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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Samstag, 27. Oktober 2012

Strohwitwer erstes Viertel

06:30
Aufwachen
07:00
Anziehen
07:30
Bücher anschauen
08:00
Bäcker
08:30
Frühstück
09:00
Spielpatz
10:00
Markt
10:30
Spielplatz
11:00
Marmelade kochen
11:45
Mittagessen kochen
12:00
Mittagessen
12:30
Kind schläft. Ich bin fix und fertig.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Mundtourismus

Ich bin heute zum ersten Mal auf der Schulenburger Landstraße mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Das ist eine stark befahrene Straße mit allerhand Gewerbeflächen und nur wenigen Wohnhäusern, wovon nicht wenige leer stehen. Diese Straße musste ich entlang fahren, weil ich einen Termin hatte, beim Zahnarzt, zur professionellen Zahnreinigung. Ähnlich wie diese Straße ist auch meine Mundhöhle ein stark befahrenes Areal. Meine Zunge, die sich bestens auskennt, mimt den Touristenführer und leitet alle Ankömmlinge gekonnt an Schlaglöchern, Erhebungen und sonstigen Hindernissen vorbei, direkt in die große Ausfallstraße nach Süden. Leider, und auch das hat meine Mundhöhle mit stark befahrenen Straßen gemein, bleibt häufig etwas liegen, füllt Zwischenräume, tritt sich fest, macht Fassaden grau und sorgt überhaupt für Abnutzung auf den Wegen.

Als ich beim Zahnarzt angelangte, bekam ich sogleich den üblichen Fragebogen überreicht, auf dem ich, unüblich, nichts anzukreuzen hatte, denn eine Spalte für die ganzen „Neins“ gab es nicht. Das einzige, was ganz genau geklärt werden sollte und deshalb mit Ja oder Nein zu beantworten, war die Frage, ob ich schwanger sei, ich kreuzte Nein an. Kurz darauf fand ich mich auf einem Leopardenfellbehandlungsstuhl wieder und wurde mit allerhand Tüchern belegt. Ein kleiner Becher mit rosa Flüssigkeit zum Ausspülen sollte später darüber hinwegtäuschen, wie unblutig das Ganze abgelaufen war, aber die Farbe war leider schlecht angemischt, so dass mein Eindruck von einem mittelgroßem Massaker auf der Fahrbahn nicht getäuscht werden konnte – wahrscheinlich ein Unfall durch rücksichtslose Fußgänger.

Zeit zum Nachdenken hatte ich übrigens ab Behandlungsbeginn keine mehr, vielmehr war ich damit beschäftigt, krampfartig nach Haltepunkten zu suchen und dem Schmerz im Mundraum und dem Piepen im Ohr so wenig Beachtung wie möglich zu schenken. Erst später, als die Grobheiten abgeschlossen waren, konnte ich wieder einen Gedanken fassen. Klar war dieser aber nicht, denn ich fragte mich als erstes, ob die behandelnde Zahnarzthelferin wohl Brillenputztücher gestellt bekommt oder diese, wenn sie nicht zur Verfügung gestellt wurden, von der Steuer absetzen konnte.

Nachdem sie mir dann während der abzuarbeitenden Feinheiten erklärt hatte, wie ich zu putzen habe und welche Bereiche besonders stark befahren werden, holte sie eine kleine Mundsperre heraus, auf die ich zu beißen hatte. Ein Lack wurde zum Schluss noch aufgetragen, guter alter Straßenbelag, der mir für eine Stunde jeglichen Verkehr in der Mundhöhle verbot, außer Anlieger natürlich, meine Zunge durfte also drinbleiben. Meine Zunge ist jetzt auch kein Touristenführer mehr, sondern selber fremd in der Mundhöhle und fährt deshalb erst mal alle Bereiche ab, um sich neu zu orientieren.

Einen meiner Zähne behandelte sie mit besonderer Nachsicht, denn er besteht, wie sie richtig festgestellt hatte, aus zwei schmalen Seitenwänden und einem riesengroßen Berg Beton in der Mitte. Sie sagte zu mir noch etwas von einer Krone, die da unbedingt drauf müsse, ich war mit meinen Gedanken aber gleich beim Hochbahnsteig, der zurzeit auf der Schulenburger Landstraße gebaut wird und sagte nur kurz, na klar, wird gemacht. Was das wieder kostet!

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Widerspruch

Weit verbreitet, bis ins All,
wir senden auf allen Kanälen.
Liebstes Medium ist uns der Schall,
mit dem wir andere quälen.
Ein Botschafter! Das Verlangen wiegt schwer,
die Botschaft nicht Wort, sondern Wille:
Flaute im Segel auf der Töne Meer,
ein Exporteur der Stille.

inspired by neighbours & Anja

Montag, 22. Oktober 2012

Wein und kalter Kaffee

Das Wochenende ist umgebracht. Es folgt, wie meistens, ein Montag, der mit sinnloser Hetze beginnt, in Kaffee mündet und dem ersten, richtigen Einschalten des Computers seit Freitag. Kaffee. Folgt man der etymologischen Spur dieses Gemütserregers, so endet man beim arab. qahwa, das laut Wörterbuch sowohl für Wein als auch für Kaffee stehen konnte. Daneben steht das türk. kahve wohl ebenfalls Pate, denn die venezianischen Kaufleute brachten den Kaffee nach Italien im 16. und 17. Jh. Schaut man dem Wein auf seine etymologischen Wurzeln, so erreicht man, nachdem das lat. vinum abgehakt wurde, den Pontus, bzw. Südkaukasus als Heimat der Weinkultur. Es gibt also einen Hinweis vom Kaffee zum Wein aber nicht umgekehrt. Dass es überhaupt einen Hinweis auf Wein gibt, wenn man Kaffee im etymologischen Wörterbuch nachschlägt, ist für sich genommen ja schon erstaunlich genug. Folgt man aber genau dieser Spur, stellt man nach geraumer Zeit der Recherche fest, dass sich bis auf wenige Gemeinsamkeiten kaum Hinweise finden lassen, die einen brauchbaren Zusammenhang zwischen beiden Getränken herstellen.

Vielleicht war die Erwähnung des Weines im Kaffeeartikel des etymologischen Wörterbuches ja nur Zufall? Vielleicht war es aber auch ein Überbleibsel aus längst vergessenen Tagen, als der Wein und auch der Kaffee noch als Begrüßungsgetränk gereicht wurde. Hinweise dafür ließen sich sogar finden. 1864 hieß es in einer Zeitschrift dazu: „Kaum 150 Jahre hatten ausgereicht, den Kaffee im ganzen Orient einzubürgern. Sogar Indien wurde schon sehr frühzeitig mit demselben bekannt. Bereits 1642 brachten die Holländer 83,540 Pfd. dorthin. Und noch heute steht dieses Getränk in der ganzen orientalischen Welt in hohem Ansehen. Es ist wie bei uns der Wein das Ehrengetränk, mit welchem man den Gast zu jeder Tageszeit bewirthet. Überhaupt vertritt der Kaffee bei den Muselmännern die Stelle des Weines, dessen Genuß der Koran aus ähnlichen Rücksichten verbietet wie Moses seinen Juden das Essen des Schweinefleisches…“

Über meine Recherche ist der Kaffee kalt geworden. Ich werde nicht darum herumkommen, ihn noch einmal aufzuwärmen. Diesmal lasse ich mich aber nicht vom kalten Kaffee der Etymologie ablenken und komme besser gleich zur Sache.

Freitag, 19. Oktober 2012

Die Gimmickisierung oder: Das Plastikbuch

Heute Morgen, kurz bevor ich das Haus verlassen wollte, nahm ich ein Buch aus meinem Regal. Ich weiß nicht warum ausgerechnet dieses, ich las darin. Es war ein schwarzer Einband, der Buchrücken zu dünn, um ihn zu beschriften und wüsste ich nicht, dass ich mich auf meine alphabetische Sortierung halbwegs verlassen kann, ich hätte niemals erahnen können, dass es sich um einen kleinen Band der Streichholzbriefe Umberto Ecos gehandelt hätte; Burkhardt Kröber, wie üblich, hat mir das Lesen erleichtert, indem er ins Deutsche übersetzt hat.

Nun beginnt dieses Buch damit, wie sich Eco über einen Glossenschreiber, bzw. die Glosse selbst, auslässt. Nicht unfein, durchaus als könne man teilen, was sowohl Eco als auch der Glossenschreiber gemeint haben. Mich interessierte daran auch nicht die Gimmickisierung (so nenne ich das, so nannte das nicht Eco) des Buches, darum ging es nämlich in der Glosse (ein Plastikbuch mit aufblasbarem Kissen, was man zum Schwimmen benutzen kann), sondern, wie Eco, um das Buch und seine Herstellung. Eco war fasziniert von dem Gedanken, welche Freude es machen könnte, ein Buch komplett auf Plastik zu drucken, aus Plastik bestehen zu lassen, man müsste Randnotizen einfügen können, das war noch so eine Bedingung. Und Eco hatte natürlich im Sinn, für die Ewigkeit zu konservieren; wie konnte es anders sein, er hatte auch sogleich ein Werk parat, dass er so festgehalten wissen wollte: Die Göttliche Komödie.

Ich hatte darüber hinaus noch die Idee, dieses Buch aus Recyclingmaterial herstellen zu lassen, mit eben jenen Eigenschaften, die Eco so vorschwebten. Nur ist mir Die Göttliche Komödie ehrlich gesagt zu sperrig, um sie auf Plastik zu drucken, daher wollte ich Euch, liebe Leser, fragen, welches Buch sollte gedruckt werden? Welches Buch hat denn die Qualitäten, nicht nur auf Plastik gedruckt zu werden und für die Ewigkeit zu halten (vielleicht irgendwann einmal im Stillen Ozean mit dem großen Strom des Plastikmülls zu schwimmen), sondern welches Buch wird auch gerne gelesen (nichts für ungut, an diejenigen, die gern Die göttliche Komödie lesen, ich habe mich eher durchkämpfen müssen und bin daran gescheitert)?

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Bewegt über Fußgänger

Ich möchte mit diesem Beitrag nicht weniger als eine neue Kategorie in meinem Blogkosmos einführen. Wie oft ich mich unflätig, ungehobelt, unpassend, also einfach unschön über Sachverhalte äußern werde, kann ich noch gar nicht sagen, es soll aber öfter vorkommen. Viel Spaß!


Lange genug hat es gedauert, dass der neue Hochbahnsteig vor dem Hauptgebäude der Leibniz-Universität, dem Welfenschloss, eingeweiht werden konnte. Doch pünktlich zum Semesterbeginn sind die Bauarbeiten abgeschlossen, und auf den weiträumig niedergetrampelten Rasen – man musste ja nicht selten Ausweichpfade einschlagen, um Baumaterial, -maschinen und -personal auszuweichen, das unvermittelt vor Einem auftauchte, für länger oder kürzer bereits festgetretenes Weggut versperrte und an Stellen, die nun weniger durch Fußgänger oder Radfahrer frequentiert wurden, die konsequente Grasabnutzung weiterführte – legt sich das fallende Laub der Linden wie eine Decke des Vergessens. Die Schuhe der Erstsemester, die in Erwartung einer feuchtfröhlichen Studiumseinführung auf dem Platz vor dem Schloss und weit darüber hinaus herumstehen, treten jetzt gerade den restlichen Rasen nieder, als wären sie die Genderbeauftragten der Schlosswiese, die besorgt festgestellt hatten, dass es noch Bereiche gab, wo das Gras grüner war als anderswo.

Aber was rege ich mich hier über den Rasen auf? Die heilige Kuh des Straßenverkehrs, der Fußgänger, der mir hier so unangenehm ins Auge sprang, wurde an gleicher Stelle auf das niederträchtigste diffamiert. Es reicht den hohen Herren der Stadtplanung nämlich nicht, die Gegend mit einem Hochbahnsteig zu verschandeln, sie sorgten darüber hinaus auch noch für eine Neuregelung des Verkehrs an dieser Stelle. Wo vorher zwei unscheinbare Zebrastreifen ihr Dasein fristeten und dem dahineilenden Studenten – entweder weil er zu spät zur Vorlesung kam oder weil er die Bahn nicht verpassen wollte – die Möglichkeit gab, sich unkonventionell mit dem Autofahrer zu einigen, dass er, der Fußgänger, im Recht sei, muss jetzt einen Schalter betätigen und eine Sparampel auslösen, die nur 2 Farben kennt.

Überhaupt ist blau – die beherrschende Farbe des Zebrastreifenhinweisschildes – aus verkehrstechnischer Sicht ein aussterbendes Gut auf Innerortens Straßen. Es wird zunehmend ersetzt durch Warnfarben, wahlweise komplett rot oder wenigstens mit rotem Rand. Die blauen Verkehrsschilder sind jetzt auf die Autobahnen umgezogen und künden dort von längst fälligen Abfahrten in einem Jahrhundertstau. Den Zebrastreifen, der übrigens in diesem Jahr, wahrscheinlich im März, seinen 60jährigen Geburtstag in Deutschland feierte, werden unsere Kinder vielleicht nur noch aus alten Kinderbüchern kennenlernen oder die Gefährlichkeit beim Überqueren desselben im Ausland erfahren. Auf Deutschlands Straßen hat man jedenfalls lange genug auf ihm herumgetrampelt, so ist mein Eindruck.

Doch warum rege ich mich denn über den verschwundenen Zebrastreifen auf? Weil diese Maßnahme den Fußgänger im Allgemeinen zu gängeln versucht, indem sie ihn zwingt, innenzuhalten und statt nur nach links und rechts zu schauen, vielleicht Blickkontakt mit einem heraneilenden Fahrzeughalter herzustellen, auch noch von ihm verlangt, sich einer Ampelschaltung unterzuordnen. Ich wäre längst nicht so entsetzt darüber, wenn es sich um eine Allerweltskreuzung handelte. Aber nein, dies ist eine ganz besondere Ampel. Hier entscheidet sich die Zukunft hunderter, wenn nicht tausender Studenten, ob sie sich auf dem Holzweg befinden oder mit voller Kraft voraus ins Berufsleben durchstarten können. Hier laufen die vereinigten Schicksale der Intelligenz von morgen zusammen, geben sich ein kurzes Stelldichein am Straßenrand, bevor sie dann in Richtung Straßenbahn oder Hörsaal verschwinden. Und wo doch der Student gemeinhin schon durch mäßig in Gang gesetzte Reformen gegängelt wird, er sich zusehends in einem Alltag wiederfindet, der absolut nichts mit „feuchtfröhlich“, sondern viel mehr mit der allseits verhassten Institution Schule gemein hat, da drückt ihm der Stadtplaner ein rotes Männchen aufs Auge, dem er sich vor Betreten der Universität ausgesetzt sieht. Rot, eine Warnfarbe allererster Güte! So, als wollte die Ampel bereits vom Studium abraten: „Geh da bloß nicht hin, die Zeit ist vergeudet!“ flüstert sie dem Studenten zu, der sich wegen einer Fristverlängerung mit dem Prüfungsamt auseinandersetzen muss, das hat seinen Sitz auch im Welfenschloss.

Deswegen rege ich mich auf. Und nicht nur deswegen. Sind Sie oder jemand anderes schon einmal mit einem Fahrrad an einer Fußgängerampel zum Stehen gekommen? Bestimmt. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es in den meisten Fällen nötig ist, abzusteigen? Dass Sie dann den Gleichen Stellplatz verbrauchen, wie vier Fußgänger? Kennen Sie viele Studenten mit einem eigenen Auto? Die Parkplatzsituation ist ein ganz anderes Blatt, darauf möchte ich hier gar nicht eingehen. Worauf es mir ankam, war die Menge an Fußgängern und Radfahrern, die gemeinhin einen Weg frequentieren, der von der Universität weg- oder zu ihr hinführt. Diese Massen stehen eingepfercht zwischen Metallgittern, die ihnen vorschreiben, nur der minimalen Öffnung zu folgen, die zu der roten Ampel führt. Stellen Sie sich das Geschubse und Gedränge vor. Es ist völlig klar, dass wir der Massentierhaltung bereits völlig abgestumpft gegenüberstehen, wir werden ja selber so gehalten! Und am Ende des Ganges wartet die freundliche Dame aus dem Prüfungsamt und sagt: “Dafür sind Sie leider zu spät, eine Fristverlängerung ist jetzt nicht mehr möglich.“ Peng, Bolzenschussgerät.

Und wissen Sie, wie lang die sogenannte „Grünphase“ an dieser Fußgängerampel dauert? Es verlangt ja niemand, dass man dabei einen Grashalm beim Wachsen beobachten könne. Aber zumindest die andere Straßenseite sollte doch erreicht werden! Als Fußgänger mit mäßiger Geschwindigkeit, womöglich beim Gang nach Canossa, dem eigenen, dem letzten Versuch Abbitte zu leisten für eigenes Versäumen, da sollte doch vor dem Betreten der heiligen Hallen des Verwaltungsapparates der Universität, der befindet sich nämlich fast komplett im Welfenschloss, ein Stoßseufzer möglich sein, ein tiefes Einatmen, ein „ich nehme all meinen Mut zusammen“! Aber nein, dem Stadtplaner ist das völlig fremd. Der hat ja selber noch studiert, als Heinrich IV. fast von einem Fuhrwerk erfasst worden wäre, damals beim Besteigen des Hügels. Es geht hier ja auch gar nicht um Investitur, sondern um Immatrikulation, da ist man dem Wohl und Wehe ganz anderer Entitäten ausgesetzt. Unfehlbar, natürlich, geduldig muss man da sein, aber doch bitte schön nicht an der Ampel!

Sie verstehen den Widerspruch? Sie haben genug? Eines habe ich noch: Duisburg. Stellen Sie sich einmal vor, an der Ampel wird wegen technischer Probleme nicht auf Grün umgeschaltet. Die Straßenbahn klingelt im Rücken, die Fußgängermassen knuffen und puffen, eine oder mehrere Fahrradklingeln ertönen, direkt daneben hupt ein Auto böse und in dem ein oder anderen Studenten pocht ein Herz so laut, dass es an den Presslufthammer längst vergangener Zeiten erinnert, als hier noch eine friedliche Baustelle vor sich hinschlummerte. Wen würde es da wundern, wenn sich hier nicht eine Massenpanik entwickeln könnte. Diesmal ohne Musik, keine Feier, kein vermeintlich schöner Anlass, sondern eine schlichtweg hässliche Szene wäre das. „Gemetzel am Scheideweg“, ich sehe schon die Schlagzeile in der Bild. „Not-Zelte vor dem Welfenschloss, Rettungswagen, Sanitäter, Seelsorger im Einsatz, und die Verantwortlichen hüllen sich in Schweigen!“

Ich für meinen Teil werde diesen Überweg in Zukunft meiden, zu viel Beton, zu viele Schranken; in den Köpfen und auf den Wegen. Da bleibe ich doch besser gleich zu Hause und höre mir die Melodie in der Warteschleife der universitären Hotline für geplagte Studenten an. Das macht zwar müde, bringt mich aber wenigstens nicht um.

Montag, 15. Oktober 2012

Achtung, Floskeln gefährden die Gesundheit!

Aus der knappen Antwort auf eine Mail, in der es um hier nicht weiter Relevantes ging und deren Empfänger ich war, mich also demzufolge zu antworten genötigt sah, entwickelte sich eine kleine Odyssee durch den großen Garten der Floskelgewächse und ihren Hegern und Pflegern. Um auf eine nicht weniger knapp formulierte Frage zu antworten, nahm ich hilfesuchend, hilfefindend die Dienste folgender Floskel in Anspruch: „Nicht dass ich wüßte.“ Es nicht unbedingt meine Art, in Halbsätzen zu antworten, allerdings erschloss sich mir nicht, weshalb ich die gestellte Frage in der Antwort wiederholen müsste und ließ sie deshalb weg. Kein Problem, denke ich, wenn nicht mehrere Sachen gefragt werden und ein eindeutiger Bezug herzustellen ist.

Ins erste Stocken geriet ich deshalb, weil mir das „Nicht“ nicht aussagestark genug erschien, ihm eine Konjunktion mit doppeltem „s“ anzuhängen. Es war ein ganz kurzes Stocken, ich schwöre es. Auf das erste Stocken folgte sogleich ein zweites, das mich erneut innehalten ließ: „ß“ in wüßte“? Natürlich nicht, nur eine kleine Dissonanz im Gepräge. So etwas lässt sich schnell reparieren. Doch dann, dann traf es mich wie ein Donnerschlag. Ich war ratlos, benötigte einen neuen Tab und begann mit der Recherche. Ich begann in die Googlesuchzeile einzutippen: „nicht dass…“ und wurde prompt vervollständigt auf: „nicht dass Rotlichtmilieu“, haha kleiner Witz am Rande, nein, es war: „nicht dass ich wüsste komma“. Komma? Hatte ich ein Komma vergessen? War mir hier ein gehöriger Schnitzer unterlaufen, indem ich auf mein liebstes Satzzeichen verzichtet hatte?

Das war mir noch nie passiert. In der Schule habe ich immer, wenn ich mir um den Einsatz eines Kommas nicht sicher war, einen klitzekleinen Strich gemacht, den man durchaus übersehen könnte, wenn er dort nicht hingehört, den man aber wahrnimmt, wenn es so sein muss. Noch heute bin ich Verfechter vieler Kommas. Ich würde mich sogar dazu hinreißen lassen, ein „weil“ mit Kommas zu umzäunen, wenn darauf ein Hauptsatz folgte, weil, die Pause im mündlichen Vortrag ( der Hauptsatz, eingeleitet von "weil", ist im Mündlichen schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ) kann nur so ihre volle Wirkung im Lesefluss erhalten!

Ungläubig rief ich die Einträge auf und wurde sogleich beruhigt, es handelt sich nur dann um ein notwendiges Komma, wenn eine Ellipse vorliegt, aus dem „nicht“ ein ganzer Satz gemacht werden könne à la „Es ist nicht so, dass es mich behindert, es verlangsamt mich nur.“ Es verlangsamte mein Schreiben tatsächlich soweit, dass ich, wenn ich den ganzen Sachverhalt ausgeschrieben hätte, oder auf die Floskel verzichtet hätte, wesentlich schneller fertig geworden wäre. Wahrscheinlich wäre dann kein „Halbsatz“ entstanden, wie er im Mündlichen durchaus üblich, im Schriftlichen jedoch nicht üblich ist. Ich hätte in korrektem Deutsch eine sinnvolle, verständliche Antwort abgegeben. Ich hätte mir nicht den Kopf zerbrechen müssen, ob ein „davon“ im Satz „Nicht, dass ich davon wüsste“ ein Komma evoziert, weil ich mich auf die schiefe Bahn der Elliptik eingelassen hätte. Ich wäre eilends zur nächsten Email gehuscht, um auch dort knapp und präzise zu antworten. Dieser Text wäre nicht entstanden.

Die schöne Zeit, vertan für eine Floskel. Wenn Sie also demnächst auf eine E-Mail antworten, hüten Sie sich vor dem Einsatz von Floskeln, es könnte Ihr Leben verkürzen.

Freitag, 12. Oktober 2012

Meinung

Wieder einmal muss ich mit einem alten Vorurteil aufräumen und der deutschen Sprache ein streng gehütetes Geheimnis entreißen. Allerdings muss ich, wie so oft, darauf verzichten, einen Schuldigen zu benennen, denn die Geschichte der Sprachen reicht schon länger zurück als mein etymologisches Wörterbuch überhaupt erfassen kann. Im Zuge der Sortierung des Wissens über die Sprache im Allgemeinen und des Deutschen im Besonderen ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, wenn bestimmte Phänomene, obschon ziemlich offensichtlich, einfach „unter den Teppich“ gekehrt werden können. Sieger schreiben ja bekanntlich die Geschichte.

Worum es mir diesmal geht, ist das allseits beliebte Wort Meinung. Die Meinung, die sich dem Duden nach, aus dem Wort meinen entwickelte und auf das ahd. meinan zurückgeht, hat im Gegensatz zu den meisten Vokabeln des Deutschen – und hier sei angemerkt: aus mir völlig unverständlichen Gründen – beiden Lautverschiebungen getrotzt. Natürlich ist das engl. mean mit dem Wort meinen verwandt und auch das kelt. mían ist laut etymologischem Wörterbuch eine der Wurzeln, allerdings wird mit dieser offensichtlichen Herkunftstheorie nur verschleiert, was im Verborgenen bleiben soll: die Verwandtschaft mit dem Possessivpronomen mein. Das Possessivpronomen ist im Deutschen sowieso eins der am strengsten gehüteten Geheimnisse. Nichts ist so schwer zu ermitteln wie die Herkunft von mein. Weder unter dem Begriffsfamilie der Possessiva nebst seinen kompositorischen Partnern noch unter den Personalpronomen wie zum Beispiel unter ich finden sich Hinweise auf seine Herkunft.

Warum ist das so? Ganz einfach: Besitz ist schon immer ein knappes Gut gewesen und seit dem Aufkommen erster gutsaufwertender, gewinnbringender Bestrebungen, ist eine kleine, tonangebende Menge von Leuten – ich vermeide hier bewusst die von Theoretikern des Kapitalismus beanspruchten Vokabeln, weil der Kapitalismus viel älter ist, als seine Definition – nicht nur an dem Verteilen des Besitzes verantwortlich, sondern darüber hinaus auch mächtig genug, das Wissen um seinen Ursprung zu verschleiern. Das mein aus Meinung meint eben nicht meinen Besitz, es meint unseren Anspruch auf Besitz, der sich schlichtweg, über Jahrtausende hinweg, nur in unseren Köpfen abspielte. Wir durften nämlich alles denken, aber längst nicht alles sagen. Heute sind wir, nachdem die Tölpel der Revolutionen seit 1789 kontinuierlich über den Tisch gezogen worden sind, glückliche Besitzer des Rechts der freien Meinung in unseren Gedanken und in der sprachlichen Äußerung, was uns, ehrlich gesagt, nicht viel weiter gebracht hat, als dass jetzt alles durcheinander quasselt und unsere Meinung zwar nicht mehr bestraft werden kann aber weiterhin keine Beachtung findet.

Mit dem Aufkommen der freien Meinungsäußerung wurde das Volk also ein weiteres Mal entmündigt. An gewinnbringendem Besitz weiterhin größtenteils unbeteiligt, wurde die Meinung zuerst entpossessiviert – man beachte zum Beispiel die vielzitierte Redensart unseres Altbundeskanzlers: „Was interessiert mich mein Geschwätz(!) von Gestern?“ – und später auch noch marginalisiert ( Außenminister Radoslaw Sikorski über die Wahl einer Spitze in Europarat und Europakommission in FAZ vom 03.09.2012: „Diese Person sollte gewählt werden - entweder vom Europaparlament oder vom europäischen Publikum(!).“ ). Und um dies auch schriftlich zu zementieren, wurde auf die Darstellung der Verwandtschaft von Meinung, bestehend aus meinen und dem Vorgangssuffix –ung, und dem Possessivpronomen mein gänzlich verzichtet.

Um nun beiden Prozessen, der Entpossessivierung und der Marginalisierung, entgegenzuwirken, ist es notwendig auf sprachlicher Ebene anzufangen und den „status quo“ wiederherzustellen. Mein Vorschlag lautet deshalb, sinnlose, marginalisierende, ja inflationäre Dopplungen wie „meine Meinung“ zu unterbinden, denn es stellt die einerseits immense Wichtigkeit des Gutes Meinung wieder her, und darüber hinaus, um auch der Entpossessivierung ein Schnippchen zu schlagen, die Meinung wieder zuordenbar zu machen, indem das Substantiv Meinung um die Substantive Deinung, Seinung, Ihrung usw. erweitert wird, die gleichbedeutend aber eindeutiger zuzuordnen sind. Ich fange gleich damit an und ende mit den Worten: Das ist Meinung! Ich bitte um Ihrung!

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