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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Donnerstag, 7. März 2013

Mongolen meiden den Appendix

Wollte gerade einen Beitrag über die mongolischen Horden schreiben, die mich heimgesucht haben. Lasse das lieber. Hätte auch einen Beitrag zu meiner derzeitigen Prokrastination schreiben können, lasse ich aber auch. Schreibe lieber was zum Wort Prokrastination. Schreibe, dass Prokrastination aus dem Lateinischen kommt. Kann man nachlesen, steht so bei Wikipedia. Das stimmt, hab's im Stowasser erblättert. Wikipedia beginnt mit den Worten:

"Aufschieben, auch Prokrastination (lateinisch: procrastinatio ‚Vertagung‘, Zusammensetzung aus pro ‚für‘ und cras ‚morgen‘), Erledigungsblockade, Aufschiebeverhalten, Erregungsaufschiebung oder Handlungsaufschub ist das Verhalten, als notwendig aber auch als unangenehm empfundene Arbeiten immer wieder zu verschieben, anstatt sie zu erledigen."

Nur das tinatio, den mitgeschleiften Appendix dieser Lehnwortkaskade, den hat Wikipedia nicht erklärt. Der findet sich auch nicht im Stowasser. Man könnte ja vermuten, es handele sich dabei um etwas ähnliches wie das deutsche Suffix ung, das aus allen möglichen Wortformen ein Substantiv des Vorgangs, eines Ergebnisses eines Vorgangs oder einer Raumbezeichnung macht.

Wie dem auch sei. Der Appendix ist genauso lang wie der erklärte Teil des Wortes procrastinatio. Das bringt mich wieder zu den mongolischen Horden zurück. Die kamen auch ohne Erklärung, marodierten in meinem Darm herum und verlangten an jeder Schlinge, auf die sie trafen ein Wegegeld. Meinen Appendix aber ließen sie rechts liegen, die Schlingel. Die wussten schon, dass das eine Raumbezeichnung sein muss; sozusagen eine Sackgasse.

Sonntag, 3. März 2013

letzte Lesung: Bodenschrubben mit Jules van Ley

Ursprünglich war der Artikel für ein Onlinemagazin gedacht. Dort erschien er aber nicht, deshalb erscheint er jetzt hier.

Beklemmung stellte sich glücklicherweise nicht ein. Sie könnte sich aber aus der Vorstellung ergeben, ein Kaffeelöffel in einer dunklen Besteckschublade zu sein, einem übermächtigen Gott huldigen zu müssen, nur, um bequemer zu liegen, ab und an das Licht zu sehen oder nicht herausgenommen zu werden aus der gewohnten Umgebung. Beklemmend wäre es wahrscheinlich gewesen, hätte die Erzählung aus Kafkas Feder gestammt. Kafka war aber nicht da. Es war Jules van der Ley, der den Mittwochabend im „Zensurfrei“ bestritt, diese und andere groteske Szenen beschrieb, den Beklemmungen ein Augenzwinkern verpasste und den Zuhörern mindestens ein Lächeln abgewann. Jules van der Ley ist gelernter Schriftsetzer, hat darauf Kunst und Deutsch studiert und diese Fächer später auch unterrichtet, war lange Jahre als freier Autor für das Satiremagazin „Titanic“ tätig und ist seit geraumer Zeit mit seinen mittlerweile 3 Blogs und mehr als 2000 Texten im Internet aktiv. Wenn er einmal nichts schreiben kann, so erzählte er, fertige er Collagen zum Zeitgeschehen an.

Die von ihm gelesenen Texte entstammten allesamt dem großen Fundus seiner Blogs. Zwei Schwerpunkte hatte Jules van der Ley dabei gesetzt; zum einen seine Textreihe „Surrealer Alltag“, dem auch der oben beschriebene Text „Die Philosophie des Kaffeelöffels“ entsprang, und zum anderen Auszüge seines Internetromans „Die Papiere des Pentagrion“, an dem mittlerweile nicht mehr nur er schreibt, sondern auch andere Autoren, die eigene Handlungsstränge erfunden haben und das Projekt vorantreiben. Jules van der Ley bedauerte an dem Abend ein wenig, selbst nicht daran weiterzuschreiben, hat sich dies aber für die nahe Zukunft fest vorgenommen. Ein Ausblick der erwartungsvoll stimmt, denn beide Textauszüge, die Reihe „Surrealer Alltag“ als auch „Die Papiere des Pentagrion“ wurden mit Begeisterung aufgenommen.

Der Autor Jules van der Ley reihte sich mit seiner Lesung in eine Veranstaltung ein, die für etwa zweieinhalb Jahre jeden zweiten Mittwoch im Monat in der Bar „Team Nordstadtbraut“ das Abendprogramm darstellte. Gelesen haben dort neben noch größtenteils unbekannten „Newcomern“ auch gestandene Größen der lokalen Poetry Slam Szene. Es waren auch immer wieder Autoren dabei, die ein eigenes Buch im Gepäck oder mindestens in Planung hatten. Matthias Göke, dem Initiator der Lesereihe, war es wichtig, sich abseits vom Mainstream zu bewegen. Es ging und geht ihm dabei nicht um Gewinn, sondern um einen schönen Abend in lockerer Atmosphäre. Matthias Göke ist in der Literaturszene Hannovers kein Unbekannter. Seine ersten Gehversuche fanden bereits während seines Studiums statt. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des heute noch erfolgreichen Literarischen Salons.

Dass die letzte Veranstaltung seiner Lesereihe nicht in seinem „Stammlokal“ stattgefunden hatte, dafür gab es viele Gründe. Der wichtigste war allerdings, dass sich Matthias Göke wieder einmal neu erfinden will. „Bodenschrubben“, so hieß die Lesereihe, die im „Zensurfrei“ ihren Abschluss fand, war nicht sein erstes Projekt. Bereits 12 Jahre lang hatte er zuvor die Lesereihe „Fliegenköpfe“ ausgerichtet. Den Schwerpunkt bildeten auch hier Slammer und junge Autoren, stattgefunden hatte es in einer Druckerei am Weidendamm in der Nordstadt.

Aber was heißt hier Abschluss? Neubeginn trifft es wohl eher, denn mit dem „Zensurfrei“ ist es Matthias Göke nicht nur gelungen einen geeigneten, unverbrauchten Ort für sein neues Projekt zu finden, er hat mit dem Blogger Jules van der Ley auch gleich bewiesen, dass gute Unterhaltung nicht nur mit hochbezahlten, bekannten Autoren gelingen kann. Das „Zensurfrei“, hier soll auch in Zukunft gelesen werden, hat erst kürzlich die Räumlichkeiten der ehemaligen Bar „Cille“ übernommen. Agnia und Vitaly, die noch jungen Betreiber des Lokals, standen dem Projekt von Anfang an aufgeschlossen gegenüber. Es ist ihr Anspruch, die Kulturszene der Nordstadt zu bereichern. Dazu veranstalten sie Abende mit Live-Musik oder Dj‘s oder sie lassen junge Künstler ihre Bilder in den Räumlichkeiten ausstellen. Eine Lesereihe passt also sehr gut ins Portfolio.

Das Publikum am Mittwoch war sehr zufrieden mit dem Verlauf des Abends. Sogar eine Zugabe, wie man sie sonst vielleicht eher von Konzerten kennt, wurde verlangt und natürlich auch eingelöst. Das gewünschte Resultat, nämlich einen schönen Abend in lockerer Atmosphäre zu verbringen, ist absolut gelungen. Bitte mehr davon!

Mittwoch, 27. Februar 2013

Der homo smartphone und sein Faible für Thüringer Klöße

Gestern Abend saß mir Trithemius schräg gegenüber, unsere bevorzugte Sitzposition zueinander. Er sitzt mit seiner starken Seite, der rechten, zu meiner linken Seite, der emotionalen, wie er mir einmal erläuterte. Das Smartphone lag betriebsbereit am linken äußeren Rand des Tisches und Trithemius entschuldigte sich sogleich dafür, weil er meine Antipathie gegenüber diesem Teufelszeug kennt. Er hätte es nur kurz benutzt, als ich zur Toilette war.

Als ich dann zufälligerweise einen Satz sagte, der ungefähr so lautete: das neue gut ist schlecht, hob er seinen Kasten auf und tippte ihn als Memo in sein outgesourctes Gedächtnis. Mir ging das alles nicht schnell genug und weil wir uns sowieso gerade darüber unterhielten, welchem Umstand wir die millionenfache Verbreitung von Dummheit wie „Thüringer Klöße“ verdanken, breschte ich gleich weiter, indem ich dem Smartphone und seinen vielfältigen Möglichkeiten der Ablenkung die Schuld gab.

Ich erzählte kurz von einem Mittagessen im Spandau, einer Bar, meinem Arbeitsplatz, bei dem ich allein mit einem Spiegel ausgestattet vor mich hin starrte und mein Essen genoss. Kurz bevor ich fertig wurde, setzte sich ein entfernter Bekannter zu mir an den Tisch. Ich unterbrach meine Lektüre und kurbelte trotz unterschiedlicher Interessenlagen ein Gespräch an. Wir kamen auf das Strandleben zu sprechen, was am Ostersonntag eröffnet werden soll. Ostersonntag sei der 31.03. verlautbarte ich noch. Weil da mein Sohn zwei Jahre alt wird, weiß ich das so genau. Der bekannte wusste das nicht so genau, saß mir außerdem direkt gegenüber und prüfte kurz darauf via Smartphone, ob meine Aussage denn korrekt sei. Da er außerdem am Aufbau des Strandlebens, insbesondere der Wiederherstellung von Elektrik und Wasseranschluss, beteiligt ist, wollte er sich dies wahrscheinlich gleich als Memo in seinen Tausendsassa einspeichern. Und weil mir das zu lange dauerte – das Gespräch verebbte natürlich nebenbei – und ich nicht sehen konnte, was er tatsächlich tat, stellte ich mir vor, wie er auch noch schnell seine Emails checkte, seinen Kontostand und seinen Facebook-Account auf Neuigkeiten überprüfte. Nach ca. 10 Minuten wollte ich dann auch nicht mehr sprechen, blieb aber höflich und hörte noch ein wenig zu. Der Spiegel lag ungelesen vor mir, weil ich aus Höflichkeit natürlich nicht danach gegriffen hatte, als mein Gegenüber sein Handy fütterte.

Nachdem ich diese Episode erzählt hatte, sagte ich Trithemius, wie selbstverständlich ich seinen Griff nach einem Notizbuch gehalten hätte, wäre ich mir doch sicher gewesen, dass er dort lediglich etwas notiert. Genauso wie ich es als Signal eines Endes verstanden hätte, wenn sich mein Gegenüber eine Zeitung nimmt und darin liest, das hätte ich zwar als unhöflich empfunden aber wenigstens ist es konsequent. Bei einem Smartphone aber weiß man nie, was als nächstes passiert. Da kann plötzlich ein volksliedartiges Nonsenslied über Thüringer Klöße erschallen oder ein Memo über das neue gut verfasst werden, oder eine SMS wird empfangen, eine Antwort getippt, ein Anruf trudelt ein oder eine Statusmeldung via Facebook. Man selbst sitzt dann einfach da und wartet die Zeit ab, die der homo smartphone im Kegellicht seiner Verdämmerung verbringt. Und dann schauen sich dieses vollverblödete Video auf Youtube auch noch mehr als 2.000.000 Menschen an, so dass der Urheber bei Joko und Klaas in die Sendung darf, um auch denen den Blödsinn beizubringen, die mal wieder den Trend im Netz verpasst haben, ihn gar nicht sehen wollen oder – so wie ich – gar kein Smartphone besitzen.

Dienstag, 26. Februar 2013

Schaumschläger

Früher war alles besser. Ich schneite gerade durch die Küche, als mich dieser Satz befiel. Mein Blick, getrübt durch allerhand Kaffee, wanderte zu einer fast völlig entleerten Minischaumkusspackung, deren Inhalt sich auf lediglich drei dunkle Minischaumküsse beschränkte. Ich hasse die dunklen, nur leider sind sie in der Überzahl und am Ende meistens übrig.

Schon seit geraumer Zeit denke ich mir, es müsste mehr Individualität geben, zum Beispiel Minischaumkusspackungen, wo nur hellbraune Minischaumküsse drin sind, oder kleine Gummibärenpackungen, wo nur grüne Gummibären Platz haben. Manche würden jetzt einwenden, dass die weißen doch viel besser schmecken, von mir aus also kann es auch Packungen mit weißen Minischaumküssen oder Gummibären geben.

Das Seltsame daran ist ja auch nicht mein Wunsch nach freier Farb- und Geschmackswahl, sondern vielmehr der Umstand, dass das absolut nichts mit früher zu tun hat. Früher konnte ich froh sein, wenn ich überhaupt mal einen Gummibären sah, von Negerküssen – so hießen die früher noch – mal ganz zu schweigen. Ich muss also feststellen, dass bis auf den mittlerweile reflektierten Umgang mit dem Wort Neger – in Gedanken schiebt sich immer noch der Negerkuss vor alle anderen Bezeichnungen – nichts anders geschweige denn besser geworden ist.

Mittlerweile habe ich alle drei Minischaumküsse verputzt. Ich beiße ihnen immer den Kopf ab, vielmehr ich beiße die Schokoladenhaube ab. Dann sauge ich vorsichtig den Schaum aus der Hülle. Es bleibt ein leerer Behälter aus dunkler Schokolade mit ein paar Resten von Schaum am unteren Ende. Bevor ich zum Schluss die Schokolade mit der Waffel esse, balanciere ich den Minischaumkuss von der rechten in die linke Hand und lecke mir die Finger ab. In diesem Verfahren bin ich gut.

Und weil ich mich so auf das Schreiben konzentriert habe, konnte ich gar nicht merken, wie scheußlich dunkle Schokolade auf Minischaumküssen schmeckt. Im Endeffekt sind die Minischaumküsse sowieso alle gleich und die Geschmacksrezeptoren behalten am Ende nur die Süße übrig. Was rege ich mich also auf? Keine Ahnung.

Montag, 25. Februar 2013

Kopfdämmung

Ich war schon wieder für das Niedersächsische Staatstheater unterwegs. Am Samstagabend hatte „Heaven“ Premiere. Ich war für die Requisite zuständig. Die war komplett fertig und musste nur noch kurz hin und her geschoben werden, was nicht weiter verwunderlich ist, denn das Procedere sieht vor, am Abend vor der Premiere die Generalprobe laufen zu lassen, die natürlich inklusive Requisiten abläuft. Also nicht wirklich viel zu tun.

Der Pausenumbau, bei dem ich wie öfter schon eher unbeteiligt herumstand und außer ein paar Büchern und Plastikflaschen aufzusammeln nichts weiter zu tun hatte, gestaltete sich ebenfalls stressfrei. Die Pausen dazwischen waren lang, aber sie werden bezahlt. Beklage ich mich also nicht. Ein Stück Schokolade gab es, eine Karte mit dem obligatorischen „Toi Toi Toi“ darauf und eine kleine Piccolo Flasche alkoholfreien Sekt, umetikettiert auf eine imaginäre Sektkellerei in Wolfen; dort spielt das Stück.

In der zweiten Pause, also nach dem Umbau, geriet das Gespräch in den Räumlichkeiten der Requisite ein wenig außer Kontrolle. Nicht nur, dass mir ein Namenspatron über die Leber lief, der so heißt wie mein Alter Ego im Netz. Dieser Patron ist außerdem auch noch einflussreicher Architekt, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine Lobby zu bekämpfen, die sich der Sanierung inklusive Wärmedämmung von Häuserfassaden widmet.

Wie stark diese Lobby ist, bewies ein Schreiben des Dachverbands, der bereits vor der Ministerkonferenz zu dem Thema seinen Mitgliedern bescheinigte, sie bräuchten sich keine Sorgen machen, es bliebe alles wie gehabt. Natürlich blieb es dann auch wie gehabt und nur die Deppen aus der Politik nahmen dazu Stellung; von den Strippenziehern im Hintergrund natürlich niemand. Die Reportage bildete den Abschluss einer heißen Diskussion, der ich als Laie und Mieter beiwohnte. Daneben sprachen auf mich ein eine Architekturstudentin und ein Hausbesitzer, die der gleichen Meinung waren wie der Architekt im Fernsehen: Fassadendämmung amortisiere sich nicht und der verbaute Stoff sei ohnehin höchst umweltgefährlich.

Alles richtig. Ich nickte nur, staunte über den ganzen Kram und kam einfach nicht dahinter, wo der Haken ist. Natürlich, der Dämmstoff ist das Prädikat „schwer entflammbar“ nicht wert, höchst umweltschädlich und überhaupt sind die Machenschaften mehr als fragwürdig. Die herangezogenen Tests, selbst die DIN-Norm sind nur Maßgaben, die von der Industrie selbst eingeführt worden sind. Ein Riesenschmu! Empört, wie meine beiden Gesprächspartner, war ich indes nicht, und ich wusste bis zum Sonntag auch nicht warum.

Als ich am Sonntag den Bericht der Neuen Presse zum Opernball las, geriet ein kleines graues Fenster zwischen die Fronten. Es war überschriftet mit „Der Opernball in Zahlen“. Es fand sich eine genaue Zahl der Orchideen, 2200, eine genaue Zahl der Kilometer handverarbeiteten Aludrahtes, 14 Kilometer, Gäste, Debütant:innen usw. Aber die Zahl derer, die das erst möglich gemacht haben, die Techniker, Floristen, Bartender, Requisiteure, Elektriker usw., die Zahl gab es nicht. Die Zahl war uninteressant. Diese Zahl ist insgesamt vielleicht ähnlich hoch, wie die Zahl der Teilnehmer am Opernball.

Und nun schauen wir uns doch einmal die Nutznießer der Fassadensanierung an. Das scheint eine kleine einflussreiche Gruppe von Leuten zu sein, die Haus- und Wohnungsbesitzern laut Gesetz das Geld aus der Tasche ziehen dürfen für sinnlose und überteuerte Dämmung. Doch wer lebt denn in den Häusern? Nur die Besitzer? Nein, in Deutschland lebt ca. die Hälfte der Bevölkerung zur Miete, die sind sicherlich auch an den Kosten von Sanierung beteiligt aber längst nicht so stark betroffen wie Häuslebauer oder Mehrfamilienhausbesitzer. Dass vieles schlecht ist, was da gemacht wird, keine Frage, aber dass sich nicht wenigstens für ein paar der Mieter tatsächlich ein Vorteil einstellt, wenn die Besitzer der Häuser zur Sanierung gezwungen werden, kann ich irgendwie nicht glauben. Hier wurde auch nur die Hälfte berichtet, sowohl aus Sicht des Mieter- Vermieterverhältnisses als auch aus Sicht des verantwortungsvollen Sanierers gegenüber dem „armen“, uninformierten Sanierer von Wohnungs- oder Hauseigentum.

Die beiden Mitstreiter konnten sich breitbeinig dagegen stemmen, der eine ist Hausbesitzer und informiert sich eben und die andere studiert Architektur und macht es hoffentlich irgendwann besser als der Großteil ihrer Zunft ( so klang es in den Filmen zumindest an ). Ich sitze dazwischen, habe kein Haus aber Schimmel in der Mietwohnung. Und frage ich die Fachleute danach, so stellt sich heraus, da muss der Vermieter am besten dies und das tun. „Die Wände müssen atmen“, höre ich dann, „reiß‘ die Innendämmung wieder ab“, „zieh‘ um“. Ja, ja. Das ist wie beim Opernball: nur weil ich dem Hornbläser auf den Mund und die Hände gucke, heißt das noch lange nicht, ich könne jetzt ins Horn blasen.

Freitag, 22. Februar 2013

Opernball: Hinter den Kulissen ist es einfach überirdisch

Das Motto des diesjährigen Opernballs in Hannover ist „Einfach überirdisch“. Es gibt im Foyer eine kleine Mondkapsel, allerlei bunte Bilder mit fernen Galaxien, Spiralnebeln und sonstigen Erscheinungen, die furchtbar weit weg sind. Es gibt einen Raum der sich thematisch mit Star Trek beschäftigt, eine Barbarella-Suite, eine Bar namens Higgs-Corner und vieles mehr. Eine Zaunbaufirma muss mit dem Blumendekorateur einen Deal gemacht haben, bei dem sich beide eine goldene Nase verdient haben. Es sind im ganzen Opernhaus kleine Knäuel Aluminiumdraht verteilt worden; legte man den Draht geradeaus aus, so entstünde wahrscheinlich eine Strecke von hier bis zum Mond. In jedem dieser Knäuel stecken mindestens 3 Orchideen, dazu kommen noch jede Menge Gestecke in kleinen Vasen, Glasschalen und und und.

Nichts davon hielt für uns, die kleinen Räder im Getriebe der Requisite, eine Überraschung parat. Es war genau der gleiche Job wie im letzten Jahr, in dem Jahr davor, davor und auch noch davor. Seit meinem Einstieg als Aushilfe beim Opernball heißt es für mich und die anderen: am Donnerstag vor dem Opernball kommen mehrere große Wagenladungen mit Stühlen, Hockern, Schemeln, Sesseln, Sofas, Tischen, Beistelltischen, Bartresen, Sitzkissen, Lampen und anderen Kleinigkeiten, die sich auf allen Ebenen im Opernhaus wiederzufinden haben. Was neu war, war die formschöne, mit kleinen Fotos und Erläuterungen versehene Tafel, die am Eingangsportal, dem Hauptanlieferort, aufgestellt wurde. Der Chef stand dort mit einem Stift bewaffnet und kämpfte mit windmühlenartiger Gestik gegen das Chaos. Das Chaos ist schneller als sein Ruf, schneller als das Licht möchte man meinen, denn wir waren noch nicht ganz da und einsatzbereit, da kullerten schon die ersten hektischen Schweißperlen von den Stirnen der Verantwortlichen.

„Wie viele Stühle gehen jetzt da hin? Wie viele sind schon da? Geh mal hoch und funke mich an! Ist die Tischplatte jetzt 70 oder 80 cm im Durchmesser? Nein, die Glasplatten müssen auf den Balkon! Halt! So, jetzt kannst du losgehen, jetzt habe ich dich abgehakt!“ Ich wurde hundertmal abgehakt. Wir alle wurden bestimmt hundertmal abgehakt. Wir nahmen ein Teil, gingen zur Tafel, erfuhren unseren Bestimmungsort und stöhnten, wenn es der dritte Rang war. Es nutzte nix. Ein paar Sachen waren nachher falsch und mussten nochmal woanders hin. Ein paar Sachen kamen nicht, manches war kaputt und von anderen Sachen hatten wir zu viel. Alles in allem hatten wir durch die formschöne, mit kleinen Fotos und Erläuterungen versehene Liste einen kleinen Vorteil gegenüber dem Chaos errungen, den es uns bis zum Schluss nicht mehr streitig machen konnte.

Das Schöne an der Arbeit für die Requisite ist, man kommt in jeden Raum. Man kann sich alles ansehen, die Technik, die Dekorationen. Im Opernsaal hing ein Sonnensystem an der Decke. Verschiedene Planeten machten die Runde, mit Kratern drauf oder ohne, mit Ringen oder ohne, aber alles war sehr bunt und bewegte sich entweder um sich selbst, in der Höhe oder hing einfach still da. Der Boden war mit riesigen Tafeln bedeckt, auf dem die komplette Milchstraße abgebildet war oder nur ein unbedeutender Teil unserer oder einer fremden Galaxis. Wir fanden es nicht heraus, flachsten aber, wie der alte Ministerpräsident mit dem neuen Ministerpräsidenten über den Boden laufen würde und alle beide nach unserem Sonnensystem suchen.
„Guck mal, David, hier muss es sein!“
„Nee, Stephan, das ist viel zu nah am Zentrum, wir sind doch eher in der Peripherie!“

Auf den Seitenbühnen hatten wir leider nicht so viel zu tun, da herrschte noch am meisten Betriebsamkeit. Ich wurde mir dessen immer erst gewahr, wenn ich meinen Stuhl abgestellt hatte und plötzlich mitten im Weg einer Aktion stand, die die Technik plötzlich genau an dieser Stelle auszuführen hatte. Das konnte auch schon mal ein Gespräch sein über eine Dekoration, die sich zufällig über mir befand. Dann sprang ich flink zur Seite und suchte mir ein neues Objekt zum Hin- und Hertragen. Komischerweise war ich nie im Weg, wenn ich mich selbst auf einem befand, selbst wenn ich dabei kurz irgendwo herumstand, weil es nicht weiterging, wuselte es immer um mich herum und nie dort, wo ich war. Aber alles lief freundlich ab, kein Geschrei, kein Anschnauzen, fast alle waren die Ruhe selbst.

In anderen Galaxien, also abseits der Bühnen, gestaltete sich mein Aufenthalt auch irgendwie ambivalent. Auf dem Hinweg, beladen mit Möbeln aller Art, bahnte ich mir meinen Weg durch Floristinnen, Techniker, Fotografen, Kellner usw. und auf dem Rückweg schlenderte ich mit einem großen Pulk an Spaziergängern, die ihr Werk begutachteten, zurück zur Eingangshalle, wo uns wieder neues Gepäck erwartete. Es war immer das Gleiche. Auf dem Hinweg sah ich nur arbeitendes Volk und auf dem Rückweg war ich einer von Vielen, die mit einem Exklusivrecht ausgestattet zu sein schienen: wir waren die ersten, die sich ein Bild vom Opernball machen durften, noch vor der Eröffnung!

Mittwoch, 20. Februar 2013

Aktionsplanpuzzle

Falls Ihnen langweilig sein sollte, falls Sie eine ruhige Minute haben oder falls Sie einfach mal etwas tun möchten für den Phrasenbrei in der Politik, empfehle ich Ihnen folgendes Puzzle. Dieses Kleinod moderner Sprachspiele ist unter Zuhilfenahme diverser Synonymwörterbücher und des Dudens entstanden.

Laden Sie sich die Grafik einfach herunter und drucken Sie sich ein oder mehrere Exemplare davon. Schneiden Sie die einzelnen Felder sorgfältig aus und sortieren Sie sie ihren Farben entsprechend auf die einzelnen Haufen. Die 3 oben abgedruckten Felder dienen als Beispiel und sind deshalb etwas kräftiger in der Farbe. Das Beispiel kann aber, sobald Sie das Spielprinzip verinnerlicht haben, ebenfalls verwendet werden. Die nach Farben sortierten Bestandteile können Sie nach dem oben abgedruckten Beispiel ansonsten völlig frei anordnen. Die beiden unten abgedruckten Ergänzungen, das -s- und das -n- schieben Sie bei Bedarf einfach dazwischen.

Viel Spaß!

Samstag, 16. Februar 2013

Kantinennovellettchen

Wir saßen zu fünft in diesem Raum. Es roch nach abgestandenem Rauch, was mich früher nicht gestört hätte. Meine beiden Kollegen aus der Technik – wir trafen uns zufällig am Eingang der Kantine – wollten ihre Feierabendzigarette mit ihrem Feierabendbier genießen. Wir gingen also in den kleinen Räucherraum und erzählten uns von unserem Tag, bis wir nichts mehr zu erzählen hatten. Das ging etwa 5 Minuten so. Danach schwiegen wir drei.

Uns gegenüber saß ein Schauspieler in „Zivil“. Ich nahm an, dass es seine Zivilkleidung war, denn er sah so natürlich darin aus. Er trug eins dieser rosafarbenen Polohemden mit dem kleinen grünen Reptil drauf. Er rauchte Cohiba ohne Filter und schaute hin und wieder aus seinem Skript nach oben in unsere Runde. Er bewegte dabei kaum den Kopf, denn seine Brillengläser waren so überdimensioniert, dass er nicht hätte darüber schauen können, wenn er den Kopf gehoben hätte. Wie er so dasaß mit seiner Sparsamkeit, kam er mir vor wie ein großes Reptil.

In der Ecke zwischen uns dreien und dem Reptil saß noch ein Schauspieler, dieser war kostümiert und geschminkt. Seit seinem letzten Einsatz auf der Bühne – das Stück lief ja schon geraume Zeit – muss er ein Fass Mehl abbekommen haben. Zumindest waren seine vormals schwarzen Klamotten überall von weißem Staub bedeckt. Auch er sah in ein Skript und blätterte die blau markierten Stellen weg; war wohl nicht sein Text.

Mittlerweile war es totenstill im Raucherabteil des Schauspielhauses. Hin und wieder raschelte ein Papier, eine Zigarette wurde angesteckt oder ausgedrückt, Atmung, Schuhe, die über den Boden scharren.
Kurz darauf ging die Tür auf, ein junger Mann betrat den Raum, gefolgt von einer älteren Dame. Er gehörte offensichtlich nicht zum Haus. Die Frau zeigte nur kurz auf den Zigarettenautomaten in der Ecke, murmelte etwas Unverständliches und ging wieder. Der junge Mann stellte sein Bier auf den Tisch, alle Blicke weilten auf seinen Händen, die in einem Portemonnaie nach Kleingeld suchten. Dann richteten sich die Blicke wieder weg und die Zigaretten purzelten den Schacht herab.

Ich besah mir den Automaten genauer, konnte aber keine Cohiba darin entdecken. Der junge Mann rauchte Nil. Bald ist das Stück zu Ende, dachte ich, mein Blick fiel auf die Armbanduhr des Cohibarauchers, die mir kopfüber entgegenleuchtete. Laut den riesigen Ziffern auf seiner Digitaluhr im Retrodesign war es 21:87 Uhr. Es war natürlich 21:07 Uhr, denn dem Querstrich in der Null, der wegen meines schräg darauf liegenden Blickes ebenfalls zu sehen war, war diese seltsame Zeit zu verdanken. Später stellte sich übrigens heraus, dass er doch nicht in "Zivil" war. Er musste eine Art Kurzauftritt gehabt haben, bei dem ihm jemand auf die linke Schulter kotzte; so begegneten wir uns jedenfalls später im Treppenhaus: er mit Sputum, ich mit Requisiten beladen. „Störe ich hier eigentlich?“, fragte der Nilraucher plötzlich. Niemand bejahte. Ich auch nicht, ich überließ lieber den Schauspielern das Wort. Die schüttelten nur ihren Kopf. Das habe ich noch nie gefragt, dachte ich.

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