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Die astralen Noveletten: Scheerbart I

Der Weltseele wollen wir näher sein – das ist die Hauptsache.
Paul Scheerbart


Als Hugo Gernsback in seinem Eingangsaufsatz „A New Sort of Magazine“ für seine neue Zeitschrift „Amazing Stories“ das begriffsgeschichtliche Fundament für die Science Fiction legte, ahnte er sicherlich nicht, dass er damit ein neues Genre der Literatur aus der Taufe hob – zumal die Entstehung des Genres nicht Hugo Gernsback zu verdanken ist. Schon wesentlich früher gab es Literatur, der sich dieser Stempel aufdrücken ließ. So startete auch Gernsback – den Erfolg im Auge behaltend – in seiner Zeitschrift vorerst mit populären Autoren der Vergangenheit. Jules Verne und H.G Wells beherrschten anfangs das Format. Ob Gernsback für sein Magazin Paul Scheerbart – ein Zeitgenosse H.G. Wells – in Betracht gezogen hätte, wenn er ihn gekannt hätte, ist nur ein Teilaspekt dieser Betrachtung aber wichtig genug, um hier einleitend erörtert zu werden.
Paul Scheerbart erfreute sich zu keiner Zeit großer Popularität. Bis heute ist ihm die große Leserschaft versagt geblieben. Auf dem amerikanischen Buchmarkt sind bis heute nur vier Romane erschienen. Ein Problem mit Scheerbart besteht darin, ihn in der Literatur des späten 19. und beginnenden 20. Jh. richtig zu verorten. War Scheerbart kein typischer Science Fiction Autor? Reclams Science Fiction Führer würdigt ihn zwar in einem mehrseitigen Artikel, kommt aber nicht umhin, die Diskrepanzen der Zuordnung aufzuzeigen. Die astralen Novelletten – von Reclam mit einer kurzen Rezension versehen – gehören Reclam zufolge eindeutig zum Korpus der Science Fiction, „…jedoch ist die kosmische Welt des Paul S. dem wissenschaftlichen Weltbild seiner Zeit nur wenig verpflichtet, ‚Science´ spielt so gut wie keine Rolle.“ Aber was heißt das genau, dem wissenschaftlichen Weltbild seiner Zeit wenig verpflichtet zu sein? Science Fiction ohne Science? Geht das überhaupt? Wie Reclam und auch andere bereits festgestellt haben, war Scheerbart kein prototypisches Beispiel für einen Science Fiction Autor. Seine lebenslange Affinität zum Perpetuum mobile – von ihm liebevoll „Perpeh“ genannt; die wenigen Aspekte echter Vorausschau – für manch einen Rezensenten durchaus von Belang; und auch die bizarren Beschreibungen seines Kosmos passen nicht wirklich zu den Science Fiction Autoren seiner Zeit. Die waren häufig selbst Ingenieure oder Wissenschaftler, technisch keineswegs unbedarft. Bei Scheerbart hingegen bleiben immer offene Fragen zurück, er war den Naturwissenschaften weder durch Ausbildung noch durch Berufung verbunden. Bei einer Zuordnung seiner Werke bleiben immer ein paar Fallstricke und Hintertüren. Hans-Michael Speier hat auf die Frage nach den Inhalten von Scheerbarts „Lesabéndio“ ein Antwort gefunden, die durchaus auf andere Werke von ihm übertragbar ist. Er sieht dort ein dreidimensionales Themengeflecht, „…denn neben Mythos und Technik ist spekulative Philosophie die dritte wichtige Dimension“. Dem Mythos sind bereits einige Autoren nachgegangen, nicht zuletzt Speier, die Technik bzw. Wissenschaft kommt in den Astralen Novelletten sehr kurz, wie bereits Reclam in puncto Science vermerkte. Die „spekulative Philosophie“ aber hat in den astralen Novelletten keinen geringen Anteil und wird in fast jeder der 12 Geschichten behandelt. Scheerbarts Konzept von der Beseeltheit der Welt – ja der Beseeltheit des gesamten Kosmos – ist dabei nur ein Teil dieser 12-teiligen Variation aber auch Bindeglied der astralen Novelletten in einem.

Von der Weltseele

Das Weltseelekonzept, also die Beseelung der gesamten Welt, ist ein herausragendes Motiv bei Scheerbart. Dabei wird davon ausgegangen, dass jedes Lebewesen mit einer Seele ausgestattet ist. Die Seele ist in der Vergangenheit unterschiedlich gedeutet worden. Anfänglich ist sie Teil eines Ganzen, später dann ein Stück des Göttlichen in allem und jedem. Dies schließt neben dem Menschen die Pflanzen ebenso mit ein wie die Tiere und Menschen. Dem Ursprung zufolge, der in Platons fiktiven Dialogen zwischen Timaios und Sokrates zu suchen ist, endet die Beseelung der Welt aber nicht bei den Dingen auf oder in ihr. Vielmehr ist die Welt selbst beseelt. Timaios spricht in diesem Zusammenhang von einer geradezu idealen Welt, eine vollkommene Form, ohne Gliedmaßen, Stoffwechsel oder gar Sinnesorganen, denn „…wenn sie sich selbst genüge, werde sie besser sein, als wenn sie noch anderer bedürfe.“
Wenn man in die Lexika zu Zeiten Scheerbarts nach dem Begriff der Weltseele sucht, fällt auch unweigerlich der Name Agrippa von Nettesheim ins Auge – sozusagen die geistige Brücke zum Mittelalter, der in seinen drei Büchern „DE OCCULTA PHILOSOPHIA“ dem Weltgeist und seinen Kräften mehrere Kapitel widmet. Agrippa redet in diesem Zusammenhang von einem „spiritus mundi“, also dem Weltgeist. Gustav Theodor Fechner, Physiker und Philosoph, war ebenfalls ein Anhänger des Weltseelekonzeptes, wie aus seinen Schriften hervorgeht und zugleich war er ein wichtiges Bindeglied zu Scheerbarts Werken. Dies haben bereits mehrere Autoren anhand von Zitaten, Briefwechseln und Textstellen aus Scheerbarts Gesamtwerk nachgewiesen.
Platon, zuvor bereits angesprochen, ist jedoch neben Fechner die wichtigste Quelle, wenn es um das Weltseelekonzept geht. Platons Werk ergibt sich aus einem Dialog. Timaois‘ Anruf der Götter, Sokrates Ermunterung fortzufahren und die darauf folgenden entscheidenden Kapitel geben Aufschluss über den starken Zusammenhang der Reden des Timaios und den Astralen Novelletten. Timaios sagt dazu: „Indem er ( der Weltschöpfer ) es überdachte, fand er, daß unter dem seiner Natur nach Sichtbaren nichts Vernunftloses als Ganzes je schöner sein werde als das mit Vernunft Begabte als Ganzes, daß aber unmöglich ohne Seele etwas der Vernunft teilhaftig werden könne…“ und weiter: …“daß diese Welt durch Gottes Fürsorge als ein in Wahrheit beseeltes und mit Vernunft begabtes Lebewesen entstand.“ Sehr deutlich tritt die Verbindung zu Scheerbart in der Verwandlungsnovellette zu Tage, in der von mehreren Planeten die Rede ist, die sich, anfangs ohne dass die Bewohner es mitbekommen, in ihrer Form ändern und den Bewohnern damit helfen, 1. näher zueinander zu finden und 2. sich der Hauptbeschäftigung der Bewohner anzupassen, dem Beobachten des Weltalls. Der erste der beiden Planeten verwandelt sich von einer brotartigen Form zu einem spitzen Hut mit Loch, auf dem sich die Bewohner, gezwungen durch die Verknappung des Platzangebots, am Rand des Planeten sammeln und „gezwungenermaßen“ miteinander auskommen müssen. Der zweite Planet verwandelt sich in ein riesiges Teleskop, wodurch die Bewohner den Himmel besser beobachten können – eine Tätigkeit, die sie vorher schon gern und häufig ausgeübt haben. So seltsam in diesem Zusammenhang das Vokabular Scheerbarts und die bizarre Idee der Verwandlung anzumuten scheint, ist der Beweggrund der Verwandlung der jeweiligen Planeten doch immer mit einem Zweck verbunden, und dieser Zweck begünstigt entweder das Zusammenspiel der Bewohner untereinander oder das Auskommen mit ihrem Planeten – ist also zielgerichtet und somit durchaus ein Indiz für den Willen zur Einheit, die der Planet mit seinen Bewohnern anstrebt. In der Emanzipationsnovellette, der Schluss der Erzählungen und die einzige mit klarem Bezug auf die Verwandlungsnovellette bzw. überhaupt einem Bezug der ansonsten scheinbar lose aneinandergereihten Geschichten, wird in einem Dialog der Protagonisten, bestehend aus Menschen und Drachenwesen, von einem Stern erzählt, der sich von seinem beherrschenden Gestirn ablöst. Das vermeintliche Gravitationsfeld der Sonne ist von diesem Planeten verlassen worden und dafür gibt es keine Erklärung. Die Dialogpartner spekulieren, ob dies Wille der Bewohner oder aber Wille des Sterns gewesen ist. Beides wird nicht ausgeschlossen. Wie selbstverständlich werden hier von Scheerbart die Naturgesetze ausgehebelt. Die Gravitationskraft und ihre Gesetzmäßigkeiten, wie zum Beispiel die Bahn der Planeten um die Sonne, werden komplett in Frage gestellt. Interessanterweise stören sich die Protagonisten daran überhaupt nicht. Es ist in mehreren Novelletten von außergewöhnlichen Vorkommnissen oder „falschen“ Naturgesetzen die Rede und in keiner der Geschichten stört sich ein Protagonist daran.

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Zuletzt aktualisiert: 22. Mär, 21:06

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