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Die astralen Novelletten: Scheerbart II

Teil I gibt es hier.

Von den Naturgesetzen und der Wissenschaft

Während Scheerbart in „Professor Kienbeins Abenteuer“ noch sehr behutsam vorgeht und den Erzähler erzählen lässt, was ein weiterer erlebt hat, ist er an anderer Stelle offensiver gegen die Naturgesetze vorgegangen. Bei der zuerst angesprochenen Novellette trifft der Erzähler auf den Professor, der ihm Tagebucheinträge zum Abschreiben überlässt. Darin ist von einem Neptunwesen die Rede, dass so dünn und feinhörig ist, dass ein Kontakt nur durch die Erfindungsgabe des Professors Kienbein zustande kommt. Die beiden unterhalten sich, das Sichtbarmachen des Wesens scheitert aber. Das Neptunwesen erzählt dem Professor von der Arroganz der Menschheit und ihren Naturgesetzen, bleibt dabei jedoch stets unpräzise. „Es ist einfach – alles komplizierter…“ , hört man das Wesen ein ums andere Mal von sich geben. Der Gravitation setzt das Wesen das Prinzip der Abstoßungskraft entgegen und vergleicht den vom Menschen geschaffenen Kosmos und den darin angeblich vorherrschenden Gesetzen mit dem im 19. Jh. entstandenen Verfassungsstaat. Scheerbart scheint hier beides, Naturgesetze und Verfassungsstaat in ihren jeweiligen Absolutheiten in Zweifel ziehen zu wollen. Im Übrigen ist dies die einzige „Begegnung der dritten Art“ in den Novelletten.
Dass Scheerbart keineswegs nur über „Dritte“ vermittelt, wird in der Jupitermond-Novellette sehr deutlich. Die beiden Forscher, die im Laufe der Jahre 2009 bis 2012 ein großes Teleskop betreiben, benötigen für die Weiterfinanzierung ihres Projekts Ergebnisse. Nach mehrmaligem Ausbau der Anlagen kommt es durch Zufall zu einem ansehnlichen Resultat. Es werden in einer Nacht Hunderte von Bildern produziert, die in den kommenden Jahren ausgewertet werden. Das Prinzip der Luftspiegelung, die Fata Morgana, benutzt Scheerbart in unverschämt unwissenschaftlicher Weise. Hier lässt er die Wissenschaftler einen Nebel entdecken, der durch seine speziellen Luftschichten wie eine Linse funktioniert und den Blick auf den Jupitermond freilegt. Die Atmosphäre dieses Mondes wird entgegen der Gravitation von Flüssen durchzogen, lapidar stellt einer der Forscher hier fest: „Eine Anziehungskraft, die der Anziehungskraft entspricht, die wir auf unserer Erde kennen, existiert auf diesem Jupitermonde nicht. Das überrascht uns ja heute nicht mehr. Vor hundert Jahren wäre das noch ein Ereignis gewesen. Aber wir wissen ja schon längst, daß ein jeder Stern eine ganz besondere Art hat, die Gegenstände und Lebewesen, die sich auf seiner Oberfläche befinden, festzuhalten. Und so gehen auf unserm Jupitermond die Flüsse durch die Lüfte – wie Rankengewächse.“ In der Sonnenring-Novellette geht Scheerbart sogar soweit, den Luft-Yacht-Besitzer Winckler das Prinzip der Gravitation als Irrlehre zu bezeichnen, weswegen er die beiden Passagiere aus Mexiko ausfliegen muss, um sie in Japan in Sicherheit zu bringen. Die Kreisbahn der Planeten um die Sonne ist demnach kein Abhängigkeitsverhältnis. Nicht zum ersten und längst nicht zum letzten Mal werden Sterne zu Personen erhoben, die mit unbestimmter Kraft zu lenken versuchen. Der zweite Aspekt ist die Relativierung der Wissenschaft, vor allem der Physik.
Anziehungskräfte aber auch optische Gesetzmäßigkeiten sind die bevorzugten Spielfelder des Scheerbartschen Kosmos. Die Biologie, insbesondere die Fortpflanzung und Ernährung, sowie die Physiologie seiner Figuren dienen nur der Verzierung. Hier entstehen für die Außerirdischen keine Zwänge oder Affekte. Dafür erwachsen aus den freiwillig aufgenommenen Tätigkeiten der Bewohner seines Universums gewisse Notwendigkeiten. Neben dem freien Gedankenspiel und der künstlerischen Betätigung ist es vor allem die Beobachtung anderer Welten, die von den Bewohnern betrieben wird und die auch dem Menschen als bevorzugtes Betätigungsfeld dient. Hierbei sind sowohl die Fata Morganas als auch die Teleskope eine nützliche Hilfe bei der Konstruktion seiner Geschichten. Neben der Jupitermond-Novellette wird das Luftspiegelungs-Prinzip auch in der Eros-Novellette verarbeitet. Ein Komet, der etwa alle 30 Jahre in kurzer Distanz an der Erde vorbeikommt, wird von einem Astronomen und der Schiffsbesatzung beobachtet. Bezeichnend ist, dass sich das Schiff nahe dem Südpol festgefroren im Eis befindet. Als die Novelletten erschienen, war dies ein hochaktuelles Thema, denn Scott und Amundsen waren auf dem Weg zum Südpol, um eine der letzten weißen Flecken auf der Weltkugel zu tilgen – dies Motiv hat Scheerbart mit vielen anderen Science Fiction Autoren gemein, die sich, ähnlich wie Scheerbart, mindestens auf wenig bekannte bzw. erforschte Gebiete stützten, höchstens jedoch in den Weltraum verlegten, um ihren Erzählungen den passenden „exotischen“ Rahmen zu verleihen.
Die Besatzung des festgefrorenen Schiffes in der Eros-Novellette kann ebenfalls von den Vorzügen einer Luftspiegelung profitieren und den Kometen aus nächster Nähe betrachten. Dabei stellen sie fest, dass auch die Bewohner des Kometen Fernrohre bauen, um den Weltraum zu studieren. Darüber hinaus wird vom Kapitän des Schiffes und auch vom Astronomen spekuliert, wie weit die Atmosphäre der Erde reicht und ob nicht auch Luftspiegelungen zur Vergrößerung der Mondoberfläche möglich sind. Bei Scheerbart gibt es keinen Platz für exakte Wissenschaften, wohl aber für den kreativen „Ausbau“ herrschender Theorien zu Einzelphänomenen in der Optik oder Gravitation.

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Zuletzt aktualisiert: 22. Mär, 21:06

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