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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Mittwoch, 14. November 2012

Während a raucht, ist un tot

Auf der Suche nach dem kleinen, feinen Unterschied, der gewitterten Nuance kann man sich machen, wenn man zum Beispiel dem Wein nicht abgeneigt ist. Dem Kenner offenbaren sich bereits beim Öffnen der Flasche, dem ersten entsprungenen Duft, beim kleinsten Nippen am Glas feinste Unterschiede, die auf Jahrgang, Hanglage und Sonnenstunden hindeuten lassen, von der Rebsorte ganz zu schweigen. Auch die deutsche Sprache bietet mancherlei Facette, die es dem Kenner erlaubt, sich von der "Spreu" des gewöhnlichen Benutzers zu trennen und mit dem richtig gebrauchten Detail eine Aussage erst eloquent zu machen. Um solch ein Detail soll es heute gehen: den gemeinen verneinenden Präfix bei Adjektiven.

Schon in dem Wort "gemein", das ich eben verwendete, steckt ein kleiner Hinweis darauf, dass es sich bei dem Präfix un- um ein einerseits höchst produktives Präfix handeln muss (ein Allgemeinplatz), andererseits aber auch, dass es nicht das einzige ist, welches verneinende Wirkung hat. Deshalb nehmen wir, um das Gegensatzpaar perfekt zu machen, das Präfix a- mit hinzu. Beide Präfixe verneinen Adjektive, un- jedoch ist weiter verbreitet und der Einsatz von a- als Präfix zumeist auf aus dem Lateinischen oder Griechischen entlehnte Adjektive beschränkt. "Typisch" zum Beispiel kommt aus dem Lateinischen und wird untypisch, wenn wir ein a- davor setzen, nämlich atypisch. Jetzt wird es kompliziert, hört man uns denken, die Augeninnenteile beschreiben Kreise und das einzige, was wir, die wir ja keine "Kenner" sind, entgegenzusetzen haben ist: "Ich trinke viel lieber Bier als Wein".

Damit ist jetzt Schluss, die Trauben müssen uns nicht mehr zu sauer sein! Aller gezielt gestreuter Desinformation im Netz zum Trotz, ist es mir nämlich gelungen, eine schlüssige Differenz bei der Verwendung von un- und a- als Präfix bei dem Adjektiv "typisch" auszumachen. Obwohl un- selbst bei "typisch" produktiver ist – es liefert bei Google 57.000 Treffer, wohingegen "atypisch" nur auf 40.000 Treffer kommt – stehen die gut recherchierten und wesentlich ausführlicheren Lösungen unter "atypisch" und nicht unter "untypisch“. Es gibt sogar Fachleute, die für die Präfigierung mit un- oder a- keinen semantischen Unterschied festgestellt haben wollen, oder diesen nur "wenigen" Paaren zubilligen und dann auch nur ganz klitzeklein. Hören Sie nicht weiter darauf, das ist nur der Dünkel der Wissenschaft! Es gibt einen Unterschied, bei all diesen Paaren, nicht nur wie laut DUW (Deutsches Universalwörterbuch) bei areligiös (nicht religiös + außerhalb der Religion stehend) und unreligiös (nicht religiös).

Die Lösung sieht folgendermaßen aus. Ich beziehe mich dabei auf ein Beispiel, das direkt aus dem Leben gegriffen ist und sich deshalb sehr leicht merken lässt. Sollte in Zukunft also jemand darüber die Nase rümpfen, weil sie statt un- a- oder statt a- un- benutzen, können sie mit den folgenden zwei Merksätzen Ihr Expertentum auf diesem Gebiet kundtun und den Nörgler in seine Schranken weisen:

Atypisch ist, wenn ein Raucher unter Rauchern sitzt, die rauchen, und selbst nicht raucht.

Untypisch ist, wenn ein Raucher unter Rauchern sitzt, die rauchen, und selbst nicht atmet.

Montag, 12. November 2012

zu laut

Lieber Vermieter,

wir haben weiterhin ein Problem mit vermehrter Lautstärke in unserer Wohnung. Diese ist nämlich nicht, wie vielleicht anzunehmen, durch uns verursacht, sondern durch unsere Nachbarn.

Wir haben auf Ihr Anraten hin seinerzeit das Gespräch gesucht und sind auch im Folgenden nicht davon abgewichen, allerdings stört es uns einfach, dass wir stets und ständig darum bitten müssen, dass wir nicht hören wollen, was über oder unter uns für Musik läuft. Daraus ergaben sich außerdem jede Menge Missverständnisse, denn wie nicht selten vorgekommen, wurde unsererseits die falsche Partei zur Ruhe bzw. Verringerung der Lautstärke aufgerufen, was natürlich auch dort für Verstimmungen sorgte. Die Belastung, die sich einerseits aus der Suche nach dem Verursacher der Lautstärke und der Lautstärke an sich ergibt, macht es uns nicht leicht, sich in unserer Wohnung wohl zu fühlen. Wir sind auch nicht bereit, Wohnraum „aufzugeben“, nur weil sich unter oder über uns gerade jemand aufhält, der in puncto Lautstärke andere Grenzen zieht als wir.

Es kann nicht angehen, dass ich am Donnerstag, den 08.11.12, gegen 23:11 Uhr eine Bohrmaschine in meiner Küche vernehmen muss oder während der Mittagsruhe, wie am Wochenende geschehen, in unserem Wohnzimmer mit lauten Bässen zu rechnen habe. Mit Regen muss ich rechnen, wenn ich nach draußen gehe, dafür gibt es den Wetterbericht; mit lauter Musik muss ich auch rechnen, wenn ich in die Disco gehe oder auf ein Konzert, dafür gibt es den Veranstaltungskalender, ich möchte aber in meiner Wohnung weder mit Regen noch mit übertriebener Lautstärke rechnen müssen. In beiden Fällen würde ich mich an den Vermieter wenden, was hiermit geschehen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Geil, leider

Da habe ich mich eben intensiv mit der Komparation beschäftigt und alles, was ich herausgefunden habe, ist nichts weiter als relativ. Widersprüchlich ist deshalb die völlig unsinnige Unterscheidung von Elativ und Exzessiv. Wikipedia zeigt das sehr schön, indem nämlich beim Exzessiv eine Erklärung gegeben wird, die sich mit Beispielen des Elativs deckt. Da heißt es: „Der Terminus Exzessiv benennt eine adjektivische Steigerungsform, die entweder ein extrem hohes („sehr sehr“) oder übersteigertes Maß („zu“) der bezeichneten Eigenschaft ausdrückt.“ Und beim Elativ steht im Beispiel: „Elativ (Partikel): „Wir arbeiten mit extrem modernen Maschinen.“

Komparieren wir das Adjektiv geil, kommt dann so etwas dabei heraus:
Positiv: geil
Komparativ=geiler
Superlativ=am geilsten
Elativ= extrem geil oder endgeil
Exzessiv=sehr sehr geil oder zu geil
Ich denke, es wird klar, dass sich Elativ und Exzessiv nicht allzu groß voneinander unterscheiden. Leider geil, würde ich sagen.

Samstag, 10. November 2012

Hat sich erledigt

Ich hätte auch hinter einem Regal in zweiter Reihe stehen können, oder gerade beim Suchen nach Speisestärke in Gang drei, als die Kassiererin eingangs des Ladens an der Kasse plötzlich in ihr Mikro schreit: „Wir brauchen ganz dringend einen Notarzt!Ausrufezeichen!“

Die verunglückte Frau ist weißhaarig, dick und trägt ihre Krücken im vor ihr platzierten Einkaufswagen mit. Zwei Leute sind sofort zur Stelle aber die Frau kann nicht aufstehen. Die Kassiererin, die ganz dringend einen Notarzt bestellt hat, kassiert nicht mehr. Sie dreht sich nach allen Seiten um, ob nicht vielleicht ein Arzt im Geschäft herumstreunt und gleich seinen Kittel aus dem Koffer holt, das Stethoskop unter dem Pullover hervorzieht und mit routiniert modulierter Stimme um kaltes Wasser und Platz zum Arbeiten bittet.

Es kommt aber kein Arzt. Die Frau ist mit Hilfe einer weiteren Person und unter Aufbietung ihrer ganzen Kraft wieder zum Stehen gekommen. Den Schrei, den sie dabei ausgestoßen hat, hätte ich wahrscheinlich in Reihe drei ganz hinten gehört, dort wo die Milch steht und die Butter. Ohne Zweifel hätte ich dort auch den Ausruf der Kassiererin gehört, wie sie mit abfallender Stimme ins Mikro ruft: „Hat sich erledigt!“ Gut, dass ich vorn an der Kasse stehe und mit eigenen Augen sehen kann, dass es der Frau gut geht. Manchmal ist es ja doch schön, wenn sich etwas erledigt.

Donnerstag, 8. November 2012

sauchen

sauchen, Verb, etymologisch nahe verwandt mit suchen. Während das gemeingerm. Verb mhd. suochen, ahd. suohhen eigentlich „suchend nachgehen, nachspüren“ bedeutet, sich ursprünglich auf den die Fährte aufnehmenden Jagdhund bezog und die Wurzeln im Allgemeinen eher im Dunkeln liegen, kann das Verb sauchen etymologisch eindeutig zurückverfolgt werden. Mit dem Aufkommen der ersten Standardtastaturbelegung auf Schreibmaschinen, welche von Remmington Ende des 19. Jh. eingeführt wurde, ist das Verb sauchen in der Literatur nachweisbar.

Semantisch ursprünglich durchaus äquivalent zu „suchen“ gebraucht, wandelte sich die Bedeutung mit der Intensivierung des Gebrauchs von Schreibmaschinen, Handys, Computern und sonstigen Spracheingabemodulen, die auf Basis der remmingtonschen Tastatur arbeiten, weg vom eigentlich zielgerichteten „suchen“ hin zu dem eher ziellosen Aspekt einer Suche, neu: Sauche.

Hierbei müssen grundsätzlich zwei Bedeutungsschwerpunkte unterschieden werden. Zum einen bestehen bei dem Verb "sauchen", insbesondere aber bei dem daraus gebildeten Substantiv "Sauche" Ähnlichkeiten zu gewissen kulinarischen Flüssigkeiten. Zum anderen dient es der spezifischen Suche in „hastigen“ (hastig steht in diesem Zusammenhang für: fehlerbehaftet) Milieus, Google zum Beispiel liefert dafür eine ganze Reihe von Treffern. Gerade in der zweiten Bedeutung könnte der obigen Definition nach ein Widerspruch stecken. Dies ist durchaus beabsichtigt und dient dem Anwender als Beweis seiner Eloquenz, denn die Sauche ist vor allem selbstreferentiell, der Saucher findet nur Ergebnisse anderer Saucher, er findet aber nichts, was er nicht auch gesucht hätte. In letzter Zeit wurde allerdings beobachtet, dass die Eloquenz nur eine mögliche Ursache für die Benutzung von sauchen, bzw. Sauche darstellt, seit neuestem spricht man in diesem Zusammenhang auch vom sog. crassus digitus.

Mittwoch, 7. November 2012

Der Magnethelm

Einen Magnethelm findet man nicht auf dem Schrottplatz. Was für Gründe das hat, kann ich leider nicht sagen. Genauso wenig möchte ich hier davon sprechen, wozu so ein Magnethelm überhaupt taugt. Eine simple Suche bei Google kann hier schon so viele unterschiedliche Ergebnisse zeitigen, dass einem angst und bange wird. Stellen wir also einfach fest, Sie brauchen einen Magnethelm und wissen nicht, woher das Utensil kommen soll. Dabei möchte ich Abhilfe schaffen:

Sie nehmen einen Metalldetektor und fahren die Wände der eigenen Wohnung ab. Meistens finden sich in senkrechter Anordnung sogenannte Magnetlinien, die es, nachdem sie vom Detektor gefunden wurden, zu markieren gilt. Ein wasserfester Filzschreiber sollte deshalb bereit liegen, mit dem Sie in einem Abstand von ca. 2 cm zum gefundenen Objekt jeweils rechts und links eine Linie einzeichnen. Mit einer Mauernutfräse, die man sich in jedem größeren Baumarkt günstig ausleihen kann, werden die so markierten Wände aufgeschlitzt. In der von Putz befreiten Rille offenbart sich ein hoffentlich intakter Kupferdraht in Plastikummantelung. Diesen entnehmen Sie und befreien ihn von seiner Hülle. Den Draht wickeln Sie um ein Straußenei, bis die obere Hälfte komplett von Draht bedeckt ist. Das Straußenei haben Sie natürlich vorher in einem Schraubstock arretiert. Als Bommel empfehle ich, aus den Plastikresten einen Klumpen zu formen, notfalls unter Einsatz geringer Hitze. Das Praktische ist, die Plastikreste müssen nicht extra besorgt werden, die fallen sowieso an.

Mit dem fertigen Helm gehen Sie dann zum Nachbarn ihres Vertrauens. Vielleicht empfiehlt es sich, eher nicht zum Nachbarn Ihres Vertrauens zu gehen, weil dieser aufgrund des guten Verhältnisses zu Ihnen längst über Ihre Pläne informiert ist und selber gerade einen solchen Helm bastelt. Gehen Sie also besser zu jemanden, den Sie eher nicht so gut leiden können. Dort kann der Helm an das hoffentlich noch intakte Stromnetz angeschlossen werden. Der Helm hat volle Funktionalität erreicht, sobald die Plastikbommel zu schmelzen beginnt und an den Seiten der Kopfbedeckung herunterläuft. Die hierbei zu beobachtende Verschlackung und auch die gewaltige Stromrechnung am Ende des Quartals sind für Sie übrigens nicht mehr von Belang, Ihr Nachbar kann sich aber ein paar wertvolle Notizen dazu machen.


P.S. Achso, das hätte ich fast vergessen, ein Straußenei kann man günstig bei Amazon bestellen.

Montag, 5. November 2012

Tatütata mit Schleife

Leider war ich heute Morgen auf der "falschen" Straßenseite unterwegs, denn mir bot sich ein wirklich grotesker Anblick. Eigentlich bot sich mir dieser Anblick gerade deswegen, weil ich auf der falschen Straßenseite unterwegs war, weshalb ich mich durchaus fragen könnte, was denn nun eigentlich zuerst da war. Und drehte sich diese Episode nicht so herrlich um sich selbst, wäre sie auch keine Erwähnung wert gewesen, aber ich sollte nun wirklich davon anfangen, sonst ist nachher alles schon verraten, bevor ich überhaupt dazu kommen konnte, sie zu erzählen.

Ich ging also heute Morgen gegen kurz vor 8 aus dem Haus und mir bot sich ein völlig normales Bild. Mein Sohn, dessentwegen ich überhaupt das Haus verließ – er wurde von mir zur Kita chauffiert – sang ein mit der allseits bekannten Melodie unterlegtes, lautes „Tatütata“ und ich, in Erwartung einer Sirene, spitze die Ohren. Die Augen hätte ich richten sollen, denn sein Ton galt einem stummen Martinshorn, einem ausgeschalteten Blaulicht auf dem Dach eines T4 auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Das Polizeiauto stand direkt in der Ausfahrt einer Kreuzung, versperrte sowohl den abgesenkten Bordstein des Fußweges als auch die Einmündung der Straße. Mit dem Kinderwagen, wäre ich auf dieser Straßenseite unterwegs gewesen, hätte ich einen großen Umweg in Kauf nehmen müssen, um daran vorbei zu manövrieren. Da ich aber auf der „richtigen“ Straßenseite ging, war alles kein Problem. Schaulustig besah ich mir also das Treiben der beiden Beamten. Eine Polizistin saß mit einem Gerät bewaffnet auf dem Beifahrersitz und tippte darauf herum, während ihr Kollege in der offenen Tür stand und seine Hand bereithielt. Sogleich entsprang dem Gerät ein Zettel, dieser, vom Polizisten abgerissen, wanderte von der Hand getragen zur gegenüberliegenden Einmündung der eben beschriebenen Straße und wurde dort an einem roten Fahrzeug befestigt.

Das rote Fahrzeug nämlich, parkte so dicht an der Kreuzung, dass sowohl die Einfahrt in die Kreuzungseinmündung für andere Autos als auch die Benutzung des abgesenkten Bordsteins für Fußgänger maßgeblich erschwert wurde. Ich habe mich nicht getraut, einen Zettel aus meinem Notizbuch zu reißen und den beiden Polizisten ans Auto zu heften, weil sie die Straße und den Fußweg versperrten. Ob sie es mit Humor genommen hätten, das habe ich mich trotzdem gefragt.

Donnerstag, 1. November 2012

Kepler, Friseure und s.t.³

Die Raumbelastung an unserer Uni hat sich dermaßen zugespitzt, dass ich eine Vorlesung zur Psychologie in einem Hörsaal der Mathematiker und Physiker besuchen muss. Das heißt, ich muss nicht, es gibt keine Anwesenheitsliste mehr ( also nach den ersten zwei Sitzungen ) und auf die Klausur könnte ich auch verzichten, wenn ich stattdessen anderswo eine Hausarbeit schreibe. Trotzdem bin ich am Dienstag wieder dort gewesen. War interessant, dazu später mehr.

Aus der Zumutung in der ersten Sitzung – wir waren ca. 200 Leute – ist eine erträgliche Anzahl von ca. 100 Studenten geworden. Das eigentliche Problem liegt ja auch nicht in der Anzahl der Studenten, es passen immerhin bis zu 300 in den Saal hinein. Nein, das Problem ist, dass der Raum über kein einziges Fenster, demzufolge über kein Tageslicht, keine Frischluft von draußen verfügt. Außerdem endet die Veranstaltung vor unserer Veranstaltung um Punkt 14:30 Uhr, s.t. Man munkelt, dass die Veranstaltung vor dieser Veranstaltung, die bei einer Dauer von 1,5 h um 12.00 Uhr, s.t., beginnen würde, um 12:00 Uhr, s.t., endet. Weiterhin habe ich gehört, dass es noch zwei Veranstaltungen davor geben soll, bei denen der nahtlose Übergang exakt auf die gleiche Weise erfolgt wie bei der gemutmaßten und dem tatsächlichen Wechsel zu unserer Vorlesung. Was ich außerdem noch mit Gewissheit sagen kann: die auf unsere Vorlesung folgende Veranstaltung beginnt ebenfalls exakt um 16:00 Uhr, s.t. Man möchte vielleicht nicht aber man könnte sich aus dieser Schilderung ein ungefähres Bild vom Zustand der geruchlichen Belastung machen, es sind zwar andere Düfte aber für mehrere Stunden auf dem Mittelstreifen einer Schnellstraße zu verbringen hat ähnliche Wirkungen.

In der letzten Sitzung offenbarte sich ein weiteres Problem, keines was mich direkt betraf, aber es führte an anderer Stelle zu Verstimmungen. Der Inhalt der Vorlesung „Allgemeine Psychologie“, so die Vermutung, ist ein Abriss der Geschichte, ein Abriss in Methoden, kurz: ein kurzer Überblick über alle fachrelevanten Themen in der Psychologie. Was man nicht unbedingt vermutet, sind Ausflüge in die Physik, auch wenn der Hörsaal hauptsächlich für Veranstaltungen der Mathematiker, Ingenieure und Physiker genutzt wird. Es ging dabei auch nicht um ein simples Beispiel an irgendeiner nebensächlichen Stelle. Es ging um die keplerschen Gesetze. Um alle. Mehrere Folien (Powerpoint) lang, erstreckte sich dieser Ausflug, den Zusammenhang habe ich gar nicht mehr auf dem Schirm. Dafür habe ich alle drei Gesetze verstanden. Ich weiß jetzt sogar, was eine Parallaxe ist, und weshalb das die Beobachtung und Ableitung dieser Gesetze so schwer gemacht haben muss. Ein immenser Aufwand, kann ich nur sagen. Deshalb will ich jetzt auch einmal etwas formulieren, ganz im Sinne der Psychologie. Leider hat das keine allgemeine Gültigkeit, aber es liefert Hinweise auf bestimmte Korrelationen:

Umso mehr Studenten sich im Rahmen des Studiums in geschlossenen Räumen aufhalten, desto größer ist die Zahl derer, die plötzlich merken, dass sie in der falschen Veranstaltung sitzen.

Wenn dann in einem Raum, der größtenteils der Mathematik und Physik vorbehalten ist, eine Psychologievorlesung gehalten wird, in der es zu 50% um die keplerschen Gesetze geht, sitzen Zuspätkommer längst, bis sie gemerkt haben, dass sie hier falsch sind. Was im Kino schon nervt, ist im Hörsaal noch schlimmer, denn die Sitze sind nicht bequem und der Abstand zum Vordermann reicht aus, um jedem Friseur ohne Anstrengung ins Handwerk zu pfuschen. Man kann nicht einmal ein zufällig ausgefallenes Haar von den eigenen Aufzeichnungen pusten, ohne das der Vordermann oder die Vorderfrau davon Wind bekommt.

Da saß ich nun, neben, hinter und vor mir laufen die ganze Zeit verwirrte Studenten entlang, weil sie plötzlich merken, das Oppenheim kein Physiker ist, den sie bloß nicht kennen, sondern das Oppenheim der Chemiker, Philosoph und Privatgelehrte ist, der sich unter anderem auch mit der Gestaltpsychologie beschäftigte – der Physiker hießja Oppenheimer, diese Verbindung liegt demzufolge nahe. Es herrschte also ein allseitig heftiges Gedränge, das nicht bereits an der Tür, sondern erst am Sitzplatz entschieden wurde. Ich jedenfalls hatte meinen Spaß.

Mittwoch, 31. Oktober 2012

Katastrophentourismus

Diesmal durchaus ernsthaft, obwohl meine Rubrik "Wort für Wort" sonst nicht ohne Ironie auskommt, habe ich mich diesem Begriff gewidmet. Der Text ist ziemlich lang geworden, sicherlich ein Manko aber kürzer ging es wirklich nicht.

Man könnte meinen, die weißen Flecken auf der Landkarte sind dem Weiß im weitaufgerissenen Auge gewichen, betrachtet man die vielen Facetten, denen unser Auge in der Fremde ausgesetzt ist. Sandy, ein Wirbelsturm immensen Ausmaßes, tobte gerade über die Westküste der USA, hat zuvor bereits die Karibik verwüstet, Todesopfer gefordert, und doch oder gerade deswegen übt eine solche Naturgewalt genügend Faszination auf uns Menschen aus, Berichten in Funk, Fernsehen und Internet gebannt zu folgen. Reporter im Auge des Sturms, Liveschaltungen, Webcams sind nur ein paar der Beispiele, wie wir uns die Katastrophe ins Wohnzimmer holen; Eindrücke in Echtzeit. Menschen pilgern in Scharen zu einem Ozeanriesen, der schlagseitig vor der italienischen Küste liegt, wo ebenfalls Menschen gestorben sind. In strahlungssicheren Anzügen stapfen Menschen über verseuchten Boden, um sich ein Bild zu machen von einer Gewalt, die Menschen entfesselt haben aber nicht kontrollieren konnten, noch immer nicht.

Doch was hat das alles mit dem Tourismus zu tun, könnte man da fragen? Und ist diese Form des Extremtourismus – was für mich persönlich die wichtigere Frage darstellt – ein heutiges Phänomen, das zu Recht oder zu Unrecht Empörung auslöst? Und welchen Anteil hat die zunehmende globale Vernetzung daran?

Tour, seit dem 17. Jh. in der deutschen Sprache belegt, leitet sich ab aus dem Französischen. Auch im Englischen findet sich ein solcher Begriff, doch die Ableitung aus dem Französischen liegt näher, denn zur Zeit des Sonnenkönigs, als an Höfen in ganz Europa französisch gesprochen wurde, wird neben dem Wort selbst auch die Bedeutung unverändert importiert und setzt sich deshalb von einem heutzutage gleichbedeutenden Wort ab, dass zu dieser Zeit längst nicht das Gleiche aussagte: die Reise. Während nämlich die Reise durchaus als Überwindung einer Entfernung gesehen werden kann, ohne dass der Reisende die gleiche Strecke auch wieder zurück unternimmt, ist im Wort Tour, aus dem der Begriff Tourismus hervorgegangen ist, durchaus eine Wiederkehr an den Ausgangsort angelegt. Die Wurzeln von Tour liegen nämlich im Griechischen tornus (heute noch bekannt und verwandt mit dem Turnus), was so viel wie Dreheisen bedeutete und ein Eisen beschreibt, dass sich auf einer Kreisbahn um einen Punkt, eine Achse o.ä. fortbewegt. Der Zweck einer solchen Unternehmung, also einer Tour im 17. Jh., lag in der Zerstreuung, so stelle ich mir das vor, und deshalb ist die Verbindung zum französischen Hof auch naheliegender denn zum englischen Pendant. Der Tourismus als Begriff der Reise, mitnichten gefahrlos, daran hatte der Engländer aber wahrscheinlich keinen unmaßgeblichen Einfluss. So gibt es Zeugnisse von Rheintourismus durch adlige Engländer, die sich bewusst auf den Weg machten, um sich auf die Spuren der Burgenromantik zu begeben, und es gibt ebenfalls bereits im 19. Jh. den Alpentourismus, der ebenfalls von Engländern unternommen wurde. Daran können sogleich zwei Facetten des Tourismus, sogar des Heutigen, in Augenschein genommen werden, die eine Antwort auf die Frage der Intention geben. Zum einen ist es die Erweiterung des geistigen Horizonts, genauer das Nacherleben von Empfindung vor Ort wie sie zuvor in Büchern und anderen Medien wahrgenommen wurde. Und zum anderen die bewusste Exposition einer Gefahr für Leib und Leben, sozusagen die Grenzerfahrung. Natürlich darf hier keine strikte Trennung erfolgen, denn es kann sowohl nur eins von beidem als auch beides zusammen Grund für eine „Tour“ sein.

Der Tourismus an sich umfasst ja auch längst nicht mehr nur den Bereich, der den Reisenden direkt betrifft, sondern auch Maßnahmen, die diese Reise erst ermöglichen, zum Beispiel Gasthäuser, Reiseführer oder Menschen, die die nötige Ausrüstung zur Verfügung stellen und an Ort und Stelle bereit stehen. Aus dieser anfangs sicherlich eher spärlichen Peripherie um den Tourismusbegriff ist im Laufe des 20. Jh. eine ganze Industrie gewachsen. Längst ist diese Industrie ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und es entstanden Orte, Sehenswürdigkeiten die allein zum Zwecke der Ansicht und des Besuchs errichtet worden sind, die auf Touristen abzielen.

Es gibt aber auch – und das rekuriert wieder auf die zuvor genannten Intentionen – einen Tourismus, der so gar nichts mit dem gemein hat, was sich der Mensch unter dem Tourismusbegriff vorstellt und auf den ersten Blick wenig damit zu haben scheint. Im Alpentourismus der Engländer klang es bereits an, es geht um die Grenzerfahrung. Auch hier muss unterschieden werden, denn Grenzerfahrung ist nicht gleich Grenzerfahrung. Während nämlich das Besteigen des Mont Blanc durchaus als Höchstleistung gelten kann und ein nicht unbeträchtliches Gefahrenpotential für die eigene „heile Haut“ darstellt, kam es bereits früh – die Rede ist vom Ende des 17. und Anfang des 18. Jh. – zu einem weiteren Grenzgang, bei dem die persönliche Gefahr nicht höher war, als beim Überqueren einer Straße. In der Literatur ist diese Art des „Tourismus“ durch nicht wenige Zeugnisse belegt. Zum Beispiel kam man als wohlsituierter Besucher Londons Ende des 18. Jh. nicht um den Besuch Bedlams herum, einer Irrenanstalt, die sich sogar darauf eingerichtet hatte, Besucher zu empfangen und dafür Geld zu nehmen. In anderem Zusammenhang schrieb auch Kleist darüber, ebenso Klingemann oder Musil. Geprägt haben den Begriff des „Irrenhaustourismus“ Reuchlein und Košenina. Vor allem Letzterer ist mir in dieser Thematik im Gedächtnis geblieben, weil seine Erklärung und Einordnung in Anbetracht des aufgeklärten und nach Aufklärung strebenden Menschen, der sich in dieser Zeit selbst in den Mittelpunkt stellt und nicht nur das Normale, den Durchschnitt erfassen will, sondern gerade am Extrem interessiert ist, eine schlüssige Erklärung für die Beweggründe liefert.

Der Neuentdeckung des Menschen könnte sich also nahtlos die Neuentdeckung des Extremereignisses anschließen, wenn sich nicht beides im Tourismusbegriff der Gegenwart bereits gefunden und die Vermischung nicht schon viel früher stattgefunden hätte. Einen Irrenhaustourismus, sofern man nicht Angehörige besucht, gibt es heute nicht mehr, aus gut verständlichen Gründen. Was es aber weiterhin gibt, ist der Katastrophentourimus. Denn während die letzten 2 Jahrhunderte genügend Aufschluss über das Seelenleben des Menschen gegeben haben und auch die Rücksicht der Interessen aller Menschen solche Reisen verbieten, hat die Katastrophe, in welcher Form auch immer sie vorliegt, nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Selbst ein Urteil darüber, wie es sicherlich dazu beigetragen hat, dass es den Irrenhaustourismus heute nicht mehr gibt, haben Menschen bereits recht früh darüber angestellt. Karl Kraus reagierte bereits 1921 auf die in seinen Augen wohl geschmacklose Anzeige der Basler Zeitung, Menschen an die Schlachtstätte Verdun zu führen und dabei Kost und Logis anzubieten. 117 Franken sollte seinerzeit die völlig „ungefährliche Tour“ kosten. Wenn es einen Ort der Varusschlacht gäbe – und nicht 4 oder 5 vermeintliche – würde dies niemanden bestürzen, wenn plötzlich alle Welt dort hinginge. Die Zahl der Besucher insgesamt ging in New York natürlich zurück nach 9/11, aber die Stadt wurde um eine makabre Attraktion reicher, die höchstwahrscheinlich den am häufigsten besuchten Ort in der Großmetropole darstellte in den darauf folgenden Jahren.

Umso länger die zeitliche Distanz zum Extremereignis liegt, desto geringer scheint auch der Grad Aufregung über den Touristen zu sein, der sich sein Reiseziel unter diesen Gesichtspunkten aussucht. Diese Beispiele unter dem Aspekt der schlichten Lust nach Sensation abzutun, könnte die kurzfristigen missbilligenden Reaktionen, wie sie oft in der Zeitung nachzulesen sind, plausibel machen. Auf längere Sicht betrachtet, liegt dem aber eher ein tiefes Unverständnis zugrunde, was von solchen Ereignissen ausgeht, sei es nun die Naturgewalt, die wir in ihrer Gänze längst nicht verstehen oder ob wir Menschen es selbst sind, die mit ungeheuerlichen Taten solche Ereignisse entstehen lassen. Neu ist weder das Eine noch das Andere. Das einzig Neue daran ist, dass der Mensch durch den gesteigerten Informationsfluss viel schneller darauf reagieren kann, als er es vor 50 Jahren noch konnte. Auch gab es gerade in puncto Gefahr für das eigene Leben, kein adäquates Mittel, trotzdem am Ort des Geschehens zu sein. Abhilfe schaffen das Radio, das Fernsehen, das Internet, in dieser Reihenfolge nicht nur dem Auftreten nach, sondern auch am Grad der Intensivierung bzw. Unmittelbarkeit gemessen. Und auch die kurzfristigen Reaktionen darauf fallen einfach häufiger aus, nicht aber anders als schon vor 100 Jahren.

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