Willkommen

Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

Kontakt

shhhhtwoday(at)googlemail.com

Aktuelle Beiträge

Studenten - ein lustiges...
Studenten - ein lustiges Völkchen. Die Norddeutschen...
Shhhhh - 22. Mär, 21:06
Rheinschiffer ist besser...
Rheinschiffer ist besser als Rheinscheißer ("Gibt's...
Shhhhh - 22. Mär, 21:04
Am ältesten ist die seit...
Am ältesten ist die seit dem 13. Jahrhundert belegte...
C. Araxe - 21. Mär, 21:59
Bei uns gibt es nur R(h)einschiffer.
Bei uns gibt es nur R(h)einschiffer.
Lo - 20. Mär, 23:10
Altsprachler und Schwallhalla-Kenner:...
Altsprachler und Schwallhalla-Kenner: Schifffahrt →...
NeonWilderness - 15. Mär, 23:12

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Freitag, 13. Mai 2011

Die astralen Novelletten: Scheerbart II

Teil I gibt es hier.

Von den Naturgesetzen und der Wissenschaft

Während Scheerbart in „Professor Kienbeins Abenteuer“ noch sehr behutsam vorgeht und den Erzähler erzählen lässt, was ein weiterer erlebt hat, ist er an anderer Stelle offensiver gegen die Naturgesetze vorgegangen. Bei der zuerst angesprochenen Novellette trifft der Erzähler auf den Professor, der ihm Tagebucheinträge zum Abschreiben überlässt. Darin ist von einem Neptunwesen die Rede, dass so dünn und feinhörig ist, dass ein Kontakt nur durch die Erfindungsgabe des Professors Kienbein zustande kommt. Die beiden unterhalten sich, das Sichtbarmachen des Wesens scheitert aber. Das Neptunwesen erzählt dem Professor von der Arroganz der Menschheit und ihren Naturgesetzen, bleibt dabei jedoch stets unpräzise. „Es ist einfach – alles komplizierter…“ , hört man das Wesen ein ums andere Mal von sich geben. Der Gravitation setzt das Wesen das Prinzip der Abstoßungskraft entgegen und vergleicht den vom Menschen geschaffenen Kosmos und den darin angeblich vorherrschenden Gesetzen mit dem im 19. Jh. entstandenen Verfassungsstaat. Scheerbart scheint hier beides, Naturgesetze und Verfassungsstaat in ihren jeweiligen Absolutheiten in Zweifel ziehen zu wollen. Im Übrigen ist dies die einzige „Begegnung der dritten Art“ in den Novelletten.
Dass Scheerbart keineswegs nur über „Dritte“ vermittelt, wird in der Jupitermond-Novellette sehr deutlich. Die beiden Forscher, die im Laufe der Jahre 2009 bis 2012 ein großes Teleskop betreiben, benötigen für die Weiterfinanzierung ihres Projekts Ergebnisse. Nach mehrmaligem Ausbau der Anlagen kommt es durch Zufall zu einem ansehnlichen Resultat. Es werden in einer Nacht Hunderte von Bildern produziert, die in den kommenden Jahren ausgewertet werden. Das Prinzip der Luftspiegelung, die Fata Morgana, benutzt Scheerbart in unverschämt unwissenschaftlicher Weise. Hier lässt er die Wissenschaftler einen Nebel entdecken, der durch seine speziellen Luftschichten wie eine Linse funktioniert und den Blick auf den Jupitermond freilegt. Die Atmosphäre dieses Mondes wird entgegen der Gravitation von Flüssen durchzogen, lapidar stellt einer der Forscher hier fest: „Eine Anziehungskraft, die der Anziehungskraft entspricht, die wir auf unserer Erde kennen, existiert auf diesem Jupitermonde nicht. Das überrascht uns ja heute nicht mehr. Vor hundert Jahren wäre das noch ein Ereignis gewesen. Aber wir wissen ja schon längst, daß ein jeder Stern eine ganz besondere Art hat, die Gegenstände und Lebewesen, die sich auf seiner Oberfläche befinden, festzuhalten. Und so gehen auf unserm Jupitermond die Flüsse durch die Lüfte – wie Rankengewächse.“ In der Sonnenring-Novellette geht Scheerbart sogar soweit, den Luft-Yacht-Besitzer Winckler das Prinzip der Gravitation als Irrlehre zu bezeichnen, weswegen er die beiden Passagiere aus Mexiko ausfliegen muss, um sie in Japan in Sicherheit zu bringen. Die Kreisbahn der Planeten um die Sonne ist demnach kein Abhängigkeitsverhältnis. Nicht zum ersten und längst nicht zum letzten Mal werden Sterne zu Personen erhoben, die mit unbestimmter Kraft zu lenken versuchen. Der zweite Aspekt ist die Relativierung der Wissenschaft, vor allem der Physik.
Anziehungskräfte aber auch optische Gesetzmäßigkeiten sind die bevorzugten Spielfelder des Scheerbartschen Kosmos. Die Biologie, insbesondere die Fortpflanzung und Ernährung, sowie die Physiologie seiner Figuren dienen nur der Verzierung. Hier entstehen für die Außerirdischen keine Zwänge oder Affekte. Dafür erwachsen aus den freiwillig aufgenommenen Tätigkeiten der Bewohner seines Universums gewisse Notwendigkeiten. Neben dem freien Gedankenspiel und der künstlerischen Betätigung ist es vor allem die Beobachtung anderer Welten, die von den Bewohnern betrieben wird und die auch dem Menschen als bevorzugtes Betätigungsfeld dient. Hierbei sind sowohl die Fata Morganas als auch die Teleskope eine nützliche Hilfe bei der Konstruktion seiner Geschichten. Neben der Jupitermond-Novellette wird das Luftspiegelungs-Prinzip auch in der Eros-Novellette verarbeitet. Ein Komet, der etwa alle 30 Jahre in kurzer Distanz an der Erde vorbeikommt, wird von einem Astronomen und der Schiffsbesatzung beobachtet. Bezeichnend ist, dass sich das Schiff nahe dem Südpol festgefroren im Eis befindet. Als die Novelletten erschienen, war dies ein hochaktuelles Thema, denn Scott und Amundsen waren auf dem Weg zum Südpol, um eine der letzten weißen Flecken auf der Weltkugel zu tilgen – dies Motiv hat Scheerbart mit vielen anderen Science Fiction Autoren gemein, die sich, ähnlich wie Scheerbart, mindestens auf wenig bekannte bzw. erforschte Gebiete stützten, höchstens jedoch in den Weltraum verlegten, um ihren Erzählungen den passenden „exotischen“ Rahmen zu verleihen.
Die Besatzung des festgefrorenen Schiffes in der Eros-Novellette kann ebenfalls von den Vorzügen einer Luftspiegelung profitieren und den Kometen aus nächster Nähe betrachten. Dabei stellen sie fest, dass auch die Bewohner des Kometen Fernrohre bauen, um den Weltraum zu studieren. Darüber hinaus wird vom Kapitän des Schiffes und auch vom Astronomen spekuliert, wie weit die Atmosphäre der Erde reicht und ob nicht auch Luftspiegelungen zur Vergrößerung der Mondoberfläche möglich sind. Bei Scheerbart gibt es keinen Platz für exakte Wissenschaften, wohl aber für den kreativen „Ausbau“ herrschender Theorien zu Einzelphänomenen in der Optik oder Gravitation.

Die astralen Noveletten: Scheerbart I

Der Weltseele wollen wir näher sein – das ist die Hauptsache.
Paul Scheerbart


Als Hugo Gernsback in seinem Eingangsaufsatz „A New Sort of Magazine“ für seine neue Zeitschrift „Amazing Stories“ das begriffsgeschichtliche Fundament für die Science Fiction legte, ahnte er sicherlich nicht, dass er damit ein neues Genre der Literatur aus der Taufe hob – zumal die Entstehung des Genres nicht Hugo Gernsback zu verdanken ist. Schon wesentlich früher gab es Literatur, der sich dieser Stempel aufdrücken ließ. So startete auch Gernsback – den Erfolg im Auge behaltend – in seiner Zeitschrift vorerst mit populären Autoren der Vergangenheit. Jules Verne und H.G Wells beherrschten anfangs das Format. Ob Gernsback für sein Magazin Paul Scheerbart – ein Zeitgenosse H.G. Wells – in Betracht gezogen hätte, wenn er ihn gekannt hätte, ist nur ein Teilaspekt dieser Betrachtung aber wichtig genug, um hier einleitend erörtert zu werden.
Paul Scheerbart erfreute sich zu keiner Zeit großer Popularität. Bis heute ist ihm die große Leserschaft versagt geblieben. Auf dem amerikanischen Buchmarkt sind bis heute nur vier Romane erschienen. Ein Problem mit Scheerbart besteht darin, ihn in der Literatur des späten 19. und beginnenden 20. Jh. richtig zu verorten. War Scheerbart kein typischer Science Fiction Autor? Reclams Science Fiction Führer würdigt ihn zwar in einem mehrseitigen Artikel, kommt aber nicht umhin, die Diskrepanzen der Zuordnung aufzuzeigen. Die astralen Novelletten – von Reclam mit einer kurzen Rezension versehen – gehören Reclam zufolge eindeutig zum Korpus der Science Fiction, „…jedoch ist die kosmische Welt des Paul S. dem wissenschaftlichen Weltbild seiner Zeit nur wenig verpflichtet, ‚Science´ spielt so gut wie keine Rolle.“ Aber was heißt das genau, dem wissenschaftlichen Weltbild seiner Zeit wenig verpflichtet zu sein? Science Fiction ohne Science? Geht das überhaupt? Wie Reclam und auch andere bereits festgestellt haben, war Scheerbart kein prototypisches Beispiel für einen Science Fiction Autor. Seine lebenslange Affinität zum Perpetuum mobile – von ihm liebevoll „Perpeh“ genannt; die wenigen Aspekte echter Vorausschau – für manch einen Rezensenten durchaus von Belang; und auch die bizarren Beschreibungen seines Kosmos passen nicht wirklich zu den Science Fiction Autoren seiner Zeit. Die waren häufig selbst Ingenieure oder Wissenschaftler, technisch keineswegs unbedarft. Bei Scheerbart hingegen bleiben immer offene Fragen zurück, er war den Naturwissenschaften weder durch Ausbildung noch durch Berufung verbunden. Bei einer Zuordnung seiner Werke bleiben immer ein paar Fallstricke und Hintertüren. Hans-Michael Speier hat auf die Frage nach den Inhalten von Scheerbarts „Lesabéndio“ ein Antwort gefunden, die durchaus auf andere Werke von ihm übertragbar ist. Er sieht dort ein dreidimensionales Themengeflecht, „…denn neben Mythos und Technik ist spekulative Philosophie die dritte wichtige Dimension“. Dem Mythos sind bereits einige Autoren nachgegangen, nicht zuletzt Speier, die Technik bzw. Wissenschaft kommt in den Astralen Novelletten sehr kurz, wie bereits Reclam in puncto Science vermerkte. Die „spekulative Philosophie“ aber hat in den astralen Novelletten keinen geringen Anteil und wird in fast jeder der 12 Geschichten behandelt. Scheerbarts Konzept von der Beseeltheit der Welt – ja der Beseeltheit des gesamten Kosmos – ist dabei nur ein Teil dieser 12-teiligen Variation aber auch Bindeglied der astralen Novelletten in einem.

Von der Weltseele

Das Weltseelekonzept, also die Beseelung der gesamten Welt, ist ein herausragendes Motiv bei Scheerbart. Dabei wird davon ausgegangen, dass jedes Lebewesen mit einer Seele ausgestattet ist. Die Seele ist in der Vergangenheit unterschiedlich gedeutet worden. Anfänglich ist sie Teil eines Ganzen, später dann ein Stück des Göttlichen in allem und jedem. Dies schließt neben dem Menschen die Pflanzen ebenso mit ein wie die Tiere und Menschen. Dem Ursprung zufolge, der in Platons fiktiven Dialogen zwischen Timaios und Sokrates zu suchen ist, endet die Beseelung der Welt aber nicht bei den Dingen auf oder in ihr. Vielmehr ist die Welt selbst beseelt. Timaios spricht in diesem Zusammenhang von einer geradezu idealen Welt, eine vollkommene Form, ohne Gliedmaßen, Stoffwechsel oder gar Sinnesorganen, denn „…wenn sie sich selbst genüge, werde sie besser sein, als wenn sie noch anderer bedürfe.“
Wenn man in die Lexika zu Zeiten Scheerbarts nach dem Begriff der Weltseele sucht, fällt auch unweigerlich der Name Agrippa von Nettesheim ins Auge – sozusagen die geistige Brücke zum Mittelalter, der in seinen drei Büchern „DE OCCULTA PHILOSOPHIA“ dem Weltgeist und seinen Kräften mehrere Kapitel widmet. Agrippa redet in diesem Zusammenhang von einem „spiritus mundi“, also dem Weltgeist. Gustav Theodor Fechner, Physiker und Philosoph, war ebenfalls ein Anhänger des Weltseelekonzeptes, wie aus seinen Schriften hervorgeht und zugleich war er ein wichtiges Bindeglied zu Scheerbarts Werken. Dies haben bereits mehrere Autoren anhand von Zitaten, Briefwechseln und Textstellen aus Scheerbarts Gesamtwerk nachgewiesen.
Platon, zuvor bereits angesprochen, ist jedoch neben Fechner die wichtigste Quelle, wenn es um das Weltseelekonzept geht. Platons Werk ergibt sich aus einem Dialog. Timaois‘ Anruf der Götter, Sokrates Ermunterung fortzufahren und die darauf folgenden entscheidenden Kapitel geben Aufschluss über den starken Zusammenhang der Reden des Timaios und den Astralen Novelletten. Timaios sagt dazu: „Indem er ( der Weltschöpfer ) es überdachte, fand er, daß unter dem seiner Natur nach Sichtbaren nichts Vernunftloses als Ganzes je schöner sein werde als das mit Vernunft Begabte als Ganzes, daß aber unmöglich ohne Seele etwas der Vernunft teilhaftig werden könne…“ und weiter: …“daß diese Welt durch Gottes Fürsorge als ein in Wahrheit beseeltes und mit Vernunft begabtes Lebewesen entstand.“ Sehr deutlich tritt die Verbindung zu Scheerbart in der Verwandlungsnovellette zu Tage, in der von mehreren Planeten die Rede ist, die sich, anfangs ohne dass die Bewohner es mitbekommen, in ihrer Form ändern und den Bewohnern damit helfen, 1. näher zueinander zu finden und 2. sich der Hauptbeschäftigung der Bewohner anzupassen, dem Beobachten des Weltalls. Der erste der beiden Planeten verwandelt sich von einer brotartigen Form zu einem spitzen Hut mit Loch, auf dem sich die Bewohner, gezwungen durch die Verknappung des Platzangebots, am Rand des Planeten sammeln und „gezwungenermaßen“ miteinander auskommen müssen. Der zweite Planet verwandelt sich in ein riesiges Teleskop, wodurch die Bewohner den Himmel besser beobachten können – eine Tätigkeit, die sie vorher schon gern und häufig ausgeübt haben. So seltsam in diesem Zusammenhang das Vokabular Scheerbarts und die bizarre Idee der Verwandlung anzumuten scheint, ist der Beweggrund der Verwandlung der jeweiligen Planeten doch immer mit einem Zweck verbunden, und dieser Zweck begünstigt entweder das Zusammenspiel der Bewohner untereinander oder das Auskommen mit ihrem Planeten – ist also zielgerichtet und somit durchaus ein Indiz für den Willen zur Einheit, die der Planet mit seinen Bewohnern anstrebt. In der Emanzipationsnovellette, der Schluss der Erzählungen und die einzige mit klarem Bezug auf die Verwandlungsnovellette bzw. überhaupt einem Bezug der ansonsten scheinbar lose aneinandergereihten Geschichten, wird in einem Dialog der Protagonisten, bestehend aus Menschen und Drachenwesen, von einem Stern erzählt, der sich von seinem beherrschenden Gestirn ablöst. Das vermeintliche Gravitationsfeld der Sonne ist von diesem Planeten verlassen worden und dafür gibt es keine Erklärung. Die Dialogpartner spekulieren, ob dies Wille der Bewohner oder aber Wille des Sterns gewesen ist. Beides wird nicht ausgeschlossen. Wie selbstverständlich werden hier von Scheerbart die Naturgesetze ausgehebelt. Die Gravitationskraft und ihre Gesetzmäßigkeiten, wie zum Beispiel die Bahn der Planeten um die Sonne, werden komplett in Frage gestellt. Interessanterweise stören sich die Protagonisten daran überhaupt nicht. Es ist in mehreren Novelletten von außergewöhnlichen Vorkommnissen oder „falschen“ Naturgesetzen die Rede und in keiner der Geschichten stört sich ein Protagonist daran.

Suche

 

Status

Online seit 4904 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 22. Mär, 21:06

Lesen

Credits


xml version of this page
xml version of this page (summary)
xml version of this page (with comments)

twoday.net AGB

Blogverzeichnis Creative Commons Lizenzvertrag
Shhhhh.

Alles nur Theater
Auf Spatzen geschossen
Auslaufmodell Buch
Den Ball gespielt
Der alltägliche K(r)ampf
Die kleine Form
Gedankeninseln
Geldregierung Arbeitsplatz
Gelegenheitslyrik
HaCK
Herr Fischer
Klassenraum
Links
Mensagespräche
Nichts Spezielles
Ohne Brille
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren