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Samstag, 13. Juli 2013

Intelligenztests

Im Rahmen eines Seminars, das gestern seinen Abschluss fand, haben wir uns intensiv mit dem Konstrukt der Intelligenz beschäftigt und sind in der abschließenden Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht unbedingt viel darauf zu geben ist, mindestens jedoch gesunde Skepsis an den Tag gelegt werden sollte, wenn von der Intelligenz oder dem Intelligenzquotienten die Rede ist. Im Laufe des Seminars haben wir unterschiedliche Modelle der Intelligenzberechnung durchgenommen, einen Faktor g, also eine allgemeine Intelligenz, hatten viele dieser Modelle gemeinsam und auch die Unterscheidung in fluide, also Problemlösefähigkeit und logisches Denken, und kristalline Intelligenz, explizites Wissen, war vielen Modellen eigen.

Eine Frage, die allerdings nicht beantwortet werden konnte, hat mich während des Seminars immer wieder beschäftigt. Wie verhält sich die Akzeptanz des Wertes der eigenen Intelligenz zum gemessenen Ergebnis? Meine Hypothese dazu lautet, dass sie sich ebenso verhält wie das Aufkommen des IQ selbst, nämlich entlang einer Gaußkurve. Das heißt genauer, dass die Akzeptanz zum Ergebnis im Intelligenztest nach gemessenem IQ in der Spanne von 85 bis 115, also von einer Standardabweichung zu beiden Seiten der 100, am höchsten ist und je nach Höhe des gemessenen Wertes zu beiden Seiten hin abfällt. Konkreter würde das für die Intelligenzmessung bedeuten, dass insbesondere sehr niedrig ausfallende und sehr hoch ausgefallene Messergebnisse von den jeweiligen Probanden weniger akzeptiert werden, als Werte im Normalbereich.

Doch was bedeutet das? Auf dem Gebiet der differentiellen Psychologie stellt die Intelligenzforschung einen nicht kleinen Forschungszweig dar, der unter Umständen erheblich in das Leben Vieler eingreifen kann. Sei es nun der Einstellungstest bei einem Arbeitgeber oder die Vorschuluntersuchung oder ein Schullaufbahntest. All diese Ergebnisse können dazu führen, dass Lebenswege vorgezeichnet werden, die von den Betroffenen unterschiedlich aufgenommen werden können. Im Allgemeinen verlässt sich aber vor allem der Tester auf das Ergebnis und gibt dernach Empfehlungen für Job oder Schullaufbahn. Gekniffen sind die Getesteten, wenn das Ergebnis nicht das gewünschte, bzw. eher erhoffte Resultat liefert.

Zwei Extrembeispiele sollen das einmal näher erläutern: Vor nicht allzu langer Zeit geisterte der Fall des Marvin Wilson durch die Presse und führte nicht zuletzt wegen des bei ihm gemessenen IQs zu einem Aufschrei der Empörung. Wilson hatte einen IQ von 61, was in den USA als geistig behindert gilt. Somit ist die Schuldfähigkeit eingeschränkt. Trotzdem wurde Wilson hingerichtet, weil er in anderen Messungen einen IQ von 71 bzw. 75 erreichte. Wie gekniffen der Getestete in diesem Fall war, muss nicht näher erläutert werden.

In einem anderen Fall – auch dieser findet im Netz Verbreitung – geht es um eine New Yorker Stripperin, die angeblich einen sehr hohen IQ haben soll. Ich konnte das nicht genauer nachprüfen, ob es sich bei dieser Messung eher um eine Ente oder um ein tatsächlich stattgefundenes Ereignis handelte, muss es aber gar nicht, denn zwei Dinge werden dabei klar: sollte es sich um eine Ente handeln, scheint zumindest der Wunsch nach einer „Normalisierung“ erkennbar zu sein, also die Akzeptanz des Messergebnisses nimmt auch bei hohen IQs ab. Oder, sollte es tatsächlich wahr sein, bestätigt es meine Hypothese zumindest insofern, als dass ein hohes Ergebnis nicht automatisch zu den bestmöglichen Lebensentwürfen führt.

In beiden Fällen, wie auch in vielen anderen sind es jeweils nur die Tester, bzw. die Beobachter, die etwas davon zu haben scheinen, den Getesteten geht es entweder nichts an oder es ist ihnen egal. Die anfänglich beschriebene „gesunde Skepsis“ reicht bei weitem nicht aus, wäre mein Ergebnis dieser Überlegungen. Offenes Misstrauen jeglicher Art dieser Tests, den Entwicklern und Anwendern gegenüber wäre wohl eher angebracht.

Freitag, 12. Juli 2013

Etymologische Synchronizitäten

Gestern war ich hinter dem Schloss, das ja bekanntlich das Hauptgebäude der Universität Hannover darstellt, zu einer kleinen Sause. Es gab Bühnen, Getränke und allerlei Quatsch, den man mitmachen konnte. Unter anderem gab es einen elektrisch-mechanischen Torwart, der alle Bälle hielt, die man ihm zukommen ließ, egal wie schnell, egal wie langsam und, fast, egal wohin; genau links oder rechts oben in die Ecke des Tores reichte der Torwart nicht hinein, nur dort konnte der Ball versenkt werden.

In puncto Getränke habe ich einen völlig verhunzten Wodka genossen, es waren Chilischoten darin eingelegt. Allerdings gab es am gleichen Stand ein Getränk, auf das ich viel eher scharf war: Kwas. Ich kostete auch den und war enttäuscht. Leider zuviel Zucker und zu wenig Geschmack. Und auf meine Frage hin, was den Borodinski Kwass, also insbesondere Borodinski bedeutete, gab es keinerlei Auskunft über Geschmacksrichtung oder Ausrichtung. Wenn es keine Cola gäbe, hätte ich dem Getränk hervorragende Absatzmöglichkeiten attestiert.

Mittwoch, 10. Juli 2013

Licht aus dem Radio

Ich hörte heute Nachmittag einen Radiobeitrag auf D-Radio Kultur. Zufällig erwischte ich genau den Moment, an dem ich das Radio ausschalten konnte, ohne mich später darüber zu ärgern, vielleicht noch etwas Wichtiges verpasst zu haben. Ich sitze nämlich nicht selten im Auto und höre einen Radiobeitrag und dann gilt es auszusteigen, zu arbeiten. Hey, du bist da!, denke ich mir zu und schalte wehmütig den Motor aus; mit ihm das Radio. Dann ärgere ich mich sogar darüber, überhaupt Radio gehört zu haben.

Aber ich höre nicht einfach Radio. Ich höre meistens D-Radio Kultur. Ich kenne das Programm, finde die Musik gut, die Literaturtipps, überhaupt das Feuilleton. Fahre ich morgens am Dienstag los, um meinem Job nachzugehen, erwische meist ein wenig davon und später, wenn alles eingekauft worden ist und ich zurückfahre, höre ich noch ein wenig von der Ortszeit, einer Nachrichtensendung mit größerem Umfang.

Nachmittags höre ich fast nie Radio, es sei denn, ich habe irgendeinen Weg, so wie heute, dann kommt es schon einmal vor, dass ich das Nachmittagsfeuilleton einschalte. Es geht um Lampen, um LED, um genauer zu sein. Ich verstehe nichts, weil ich den Anfang verpasst habe, bis ich plötzlich Marketingleiter, neues Lampensystem und Stimmungslampe höre und von einem Raum gesprochen wird, in dem 3 Lampen stehen, die unterschiedliches Licht aussenden. Man stelle sich vor, es gibt da eine App, die berechnet die Lichtqualität aus einem Foto heraus und stellt die Beleuchtung im Raum danach ein. Ein Karibikfoto und schon ist das Wohnzimmer in Karibiklicht getaucht, Urlaubsstimmung durch Beleuchtung.

Ich habe nicht am Ende des Beitrages ausschalten können, weil ich mein Fahrtziel bereits vorher erreicht hatte. Ich ärgerte mich nicht darüber, ich schrieb ja bereits, dass ich genau den richtigen Moment erwischte, um auszuschalten. Es ging gerade darum, welche Stimmungen in dem Leuchtensystem bereits vorprogrammiert seien, als ich mich ohne zu zögern von diesem Radiobeitrag trennen konnte. Es gibt da zum Beispiel spezielles Licht zum Schlafen.

Dienstag, 9. Juli 2013

Randnotiz in einem absurden Roman

Im Schein der Abendsonne wurde es offenbar:

ich las in einem Buch, die Seiten aus Tapete.

Samstag, 6. Juli 2013

Nadelfadenkommando

Als ich neulich nach dem Heruntertragen einer Waschmaschine aus dem vierten Stock auf meine Hose schaute, bemerkte ich, dass sich zwischen meinen Beinen ein Riss auftat. Die Hose war der Anstrengung nicht gewachsen und hatte an sensibler Stelle nachgegeben. Ich befand mich auch gerade am Anfang des Umzugs, so dass ich nicht mal eben verschwinden konnte, um mich umzuziehen. Das klingt gerade bei solchen Anlässen ebenso fadenscheinig wie es mein Beinkleid an genannter Stelle war, kurz bevor es zerriss. Stattdessen dachte ich an eine Telefonnummer, die ich nicht hatte.

Gehen wir noch ein kleines Stückchen in der Zeit zurück und besuchen nur ganz kurz das geographische Wunder von Linden Nord, den Kötnerholzweg. Der Kötnerholzweg verläuft einmal quer durch den Stadtteil und verhält sich ungefähr so wie eine Linie bei Kandinsky. Sie schneidet fast jede Querstraße in einem spitzen oder weiten Winkel, je nach Perspektive, aber nie in einem rechten. Nun gibt es auf dem Kötnerholzweg neben ein paar Kneipen, Kiosken, einem Fischgeschäft, einem Elektriker und kleineren Klamottenläden auch eine Änderungsschneiderei. Diese befindet sich, je nach Perspektive, im oberen bzw. unteren Abschnitt auf der linken bzw. rechten Seite der Straße.

Schon vor geraumer Zeit fiel mir auf, dass diese kleine Änderungsschneiderei niemals geöffnet ist. Und als ich mit ein wenig Zeit bewaffnet daran vorübergehen wollte, blieb ich stattdessen stehen und widmete mich der Auslage. Diese besteht nach wie vor aus einem zugehängten Schaufenster und einer ebenso zugehängten Tür. Je nach Perspektive kann niemand hinein bzw. hinausgucken. Dafür kleben jedoch zwei Zettel an der Tür. Auf einem sind die Öffnungszeiten abgedruckt und auf einem zweiten steht, dass derzeit wegen Krankheit geschlossen sei. In Notfällen könne allerdings jemand erreicht werden unter der hier abgedruckten Telefonnummer.

Ich hatte die Telefonnummernatürlich nicht notiert. Ich hatte, als ich vor dem Geschäft stand, innerlich geschmunzelt, weil mir partout kein Notfall einfallen wollte, weswegen ich eine Änderungsschneiderei anrufen muss. Und jetzt stand ich mit Luft im Schritt unten beim Transporter und dachte an diese Telefonnummer. Wäre das ein Notfall? Kommt jetzt gleich ein Nadelfadenkommando mit Blaulicht um die Ecke und näht mir meine Hose zu, wenn ich die Nummer anrufe? Bräuchte ich mich ja gar nicht zu fragen, eigentlich, ich habe ja die Nummer nicht.

Freitag, 5. Juli 2013

So muss Uni

Die Sitzung vom 20.06.2013 im Seminar „Zur sozialisatorischen und pädagogischen Bedeu-tung des Spiels“ widmete sich nicht der üblichen „Klassikerexegese“, sondern betrachtete stattdessen ein besonderes Phänomen der Schulbuchgestaltung. Schon zu Beginn der Sitzung wurde von H. K., der die Sitzung leitete, klargemacht, in welchem Zusam-menhang sein vorgestelltes Thema zum Kontext des Seminars gesehen werden sollte. Durch eine Seminararbeit zur Bebilderung von Schulbüchern, die er im Rahmen eines anderen Seminars anfertigt, kam ihm der Gedanke, dass Sportmetaphern in den Bebilderungen von Schulbüchern einen überproportional großen Stellenwert einnehmen. Um die pädagogische Bedeutung des Spiels – in seinem hier vorgestellten Fall des sportlichen Wettkampfs – herauszuarbeiten, hatte er für uns als Beispiel ein Deutschbuch der 5. Klasse aus dem Verlag Cornelsen aufbereitet und mehrere Abbildungen aus dem Themenkomplex „Arbeitstechniken“ zur Verfügung gestellt. Dieser Teilbereich der Arbeitstechniken widmete sich dem Thema „Hausaufgaben organisieren“. H. K. betonte, dass es ihm nicht schwer gefallen sei, einerseits Abbildungen generell und andererseits Abbildungen zu finden, die seine These vom übermäßigen Gebrauch von Metaphern des Sports unterstützen.

Problematisch erschien sowohl dem Plenum als auch dem Dozenten, dass Abbildungen in Schulbüchern dadurch nicht einer gewissen Verlogenheit entbehren, die sich – überspitzt formuliert – auf das gesamte System Schule übertragen ließen. In einem kurzen Exkurs seitens Herrn Wernet wurde dazu sinngemäß die Antrittsrede eines Schuldirektors zitiert, dem es oblag, eine Klasse von neu eingeschulten Kindern auf den Schulalltag vorzubereiten. In dieser Rede wurde – ebenfalls überspitzt formuliert – nicht gesagt, dass Kuscheltiere nur in der ersten Woche erlaubt seien, die Schülerinnen und Schüler vor allem das Stillsitzen und Nur-Reden-wenn-sie-gefragt-werden zu lernen haben, sondern, dass sie neue und alte Freunde um sich hätten, neue Herausforderungen auf sie warten würden, der Ernst des Lebens begänne und noch weitere unscharfe Formulierungen. Sowohl die Einführung in den neuen Lebensabschnitt Schule als auch die Bebilderung von Schulbüchern hätten demnach etwas „verlogenes, zweifelhaftes“, im Mindesten jedoch wären sie „wirklichkeitsfern“ zu nennen.

Ich weiche in den folgenden Darstellungen vom chronologischen Ablauf der Ereignisse ab, da sich die freie Interpretation der Abbildungen durch das Plenum während des Seminars nicht ohne eine gleichzeitige Darstellung der Bilder bewerkstelligen ließe. Daher beginne ich mit einer möglichst wertfreien Darstellung des Gesehenen und erst darauf folgen die markanten Punkte in der Diskussion. Die zur Abbildung gehörenden Formulierungen wer-den nur dann in einen Kontext gestellt, wenn es hinsichtlich der Evidenz der Interpretation notwendig erscheint.

Bildanalyse Bild 1

Bild 1 zeigt einen Jungen, der offensichtlich in den Vorbereitungen steckt, einen Start auf einer Kurzlaufstrecke vorzunehmen. Außer dem Jungen ist nur noch ein Startblock darge-stellt. Der Junge wendet dem Betrachter zwar sein Gesicht zu, der Blick jedoch ist nicht klar einer bestimmten Richtung zuzuordnen. Er befindet sich in der Hocke und steckt mit einem Bein bereits im Startblock, auf dem eine 1 abgedruckt ist.
Die abgebildete 1 auf dem Startblock bot sogleich eine Vielzahl an Interpretationsmöglich-keiten, die letztendlich jedoch alle auf eine Platzierung im Rennen hindeuteten. Hielte man sich nah am Text, so ließe die Abbildung den Schluss zu, dass eine gute Vorbereitung automatisch zu einer guten Platzierung führe. Eine gemäßigtere Interpretation dagegen gestand der 1 lediglich die Funktion einer Startposition zu, im Sinne von mehreren Startbahnen, die durchnummeriert werden und bei 1 beginnen. Die 1 (übertragen auf den schulischen Kontext) als Benotung zu sehen, konnte sich demgegenüber nicht durchsetzen. Grundsätzlich ist aber der fast alles dominierende Wettkampfgedanke festzuhalten, außerdem die Verhaltens- und Spielregeln, die zu beachten sind und die „Illusion“ eines guten Ergebnisses bei guter Vorbereitung. Auf der anderen Seite wurde mehrfach vom Plenum darauf hingewiesen, dass die Abbildung aufgrund ihrer fehlerbehafteten Darstellung geradezu dazu einlädt, missgedeutet zu werden. Dies äußerte sich einerseits bereits bei der abgebildeten 1, weil sich eine Startposition – sollte diese Deutung angenommen werden – auf der Bahn befindet und nicht auf dem Startblock, und andererseits der Startblock selbst nur „rudimentäre“ Merkmale eines solchen besaß: es gab nur die Möglichkeit, einen Fuß einzustellen, der normalerweise aus zwei Fußstützen bestehende Startblock war nicht vollständig dargestellt.

Der allgemeinen Dominanz des Wettkampfgedankens ließ sich dann noch entgegenhalten, dass der Junge in seinem Startblock nach hinten schaut, also noch nicht als im Start befindlich dargestellt wird. Er vergewissert sich der richtigen Einstellung des Startblockes, dies war allgemeiner Konsens in der Diskussion. Im Hinblick auf die Wortwahl im Text tritt der Wettkampfgedanke wiederum sehr in den Fokus. Die Formulierung „präzise Einstellen“ deutet auf die seitens der Verfasser gewünschte Sorgfalt der Hausaufgabenvorbereitungen hin. Die Formulierung „Hindernisse aus dem Weg räumen“ allerdings erzeugt kein vernünftiges Bild im Kopf des Betrachters, weil ein Läufer zwar durchaus seinen Startblock präzise einstellt, sich im Allgemeinen aber nicht darum zu kümmern hat, dass seine Laufstrecke frei von Hindernissen ist. Sowohl Text als auch Darstellung vermitteln daher den Eindruck, dass die Verfasser selbst nicht ausreichend vorbereitet gewesen waren, als sie den Vergleich der Hausaufgabenvorbereitung mit den Vorbereitungen auf einen Kurzstreckenlauf anstreng-ten.

Bildanalyse Bild 2

In diesem Bild wird eine Laufstrecke gezeigt. Diese wird durch ein Schild, auf dem „Start“ steht, in ihrem Anfang markiert, verläuft dann in Schlängellinien irgendwohin und ist mit unterschiedlich hohen Bücherstapeln belegt, auf denen jeweils „Portion 1“, „Portion 2“ usw. abgedruckt ist. Am Anfang der Strecke hockt ein Junge in der „üblichen“ Starterpose. Hier fehlt ein Startblock und außerdem ist der Junge nicht adäquat gekleidet: er trägt eine lange Hose und ein Shirt, ist aber nicht mit Schuhen, sondern lediglich mit Socken bekleidet.

Auch in dieser Darstellung kommt das Wettkampfmotiv zum Tragen, hier wird allerdings zusätzlich deutlich, dass der Läufer mit Anstrengungen konfrontiert wird, denen er scheinbar nicht ausweichen kann. Die Bücherstapel wurden vom Plenum überwiegend als Hürden gedeutet und deren unterschiedliche Höhe, als auch der Schriftzug „Portion“ deuteten darauf hin, dass die Bücherstapel als unterschiedlich einzuteilendes Arbeitspensum zu gelten haben. Der Schriftzug „Portion“ rief auch eine Assoziation mit Mahlzeiten bzw. dem Essen hervor, dem wurde aber nicht weiter nachgegangen. Die Bücherstapel wurden jedoch nicht nur als Hürden in einem Wettkampf interpretiert, sondern auch als Hindernisse allgemein, was im Schulkontext einen fragwürdigen Beigeschmack bekommt. Bücher als Hindernisse darzustellen kann nicht dazu beitragen, Schülerinnen und Schüler zum Lernen zu motivieren, die anfangs formulierte These der Verlogenheit und Wirklichkeitsferne bekommt hier neues Gewicht. Tatsächlich könnte man dem Gedanken verfallen, dass die hier gewählte Darstellung unfreiwillig ehrlicher war, als es sich die Verfasser gewünscht haben könnten.
Anstoß erregten auch die fehlenden Schuhe. Nach Meinung einiger aus dem Plenum sollte dies auf den Umstand hindeuten, dass es sich um eine Tätigkeit im häuslichen Rahmen handeln soll (Hausaufgaben). Von Herrn Wernet wurde diesbezüglich eingeworfen, dass es generell fraglich sei, wie sich die Schule in den privaten Rahmen von Schülerinnen und Schülern einmischt.

Bildanalyse Bild 3 und 4

Beide Illustrationen wurden aufgrund mangelnder Zeit nur kurz angerissen. Bild 3 zeigt ein leeres Zimmer und diente als Untergrund für die rechts davon abgebildeten Möbel, die schablonenartig im Zimmer angeordnet werden sollten, um eine „angenehme Arbeitsat-mosphäre“ zu schaffen. Bild 4 zeigt eine 24stündige Uhr, deren Verlauf die Tageszeit dar-stellen soll. Die Verfasser gaben hier drei Phasen vor, die jeweils mit einem Fragezeichen belegt sind und die Zeit darstellen sollen, die für Hausaufgaben genutzt werden soll.

Auffallend an beiden Abbildungen war der zuvor bereits erwähnte Eingriff in die Privatsphäre der Schülerinnen und Schüler. Nicht nur, dass hier vorgeschrieben wurde, wie das eigene Zimmer einzurichten sei, traf dabei auf Unverständnis. Mit keinem Wort ist zum Beispiel erwähnt worden, dass es sich dabei um ein Kinderzimmer handeln soll, vielmehr war durchgehend von einem Arbeitszimmer die Rede. Im Text dazu ging es demzufolge auch nicht um den Verbleib von Lieblings-CDs oder Comics, sondern um Arbeitsmaterialien und Schreibtischposition. Nicht geklärt wurde, wo sich die Comics denn befinden sollten.

Die Darstellung der 24stündigen Uhr sorgte grundsätzlich für Verwirrung, weil zuerst einmal nicht klar war, wie sie funktioniert. Als sich im Plenum ein Konsens dazu bildete, wurde nur noch festgestellt, dass es sich bei den einzuteilenden Zeiten für die Hausaufgaben um Bereiche des Nachmittags handelt, was nach dem Eingriff in die Gestaltung des „Arbeitsraumes“ vor allem einen Eingriff in die „freie“ Zeiteinteilung der Schülerinnen und Schüler darstellte.

Insgesamt waren alle Abbildungen in der Technik der Ausführung, in ihrer Aussagekraft und im Verhältnis zum Text mehr als fragwürdig. Es schien, so formulierte es Herr Wernet, als wären den Illustratoren zufällig ein paar Bilder untergekommen, die unbedingt in das Buch gepflanzt werden sollten. Anstatt durch unmissverständliche und wahrheitsgetreue Abbildungen einen Text zu illustrieren, sind hier uninspirierte Stempel aufgedrückt worden, die an den Verfassern des Schulbuches und ihren Absichten zweifeln lassen.

Sonntag, 30. Juni 2013

Abgenickt oder mein erster und letzter Besuch

Ich sitze gerade in einer Kneipe und mich beschleicht das Gefühl, dass mein kurz zuvor eingetroffener Nebenmann gleich ein Gespräch mit mir beginnen wird. Ich lese gerade in einem furchtbar absurden Roman. Mein Nebenmann ist höflich und ich ebenfalls. Ich gebe ihm mehrere Gelegenheiten mich anzusprechen, weil ich ständig von meiner Lektüre aufschauen muss, um mir das Gelesene noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Oben auf dem Bildschirm läuft gerade ein Potpourri der 80er, eine Videocollage aus themenbezogenen Schnipseln des letzten großen Jahrzehnts des letzten Jahrtausends, mal ein Haufen Kollisionen, dann Explosionen, dann Filmküsse usw. Ich bin abgelenkt, bemerke aber immerhin, dass mein Nebenmann noch keinen wirklichen Einstieg gefunden hat. Er ruft deshalb erst einmal den Wirt heran. Der sieht aus wie die Schildkröte bei Dittsche, also von der Statur her. Er ist Russe und hat, wie ich eben erfuhr, seit vorgestern seinen deutschen Pass. Unser Barmann kommt also rüber und mein Nebenmann bestellt eine Fritz Kola. Ich musste an den Kiezneurotiker denken. Als Gentrifizierungsgegner ist ihm der Fritz-Kola-Trinker zur persona non grata geraten. Ich höre einigermaßen auf und beobachte noch unbeteiligt aussehend das nun folgende Gespräch.

Mein Nebenmann bestellt also diese Kola und der Barmann sagt, er hätte sie nicht da. Er hat sie gar nicht im Sortiment. Er schlägt ihm aber daraufhin nicht vor, auf ein anderes Kolaprodukt auszuweichen, denn er besitzt durchaus eine auf der Karte, nein, er schlägt seinem Gast vor, stattdessen doch eine Fritz Melone zu trinken. Das macht er so geschickt, dass selbst ich als jahrelang geschulter Verkäufer von Großmöbeln nur staunend aufblicken kann. Er sagt nämlich dazu, die hat er im Keller, er geht jetzt sofort los und holt ihm eine davon hoch. Noch bevor sich mein Nebenmann überhaupt äußern kann – was mich natürlich überhaupt nicht wundert, denn ich weiß ja bereits, dass er nicht zu schnellen Entscheidungen neigt – ist der Barmann bereits auf dem Weg in den Keller, um wenig später mit einer Kiste voller Melonenbrause wiederzukommen, von der er eine sofort öffnet und sie vor meinem Nebenmann auf den Tresen stellt. Garantiert war das irgendein Restposten oder Werbegeschenk, was da sonst im Keller noch grüner geworden wäre.

Jedenfalls, mein Nebenmann schlürft jetzt grüne Melonenbrause aus einem schwarzen Strohhalm und hat endlich was gefunden, womit er mich ansprechen kann. Er nuschelt, so dass ich ihn kaum richtig verstehe, etwas von grünem Bier. Ich frage nach, er wiederholt. Er meint, mein Bier hätte ja auch einen leichten Grünstich. Ich sage ihm, das könnte am Logo auf dem Glas liegen, er bestreitet das und behauptet, es läge an der Farbe. Ich sage klar, an der Farbe von dem Logo, das da durchschimmert. Er nickt und fragt den Barmann. Ich drehe mich links weg und versuche einen ähnlichen Blickwinkel einzunehmen wie er. Aber das Bier wird nicht grüner. Ich sage, vielleicht ein ganz kleines bisschen. Der Barmann sagt, vielleicht wegen des Logos auf dem Glas. Er nickt meinem Nebenmann kurz zu. Da hatte ich also mein Gespräch.

Der Barmann kehrt an seinen Platz zurück, nicht ohne mir vorher einen vielsagenden Blick hinüberzuwerfen; zumindest bilde ich mir das ein. Dort an seinem Platz sitzt ihm ein Typ gegenüber, der, so habe ich aus dem Gespräch der beiden erfahren, ein wenig jünger ist als ich, lange Haare hat und wahrscheinlich Stammgast ist. Sie tauschen diverse Dinge miteinander aus, meist geht es um Musik. Dann kommt die Frau des Barmanns herein und schreibt mit einem Stift auf die Glastür zum Raucherraum: „Heute hier ist Geschlossene Gesellschaft“. Nach einigem Hin und Her äußere ich mich und erinnere an die Verbzweitstellung im Deutschen, und daran, dass entweder das Lokale oder das Temporale vor dem Verb stehen kann aber auf keinen Fall beides.

Der Barmann bringt mir ein neues Bier, weil ich eins bestellt hatte und fragt, ob ich mich damit auskenne. Ich sage, ja, ich studiere das. Der Barmann nickt mir kurz zu und kehrt an seinen Platz zurück. Die drei, also seine Frau, der Langhaarige und er, unterhalten sich plötzlich alle auf Russisch und sehen in unsere Richtung, also in meine und die meines Nebenmannes. Mein Nebenmann hat übrigens sofort einen Anlass gefunden und erkundigt sich bei mir nach dem Sitz unseres Instituts und ob die deutsche Sprache denn nun den Bach runterginge oder besser würde. Ich verneine das und verliere mich in Details, die ihn genauso wenig interessieren wie mich. Mein Buch habe ich demonstrativ zugeschlagen. Er stellt noch ein paar Fragen, ich antworte, bis ihm plötzlich nichts mehr einfällt und mein Bier alle ist, schon wieder. Ich beschließe zu gehen, weil mir die Situation langsam unheimlich wird. Ich komme mir schon fast vor wie ein Nebenmann und rede plötzlich auch so. Der Barmann sieht mein leeres Glas und schaut mich fragend an. Ich schüttele meinen Kopf und bin gerade in Begriff mein Buch im Rucksack zu verstauen, als ich mich rufen höre, ach, doch, eins nehme ich noch.

Der Barmann zapft schnell, stellt den Humpen vor mich hin und erläutert mir kurz wie erfreut er sei, mich doch noch auf ein Bier zu überreden. Ich sage ihm, wie Recht er doch hat und denke dabei an seine filmreife Darbietung mit der Melonenbrause meines Nebenmannes. Das irritiert ihn, weil er ja nicht weiß, was ich denke, und dann nickt er wieder. Jetzt bin ich der Nebenmann, auch deshalb weil mein Nebenmann rausgeht, um eine zu rauchen, denn der Raucherraum heute hier ist ja geschlossen. Eine Gruppe von Leuten kommt rein und peilt grob den Eingang zum Raucherraum an. Vor dem Monitor bleiben sie stehen und schauen sich Steve Mc Queen an, wie er in „Bullit“ in einem Ford Mustang die wohl längste Verfolgungsjagd der Filmgeschichte fährt. Ich weiß das und sage das auch noch laut. Die jungen Leute schauen sich um und nicken und gehen weg.

Ich lasse mich dazu hinreißen, auf das akzentfreie Deutsch des Langhaarigen zu verweisen, woraufhin mir der Barmann erklärt, der wäre schon seit Jahrzehnten hier in Deutschland. Der Langhaarige spricht nicht zu mir, nickt nur. Um weiter im Geschäft zu bleiben, frage ich, ob er, der Barmann, nicht das Wort „Kwass“ kenne. Ja, kennt er. Das sei ein Getränk, das gab es in gelben Wagen, die mittlerweile verboten worden sind, wegen der Hygienebestimmungen. Kein Kwass mehr, frage ich noch einmal nach. Er nickt nur, als ich noch einmal nachhake und ihm von dem Umstand erzähle, dass früher auf eine Leninstatue zwei Kwasswagen gekommen wären. Das hätte mir jemand berichtet, der 5000 Kilometer durch die Sowjetunion zurückgelegt hätte. Und, um das noch zu toppen, berichte ich auch noch von dem Verhältnis von Stalinstatuen zu Kwasswagen in Georgien, das bei 1:1 lag.

Er nickt schnell und heftig und lächelt und will nur noch zurück in seine Ecke. Ich habe ihn angezählt, dann setze ich nach und frage eine Frage. Nämlich ob Kwass mit Alkohol sei. Sein Blick geht fragend an die beiden anderen und sie schütteln den Kopf, nein sagt er. Er taumelt jetzt und rettet sich ans andere Ende des Rings, weil die jungen Leute endlich was bestellen wollen. Mein Nebenmann kommt gerade wieder herein, als ich meine Biere bezahlt habe und schleunigst verschwinden will. Mein Nebenmann ordert eine zweite grüne Flasche und atmet einen dieser ganz tiefen Lungenzüge, die man braucht, um richtig loszulegen. Ich trollte mich, das Terrain war verbrannt.

Freitag, 28. Juni 2013

Quasi verquast

Quasi, über Nacht kam mir eine Eingebung. Um ehrlich zu sein, wollte ich lediglich mit dem Wort quasi beginnen und nichts eignet sich da besser als eine Eingebung über Nacht. Da schlafen wir nämlich, so auch ich. Und so drückt das quasi eigentlich nichts weiter aus, als dass es ungefähr so gewesen sein muss, wie wenn man nachts an einem fremden Bett steht und mit leiser Stimme einen eben gefassten Gedanken in das Ohr des Schlafenden haucht. Viel mehr als das quasi könnte uns also interessieren, welcher Perverse sich da an die Bettkante von Unbedarften schummelt, um ihnen was ins Ohr zu flüstern. Eine Zumutung ist das doch! Da steht ein Fremder zwischen Tapete und Bettpfosten und flüstert, womöglich noch mit feuchter Aussprache, eine fixe Idee in deinen Kopf und macht sich am folgenden Tag darüber lustig, was dir deshalb den ganzen Tag so durch den Kopf geht, weil du ja nicht mehr darüber weißt, als dass dir quasi über Nacht eingegeben wurde.

Schlaf ist so ein flüchtiges Produkt, dass du wahrscheinlich vom Zugehen der Tür noch kurz aufgeschreckt bist und dich ob des Luftzuges wunderst, darüber beinahe die Eingebung vergessen hättest und aus der Nichtigkeit dieser Eingebung beschließt, sie für wichtiger zu nehmen, als sie ist. Das von fehlenden Eindrücken untätige Arbeitsgedächtnis jagt den Gedanken in Windeseile mühelos von einer Ecke deines Kopfes in die andere. Synapsen regen sich, Assoziationen tun sich auf und plötzlich bist du hellwach, obwohl du eigentlich schlafen solltest. Quasi, über Nacht ist dein Denken von dem Wort quasi beherrscht. Du willst am liebsten aufstehen und in ein etymologisches Wörterbuch gucken, woher dieses Wort überhaupt kommt, obwohl du natürlich längst ahnst, dass es dir jemand zugeflüstert haben muss.

Schlief ich also, als mir ein Unbekannter das Wort quasi in den Kopf pflanzte und dort, mangels Licht und Nährstoffen unbändig zu wuchern anfing? Und wieso setzt sich das zarte Pflänzchen dort sich fest zwischen Tür und Angel meines Geschriebenen wie der Fuß eines Vertreters? Es verquast mir meinen Text, den ich mit mühevoller Kleinarbeit aus dem Nichts erschaffen habe. Verquasen, in der mir eigenen Bedeutung von "ungefragt auftauchen und alles verpesten, bevölkern und/oder zuschütten", steht, ich habe es gerade nachgeschlagen, nicht in meinem etymologischen Wörterbuch. Dafür steht aber „quasen“ drin, was sich von Quas, ein in Mittel- und Norddeutschland gebräuchlicher Ausdruck für „Festmahl, Schmaus oder Pfingstbier mit festlichem Tanz“, ableitet. Die Wurzel des Übels ist natürlich wieder einmal im Slawischen zu suchen, wo kvas, russisch: „säuerliches Getränk“, uns zu Kwass zurückführt, was so viel bedeutet wie "gegorenes Getränk".

Da haben wir es also. Nur weil ich gestern Abend gegorene Getränke zu mir nahm, steigt mir nächtens ein Fremder ans Bett und lässt mich den Biergenuss sauer aufstoßen, indem er mir ein quasi in den Kopf pflanzt, über Nacht, quasi.

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