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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Dienstag, 16. Dezember 2014

Licht aus

Der Letzte macht das Licht aus.


Samstag, 13. Dezember 2014

Ein Kiosk weniger

„Wir kommen wieder“, sagte Herr Putzig, nachdem wir den Kioskbesitzer um 30 Cent geprellt hatten. Wir hatten zweimal nach dem Preis gefragt und jedes Mal sagte uns der Mann 5,20 Euro, obwohl er eigentlich 5,50 Euro haben wollte. Als wir unser Kleingeld abgezählt hatten, und es auf den Tresen legten, holte der Mann einen Taschenrechner hervor und tippte 5,50 ein. Wir standen da und guckten uns an. Herr Putzig reagierte und holte einen Zehneuroschein heraus. Darauf ließ er uns ziehen, das war ihm jetzt zu blöd einen Schein auf 30 Cent zu wechseln.. Wir kommen wieder, schloss ich mich in Gedanken an, der Mann brummte nur.

Als ich wenig später die Tüte aufmachte und die 5 kleinen Biere daraus entfernte, bemerkte ich, dass ich statt 5 kleiner nur 4 kleine und ein großes Bier mitgenommen hatte. Vielleicht kommen wir besser nicht wieder.

Samstag, 6. Dezember 2014

Betonen Sie die Spitze!

Ich muss jetzt leider ganz weit ausholen, weil das sonst überhaupt keinen Sinn macht. Vor zwei Tagen war ich beim Zahnarzt bei einer Freundin. Wir haben zusammen in der Strandbar gearbeitet und sie hat mir meine höchstens mittelmäßig schlechten Zähne versucht, einigermaßen in Schuss zu halten; sehr kostengünstig für mich armen Studenten. Früher sagte ich ja immer, dass man genau drei Leute in der Familie bräuchte: einen KFZ-Mechaniker, einen Rechtsanwalt und einen Arzt. Scheiß auf den Arzt, Zahnarzt oder Zahnärztin ist viel besser.

Jedenfalls zog sie eine Spritze auf und stach mir ins Fleisch, dann ließ sie mich allein und kam wenig später wieder mit einer ganz frischen Azubine. Die Azubine sollte mir den Mund aufhalten. Mich störte das nicht, die Betäubung war so ausreichend dosiert worden, dass ich erst am Abend merkte, wie es nun mit der Topographie meiner Mundhöhle beschaffen ist. Wie gesagt, ich spürte nichts, aber meine Zahnärztin war nach der dritten oder vierten Berichtigung des Saugrüssels und dem anderen Ding, womit sie mir die Wange abhalten sollte, leicht angenervt. Sie musste dann ganz plötzlich kurz raus und als sie wiederkam, hatte sie eine ältere Kollegin dabei, mit Haaren auf den Zähnen, was Saugrüssel und andere Dinge in Mundhöhlen anbelangte. Meine Zahnärztin sagte mir dann, dass die Azubine noch ganz neu wäre und noch nicht genug Erfahrung hätte, ich fand es gut, dass sie sie trotzdem zuerst hat machen lassen.

Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus, behalten Sie das im Hinterkopf. Denn als ich nur zwei Tage davor bei Trithemius im Wohnzimmer saß und wir zum x-ten Mal auf Pauli zu sprechen kamen, den Pauli, der Nobelpreisträger der Physik war und daran glaubte, dass sobald er einen Versuchsraum betritt, geht alles schief, redete ich natürlich auch von Jung, der das zusammen mit Pauli untersuchte und daraus sein Synchronizitätsproblem machte. Ich habe ja keine Ahnung von Psychologie und, wenn es das gibt, noch weniger von Ahnung von Physik, und obwohl ich den Namen Pauli jedes Mal wieder vergesse, sobald ich Trithemius wieder verlassen habe, kann ich aus dem Stand eine Erklärung liefern, wie das funktioniert mit der Synchronizität. Habe ich an dem Abend gemacht. Wollen Sie sie hören? Nein? Ist auch besser so. War wahrscheinlich totaler Blödsinn, ich habe mir noch nicht die Mühe gemacht, tatsächlich einmal nachzulesen, was das denn bedeutet, diese Synchronizität. Irgendwo las ich mal davon und den Rest habe ich mir dann selbst zurechtgelegt. Meine herbeigeklaubten Erklärungen finde ich immer viel besser.

Naja, manche finden die Erklärungen zwar auch interessant, haben jedoch im Gegensatz zu mir später die Muße, sich des Problems anzunehmen und einmal ausgiebig zu recherchieren. Dabei kommt meistens heraus, dass ich Blödsinn geredet habe in mindestens zwei von vier Fällen. Für diese Fälle haben mir Trithemius, Filipe d’Accord und Herr Putzig vor längerer Zeit eine Geburtstagskarte geschenkt, auf der Pangaea abgebildet ist, weil ich irgendwann einmal von Pangaea erzählte, und wie Trithemius sagte: als ob ich dabei gewesen war. Immer wenn ich jetzt irgendwas erzähle, drohen sie mir mit der Pangaeakarte, was ich dann beiseite wische und es trotzdem erzähle.

Aber das ist nicht der Punkt. Gestern kam eine Freundin meiner Frau, die gerade ihre Assistenzarztstelle in einer Klinik begonnen hatte, ich hörte nur mit einem Ohr zu, weil ich eigentlich damit beschäftigt war, unserem jüngsten Nachwuchs beim Einschlafen die Arme festzuhalten, damit er sich nicht bei seinen Flugversuchen den Nuckel aus dem Gesicht schlägt, und darüber fast selbst eingeschlafen wäre, aber ich hörte diesen Satz da. Es ging darum, dass sie 5 Stunden im OP stand und irgendwelche Haken hielt und ständig kam dieser Satz von der Oberschwester oder dem Arzt oder beiden, ich weiß es nicht mehr: „Betonen Sie die Spitze, Frau Sowieso!“

Und dann fiel mir zuerst die Azubine ein und dann dieser ganze andere Quatsch hier, und dann habe ich immer noch nicht nachgeguckt, ob das überhaupt Hand und Fuß hat, ob ich hier nicht gerade Jungs Synchronizität mit Schrödingers Katze zu erklären versuche. Verstehen Sie jetzt, was ich meine? Nein? Nicht schlimm. Nein, wirklich, das macht nichts, denken Sie sich einfach die Karte hier unten, halten Sie diese bitte kurz hoch und dann gehen Sie weiter.

Freitag, 28. November 2014

surreale Nordstadt

Ich saß gerade in der Nordstadt vor dem Spandau und trank einen Kaffee, als eine alte Dame mit einem Rollköfferchen an mir vorbei fahren wollte. Sie hatte schrecklich dünne O-Beine und ich lächelte ihr aufmunternd zu. Sie lächelte nicht zurück, verlangsamte jedoch ihren Gang und bog ab, direkt auf mich zu.
„Heute sind schon wieder Mörder auf der Straße“, sagte sie und zeigte in Richtung Christuskirche.
„Was?“ ich hatte irgendwie nicht richtig verstanden, glaubte ich.
„Mörder. Heute Morgen gegen sechs Uhr war ich da, weil ich da wohne, an der Christuskirche.“
„Mörder?“
„Ja, heute Morgen, weil ich da wohne. Ein eins achtzig großer Arbeitsloser hat mich in den Arm gekniffen und festgehalten. Dann hat er ein Messer gezogen und es mir hier“, sie zeigte auf ihren dünnen Hals, „ hin gehalten.“
„Was?“
„Ja. Weil ich ja da wohne, an der Christuskirche. So, jetzt muss ich aber weiter, ins Krankenhaus, mein Mann liegt dort, er ist schwerkrank.“
„Oh, äh, na dann, äh gute Besserung“, stammelte ich. Mir fiel einfach nichts ein. Sie winkte mir noch kurz, dann drehte sich die Alte um und humpelte mit ihrem Rollkoffer weiter den E-Damm hinunter.

Dienstag, 25. November 2014

Anleitung zur Gratwanderung

Sollten Sie demnächst einmal mit dem Fahrrad unterwegs sein, so in den frühen Morgenstunden etwa, auf einer wenig befahrenen Seitenstraße an einer Kreuzung stehend. Sollten Sie mit dem Smartphone unterwegs sein und es nicht wie vielleicht üblich in der Hosen- oder Jackentasche verstaut haben, sondern damit vor Ihrem Gesicht herumwedeln und dann unvermittelt auf der Kreuzung zum Stehen kommen, sagen Sie einfach „Hups“, bevor Sie in das nächstgelegene Fahrzeug einscheren, weil Sie einem Ihren Weg kreuzenden Fahrradfahrer die Möglichkeit nehmen, die Kreuzung zu überqueren, dies bemerken und panisch nach vorn fahren.

Oder besser noch: Sagen Sie „Hupsi“. Das verleiht der folgenden Situation mehr Komik als sich der vorüberfahrende Fahrradfahrer denken mochte, wenn er, des eigenen Rückspiegels verlustig, kurz hinter der Kreuzung anhält, um zu sehen, ob Sie an dem Auto Schaden genommen haben. Das Smartphone wird Ihnen dabei nicht herunterfallen, das halten Sie ja so fest umklammert, wie Sie eigentlich den Lenker hätten halten sollen, aber auch das gehört zur Komik. Entspannen Sie sich, atmen Sie tief durch, ordnen Sie das Geschehen, denken Sie an Radwege für Smartphone-Benutzer oder eine formschöne Smartphone-Halterung an Ihrer Lenkerstange aber grummeln Sie nicht vor sich hin, versuchen Sie nicht mit einer Hand Ihr Zweirad unter dem Auto hervorzuziehen und gucken dabei böse auf den anderen Radfahrer, denn das ist nicht mehr komisch, sondern lächerlich.

Freitag, 21. November 2014

Die Zuckerbergsche Kongruenz

Heute möchte ich Ihnen einen Begriff erklären, den ich aus streng geheimen Papieren ermittelt habe, die mir zufällig in die Hände gespielt worden sind. Es handelt sich hier um nicht weniger als die Königin der Verschwörungstheorien, um einen Dummjungenstreich, wie er nicht besser ablaufen könnte, um das Resultat einer jahrelangen Marketingkampagne mit dem Ziel, uns alle krank zu machen. Es geht um die Zuckerbergsche Kongruenz. Entschuldigen Sie bitte, dass ich dafür so weit ausholen muss, es ist notwendig, aber lesen Sie selbst:

Es geht ja ständig etwas herum bei Facebook. Ein ganz besonders heißer Clou scheint alles zu sein, was sich bei erhöhter Klickfrequenz und Weitergabe an die entlegensten Orte des Userpools katapultiert. Viral ist hierbei das Zauberwort. Viral heißt es auch deshalb, weil sich das gezeigte Material wie ein Virus ausbreitet, nämlich wahnsinnig schnell. Ein Virus ist ja ein Ding, was bei uns sonst nicht gut wegkommt und diese Namensgebung ist deshalb natürlich alles andere passend. Natürlich kann man versuchen, ihn positiv zu besetzen aber das gelingt natürlich nicht, indem man ihn für Kampagnen, Werbung, Hetze und Katzenvideos einspannt, um auf die schnelle Verbreitung dessen hinzuweisen. Bei Facebook kann man sich mit sowas sehr schnell einen Schnupfen einfangen. Da muss man nur mal kurz auf so ein Fenster klicken und schwupss stehen drei weitere darunter. Wer jetzt auch noch „gefällt mir“ klickt, kann sich sicher sein, dass noch weitere Kreise gezogen werden, ein Kommentar ist zwar unverfänglicher, kommt aber im Endeffekt auf das Gleiche hinaus. Sie sind plötzlich im Auge des Sturms und merken erst viel später, vielleicht beim nächsten Einloggen, das etwas anders ist. Sie bekommen Nachrichten zu Dingen übermittelt, die Sie gar nicht kannten, Sie haben plötzlich Freundschaftsanfragen in ihrem Postfach von Personen, die ihnen mal irgendwo auf irgendeiner Party über den Weg gelaufen sind und die Sie nur gefunden haben, weil sie den gleichen Inhalt geteilt haben.

Doch zurück zu diesen viral verbreiteten „Inhalten“. Man kann diese „Inhalte“ – abseits der eigentlichen Werbung, die sich Marketingstrategen gerne ausdenken würden aber eigentlich nur klappen, wenn genau das gar nicht geplant war und wenn es geplant war, eigentlich nicht funktioniert – in vier Gruppen einteilen. Inhalte sind es dabei häufig gar nicht, sondern Blödsinn. Und weil sich Blödsinn immer noch am besten und schnellsten verbreitet, ist der Blödsinn der unangefochtene Meister unter den Inhalten, die viral verbreitet werden. Dazu gehören allerhand Videos, Selfies und Eiseimerwettbewerbe usw.

Gleich hinter dem Blödsinn kommt der Schwachsinn, das sind so Dinge wie Katzenvideos, Tiervideos und andere „lustige“ Videos, wo sich entweder Tiere, Katzen manchmal sogar Menschen zum Affen machen. Fotos der gleichen Kategorie bilden natürlich auch gleiches ab, sind aber weniger viral.

Hinter dem Schwachsinn folgt der Unfug, das sind vor allem „Inhalte“, die sich mit halblegalen Dingen beschäftigen, dazu können Videos und Bilder gehören, auf denen bestimmte Menschengruppen diffamiert werden, Fußballer zum Beispiel oder Ausländer oder ausländische Fußballer oder Linke oder Nazis oder beide oder Ausländer.

Die letzte Gruppe der viral verbreiteten Inhalte ist noch relativ klein, sie wächst aber und ist genauso wie der Rest hochansteckend. Das sind die Verschwörungstheorien. Dieser Mix aus Blödsinn, Schwachsinn und Unfug kann alles Mögliche sein, meistens ist es so umfassend, dass nicht nur die Schuldigen, sondern sogar die Unschuldigen schuldig sind, so dass es überhaupt keinen Ausweg mehr gibt und man fassungslos auf „gefällt mir“ klickt oder einen Kommentar absondert oder beides oder gar nichts. Es stellt sich eine leichte Handlungsparalyse ein, im besten Fall verbringt man nur Stunden im Netz, um sich endlich richtig aufzuklären, um am Ende auf eine Mauer des Schweigens zu stoßen oder auf die Grenzen der Wissenschaft.

Die Grenzen der Wissenschaft: Fluor ist böse. Es macht die Zähne kaputt, es ist krebserregend und überhaupt werden wir alle daran sterben. Fluorid hingegen ist das alles kaum, es ist ungefährlicher, wenngleich nicht ungefährlich aber das ist bei Chlor ja auch so und trotzdem essen wir unsere Suppe gerne mit Natriumchlorid, sprich Salz. Wir essen aber keinen Löffel Salz, und auch keinen Löffel Fluorid. Scilog hat dazu einen ganz alten Spruch ausgegraben, wahrscheinlich ist er vom guten alten Paracelsus: Die Dosis macht das Gift.

Und jetzt sind wir wieder am Anfang. Wie, das verstehen Sie nicht? Ich erkläre es ihnen. Facebook ist ja nicht nur Verbreiter viraler „Inhalte“, es hat sich ja selbst epidemisch ausgebreitet. Überall begegnet es einem, Sie können ja nicht mal mehr zum Bäcker um die Ecke gehen, ohne dass Sie dort aufgefordert werden, den Brötchenkauf mit „gefällt mir“ zu kommentieren, um dann später über neueste Preisentwicklungen auf dem Brötchenmehlmarkt informiert zu werden. Diese Kongruenz einer viral verbreiteten Plattform und den auf ihr viral verbreiteten Inhalten nennt man Zuckerbergsche Kongruenz. Je häufiger Sie sich auf Facebook herumtreiben, herumklicken und Dinge angucken, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung, und seien Sie froh, wenn es nur Blödsinn ist! Das ist die Zuckerbergsche Kongruenz, ein ganz billiger Trick.

Um sich davor zu schützen, sind Sie entweder nicht bei Facebook und machen einfach nicht mit, was natürlich auch schade ist irgendwie. Oder Sie passen höllisch auf, dass alles, was angeklickt wird, nicht mehr Anhänger als Finger an einer Hand hat. Alles was weniger Anhänger als eine normal befingerte Hand hat, ist nicht viral und darf getrost konsumiert werden. Wie schon gesagt, die Dosis macht das Gift. In diesem Sinne, bleiben Sie gesund!

Montag, 17. November 2014

Ja, ja deine Omma

Neulich im Postfach:

Dienstag, 4. November 2014

Aus zweiter Hand: Günther Grass in Hannover

Als ich am Morgen des 03.11.2014 meine Jacke vom Haken nahm, entdeckte ich, wie sich ein darunter befindlicher Regenschirm in der Aufhängelasche meiner Jacke verheddert hatte. Ich musste den Regenschirm, der einen gebogenen Griff besitzt, aus der Lasche herauswinden, weil ich sonst mit einem Regenschirm im Rücken aus dem Haus gegangen wäre. Um ehrlich zu sein, der Regenschirm begleitete mich trotzdem eine geraume Zeit, in Gedanken. Ich stellte mir vor, wie ich über den Küchengartenplatz laufe, ein Geldstück am Boden sehe und mich danach zu bücken versuche und plötzlich den Schirm in meinem Rücken bemerke. Der Platz ist mäßig belebt. Zöge ich meine Jacke aus und würde den Regenschirm, der einen gebogenen Griff besitzt, aus der Lasche entwirren, zöge dies unweigerlich Blicke auf sich. Man könnte mich für einen Spontanperformancekünstler halten und Beifall klatschen oder auf die Stirn, die eigene und den Kopf schütteln.

Ich gehe weiter zur Haltestelle, wo noch mehr Leute darauf warten, dass der Bus, die Straßenbahn oder ein Taxi vorbeikommt oder darauf, wie ich einen Regenschirm aus meiner Jacke fische und „hehe, den habe ich doch glatt nicht bemerkt,“ sage. Ich warte auf die Gelegenheit in der Straßenbahn oder danach oder bis ich wieder zu Hause bin, weil es mir furchtbar peinlich ist und mit jeder Minute, die verstreicht, wird es peinlicher. Am Abend könnte mich meine Frau fragen, weshalb ich denn den Regenschirm mit mir herumgeschleppt hätte, obwohl doch herrliches Wetter war; das wäre noch die geringste aller peinlichen Fragen, sollte sie mich nicht dabei erwischen, wie ich einen gebogenen Regenschirmgriff durch die Aufhängelasche meiner Jacke fädele, die ich gerade ausgezogen hatte, um sie an den Haken zu hängen.

Gestern, also am Montag dem 03.11.2014, war Günther Grass in der Stadt. Er traf sich mit Oskar Negt zum Plausch im Audimax, einem schlecht belüfteten Vorlesungssaal der Leibniz Universität Hannover, der gerammelt voll, eine halbe Stunde vor Beginn bereits völlig ausverkauft war. Es muss noch schlimmer gewesen sein als die Antrittsvorlesung zur allgemeinen Psychologie, wo nur etwas weniger Teilnehmer als an diesem Abend zu erwarten sind und die man danach meistens nie wieder sieht, wenn der oder die Dozentin verkünden, dass es keine Anwesenheitsliste geben wird. Wir kamen nicht mehr rein. Wir kamen so spät, dass wir sogar die Gegendemonstranten verpassten, die es gegeben haben soll. Die Flyer der Gegendemonstranten lagen auch nicht mehr aus, dafür aber jede Menge weiße Taschenbücher von Grass und einem roten Hardcover von Negt; gestapelt zu ordentlichen Stapeln mit einer gelangweilt drein blickenden Frau hinter dem Verkaufstisch, uns nicht eines Blickes würdigend. Aber wer waren wir schon: brachten unser eigenes Bier mit, pöbelten herum und machten Witze auf Kosten eines größeren Kreises – wir vermuteten ja, dass es sich dabei um den Freundeskreis von Grass, mindestens jedoch um den Freundeskreis des Literarischen Salons handeln könnte, die beitragszahlend das ganze Jahr zu den Veranstaltungen gehen, bei Grass und Negt aber lieber im Foyer sitzenblieben, um einen tüchtigen Rausch sich anzutrinken an der eigens für diese Veranstaltung errichteten Bar, die wir geflissentlich ignorierten, weil wir ja über genügend Bier vom Kiosk verfügten.

Wie ich von der HAZ und der NP erfuhr ging es um einiges an dem Abend, die interessanten Sachen, wurden nur kurz in einer Klammer erwähnt, die NP erwähnte sie gar nicht. Es ging um Israel, die SPD und vielleicht auch um Granufink, ich weiß es nicht. Es ging auch um die unpolitischen Studenten (das entnahm ich der Klammer der HAZ). Apropos unpolitische Studenten: wie mir ein Besucher, der dem Grass fast in den Ausschnitt gucken konnte, erzählte, gab es einen Gegendemonstranten, der dem Grass einen seiner Flyer auf den Tische legte, woraufhin dieser sich mit Herablassung (HAZ) bei diesem bedankte. Vielleicht wäre die Studentenschaft in Grass Augen ja politischer, wenn sie ihm eine faule Tomate aufs Revers geschmissen hätte. Vielleicht wäre die Jugend ja politischer, wenn ihr nicht reihenweise die moralischen Instanzen wegbrächen, indem sie mit oder ohne Kalkül in einem Nebensatz erwähnten, dass sie in der SS gedient, Doping genommen hätten oder Kinderpornos herunterladen oder ihre Doktorarbeit plagiierten oder was auch immer sich gerade irgendwo in der Zeitung lesen lässt und den „unpolitischen“ Studenten 2014 nicht mehr auf die Palme bringt.

Neulich, es war an Halloween, bewarfen ein paar pubertäre Schulkinder meinen Bruder, der gerade zu Besuch bei mir war, mit einem Ei. Ich stellte die Jungs eine halbe Stunde später und schüttete dem einen von ihnen sein Essen, das er sich gerade gekauft hatte, über die Hose und fand das nicht unverhältnismäßig. Wenig später las ich, dass es an Halloween regelmäßig zu Eierwürfen kommt, weil der Brauch (Unsitte?), Eier an Fenster und Türen zu werfen, häufig überstrapaziert würde und eben auch Menschen nicht davon verschont blieben. Ich staunte nicht schlecht darüber, was mir das Internet da präsentierte, wenn man nur schlau genug danach fragt. Ob Herr Grass überhaupt weiß, wo sich die „unpolitischen“ Studenten so rumtreiben? Kennt er vielleicht welche persönlich? Was ist das überhaupt für eine bescheuerte Feststellung, die Studenten von 2014 seien unpolitisch?

Die Gegendemonstranten gaben ihren Aktionen eine schöne, markige Überschrift: „Halt die Fresse, alter Mann!“. Ich würde es nicht ganz so drastisch formulieren aber mehr ist er ja leider nicht, alt. Keine moralische Instanz mehr, Gedichttitel, die sich wie Stammtischparolen lesen, und dann auch noch sein Auftritt mit Oskar Negt im Audimax der Leibniz Universität, eine Veranstaltung des Literarischen Salons, verglichen mit einer Fernsehsendung oder einem Auftritt auf einer Buchmesse doch höchstens Baumarktniveau. So tingelt also der Grass durch die Kulturstätten wie einst Zlatko Trpkovski durch die Supermarktketten.

Tja, eigentlich wollte ich ja etwas zur Verteidigung gerade dieses einen Fehlers finden, den Herr Grass begangen hatte. Nur deshalb schrieb ich ja mein Erlebnis mit dem Regenschirm nieder. Herr Putzig, der übrigens auch mit von der Partie war, warf mir in diesem Zusammenhang ja wieder einmal vor, dass meine Assoziationsketten einfach zu weit hergeholt seien. Fast glaube ich, er hat Recht. Die Waffen-SS mit einem Regenschirm zu vergleichen, auf so einen Quatsch muss man erstmal kommen.

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