Angewandte Literaturwissenschaft: Alexander Košenina
Hoffentlich ist dieser Text ( wenn ich denn die Zeit und Muße finde, mich nach jeder Sitzung hinzusetzen und einen Artikel darüber zu schreiben ) als Prolog zu verstehen und in seinen Aussagen kein Dogma. Er dient lediglich zur Einleitung in das hochkomplexe Thema dieser Veranstaltung und meine Erwartungen daran. Hier wird revidiert und bestätigt - mehr revidiert, hoffentlich.
Es geht im folgenden immer um die Veranstaltung: Angewandte Literaturwissenschaft der LUH, betreut durch Alexander Košenina, im Sommersemester 2012.
Als ich 1996 kurz vor dem Abitur zu einer Veranstaltung von „Carpe Diem“ geladen wurde – erst meine zweite Dresscode-Veranstaltung nach der Jugendweihe – kam mein Vater mit. Lachhaft möchte man meinen, war ich doch eigentlich alt genug, um Entscheidungen über mein zukünftiges Leben selbst in die Hand zu nehmen. Im Nachhinein betrachtet, konnte ich froh darüber sein, von meinem Vater, „entmündigt“ worden zu sein. Er hat viele Jahre für eine private Versicherungsgesellschaft gearbeitet, kennt das Haifischbecken. Ich durchschaute damals nämlich nicht, welche perfide Rekrutiermaschine hier ihre Tentakeln ausbreitete, die DVAG ( Deutsche Vermögensberatung ).
Wie komme ich darauf, wo ich doch gerade aus einer Vorlesung mit dem Titel „Angewandte Literaturwissenschaft“ komme? Wieso kommt mir gerade da mein Vater in den Sinn? Aus einem relativ einfachen Grund: die Liste der „Vorträger“ der Veranstaltung – bis auf die Eingangssitzung, die vom zuständigen Professor geleitet wurde – liest sich wie ein „Who is Who“ der literaturwissenschaftlichen Schwergewichte in ihren Fachgebieten. Da kommt nicht irgendwer, da kommen Professoren, Doktoren, Verlagsleiter, Feuilletonisten, Museumsleiter – die wahren Verkörperungen ihrer jeweiligen Institutionen.
Das erklärt natürlich noch nicht, wie ich das mit der Rekrutierveranstaltung eines der größten legalen Drückervereine Deutschlands in Verbindung bringe. Ich musste deshalb an meinen Vater denken, weil sich in dieser Vorlesungs der sogenannte Flaschenhals* die Klinke in die Hand gibt, die von uns Studenten doch höchstens einer von hundert beerben kann. Es sollen uns hier Möglichkeiten erläutert werden, was ein Studium der Literaturwissenschaft für die Karriere bedeuten kann. Kann? Möglichkeiten? Genauso wurde bei der DVAG verfahren, da wurde uns erzählt, wie viel Geld wir verdienen können, in welchen firmeneigenen Resorts wir Urlaub machen dürfen, von Tagungen mit internationaler Prominenz, Werbepartnern und Sponsoring, Kulturförderung – alles im Namen der DVAG. Aber dass wir dafür unsere Großmutter verkaufen müssen, das hat uns niemand gesagt.
Doch zurück zu der illustren Runde von Vorträgern: unser Dozent, ein Professor, den ich sehr schätze, weil er nicht nur die richtigen Ideen hat und manchmal sogar für deren Umsetzung sorgt, ein offenes Ohr für uns Studenten aufbringt und trotz seiner konservativen Meinung der sich verändernden Medienlandschaft gegenüber ( ein Zeitungsleser, der nicht müde wird, uns diesen alten Schinken immer wieder aufzutischen ) bereit ist, hin und wieder über den Tellerrand zu schauen – er spricht immer vom Wissenschaftsbetrieb im Elfenbeinturm, den er gern beenden, erden möchte – stellt also die Gastdozenten vor und mir wird klar, dass er genau den Elfenbeinturm, den er gern beseitigt wissen wollte, den es seiner Meinung nach nicht geben sollte, wenn die Literaturwissenschaft aus ihrer Selbstbeweihräucherung herauskommen möchte, zu uns eingeladen hat, um uns mit deren Werdegängen und Berufungen „bekannt“ zu machen ( das hätte ich jetzt auch viel drastischer und bestimmt weniger gestelzt und verschachtelt ausdrücken können, und steht deshalb Pate für meine Erwartung an die kommenden Sitzungen ).
Ich dachte auch deshalb an meinen Vater, weil ich jetzt, fast 16 Jahre später, längst erkannt habe, dass ich bei der DVAG zwar meine Großmutter verkauft hätte aber kein reicher und glücklicher Mann geworden wäre. Hier in der Vorlesung allerdings sitzt mein Vater nicht neben mir. Ich muss allein entscheiden, ob mir die dargebotenen „Trauben“ nicht sauer aufstoßen werden, ob ich womöglich gar nicht in der Lage sein werde, jemals von den Trauben zu kosten. Ich bin jetzt selber Vater und muss in noch ferner Zukunft vielleicht selber Rat und Stütze sein, wo ich doch nicht einmal hier und heute sicher sein kann, den Zweck des Ganzen zu durchschauen.
Und noch ein Nachtrag in eigener Sache: Die Vorlesung bietet uns die Möglichkeit, einen Schein zu erwerben. Die Studienleistung, die neben der Anwesenheit verpflichtend ist, besteht aus einem kurzen, knackigen Text zu einer der Sitzungen, in dem wir die jeweilige Sitzung und ihren Dozenten porträtieren – nicht mehr als 1-2 Seiten. Das habe ich jetzt auch schon erledigt, möchte das gern regelmäßig machen. Allerdings sind mir die Inhalte und Dozenten weniger wichtig, mir geht es nicht um eine Wiedergabe, sondern um eine Widergabe. Denn den mit Abstand größten Teil sollen meine Assoziationen ausmachen, meine Ressentiments gegenüber Inhalten und Dozenten, meine Skepsis – mein subjektiver Eindruck eben. Keinen meiner Texte werde ich meinem Professor einreichen, ich brauche den Schein nicht und würde dafür wahrscheinlich auch keinen bekommen.
Teil 2
Es geht im folgenden immer um die Veranstaltung: Angewandte Literaturwissenschaft der LUH, betreut durch Alexander Košenina, im Sommersemester 2012.
Als ich 1996 kurz vor dem Abitur zu einer Veranstaltung von „Carpe Diem“ geladen wurde – erst meine zweite Dresscode-Veranstaltung nach der Jugendweihe – kam mein Vater mit. Lachhaft möchte man meinen, war ich doch eigentlich alt genug, um Entscheidungen über mein zukünftiges Leben selbst in die Hand zu nehmen. Im Nachhinein betrachtet, konnte ich froh darüber sein, von meinem Vater, „entmündigt“ worden zu sein. Er hat viele Jahre für eine private Versicherungsgesellschaft gearbeitet, kennt das Haifischbecken. Ich durchschaute damals nämlich nicht, welche perfide Rekrutiermaschine hier ihre Tentakeln ausbreitete, die DVAG ( Deutsche Vermögensberatung ).
Wie komme ich darauf, wo ich doch gerade aus einer Vorlesung mit dem Titel „Angewandte Literaturwissenschaft“ komme? Wieso kommt mir gerade da mein Vater in den Sinn? Aus einem relativ einfachen Grund: die Liste der „Vorträger“ der Veranstaltung – bis auf die Eingangssitzung, die vom zuständigen Professor geleitet wurde – liest sich wie ein „Who is Who“ der literaturwissenschaftlichen Schwergewichte in ihren Fachgebieten. Da kommt nicht irgendwer, da kommen Professoren, Doktoren, Verlagsleiter, Feuilletonisten, Museumsleiter – die wahren Verkörperungen ihrer jeweiligen Institutionen.
Das erklärt natürlich noch nicht, wie ich das mit der Rekrutierveranstaltung eines der größten legalen Drückervereine Deutschlands in Verbindung bringe. Ich musste deshalb an meinen Vater denken, weil sich in dieser Vorlesungs der sogenannte Flaschenhals* die Klinke in die Hand gibt, die von uns Studenten doch höchstens einer von hundert beerben kann. Es sollen uns hier Möglichkeiten erläutert werden, was ein Studium der Literaturwissenschaft für die Karriere bedeuten kann. Kann? Möglichkeiten? Genauso wurde bei der DVAG verfahren, da wurde uns erzählt, wie viel Geld wir verdienen können, in welchen firmeneigenen Resorts wir Urlaub machen dürfen, von Tagungen mit internationaler Prominenz, Werbepartnern und Sponsoring, Kulturförderung – alles im Namen der DVAG. Aber dass wir dafür unsere Großmutter verkaufen müssen, das hat uns niemand gesagt.
Doch zurück zu der illustren Runde von Vorträgern: unser Dozent, ein Professor, den ich sehr schätze, weil er nicht nur die richtigen Ideen hat und manchmal sogar für deren Umsetzung sorgt, ein offenes Ohr für uns Studenten aufbringt und trotz seiner konservativen Meinung der sich verändernden Medienlandschaft gegenüber ( ein Zeitungsleser, der nicht müde wird, uns diesen alten Schinken immer wieder aufzutischen ) bereit ist, hin und wieder über den Tellerrand zu schauen – er spricht immer vom Wissenschaftsbetrieb im Elfenbeinturm, den er gern beenden, erden möchte – stellt also die Gastdozenten vor und mir wird klar, dass er genau den Elfenbeinturm, den er gern beseitigt wissen wollte, den es seiner Meinung nach nicht geben sollte, wenn die Literaturwissenschaft aus ihrer Selbstbeweihräucherung herauskommen möchte, zu uns eingeladen hat, um uns mit deren Werdegängen und Berufungen „bekannt“ zu machen ( das hätte ich jetzt auch viel drastischer und bestimmt weniger gestelzt und verschachtelt ausdrücken können, und steht deshalb Pate für meine Erwartung an die kommenden Sitzungen ).
Ich dachte auch deshalb an meinen Vater, weil ich jetzt, fast 16 Jahre später, längst erkannt habe, dass ich bei der DVAG zwar meine Großmutter verkauft hätte aber kein reicher und glücklicher Mann geworden wäre. Hier in der Vorlesung allerdings sitzt mein Vater nicht neben mir. Ich muss allein entscheiden, ob mir die dargebotenen „Trauben“ nicht sauer aufstoßen werden, ob ich womöglich gar nicht in der Lage sein werde, jemals von den Trauben zu kosten. Ich bin jetzt selber Vater und muss in noch ferner Zukunft vielleicht selber Rat und Stütze sein, wo ich doch nicht einmal hier und heute sicher sein kann, den Zweck des Ganzen zu durchschauen.
Und noch ein Nachtrag in eigener Sache: Die Vorlesung bietet uns die Möglichkeit, einen Schein zu erwerben. Die Studienleistung, die neben der Anwesenheit verpflichtend ist, besteht aus einem kurzen, knackigen Text zu einer der Sitzungen, in dem wir die jeweilige Sitzung und ihren Dozenten porträtieren – nicht mehr als 1-2 Seiten. Das habe ich jetzt auch schon erledigt, möchte das gern regelmäßig machen. Allerdings sind mir die Inhalte und Dozenten weniger wichtig, mir geht es nicht um eine Wiedergabe, sondern um eine Widergabe. Denn den mit Abstand größten Teil sollen meine Assoziationen ausmachen, meine Ressentiments gegenüber Inhalten und Dozenten, meine Skepsis – mein subjektiver Eindruck eben. Keinen meiner Texte werde ich meinem Professor einreichen, ich brauche den Schein nicht und würde dafür wahrscheinlich auch keinen bekommen.
Teil 2
Shhhhh - 12. Apr, 00:03