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Dienstag, 4. November 2014

Aus zweiter Hand: Günther Grass in Hannover

Als ich am Morgen des 03.11.2014 meine Jacke vom Haken nahm, entdeckte ich, wie sich ein darunter befindlicher Regenschirm in der Aufhängelasche meiner Jacke verheddert hatte. Ich musste den Regenschirm, der einen gebogenen Griff besitzt, aus der Lasche herauswinden, weil ich sonst mit einem Regenschirm im Rücken aus dem Haus gegangen wäre. Um ehrlich zu sein, der Regenschirm begleitete mich trotzdem eine geraume Zeit, in Gedanken. Ich stellte mir vor, wie ich über den Küchengartenplatz laufe, ein Geldstück am Boden sehe und mich danach zu bücken versuche und plötzlich den Schirm in meinem Rücken bemerke. Der Platz ist mäßig belebt. Zöge ich meine Jacke aus und würde den Regenschirm, der einen gebogenen Griff besitzt, aus der Lasche entwirren, zöge dies unweigerlich Blicke auf sich. Man könnte mich für einen Spontanperformancekünstler halten und Beifall klatschen oder auf die Stirn, die eigene und den Kopf schütteln.

Ich gehe weiter zur Haltestelle, wo noch mehr Leute darauf warten, dass der Bus, die Straßenbahn oder ein Taxi vorbeikommt oder darauf, wie ich einen Regenschirm aus meiner Jacke fische und „hehe, den habe ich doch glatt nicht bemerkt,“ sage. Ich warte auf die Gelegenheit in der Straßenbahn oder danach oder bis ich wieder zu Hause bin, weil es mir furchtbar peinlich ist und mit jeder Minute, die verstreicht, wird es peinlicher. Am Abend könnte mich meine Frau fragen, weshalb ich denn den Regenschirm mit mir herumgeschleppt hätte, obwohl doch herrliches Wetter war; das wäre noch die geringste aller peinlichen Fragen, sollte sie mich nicht dabei erwischen, wie ich einen gebogenen Regenschirmgriff durch die Aufhängelasche meiner Jacke fädele, die ich gerade ausgezogen hatte, um sie an den Haken zu hängen.

Gestern, also am Montag dem 03.11.2014, war Günther Grass in der Stadt. Er traf sich mit Oskar Negt zum Plausch im Audimax, einem schlecht belüfteten Vorlesungssaal der Leibniz Universität Hannover, der gerammelt voll, eine halbe Stunde vor Beginn bereits völlig ausverkauft war. Es muss noch schlimmer gewesen sein als die Antrittsvorlesung zur allgemeinen Psychologie, wo nur etwas weniger Teilnehmer als an diesem Abend zu erwarten sind und die man danach meistens nie wieder sieht, wenn der oder die Dozentin verkünden, dass es keine Anwesenheitsliste geben wird. Wir kamen nicht mehr rein. Wir kamen so spät, dass wir sogar die Gegendemonstranten verpassten, die es gegeben haben soll. Die Flyer der Gegendemonstranten lagen auch nicht mehr aus, dafür aber jede Menge weiße Taschenbücher von Grass und einem roten Hardcover von Negt; gestapelt zu ordentlichen Stapeln mit einer gelangweilt drein blickenden Frau hinter dem Verkaufstisch, uns nicht eines Blickes würdigend. Aber wer waren wir schon: brachten unser eigenes Bier mit, pöbelten herum und machten Witze auf Kosten eines größeren Kreises – wir vermuteten ja, dass es sich dabei um den Freundeskreis von Grass, mindestens jedoch um den Freundeskreis des Literarischen Salons handeln könnte, die beitragszahlend das ganze Jahr zu den Veranstaltungen gehen, bei Grass und Negt aber lieber im Foyer sitzenblieben, um einen tüchtigen Rausch sich anzutrinken an der eigens für diese Veranstaltung errichteten Bar, die wir geflissentlich ignorierten, weil wir ja über genügend Bier vom Kiosk verfügten.

Wie ich von der HAZ und der NP erfuhr ging es um einiges an dem Abend, die interessanten Sachen, wurden nur kurz in einer Klammer erwähnt, die NP erwähnte sie gar nicht. Es ging um Israel, die SPD und vielleicht auch um Granufink, ich weiß es nicht. Es ging auch um die unpolitischen Studenten (das entnahm ich der Klammer der HAZ). Apropos unpolitische Studenten: wie mir ein Besucher, der dem Grass fast in den Ausschnitt gucken konnte, erzählte, gab es einen Gegendemonstranten, der dem Grass einen seiner Flyer auf den Tische legte, woraufhin dieser sich mit Herablassung (HAZ) bei diesem bedankte. Vielleicht wäre die Studentenschaft in Grass Augen ja politischer, wenn sie ihm eine faule Tomate aufs Revers geschmissen hätte. Vielleicht wäre die Jugend ja politischer, wenn ihr nicht reihenweise die moralischen Instanzen wegbrächen, indem sie mit oder ohne Kalkül in einem Nebensatz erwähnten, dass sie in der SS gedient, Doping genommen hätten oder Kinderpornos herunterladen oder ihre Doktorarbeit plagiierten oder was auch immer sich gerade irgendwo in der Zeitung lesen lässt und den „unpolitischen“ Studenten 2014 nicht mehr auf die Palme bringt.

Neulich, es war an Halloween, bewarfen ein paar pubertäre Schulkinder meinen Bruder, der gerade zu Besuch bei mir war, mit einem Ei. Ich stellte die Jungs eine halbe Stunde später und schüttete dem einen von ihnen sein Essen, das er sich gerade gekauft hatte, über die Hose und fand das nicht unverhältnismäßig. Wenig später las ich, dass es an Halloween regelmäßig zu Eierwürfen kommt, weil der Brauch (Unsitte?), Eier an Fenster und Türen zu werfen, häufig überstrapaziert würde und eben auch Menschen nicht davon verschont blieben. Ich staunte nicht schlecht darüber, was mir das Internet da präsentierte, wenn man nur schlau genug danach fragt. Ob Herr Grass überhaupt weiß, wo sich die „unpolitischen“ Studenten so rumtreiben? Kennt er vielleicht welche persönlich? Was ist das überhaupt für eine bescheuerte Feststellung, die Studenten von 2014 seien unpolitisch?

Die Gegendemonstranten gaben ihren Aktionen eine schöne, markige Überschrift: „Halt die Fresse, alter Mann!“. Ich würde es nicht ganz so drastisch formulieren aber mehr ist er ja leider nicht, alt. Keine moralische Instanz mehr, Gedichttitel, die sich wie Stammtischparolen lesen, und dann auch noch sein Auftritt mit Oskar Negt im Audimax der Leibniz Universität, eine Veranstaltung des Literarischen Salons, verglichen mit einer Fernsehsendung oder einem Auftritt auf einer Buchmesse doch höchstens Baumarktniveau. So tingelt also der Grass durch die Kulturstätten wie einst Zlatko Trpkovski durch die Supermarktketten.

Tja, eigentlich wollte ich ja etwas zur Verteidigung gerade dieses einen Fehlers finden, den Herr Grass begangen hatte. Nur deshalb schrieb ich ja mein Erlebnis mit dem Regenschirm nieder. Herr Putzig, der übrigens auch mit von der Partie war, warf mir in diesem Zusammenhang ja wieder einmal vor, dass meine Assoziationsketten einfach zu weit hergeholt seien. Fast glaube ich, er hat Recht. Die Waffen-SS mit einem Regenschirm zu vergleichen, auf so einen Quatsch muss man erstmal kommen.

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