sterben. Die Bewohner aber sind dem Leben genauso verpflichtet wie der Mensch und so wird die Situation immer schwieriger. Während die eine Spezies eher faul am Boden liegt, ist die andere ständig in Bewegung und braucht deshalb sehr viel Platz. Das Problem wird gelöst, indem Heißlufteruptionen zum Auffüllen riesiger Ballons benutzt werden, die in entsprechender Höhe angebracht, den für die zweite Spezies so wichtigen Platz schaffen. Die Lösung wird von der Tektonik des Planeten begünstigt. Die Wechselbeziehung, die durch die Fruchtbarkeit, die Nahrungsbereitstellung des Planeten für seine Bewohner und nicht zuletzt die Heißlufteruptionen gekennzeichnet ist, zwischen dem Planeten und seinen Bewohnern wird verstärkt.
Ein ähnliches Problem haben die Bewohner Vestas, die ebenfalls unter der Unangepasstheit an ihren Heimatplaneten leiden. Durch ständige Bewegung auf dem Meer und dem Versuch des Gegensteuerns der Bewohner entsteht statt einer Wechselbeziehung ein Abhängigkeitsverhältnis der Bewohner zu ihrem Stern. Sie sind quasi darauf angewiesen, sich ihren Lebensraum zu erkämpfen, anstatt ihn in Einklang mit der Bewegung Vestas zu nutzen. Dass dies möglich ist, beweist das Ende der Geschichte und viel eminentere Fragen des Daseins rücken für die Bewohner in den Fokus: die Lobpreisung des Himmels, der die Vestabewohner mit Nahrung versorgt. Das Bestreben der Bewohner dem Himmel nahe zu sein, erwächst hier aus zwei Faktoren heraus. Zum Einen geschieht das, weil der Himmel der Ernährer der Bewohner ist und zum Anderen ist der Blick auf ein „Dahinter“ oder das Unbekannte durch dichte Wolkenmassen versperrt, was den Mystifizierungseffekt des Ersteren noch verstärkt. Dem Himmel näher zu sein, ist für die Bewohner somit von großer Bedeutung. Die negative Konnotation des „Turmbaus zu Babel“ durch seine Folgen, der Sprachverwirrung, entfiele, wenn ein Vergleich der alttestamentarischen Überlieferung herangezogen würde. Statt gottgleich wollen die Bewohner ihm nur näher sein, den Himmel und seine Geheimnisse erforschen. Dass diese Verbindung keineswegs aus der Luft gegriffen ist, bewies bereits Speier in seinem Aufsatz zu „Lesabéndio“, er brachte jedoch den Mondroman „Die große Revolution“ damit in Verbindung – sah ihn kompositorisch sozusagen als Vorstufe zu „Lesabéndio“, da dort entgegen dem in beiden Romanen bestehenden Widerstand das Bauvorhaben in die Tat umgesetzt wird. In „Lesabéndio“ führt es sogar zur Erlösung der Bewohner und dem Aufgehen in etwas Höheres. Nicht kompositorisch sondern motivisch gesehen stellt dann die Vesta-Novellette eine Vorstufe des Romans dar, denn auch hier geht es um den Turmbau. Auch hier ist das Motiv positiv besetzt, wenngleich der Abschluss in seiner Kürze keinen Aufschluss über die langfristigen Folgen für seine Bewohner gibt.
Ein drittes Beispiel sei noch kurz angeführt. Dabei versuchen sich die Bewohner Junos zu erinnern, wie sie zu ihrem jetzigen Leben gekommen sind. Die Bewohner sind zu Baumriesen geworden mit weitverzweigten Ästen und Wurzeln, die sich um die scheibenförmige Welt in Form einer Kugel ausgebreitet haben. In der Mitte der Scheibe jeweils zur Unter- und Oberseite sind sie am höchsten. Zum Rand hin flachen sie ab, so dass der Eindruck entsteht, Juno sei eine Kugel. Das Einheitsprinzip von Bewohnern und Stern wird hier auf die Spitze getrieben. Sie leben nämlich nicht nur im Einklang mit ihrem Stern, sondern auch längst in Einklang mit sich selbst, was außerdem die Frage einer Harmoniehierarchie aufwirft. Die Frage ist tatsächlich, was kommt wohl zuerst. Ist es die Harmonie der Bewohner mit dem Planeten oder die Harmonie der Bewohner unter sich? Ferner wird hier motivisch ebenfalls auf den „Lesabéndio“ Scheerbarts verwiesen, bei dem die Einzelwesen in einem höheren „aufgehen“ – sich mit ihm zu einem Wesen vereinen. Durch Bratengeruch – wieder eine bizarre Vorstellung – wird das Erinnern der Junobewohner begünstigt. Sie stellen fest, dass sie früher viele kleine Einzelwesen gewesen sein müssen, die sich gegenseitig aufaßen. Dieser Gedanke erscheint ihnen so töricht, dass sie darüber lachen müssen.



Charakter ist nur Eigensinn. Es lebe die Zigeunerin!
Paul Scheerbart


Sind Scheerbarts „Astrale Novelletten“ nun der Science Fiction zuzuordnen? Ist diese generelle Einordnung sinnvoll? Mitnichten. Scheerbarts Dichtung ist zu breit angelegt um in das enge Korsett der Science Fiction gepresst zu werden. Die Elemente von Science Fiction sind in Hülle und Fülle gegeben. Nicht nur die Schauplätze, die mehrheitlich im Weltraum liegen, sondern auch die Protagonisten seiner bizarren Welten, sind außerirdisch. Legt man nur diese Kriterien zugrunde, wäre die Einordnung sinnvoll. Aber am Kern seiner Dichtung – und das kann längst nicht nur auf die „Astralen Novelletten“ bezogen werden – ginge dies vorbei. Sowohl kompositorisch als auch motivisch durchziehen Scheerbarts Werk mehrere rote Fäden, die einmal aufgenommen, in mäandrierender Viel- und Einfalt den gesamten Korpus der Scheerbartschen Dichtung durchziehen. Es beginnt mit philosophischen Betrachtungen der Seele und ihrem Vorhandensein im Unbelebten, schlägt Haken, setzt Naturgesetze außer Kraft, um schlussendlich wieder von vorn zu beginnen, noch einmal zu lesen und tiefer zu graben. Das Große erkennt sich im Kleinen und umgekehrt.
Hier sind nur wenige Beispiele herangezogen worden. Eine Beschränkung auf die „Astralen Novelletten“ schien zuerst notwendig, da der Umfang der Scheerbartschen Dichtung die Grenzen dieser Arbeit gesprengt hätte. Im Nachhinein betrachtet hat es sich als viel zu einseitig erwiesen, um sowohl dem Einzel- als auch dem Gesamtwerk Rechnung tragen zu können. Zurück bleibt ein Gefühl von Unvollständigkeit. Und vielleicht liegt darin auch das hauptsächliche Anliegen Scheerbarts: ein augenzwinkernder Hinweis auf die Vielschichtigkeit unserer Weltanschauungen und dem Wenigen, was der Mensch daraus zur Wahrheit erhebt. Um es mit Fechner zu sagen: „Die heutige Weltanschauung hat das Auge des Flohes auf dem Stiere; der Floh würde den Stier für lebendig halten, wenn er hüpfte wie ein Floh mit den Flöhen. Der Stier aber wandelt langsam mit den Stieren der Herde, gehorsam folgend dem Stabe des Hirten.“
Trithemius - 15. Mai, 18:38

Mir ist beim erneuten Lesen aufgefallen, dass man das Groteske von Scheerbarts Planeten und deren Bewohner auch als Tarnung ansehen könnte und die Noveletten eigentlich Allegorien sind. Als irdischer Leser könnte man denken, eigentlich ist die Erde gemeint mit den Problemen, die von der Gattung des Menschen verursacht werden. Dann wäre Scheerbarts Grundhaltung die eines Ingenieurs, und seine Botschaft lautet: Man kann mit Hilfe von Ingenieurswissen alle Probleme lösen. Dieser Glaube an die Allmacht der Ingenieure findet sich besonders stark bei Scheerbarts Zeitgenossen Hans Dominik. Scherbarts Idee mit den Heißlufballons erinnerte mich an eine ähnlich absurde Idee, wie man der Klimaerwärmung begegnen könnte. Geoingeneering http://www.biosphaere.info/biosphaere/index.php?artnr=000347
beispielsweise den Vorschlag, die Ozeane mit Tennisbällen zu bedecken.
Scheerbart ist ja schon 1915 gestorben, hat also die hohe Zeit der Ingenieurswissenschaften nicht mehr erlebt (anders als Hans Dominik), wohl aber vielleicht vorausgeahnt. In diesem Sinne könnte man sagen, Scheerbart hat das Geoingeneering erfunden und wäre demnach durchaus als SF-Autor zu bezeichnen.

Shhhhh - 16. Mai, 08:47

Es gibt noch weitere Hinweise, die eine Zuordnung zum Genre der SF zulassen. Genannt sei hier der Artikel des Luftmilitarismus, in dem er klar Stellung bezieht zur Übermacht der Luftstreitkräfte gegenüber den anderen militärischen Verbänden. Grundsätzlich ist Scheerbart aber eher kein Prophet und wollte dies sicherlich auch nicht sein.
Ob sich ein Vergleich von Scheerbart und Dominik anstellen lässt, ist fraglich, da Dominik ebenso wie Laßwitz über eine naturwissenschaftliche Ausbildung verfügte ( er war Ingenieur und Laßwitz hatte einen Doktor der Physik ).
Mit Hilfe von Ingenieurswissen jedes Problem lösen zu können, wird von Scheerbart eher karikiert, wenn man bedenkt, wie nachlässig er teilweise in der Logik seiner Geschichten war. Da treten Probleme auf, die nicht gelöst werden und am Ende der Geschichte plötzlich überhaupt keiner Erwähnung mehr wert sind.
Beim Steuermann Malwu zum Beispiel stoßen die Inseln aufgrund des sich verwirbelnden Wassers auf dem Planeten immer wieder zusammen. Es werden Stücke der Inseln abgebrochen und es kommt zu starken Erschütterungen, die immer wieder Opfer fordern. Trotz der Errichtung der Türme und dem Niederlassen der Bewohner auf denselben, müsste dies doch die Stabilität der Türme weiterhin bedrohen. Die Bewohner aber leben ab jetzt sorgenfrei in Himmelsphären und die Kollisionen der Inseln untereinander sind plötzlich so unwichtig, dass sie keine Rolle mehr spielen.

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