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Serialität - Eugene Sue: Die Geheimnisse von Paris

Heute fand die zweite Sitzung statt. Wir waren erheblich weniger Leute im Raum, was zum einen sicherlich daran lag, dass es keine Anwesenheitsliste gibt und zum zweiten daran, dass sämtliche Teilnehmer, die auch etwas wollten, nämlich einen Schein, diesen auch bekommen können. Drittens sind vielleicht sogar noch ein paar Leute ausgestiegen, denn der Text, den wir zu dieser Woche vorbereiten sollten, hatte es in sich: knapp über 100 Seiten, das schreckt ab. Die kommende Woche wird für Nichtleser genauso anstrengend, wenn sie sich denn vorbereiten wollen, denn auch dann werden es wohl um die 100 Seiten sein. Ich muss mich nicht sonderlich vorbereiten, da ich alle Texte von Doyle kenne – um den geht es nächste Woche.

Aber zurück zu heute: es waren zwei Neuankömmlinge unter uns. In meiner Ecke des Rings harrte eine Tasche auf dem Platz neben mir der Dinge, die da kommen mögen und einer der Neuankömmlinge fragte sogleich, ob denn hier noch frei wäre. Natürlich war nicht frei, die Tasche hatte dort ihren Platz. Was den Touristen ihr Handtuch ist den Studenten ihre Tasche. Später setzte er sich mir gegenüber in die andere Ecke und kämpfte die ganze Zeit gegen die Müdigkeit. Ich sah ihn so oft einnicken, hochschrecken und wieder einnicken, dass ich mir vorstellen könnte, er wird kommende Woche entweder ganz früh kommen, um einen Platz mit einer bequemeren Position zu ergattern oder gar nicht mehr.

Aber zurück zu heute: es ging um Eugene Sue und den ersten Feuilletonroman der Geschichte „Die Geheimnisse von Paris“. Ein Machwerk von besonderer Güte, allerdings nur, weil es das Erste von vielen ist und nicht weil es über phänomenale Qualitäten verfügt. Redundanzen an jeder Ecke. Ständig wurde wiederholt, erneut erläutert usw. Wer einmal von Eco las, wie er versuchte, „Der Graf von Monte Christo“ zu übersetzen, der wird ungefähr wissen, worum es geht. Es geht um den Einstieg, der jedem Leser, sei er auch noch so spät hinzugekommen, ermöglicht werden soll. Vielleicht ändert sich dies im Laufe der Erzählung und die Redundanzen erstrecken sich dann lediglich auf das letzte und vorletzte Kapitel, in dem Teil jedoch, den wir zu lesen hatten, waren sie mannigfaltig. Auf der anderen Seite – auch darüber schrieb Eco schon – reihen sich endlose Beschreibungen von Hüten, Zöpfen und Gesichtsausdrücken aneinander, ausgefüllt mit Dialogen, die offensichtlich nichts Neues, sondern nur Bekanntes erzählen, ganze Absätze, die nichts weiter wollen, als dem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Alles in allem eine Zeilenschinderei zum Zwecke der Honorarvermehrung eines Autors, der offensichtlich Geldnot hatte.

Trotzdem, oder gerade deswegen, war das Werk nicht uninteressant. Die Parallelen zum heutigen Groschenroman, bei dem man an beliebiger Stelle einsteigen kann und nie das Gefühl hat, der Handlung nicht folgen zu können, waren nicht nur deshalb, sondern auch wegen der teilweise recht „schwülstigen“ Atmosphäre, dem Pathos, unübersehbar – dachte ich, war aber nicht so. Das hatte einfach keiner auf dem Schirm. Wir hangelten uns entlang bestimmter Topoi, die allesamt zum Einschlafen waren, keiner kriegte das Maul auf und sprach den offensichtlichen Schund an, der uns hier untergejubelt wurde. Mir war das zu langweilig, weshalb ich googelte, dass Sue tatsächlich Geldprobleme hatte und sich seinen zweiten Feuilletonroman fürstlich belohnen ließ. Der hatte so viel Erfolg, dass unser Dozent ein schlecht gedrucktes Exemplar dessen vorzuzeigen in der Lage war, das er, traute man dem Bleistiftpreis der ersten Seite, für gerade einmal 10 Euro erstanden hatte. Naja, wie dem auch sei, das Ganze erinnerte doch sehr an die vier Musketiere oder den oben erwähnten Montechristografen, weshalb ich den Franzosen eine gewisse Geschäftstüchtigkeit im 19. Jahrhundert im Bereich der Printmedien nicht mehr abzusprechen bereit bin.

Bevor ich hier allzu redundant werde, womöglich noch Leser einschlafen, vertagen wir die weitere Erörterung lieber auf kommende Woche. Dann geht es um Sherlock Holmes.
la-mamma - 23. Apr, 09:32

seit ich mich vor vor kurzem im theater in "der hund der baskervilles" fast zu tode gelangweilt hab, halt ich sherlock holmes aber auch nicht mehr gerade für spannend. während ich von ihrem eugene sue (zu recht wahrscheinlich) überhaupt noch nie was gehört hab;-)

Shhhhh - 23. Apr, 10:32

Das ist schon immer eine Gratwanderung gewesen, aus einem Roman eine Theateraufführung zu machen. Das kann sehr erfolgreich und gut werden oder völlig daneben gehen, an Doyle liegt das aber nicht, denn der hat ja einen Roman geschrieben, aus gutem Grund wahrscheinlich, und kein Theaterstück.
Eugene Sue war zu seiner Zeit einer der meistgelesenen Autoren und hat weit über die Grenzen Frankreichs hinaus nachgewirkt, so steht es in der Wikipedia, so sagte auch unser Dozent.
Dass wir heute eher Alexandre Dumas Montechristografen kennen, der im Übrigen in der gleichen Zeitung ebenfalls als Fortsetzungsroman kurz darauf veröffentlicht wurde, ist vielleicht einfach nur Zufall.
www.neukölln.org - 23. Apr, 17:39

Die Geldnot eines Autoren (sei es im 19. Jahrhundert oder früher) ist nicht unter zu bewerten. Mit Prostitution hat das IMHO nichts zu tun: Auch Leute wie Mozart oder Haydn mussten sich "aushalten lassen" und haben es trotzdem geschafft, ihr Gesicht zu behalten.

Shhhhh - 24. Apr, 09:15

Darauf wollte ich keinesfalls hinaus. Mir war ja - und dies bestätigte sich kurz darauf - schon vorher irgendwie klar, dass sich Dinge auch verkaufen müssen, um davon leben zu können. Die Eigenheiten des Feuilletonromans gegenüber einem ausschließlich für den Buchmarkt geschriebenen sind aber nunmal in den häufigen Wiederholungen zu suchen, was eine Lektüre in Buchform heute kaum noch interessant macht, insbesondere dann nicht, wenn man sich die Kapitel gehäuft zu Gemüte führt, statt eins alle zwei Tage.

Keineswegs war es übrigens mein Anliegen, irgendetwas an der Arbeit abzuwerten, vielleicht am Ergebnis, wie ich oben bereits schrieb, aber nicht an der Arbeit an sich. Wenn ich mir stattdessen Poe ansehe, von dem nicht einmal alles bekannt sein dürfte, was er so verfasst hat (so steht es ja schon im Vorwort zu seiner "Gesamtausgabe") und der trotzdem nie wirklich über die Runden kam, so hatte Sue doch erheblich bessere Karten und hat diese auch noch zu seinem Vorteil ausgespielt.
Teresa HzW - 24. Apr, 12:42

Andererseits...

...bei aller Kritik... darf man die damalige Zeit und ihre Gesellschaftsform[en] auch nicht außer Acht lassen... es gab ja außer der Zeitung noch kein [visuelles] Massenmedium, die Fotografie harrte noch ihrer Massen-Anwendung... dadurch hatten Texte [gleich ob in gedruckter Buchform oder als Serien-Fortsetzungsroman in einer Zeitung] ja auch noch eine andere Funktion...
Und gerade bei einem Zeitungs-Fortsetzungsroman braucht es dieses Element der Wiederholung, weil ja sonst unter Umständen die Masse der Leser nicht mehr mitkommt.

Zudem kam mir beim Lesen Ihres Textes noch ein anderer Aspekt in den Sinn:
Zählt die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht auch noch - wenn ich mich recht erinnere - literarisch zur Romantik!? [auch in Frankreich!?]
Kann es daher nicht auch sein, lieber Shhhhh, dass die eine oder andere "Schwülstigkeit" im Ausdruck oder das "Pathetische" dieses Schriftstellers auch noch ein Stück weit ihren Ursprung in dieser romantischen Prägung hat?
Und dieser Autor in diesen Wiederholungen eben auch dem Gefühl [seiner Zeit!!] und dieser [romantischen] Leidenschaft und dem individuellen Erleben seiner Seele Ausdruck verschaffen möchte?
Vielleicht erlaubt es Ihre Zeit, dazu nochmals ein paar Infos zu geben!?

Jedenfalls finde ich es spannend, durch Ihre Berichte hier, ein Stück weit die Themen dieses Seminars mitzubekommen. Vielleicht haben Sie eine typische Textstelle[für Ihre Kritik] parat, auf die Sie verweisen/verlinken können?

Freu` mich auf die nächste "Stunde", wenn es um Sir Arthur Conan Doyle und sein Detektivduo Sherlock Holmes & Dr. Watson geht ;-))

tinius - 24. Apr, 17:57

Ich schließe mich da mal an - Sue ist ein Autor der Romantik, insofern sind Pathos und gewisse Schwülstigkeit nicht unerwartet. Ich wage zudem, darauf hinzuweisen, daß "Die Geheimnisse von Paris" - ebenso wie Dumas' Romane - überlebt hat und mithin eine gewisse, zeitlose Qualität aufweisen muß - und sei es der der Unterhaltung. Und der ist, das weiß ich aus eigenem Erlesen, gegeben. Ein Lesehinweis sei mir gestattet : http://complit.univie.ac.at/skripten/geschichte-des-europaeischen-feuilletonromans/
Shhhhh - 24. Apr, 19:33

Ja, ich habe eine solche Textstelle, ich werde mich möglichst kurz halten, denn ob ich das überhaupt in der Länge zitieren darf, weiß ich nicht. Zitiert ist es nach der Inselausgabe auf Seite 56:
„…
„…Nein, ich hab nicht gestohlen, weil… weil… na ja, ich kam einfach nicht auf den Gedanken zu stehlen.“
Diese wahrhaft schöne Antwort, deren tieferen Gehalt der Tschuri gar nicht verstand, erstaunte Rudolph höchlichst. Er fühlte, daß der Arme, der mitten in den grausamsten Entbehrungen ehrlich blieb, doppelt achtbar war, da doch Strafe für ihn zum sicheren Hilfsmittel geworden wäre. Rudolf reichte dem unglücklichen Wilden der Zivilisation, den das Unglück nicht völlig zu verderben vermocht hatte, die Hand.
Der Tschuri sah seinen Gastgeber erstaunt an, fast respektvoll. Er wagte kaum …“ usw. usw.

Alles Weitere muss warten, bin gerade auf dem Sprung.
Shhhhh - 25. Apr, 06:49

Ich hoffe, mit dieser Textstelle wird einigermaßen klar, was ich meinte. Ähnliches findet sich ja auch bei Karl May und ist sicherlich kein Merkmal, dem sich die Romantik allein verpflichtet fühlte.
Vielen Dank für den Link, Tinius. Bislang habe ich jedoch nur das erste Kapitel geschafft.
Teresa HzW - 26. Apr, 13:48

@Shhhhh: DANKE! :-)
@Tinius: sehr aufschlussreicher LINK, dem ich gerne gefolgt bin, v.a. finden sich da noch andere interessante Vorlesungen, z.B. über die digitale Literatur 2.0, die einen auf Max Bense u.a. aus dem damaligen Stuttgarter Kreis stösst ;-)
iGing (Gast) - 24. Apr, 17:21

Sehr interessant, welche bedeutsamen Werke der Weltliteratur zunächst als Fortsetzungsromane veröffentlicht wurden:

http://de.wikipedia.org/wiki/Feuilletonroman#Ber.C3.BChmte_Fortsetzungsgeschichten.2F-romane

Shhhhh - 25. Apr, 06:52

Ja, und hier wird es wieder spannend. Denn wie unterscheiden sich Romane, die explizit für die Zeitung geschrieben worden sind von solchen, die lediglich als erstes in Zeitungen veröffentlicht wurden? Ich vermute, dass die Redundanz ein maßgeblicher Faktor ist.

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