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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Montag, 11. Februar 2013

Musen küssen keine Frösche

Ich lese gerade "Deutsch für Kenner" von Wolf Schneider und das hindert mich daran, auch nur einen geraden Satz zu schreiben. Meine Behinderung befällt mich, sobald ich auch nur das Schreibprogramm öffne und drauflos tippen will. Drauflos ist nicht mehr drin. Satzgefüge, -anfänge und -enden schweben in ständiger Bereitschaft die Stellung zu wechseln von hinteren zu vorderen Teilen, Verben gehen verlustig und die kleinen Kommata und Semikolen, Punkte und Ausrufezeichen, Fragezeichen und Doppelpunkte erscheinen plötzlich und unaufgefordert dazwischen und stören den ohnehin schiefen Klang der Satzmelodie.

Trithemius erzählte mir beim Kaffee heute etwas von "aus dem Bauch heraus" schreiben. Die Muse küsst nicht jeden aber wenn sie küsst, dann verhält sich das so, als ob nicht irgendwer schreibt, sondern der Text schreibt sich von selbst; aus dem Bauch heraus eben. Die Worte sprudeln nur so und bilden ganz plötzlich sinnvolle, schön klingende Sätze. Bei mir klingt es gerade so, als ob ich einen Frosch im Hals hätte. Mein Frosch heißt Wolf Schneider. Ich stelle mir gerade vor, wie ich irgendwo sitze, jemand fragt mich nach der Uhrzeit und plötzlich quakt ein Frosch aus meinem Hals heraus: "Guten Tag, mein Name ist Wolf Schneider". So ähnlich verhält es sich auch jetzt gerade. Ich wollte lediglich erklären, weshalb ich gerade nichts schreibe, nichts schreiben kann, und erwähnte ganz kurz dieses vermaledeite Buch und plötzlich schiebt sich der Frosch dazwischen und versaut mir den Artikel.

Auf dem Rückweg vom Café, in dem wir saßen, begegnete mir eine Frau, die sich verhielt wie eine Muse. Ich wollte gerade mit telefonieren ansetzen, da wechselte sie unvermittelt die Richtung und schlug einen Weg bloß weg von mir ein. Sie sah mich dabei an, wie ich dem Freizeichen lauschte und entfernte sich bereits vor dem Passieren. Alle Menschen, die auf mich zugehen, entfernen sich ja wieder von mir, wenn sie an mir vorübergegangen sind, was mir egal ist, ich kenne sie ja nicht. Aber diese Frau, die ging einfach schon vorher weg.

Man müsse schreiben über das Problem, dann löst es sich von selbst auf, sagte Trithemius auch irgendwann einmal. Habe ich hiermit gemacht.

Donnerstag, 7. Februar 2013

Reservierung möglich, Platz im Schatten nicht

Letzter Termin im Semester war die anstehende Klausur in der Psychologievorlesung. Ein paar der verhandelten Themen hatte ich hier, hier und hier bereits angeschnitten. Das erleichterte mir das Lernen, wie ich befand. Leider hatte ich mir längst nicht alle Zusammenhänge auf meine Weise gemerkt, was sich in der Arbeit später noch als Problem herausstellte. Die Annahme, Gelesenes bzw. Gehörtes bei erneutem Lesen wiederzuerkennen, stellte sich als falsch heraus, denn in einem Multiple Choice Test stehen neben den richtigen Antworten häufig auch ähnlich klingende falsche Antworten, die sich mitunter nur durch ein Wort unterscheiden.

Wie gut allerdings gänzlich andere Bereiche in unseren Gehirnlappen funktionieren, selbst wenn man Extremsituationen wie Prüfungen ausgesetzt ist, bewiesen gewisse Vorkehrungen einiger Studenten, die den Ablauf der Prüfungsvorbereitung betrafen. Wir saßen bereits alle an einem Platz unserer Wahl, als der Dozent mit seinen Helfern anrückte und uns freundlich des Raumes verwies. Ein wenig zu spät, dafür aber gut durchorganisiert präsentierte er uns kurze Zeit später den Hörsaal. Mit einem Abstand von zwei Sitzplätzen lagen die Vordrucke der Klausur ausgebreitet. Zwischen den Reihen nach vorn und hinten war jeweils eine Reihe frei gelassen und vorn an der Tafel standen zwei Bereiche mit Namensregistern – links von A bis Klages und rechts von Klatt bis Z. Darin hatten wir uns bei gleichzeitiger Prüfung unserer Identität durch das Hilfspersonal einzutragen. Gute deutsche Organisation.

Als ich endlich an der Reihe war und meine Unterschrift in die dafür vorgesehene Spalte machte, war bereits die Hälfte der Studenten damit fertig. Die „besseren“ Plätze, also die am Rand oder weit oben, waren größtenteils besetzt. Die „besseren“ Plätze, die nicht durch Personen besetzt wurden, waren anderweitig belegt. Da lag zwar kein Handtuch wie auf der Strandliege unterm Sonnenschirm auf Mallorca, dafür aber Taschen, Rucksäcke, Jacken oder Mäntel, die signalisierten: hey, hier sitzt schon jemand. Ich fand keinen Platz im Schatten mehr und musste mit einem Platz in der Mitte einer Reihe vorlieb nehmen. Als die Prüfung beginnen konnte, gesellten sich zu dem vorher schon aufgetretenen Hilfspersonal weitere Leute dazu, die sich mitten in die leer stehenden Reihen oder an den Rand stellten. Die liefen dann herum und beäugten die Prüflinge misstrauisch. Es gab also keine „besseren“ Plätze. Ich musste mich leider auf mein Wissen verlassen.

Dienstag, 5. Februar 2013

Kalenderblatt

Eigentlich ging es um Landtagswahlen in Niedersachsen. Genauer, es ging um die Landtagswahlen vor geraumer Zeit, wo es der CDU/CSU zum ersten Mal gelang in Niedersachsen Fuß zu fassen. Christian Wulff war da nicht mehr als eine Randnotiz auf der Rückseite. Eigentlich war das Ganze nur eine Randnotiz. Es war die Notiz eines Kalenders aus dem Hause des Bertelsmann Verlages, den ich in meinem Weihnachtskalender fand, und der am 02. und 03.02. wie jeden Tag ein Abreißblatt für mich bereithielt, auf dem die eben geschilderte Notiz stand.

Der Abreißkalender hält für jeden Tag eine historische Notiz bereit. Auf der Rückseite stehen manchmal noch ein paar Erläuterungen oder die Antwort des vorn abgedruckten Rätsels – heute zum Beispiel war auf der Vorderseite ein Rätsel zu Rosa Parks drauf, bei dem man raten sollte, wo Rosa Parks einfach sitzen blieb und damit die Welt veränderte. Gestern aber stand eine Erläuterung zur Causa Wulff drauf. Sein Werdegang wurde nachgezeichnet und die letzte Position, die er laut Kalenderblatt des 03.02.2013 innehat, ist das Amt des Bundespräsidenten, welches er vor fast einem Jahr aufgegeben hatte. Was hat sich der Bertelsmann Verlag nur dabei gedacht?

Dienstag, 29. Januar 2013

Die Nettohoffnung

Wissen Sie, was Nettohoffnung ist? Nein? Das habe ich heute gelernt, ich erkläre es Ihnen: Nettohoffnung ist die Differenz aus der Hoffnung auf Erfolg (HE) und der Furcht vor Misserfolg (FM) (ich halte mich bei dem hier eingeführten Abkürzungskonzept an das von unserem Dozenten nahegelegte, es gibt aber auch andere).

Die folgende Grafik verdeutlicht das Konzept, zumindest verdeutlichte es uns der Dozent der Vorlesung so. Ganz links steht die Hoffnung auf Erfolg. Das könnte zum Beispiel ein vielversprechender Flirt sein, den Sie durch Erfahrung, gutes Aussehen, Manieren und sprachliche Gewandtheit zu einem Abendessen zu zweit ausbauen möchten. Der Hoffnung auf Erfolg gegenüber steht – dargestellt als kleiner blauer Balken, der in der Luft zu schweben scheint – die Furcht vor dem Misserfolg. Als Beispiel könnten hier Ihre Plattfüße dienen oder Ihr leicht graumeliertes Haar, was Sie erwägen lässt, der Flirt könnte auch in die Hose gehen. Zieht man nun die Furcht vor dem Misserfolg von der Hoffnung auf Erfolg ab, so bleibt etwas übrig, ähnlich der Rechnung Fünf minus drei. Der Rest, also das Übriggebliebene, ist Ihre Nettohoffnung.



Die Nettohoffnung bleibt sogar eine Nettohoffnung, wenn es sich wie auf der nun folgenden Grafik zutragen würde: Der kleine in der Luft schwebende Balken ist Ihre Hoffnung auf Erfolg und die Bedingungen dafür sind deshalb so klein, weil Sie sie gar nicht in der Hand haben. Der vielversprechende Flirt müsste blind und taub sein und Schnupfen haben, damit aus dem Flirt etwas wird. Diesmal ist der große Balken Ihre Furcht vor dem Misserfolg, denn: zu ihren Plattfüßen, dem grauen, strähnigen Haupthaar gesellen sich noch eine Brille mit Einmachglasstärke, schiefe Zähne und schlechter Atem, dessen Sie sich natürlich bewusst sind.



Und das ist doch das eigentlich Schöne daran. In der Wissenschaft werden solche Zusammenhänge streng versachlicht. Da ist die Nettohoffnung trotzdem eine Nettohoffnung, selbst wenn sie plötzlich ein negatives Vorzeichen bekommt. Diesen Optimismus teilen natürlich nicht alle, vor allem nicht die Küchenpsychologen. Für die gibt es dann einen anderen Begriff, der sich gemäß der Rechnung nicht aus Hoffnung und Netto zusammensetzen darf, sondern aus Netto und Furcht. Die Küchenmathematiker hätten das übrigens auch anders gemacht, die hätten statt des negativen Vorzeichens einfach den Anfangssatz umgedreht: Differenz aus FM und HE anstatt Differenz aus HE und FM. Das bringt aber auch diese Gruppe auf die gleiche, andere Begriffsfindung wie die Küchenpsychologen. Da Nettofurcht aber blöde klingt, habe ich mir da was neues ausgedacht: nackte Angst.

Eins noch zum Schluss: niemals, ich wiederhole niemals! dürfen Sie sagen Ihre Nettohoffnung beträgt zwei (siehe die Beispielrechnung im ersten Absatz). Mit voller Absicht hat unser Dozent keinerlei Skalierung vorgenommen. Es existiert keine Skalierung. Es existiert überhaupt keine Wertvorstellung von Hoffnung oder Furcht, die Sie obendrein noch gegeneinander ausrechnen können. Alles, was Ihnen bleibt, ist die Hoffnung unterm Strich, ach vergessen Sie’s, es gibt keinen Strich! Nichts, es gibt absolut gar nichts, was Ihnen bleibt außer dem Netto und da können Sie noch froh sein! Beschweren Sie sich doch bei meinem Dozenten oder bei Atkinson oder bei Heckhausen oder bei den anderen Motivationspsychologen! Ich habe damit absolut nichts zu tun! Einen schönen Tag noch.

Mittwoch, 23. Januar 2013

Edda

Edda ist da. Die Tage waren turbulent, besonders der heutige. Zuerst ging es ganz normal weiter im Text. Ein paar Termine galt es noch zu erledigen, zwischendurch wurden die Wehen weggeatmet, bis es irgendwann hieß: lass uns mal in die Klinik fahren, es geht gleich los. Angekommen sind wir dort um 15:30 Uhr, und nur wenig später erblickte Edda nach kurzem erfolgreichen Kampf das Licht der Welt.

Die Ablösung des Abendsterns wurde um 17:55 Uhr vollzogen. Sie war 3200 Gramm schwer und 48 cm groß. Ich gehe jetzt in Pause und wünsche allseits Gute Nacht.

Montag, 21. Januar 2013

Ungekaufte Brote überall

Ich hätte gern einfach mal wieder ein bißchen Zeit, um was in mein Blog zu schreiben. Leider verhält es sich gerade so wie mit dem Schneetreiben da draußen: da denkt man für einen kurzen Moment, jetzt lässt es sich losgehen, aber sobald die Klamottenburg am Leibe sitzt und das Treppenhaus bezwungen wurde, weht einem körniges Eis in die Augen und Brauen.

Und wehe, es muss nach draußen gegangen werden, einen unvermeidbaren Weg erledigen. Da wird aufgeschoben, Zeit verplempert und lieber die ganze Wohnung mit dem Staubsauger von kleinem Split befreit, der sich unter den Schuhsohlen sammelt, als vor die Tür gegangen. Mit dem Schreiben ist es genauso. Lieber wird noch ein wenig gelesen, dort einmal reingeschaut und noch ein wenig Zeit verdaddelt und das dringend Wichtige bleibt liegen, wie der Schnee zur Nacht.

Jetzt ist es Abend und die letzte Gehwegräumung ist seit Stunden erledigt. Mich zwingt ein vergessenes Brot – es liegt noch ungekauft beim Bäcker – nach draußen, wie mich eine Vorbereitung auf ein Referat für morgen früh an den Rechner ruft. Und mir fällt nichts weiter ein, als diesem völlig nutzlosen Zeitvertreib nachzugehen. Ich sollte mich was schämen!

Mittwoch, 16. Januar 2013

Vergessen Sie Bartlett nicht!

Die heutige Vorlesung widmet sich dem Gedächtnis, wie auch schon die letzte. Von Ebbinghaus gehen wir über zu Bartlett, der kurz tangiert, meinen ersten Ausfall im Mief des Hörsaals markiert. Meine Gedanken schweifen ab, denn weder das unhöfliche Geschöpf in Reihe 1 noch die Grafik zum Drei-Stufen-Modell unseres Gedächtnisses können mich nachhaltig in Beschlag nehmen. Leider kann das für einen winzigen Augenblick dieser Frager, der sich nicht meldet, sondern durch einen Zwischenruf seinen Anspruch geltend macht. Ich sehe nur seinen Hinterkopf aber das reicht, um mir sein Gesicht vorzustellen; Sorte selbstverliebter Klugscheißer. Zu allem Übel hat sein mattschwarzes Haar keine kahle Stelle um den Wirbel, er ist also auch noch jünger als ich, besser informiert und trotzdem ein Arschloch, wie ich es wohl auch war, als ich noch alle Haare hatte.

Meine Gedanken sind jedoch längst beim Automaten draußen in der Vorhalle. Süßigkeiten kann man dort kaufen, Nervenfutter. Der Automat ist einer von den modernen, in denen alles rund zu laufen scheint, in denen es von Seiten der Technik keine Beanstandungen geben dürfte. Allerdings fehlen in der Beschriftung der einzelnen Fächer ein paar Nummern. Ein Spaßvogel von Automatenwärter könnte das gemacht haben. Wählte man so wie ich die Nummer 12, so ist man darauf angewiesen, die Zahlenfolgen natürlicher Zahlen zu kennen, denn eine 12 steht dort nicht. Die oberste Reihe mit ihren vier Fächern beginnt mit der 11, es folgt ein Fach ohne Zahl und darauf die Fächer 13 und 14.

Meinem prozeduralen Anteil im Langzeitspeicher verdanke ich das Wissen, wie ich die Tüte Gummitiere kaufen konnte. Nämlich das Abzählen der Münzen, die Eingabe in den dafür vorgesehenen Schlitz und die Auswahl der Zahlen auf dem Bedienpanel. Meinem semantischen Anteil im Langzeitspeicher verdanke ich das Erraten der fehlenden Nummer des Faches sowie die problemlose Übertragung der Nummer auf ein Produkt. Die 12 steht in diesem Fall für die Tüte Gummitiere und sie kostet 80 Cent. Meinem episodischen Anteil im Langzeitspeicher verdanke ich diese detailreiche Beschreibung des Automaten, weil die Kaufabwicklung durch fehlerhafte bzw. unvollständige Eingänge in meinem Ultrakurzzeitspeicher mein Kurzzeitgedächtnis intensiver beanspruchten und eine Zuhilfenahme des Langzeitspeichers notwendig war, um das Problem zu lösen.

Das episodische Langzeitgedächtnis kann aber noch mehr. Es erlaubt mir, zurückzuverfolgen, wie ich mich wunderte. Wunderte über die Zahlen der Produkte, die nach unten an Höhe gewinnen. Die oberste Reihe bilden die Nummern 11-14, darunter folgt 21-24, darunter 31-34 usw. Wenn Sie im Zimmer 36 eines Hotels wohnen, heißt das für Sie: es ist ungesund aus dem Fenster zu steigen; Sie befinden sich bereits in luftiger Höhe. Im Automaten hingegen ist der Weg von Fach 34 zum Boden kürzer als der Weg von Fach Nummer 12.

Dem episodischen Langzeitspeicher verdanke ich noch ein wenig mehr. Als ich eben von den „Etagen“ des Automaten schrieb, nieste eine Kommilitonin so niedlich, dass einige Studenten lachen mussten; dort saß nicht Tinker Bell, aber so hätte sie geniest. Kurz darauf in Reihe 8 schnarchte ein anderer Student so laut, dass es selbst der Dozent hören konnte. Auch das löste Erheiterung aus.

Soviel zu dieser Episode. Prägen Sie sich den Namen Bartlett ein! Ich bin schon genug gestraft mit dem Wenigen, was ich mir aus der Vorlesung merken konnte und Ihnen hier vorsetzte. Bartlett nämlich war es, der sagte, dass wir die Eigennamen in einer Geschichte am schnellsten vergessen würden.

Samstag, 12. Januar 2013

Raclette und umzu

Als ich gestern zur zweiten Runde unseres Kochabends im Esszimmer der geilen Heidi weilte – ich hatte mich diesmal so gesetzt, dass sie mir auf den Hinterkopf schauen musste – durfte ich meinen ersten Raclette-Abend erleben. Raclette kannte ich bis dahin nur aus Erzählungen. Auf dem Tisch thronte in der Mitte ein runder Grill mit einer Pfanne als Deckel und darunter war ein Fach für die kleinen Pfännchen eingebaut, die wir selbst bestücken konnten mit allerhand. Alles wurde erhitzt von einem runden Heizstab, der sich direkt unter der Pfanne und direkt über dem Zwischenraum der Pfännchen befand. Ich beobachtete die Wärmeentwicklung nach dem Einschalten genau und gab dann, nachdem die Temperatur zunahm, mein erstes Pfännchen darunter.

Die Zutaten für die Pfännchen standen um die Bratpfanne herum, umzu würde der Niedersachse sagen. Für mich waren sowohl die Vokabel umzu als auch das Procedere Neuland, weshalb ich ständig etwas vergaß, was ich eigentlich in meiner Pfanne haben wollte. Umzu den Raclettegrill standen neben diversen Dips eine Schale mit Kartoffeln, Fleisch, geschnittene Gemüse und Champignons sowie Schinken, Ei und Ananas. Letzteres, bekundeten gleich mehrere Anwesende ging zurück auf Deutschlands ersten Fernsehkoch und seine Erfindung des Toast Hawaii. Der erste deutsche Fernsehkoch war natürlich gar kein Koch. Trithemius, der neben mir saß und den herablassenden Blick der geilen Heidi am direktesten spürte, äußerte die Vermutung, dass dieser Fernsehkoch vielleicht Fernfahrer gewesen sei. Heidi und ich ließen kurz die Brauen hüpfen und ich versuchte dann an den Käse zu kommen.

Der Käse war an diesem Abend sowieso das am schwersten Einzuschätzende. Immer befand er sich am Rand des Tisches, relativ weit weg zur eigenen Position, so dass man nicht umhin kam, danach zu bitten und die wertvollen, kleinen Gesprächsbeiträge durch Zurufe zu unterbrechen. Gib mir mal den Käse rüber, war eine oft gehörte Floskel. Käse? Wo ist der Käse? Kannst du mir mal den Käse reichen? Damit nicht genug, es gab zwei Käsesorten zur Auswahl. Zum einen gab es Reibekäse, ein Edamer vielleicht, und zum anderen stand eine Schüssel mit Schafskäse bereit, der aus Kuhmilch war, wie die Gastgeberin einräumte. Alles war ständig im Fluss und bewegte sich um die heiß brutzelnde Pfanne in der Mitte, in deren Tiefe weitere kleine Pfännchen brutzelten.

Während ich meine Gedanken öfter treiben ließ – umzu „umzu“ kreisten sie – verging die Zeit wie eine Lunte an einer verspäteten Silvesterrakete. Ich kam zu dem Schluss, dass man „umzu“ entweder als Umschreibung für „Umland“ benutzen sollte und konsequent groß schreiben oder aber als Lokalpräposition, die den vierten Fall verlangt, benutzen sollte. Leider konnte ich das niemandem mitteilen, denn am Tisch saßen außer mir und Trithemius ausschließlich Niedersachsen, die sich um solche Kleinigkeiten keine Gedanken machen, sondern instinktiv das Richtige taten, vor allem, wenn sie „umzu“ benutzen. Ich verfiel auf den Zungenbrecher „In Ulm, um Ulm und in Ulm und um Ulm herum“. Die Bremer sagen nur „Bremen und umzu“. Da hatte ich es mal wieder schwarz auf weiß: während sich der Schwabe die Zunge bricht, ist der Bremer oder die Bremerin – eine aus unserer Runde kommt nämlich von dort – eher pragmatisch veranlagt und zieht einfach zwei Präpositionen zusammen. Warum soll man da auch lange drumzu reden?

Ich für meinen Teil bin äußerst satt geworden. Dass es auch Zwiebeln gab, erfuhr ich zwar gleich am Anfang, aber ich ließ das bis jetzt unerwähnt, weil ich sie immer wieder vergessen hatte. Anders als der obligatorische Käse sind Zwiebeln ja auch nicht jedermanns Sache. Muss ja auch nicht.

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Zuletzt aktualisiert: 12. Dez, 08:51

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