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Donnerstag, 15. November 2012

Mundartliche Lesung mit englischen Untertiteln

Gestern Abend waren Trithemius und ich auf einer Lesung. Jörg las. Jörg ist ein Autor aus Celle und hatte seine Bücher in Fünferstapeln vor sich auf einer Box liegen. Ich bekam keinen Blick darauf, weil mein Sofaplatz nicht hart er- aber später hart umkämpft war. Als ich nach der Lesung ein Bier holen ging, kam ich zurück und schwupss war mein Platz an Rasendreher gegangen, der nichts trank und somit den Platz erst frei machte, als er gehen wollte. So musste ich mit dem American Diners Sofa nebenan vorlieb nehmen und rückte in gefährliche Nähe einiger englischsprachiger Infiltratoren, die mir bereits während der Lesung durch zu lautes Flüstern aufgefallen waren. Das muss man erst mal hinbekommen, laut flüstern. Der eine höchst penetrante Flüsterer, einer der Engländer, der wahrscheinlich eher Amerikaner war, hielt sich beim Flüstern sogar die Hand vor den Mund und machte Krach, als hätte er auf dem Handrücken – er hielt sich genau den vor sein Organ – ein Megaphon installiert.

Eben dieser Engländer, der wahrscheinlich Australier war oder Ire, hatte auch eine Gitarre dabei und ein paar Songs auf Lager. Er beherrschte das Gitarrrespiel nur leidlich und die Stimme versank häufig in theatralischen Misstönen, so als würde ich versuchen, so zu singen wie Paul Potts. Um die Musik kamen wir nicht herum, obwohl das Mikro der Lesung dankenswerter Weise vom Veranstalter einkassiert worden war, wir saßen einfach nicht weit genug weg, um der musikalischen Darbietung zu entgehen. Der zweite Gitarrenspieler verstand sein Handwerk und beschränkte sich auf die Gitarre. Um ihn war es fast schade, denn mit einem Mikro an seiner Gitarre wäre das Ensemble erträglicher gewesen.

Gelesen wurden Kindheitsgeschichten. Der erste Block war dröge, um nicht zu sagen langweilig. Die Namen der Protagonisten klangen antiquiert, den Stories fehlte irgendwas. Wiederkehrendes Moment waren ein spitzenbewehrtes Taschentuch und Filme, die seinerzeit im Kino liefen, in Chronologie und Kindheitsdauer aber schlampig verarbeitet waren. So ging die Phase mit dem Eintritt in die Pubertät, also vielleicht ab dem 11. Lebensjahr zählend bis zum Erreichen des 16. Lebensjahres über mehr als 10 Jahre und erst im zweiten Block wurde klar, dass das Kino, in dem die Filme seinerzeit von den Protagonisten gesehen wurden, erst später als ihr ursprüngliches Erscheinen auf der Kinoleinwand gezeigt wurden, die eigentlich nicht einmal ein Kino war, sondern eine Kneipe mit Scheune, die für die jeweiligen Vorstellungen umgebaut wurde.

Im zweiten Teil erklang statt des Hochdeutschen plötzlich ein bayrischer Dialekt, die Geschichten bekamen etwas uriges, unmittelbares und obwohl die Namen immer noch antiquiert klangen, hatte plötzlich alles einen heimeligen Charakter. Die Kino- bzw. Filmgeschichte bekam ihre Auflösung und versöhnte auch mit den zuvor gehörten Geschichten. Die Atmosphäre lockerte sich, es wurde auch gelacht auf einmal und insgesamt muss ich sagen, wurde der Abend rund. Trithemius, dem nach dem ersten Block aufgefallen war, dass viele Sagewörter die Unmittelbarkeit der Dialoge verstellten, sagte dazu später nichts mehr, er war wohl ähnlich angetan wie ich. Mein dunkles Bier schmeckte plötzlich besser, der Engländer, oder vielleicht auch Schotte, war leise, weil sein Kompagnon sich andernorts niedergelassen hatte und mein geliebter Sofaplatz wurde mir so richtig bequem. Ich tat den Arm auf die achselhohe Lehne, streckte die Füße unter den Tisch aus und ließ mich mundartlich berieseln. Toll.

Danach bekam mein Sitzplatz leider einen anderen wärmenden Hintern zu spüren, der Engländer, der wahrscheinlich Neuseeländer war, begann zu singen und mein Bier war frisch gezapft schal geworden. Engländer trinken ja kein schales Bier, deshalb standen zwei wenig gefüllte Biere auf unserem Tisch herum und zankten um die längst vergangene Gunst ihrer Besitzer, die sich neu ausstaffiert hatten mit weißen Schaumkronen auf neuen Gläsern. Später standen die Biere nur noch so herum, dem betretenen Schweigen war zu entnehmen, dass niemand mehr kommt, um sie auszutrinken. Den Engländer, oder vielleicht auch Kanadier, haben sie dann wenig später ebenfalls abserviert, freundlich aber bestimmt und ohne ein Wort zu verlieren über die Darbietung. Es gab triftige Gründe das Kostenloskonzert abzubrechen. Die Bühne musste leer geräumt werden, für ein Sofa und der hinten in einer Ecke stehende Kickertisch wurde nach vorn gehievt und fachmännisch betriebsbereit gemacht. Rasendreher verließ uns und mein Sofaplatz gehörte wieder mir. Ich fläzte mich zurück in die Mulde, hob den Arm, legte ihn auf der Lehne ab und genoss den Rest des Abends.

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