Willkommen

Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

Kontakt

shhhhtwoday(at)googlemail.com

Aktuelle Beiträge

Wir waren keine Windelinfluenzer,...
Wir waren keine Windelinfluenzer, haben aber an diversen...
Shhhhh - 12. Dez, 08:51
Schon eine Chance verpasst...
Schon eine Chance verpasst – Sie hätten Windelinfluenzer...
C. Araxe - 11. Dez, 22:50
Eine gute Wahl!
Eine gute Wahl!
Lo - 4. Dez, 22:09
Ich habe eine Zehnerkarte...
Ich habe eine Zehnerkarte beim Getränkehandel, beim...
Shhhhh - 1. Dez, 23:39
Das stimmt, aber die...
Das stimmt, aber die Enkel wird man auch wieder los,...
Shhhhh - 1. Dez, 23:35

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Dienstag, 9. Februar 2016

Hybris

Gestern hatte ich Hybris, da musste ich nichts bloggen,
heute musste ich arbeiten, da hatte ich keine Zeit.

Samstag, 6. Februar 2016

Zersplittert - GP und drumherum

Ich saß heute in einer GP, einer Generalprobe. Mein einziger Daseinszweck schien dieses Beisitzen gewesen zu sein, denn die Requisiten waren so spärlich gesät, man hätte sie an einer Hand abzählen können, wenn man sie denn gesehen hätte. Die meisten davon steckten nämlich in einem Bord in einem schlecht ausgeleuchteten Kubus. Eine Liste gab es nicht. Ich bin ja solche Listen gewöhnt und war deshalb lange auf der Suche nach einer, bis ich dann meinen Chef fragte, wo die Liste denn sei, und er mir sagte, es gäbe keine.

Überhaupt, meinem Chef begegnete ich auf dem Weg nach oben im Flur, wo er, mit einer Rasierklinge bewaffnet, gerade dabei war, die lackierten Beine eines Tisches vom Lack zu befreien, der am kommenden Tag zur Premiere den bisher benutzten Tisch auf der Bühne ablösen sollte. Er hatte einen blauen Kittel an, was ich bei ihm noch nie gesehen hatte, und wäre sein Kopf nicht so charakteristisch, ich wäre wohl an ihm vorbeigelaufen.

Statt der Liste fand ich oben auf der Bühne einen Kollegen, einen ehemaligen. Jetzt ist er nämlich als Bühnenbildassistent für dieses Stück tätig. Er sagte mir dann sogleich, dass die Fernbedienung funktionieren müsse und seit neuestem eine Colaflasche zu den Requisiten gehöre. Als ich dies kurz darauf meinem Chef erzählte, sagte dieser, dass er da nur mit dem Regieassistenten spreche, denn der Bühnenbildassistent hätte sich ja im Verlauf der Produktion auch sonst nicht darum gekümmert, da müsse dieser nicht kurz vor der Angst plötzlich damit anfangen.

Den Regisseur traf ich schon in der Kantine. Der guckt mich immer an, als wäre ich nur zum Betrachten da. Ist mir anfangs immer ein wenig unangenehm, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Vor ein paar Monaten saß ich einmal mit dem Intendanten allein im Raucherbereich, als er mich plötzlich zu fragen genötigt sah, was ich denn hier für eine Funktion hätte. Normalerweise lese ich ja irgendwo ganz still vor mich hin, um genau solchen Fragen keinen Halt zu bieten, aber dieses eine Mal musste ich wohl kein Buch dabei gehabt haben. Jedenfalls sagte ich ihm, dass ich seit mehr als drei Jahren in der Requisite arbeite, hihi.

Den Regieassistenten sah ich erst oben auf der Bühne. Gestriegelt und geschniegelt wie immer, geschäftig, popäftig, wie das halt so ist vor einer Premiere. Ich harrte aus, suchte mir einen Platz ganz weit oben, ganz rechts, also bühnenlinks. Von dort sah ich auf einen Monitor und musste sofort an eines dieser mittlerweile geflügelten Worte denken, dass nämlich kaum noch eine Vorstellung ohne Videoinstallation auskäme. Unter Fachgimpeln, Fachsimplern und Wichtigtuern ist das ja ein beliebter Einleitungssatz, wenn plötzlich das Gespräch auf Theater kommt. Jedenfalls hatte der Klischeebeauftragte dieser Produktion ganze Arbeit geleistet: zwei Monitore, ein Kubus, von dem zwei Wände als Projektionsfläche dienen konnten und mussten sowie der hinteren Wand, die ebenfalls als Projektionsfläche herhalten musste.

Das Stück selbst war mir zu harter Tobak. Grandios gelöst, dieser Kubus, die Videoinstallationen, die Schauspieler, das stimmte alles. Nur der Stoff. Vier Personen, vom hochrangigen französischen Manager über einen Teammanager in einem Callcenter in Dakar über eine Ingenieurin in Bukarest hin zu einer ausgebeuteten Frau in den Tiefen einer Shanghaier Produktionskette. Es ging um Überstunden, um schlechte bis schlechteste Arbeitsbedingungen, um Ausbeutung, um menschenunwürdigen Umgang, um all das Schlechte, von dem man sich sicher sein kann, dass dies keine Übertreibung, Überzeichnung mehr ist, sondern es ist real! Es passiert jeden Tag! Überall! Absolut erdrückend, wie das alles mit einander in Verbindung steht. Diese Szenenwechsel, dieses wirklich gute, intensive Spiel, Hammer! Kurz vor Stückende wünschte ich mir, dass es endlich vorbei sein möge, und dann war es vorbei. Dieser Alptraum!

Dafür würde ich nicht ins Theater gehen. Bitte gerne, wer‘s mag? Ich nicht. Ich habe auch so schon viel zu oft schlechte Laune. Wahrscheinlich hatte mein Chef auch schlechte Laune, weil er diesen Tisch abschleifen musste. Nach der GP hatten wir alle schlechte Laune. Und als ich dann den Regisseur wieder im Raucherbereich traf, und er sich mit einer Kollegin unterhielt, die sich jetzt eigentlich mit einem wirklich alten Freund treffen wollte, den sie nur heute und nur hier, da sagte er, ob sie denn kein Interesse an der Arbeit hätte, ob ihr das jetzt nicht wichtig wäre. Sie hätte keine Telefonnummer von ihrem alten Freund und würde nur kurz zum Bahnhof, dann käme sie zurück. Ja, das wäre gut, sagte er, und dann sagte er ihr, wie fürchterlich ihn doch dieser Tisch stören würde, und ob es nicht besser ohne ihn sei, da wusste ich, dass ich noch Glück hatte, indem ich nur das Stück sehen musste.

Der Bühnenbildassistent schob mir am Ende des Stückes noch eine Liste zu, auf der alle Requisiten verzeichnet wären, die ihm so eingefallen sind, die könne ich ja meinem, seinem ehemaligen Chef zukommen lassen. Meinem Chef! Requisiteur, Meister, alleinverantwortlich auf unserer Bühne! Eine Liste, hihi. Ja, ja, sagte ich und faltete die Liste ganz klein, so dass sie in meine Hemdtasche passte, wo sie noch immer sitzt. Mich kennt ja hier keiner, da kann man auch schon mal so eine Liste verschlampen.

Freitag, 5. Februar 2016

Dada zum Anziehen

Ein gewisser Herr Trithemius mag ja keine Leute, die Jack Wolfskin heißen. Ich hoffe dieses eigens für ihn entworfene Label gefällt ihm.



Anlässlich 100 Jahren Dada erneut hervorgekramt.

Donnerstag, 4. Februar 2016

Allerhand zwischen Schuft und Schurke

In meinem etymologischen Wörterbuch passen zwischen Schuft und Schurke zwei zweispaltige, dicht beschriebene Buchseiten, nicht zwiespältige. Da stehen dann so schöne Wörter wie Schuh, Schuld Schund und Schuppe. Das mit Abstand schönste Wort dazwischen ist aber schurigeln. Schurigeln ist ein so interessantes Wort, dass ich beim Lesen der Erklärung erst einmal nach einer Abkürzung schauen musste, die mir als Abk., sprich Abkürzung, für eine Sprache bislang vollkommen unbekannt war. Oft trifft man ja solche Sachen wie ahd. für althochdeutsch, mhd. für mittelhochdeutsch, frz. für französisch oder ugs. für umgangssprachlich.

Schurigeln ist umgangssprachlich für schikanieren, welches leider nicht zwischen Schuft und Schurke steht. Aber da kann ja auch nicht alles stehen. Immerhin findet sich dort wieder eine bekannte Abkürzung, nämlich frz., was bedeutet, dass schikanieren aus dem Französischen entlehnt ist. Die Abkürzung unter schurigeln, die ich nicht kannte, geht so: mdal. Mdal. steht für mundartlich. Mundartlich ist ja keine Abkürzung für eine Sprache oder ihre Vorgänger. Mundart ist ein anderes Wort für das aus dem Griech. entlehnte Wort Dialekt. Es entstand im 17. Jahrhundert als Ersatzwort für Dialekt, vermutlich weil ein paar Sprachpuristen daran gelegen war, die teutsche Sprache rein zu halten.

Zwischen Schuft und Schurke steht aber auch ein äußerst hässliches Wort: Schule. Wie alle „hässlichen“ Wörter ist es letztendlich aus dem Griech. entlehnt (siehe ->Dialekt). Die Ideen, dieses Wort ersetzen zu wollen, waren alle nicht so erfolgreich, deshalb gehen die Kinder noch heute dahin. Erfolg allerdings haben diejenigen unter den Kindern, die auf die Penne gehen. Denn dieser Ausdruck ist ein anderes Wort für die höhere Schule. Aufgrund seiner eingeschränkten Anwendung konnte sich dieser Begriff leider nicht als vollwertiges Ersatzwort durchsetzen.

Im Übrigen ist der Begriff Penne seiner Herkunft nach durchaus zwiespältig, nicht zweispaltig. Denn darin steckt das aus dem Lat. entlehnte Pennal. Damit wurde seit dem 17. Jahrhundert nicht ohne spottenden Unterton der angehende Student, der Schüler einer höheren Schule, bezeichnet, der sein Schreibgerät (Pennal=Federbüchse) immer bei sich trägt. Wirklich plausibel wird einem das aber erst durch die Ableitung Pennäler, die darauf zurückgeht.

Die naheliegendere Bedeutung, nämlich dass Penne von pennen kommt, ist heute viel geläufiger, wenngleich auch hier nur die wenigsten wissen, woher das Wort ursprünglich kommt. Es bezeichnete ein einfaches Nachtquartier, vielleicht ist es sogar ein anderes Wort für Gefängnis gewesen. Es kommt aber mit Sicherheit aus der Gaunersprache, eine Sprachbezeichnung übrigens, die nicht abgekürzt werden kann. Dafür kann aber Rotwelsch abgekürzt werden, mit rotw., aus dem Rotw. kommt nämlich das Wort Gauner. Sie können aber auch Schuft zum Gauner sagen oder Schurke.

Mittwoch, 3. Februar 2016

An der Haltestelle

Der Bus hielt.
Erst hob er die Tasche.
Er schnippte
die Kippe
am Teil für die Lippe,
es wippte.
Die Stippe
gebar ein Gerippe aus Asche,
das fiel und zerstob auf der Tasche.

Montag, 1. Februar 2016

Walter Benjamins Denkbild "Überzeugen ist unfruchtbar."

Am Freitag las ich ein wenig in Walter Benjamins „Einbahnstraße“. Gleich zu Anfang des Buches stellt Benjamin die Behauptung auf, dass Träume erst dann aufgeschrieben werden sollten, wenn eine Frühstückzeremonie die Nacht vom Tag getrennt hat. Das würde die Parteilichkeit des Schreibenden zur gerade durchlebten Nacht herabsenken und seine Objektivität steigern.

Das wollte ich heute unbedingt berücksichtigen. Was war dann geschehen? Den Traum hatte ich nach dem Frühstück vergessen.

Sonntag, 31. Januar 2016

Herbst in Hannover - Lesung Traumschiff

Als ich die letzten Fußgänger umfahren (nicht umgefahren) hatte, die letzte Ecke, um die ich noch herum musste, in Sichtweite kam, nahm ich während des Radfahrens mein Smartphone aus der Tasche, um auf die Uhr zu sehen. 19:33. Machtergreifung, schoss es mir durch den Kopf. Die letzte Ecke war umfahren, ich schloss das Rad an und sah die Stufen hinauf in die leere Eingangshalle. Alle waren bereits drin, ich war zu spät. Egal, dachte ich und drehte mir eine Zigarette.

Als ich die Tür zum Vortragsraum öffnen wollte, war sie verschlossen. Sogleich kam die Dame am Getränke- und Büchertresen angestürmt und öffnete mir. Das Gespräch, die Lesung hatte bereits begonnen. Gern hätte ich mir noch ein Bier gekauft, musste stattdessen mein Ticket vorzeigen und traute mich dann nicht mehr. Geduckt lief ich durch die Reihen des rechten oberen Teilstücks des T. Die Zuschauer links vom Podium sahen mich kommen, die rechts davon sahen mich gehen. Ich bog links ab, weil ich mir im unteren Bereich des T ein bekanntes Gesicht und eine freien Sitzplatz erhoffte. Das T ergab sich aus der dritten Bestuhlung, die in Front zum Podium aufgebaut war.

Beides war dort vorhanden, bekannte Gesichter und freie Plätze. Vorletzte Reihe links nahm ich Platz. Vor mir ein Mann mit weißem Haar, unglücklicherweise meine Größe. Ich musste mit jeder seiner Bewegungen mitgehen, um das Podium sehen zu können. Direkt hinter mir saß zu Anfang noch jemand, später war er weg. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Der arme Kerl wurde ja nun von beiden Seiten seines Sichtbereiches beraubt.

Als Alban Nikolai Herbst endlich zu lesen begann, waren schon etliche Positionswechsel vollzogen. Die Moderatorin führte ausführlichst ein. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass sie vieles in Watte packte, lieber umschrieb, als direkt herausrücken zu wollen. Herbst ging darauf ein oder nicht, wie man’s nimmt. Manche Dinge beantwortete er einfach nicht, anderes vergaß er vielleicht, und wiederum andere Dinge ergaben sich plötzlich anders, so dass die Antwort gegeben schien.

Als Alban Nikolai Herbst endlich zu lesen begann, war es nicht Traumschiff, sondern ein Gedicht. Ich habe meine Schwierigkeiten mit Gedichten, vor allem, wenn sie vorgetragen werden und ich nicht wenigstens mitlesen kann, wenn sich nichts reimt, wenn mir der Inhalt zu verklausuliert herüberkommt. Ich nahm etwas mit, der Abend war noch jung, ich war hochkonzentriert, ich glaube, es reimte sich sogar manchmal. Eine Ahnung überkam mich, wie das Gedicht mit dem Werk in Verbindung stand. Da rüttelte was an meinem Geist, dann war es vorüber und ich war noch nicht fertig. Wenigstens hatte ich in der Zeit freie Sicht, weil mein Vordermann durch übermäßiges Nicken und Kopfschütteln vergessen hatte, dass sein Weinglas zu seinen Füßen stand, ein wenig davon verschüttete und sich nun daran gemacht hatte, mit Papiertaschentüchern das Malheur zu beseitigen.

Traumschiff. Ein merk-würdiges Buch. Wenn es vorgetragen wird, noch dazu von einem so ausgezeichneten Vorleser wie Herbst, wenn die Passagen bekannt sind, weil schon einmal selbst gelesen, dann offenbart sich eine Schönheit in jedem Satz, nein, ein Geheimnis, dann gelingt plötzlich, wofür vorher ganze Seiten nötig gewesen waren, dann setzt ein Versinken ein, augenblicklich. Das ging dem gesamten Publikum so, hatte ich das Gefühl. Wenn mein Vordermann nur nicht ständig nicken oder den Kopf schütteln würde. Ich zückte mein Notizbuch und schrieb etwas rein, vom Nicken und Schütteln. Meine Nachbarin, eine Kommilitonin aus unserem Seminar, schielte neugierig zu mir herüber. Ich verwies auf den Checker vor mir, sie grinste. Der Platz vor ihr war leer.

Es folgte eine zweite Moderationsphase und nach einer weiteren Schiffsreise ein erneutes Gedicht. Hexameter, für die ich irgendwie ein Gefühl bekam, wenngleich ich sie nicht erkannt hätte, ANH kündigte das vorher an. Es schaukelten mich die Wellen der Betonung. Nur dem Inhalt, dem konnte ich nicht folgen. Schon wieder beschlich mich plötzlich das Gefühl, es reimte sich etwas, dann war es wieder weg. Es folgte eine harte, von Konsonantenclustern geprägte Phase, ein rirtschirsirrirsirtsch, der Reim war reines Wunschdenken, dachte ich mir nun und hoffte auf das Ende. Ich schaltete ab. Ich gab auf fürs Erste. Währenddessen schrieb mir eine andere Studentin aus unserem Kurs ein paar aufgeschnappte Zitate per WhatsApp. Gut dachte, wo ich doch selbst so liederlich in mein Notizbuch kritzelte.

Statt ihn zu fragen, was er als nächstes vorhabe, holte die Moderatorin nun ganz weit aus, wollte ANH nach seinem lyrischen Winter fragen, dachte vielleicht, und nicht zu Unrecht, denn Gedichtbearbeitungen sind ja nicht selten Thema gewesen in den letzten Arbeitsjournalen, jetzt kommt am Ende noch die Lyrik und dann ab aufs Schiff. Aber ANH bügelte das ab. So wäre das nicht. Das könne er doch jetzt noch nicht wissen, da gäbe es einiges, sicher, auch Lyrik, bestimmt.

Das Publikum durfte im Anschluss fragen. Es gab kein Mikro zu Anfang, die Frage kam aus dem linken oberen Balken des T. Ich versuchte, so gut es ging, um die Ecke zu hören, denn zwischen uns lag eine Wand. Nicht möglich. Als das Mikro dann endlich da war, war’s mir egal. ANH las dann noch einmal. Eine wirklich schöne Szene. Ich erkannte sie sofort, stieß meine Nachbarin an. Das ist doch die Szene mit dem „wir“, mit dem echten „wir“, als der Protagonist das Bett einsaut und seine Pflegerin nicht nur vom „wir“ spricht, sondern ihn und sich selbst auch als ein „wir“ betrachtet. Meine Nachbarin nickte und freute sich ebenfalls. Plötzlich ging wieder was, es wurde noch einmal richtig intensiv, ich war wieder im Spiel, dann war’s vorbei. Schön war’s.

Wir gingen noch etwas trinken, ein paar aus unserem Kurs. Unser Dozent kam nicht mit, dafür ANH, seine erste Verlegerin. „Marlboro“, das Buch, welches ich mir neben dem Traumschiff noch signieren ließ. Die Moderatorin kam nach. In einem freien Moment fragte ich ANH wie er das gemacht hätte, das Buch in einem Monat zu schreiben. Ob man dafür am Folgetag noch einmal eine kleine Lektüre anschließt, um wieder in den Text zu kommen. Er verneinte, dafür wäre keine Zeit gewesen. Seine Antwort schweifte ab, und ich war nicht zufrieden, weil ich nicht wissen wollte, wie er vorging, sondern wie es in ihm vorging, wie sich so ein Flow entwickelt, ob da eine Stimmung ist oder ein Schalter, den er umlegen würde. Ich bekam dadurch ein Gefühl dafür, wie schwer es sein muss, Fragen zu formulieren, deren Antwort nicht für einen selbst sind, sondern für ein gesamtes Publikum, wo ich doch selbst kaum in der Lage war, eine Frage zu stellen, deren Antwort mich befriedigt. Das ließ mich anders über die Moderatorin denken.

Wir redeten noch eine ganze Weile, dann dünnte sich die Versammlung aus. Wir Übriggebliebenen wurden wenig später hinaus komplimentiert. Abschied. Ich vergaß, mich von ANHs erster Verlegerin zu verabschieden und ärgerte mich darüber für den Rest der Wachzeit und bis in die nächste hinein. Zu Haus schrieb ich einen ersten Entwurf für mein Blog. In meinem Ärger über meinen flegelhaften Abgang, begann ich den Text mit: „Ich bin so ein Flegel!“ und endete mit: „Was für ein Flegel!“

Egal, mit ANH an einem Tisch war ich schon vorher Flegel: er setzte sich nicht, bevor nicht die Frauen saßen, half ihnen aus und in die Mäntel, rückte Stühle und positionierte jeden Gast einzeln und mehrmals um und um sich herum, bis alle zufrieden waren oder so taten. Ich staunte derweil, guckte nur, hatte mich selbst kaum bewegt. Auf einen dezenten Hinweis hin - kam der von ihm? - holte ich meiner Sitznachbarin einen neuen Stuhl, der alte war irgendwie verschwunden. Wir waren wie ein alter Hund, drehend und ausprobierend, was nun die beste Lage sei, bis wir endlich alle saßen! Ach, ja!

Donnerstag, 28. Januar 2016

Gelungene Integration am Beispiel Mauer

Heute soll es einmal um den harten und steinigen Weg der Integration gehen, der Integration von Fremdwörtern. Fremdwörter sind Wörter, die aus anderen Kulturkreisen, mindestens aber aus anderen Sprachen in unseren gemütlichen Sprachschatz eindringen und dort für einigen Wirbel sorgen. Das läuft nicht immer reibungslos ab, ist mühsam und oft nicht erfolgreich.

Diese Integrationsprozesse werden im Übrigen nicht einfach so hingenommen, sie erfahren immer wieder Ablehnung durch bestimmte Gruppen in der Bevölkerung, darauf kommen wir noch zu sprechen. Häufig jedoch überwiegt der Nutzen, den die Integrationswilligen davon haben, und damit meine ich nicht nur das zu integrierende Fremdwort, sondern vor allem diejenigen, dessen Sprachschatz sich durch die Einführung solcher Wörter erweitert, ja bereichert.

Als Beispiel einer gelungenen Integration dient uns heute das Wort Mauer. Im Gegensatz zum Zaun, welches in der heutigen Integrationsdebatte immer mal wieder auftaucht, handelt es sich bei der Mauer nicht um ein Erbwort. Erbwörter sind Wörter, deren Historie weit zurück verfolgbar ist, bis hin zu einer indoeuropäischen Wurzel. Sie gehören zum sogenannten Erbwortschatz unseres lexikalischen Systems, also dem gesamten Wortschatz, auf den wir zurückgreifen.

Man sieht es der Mauer nicht an, das Wort sieht aus wie ein typisches, deutsches Wort, es verfügt weder über besondere Laute, die es bei uns nicht gibt, wie zum Beispiel in Garage. Es trägt eine Endung wie sie viele urdeutsche Wörter besitzen, wie zum Beispiel Trauer oder Dauer. Es dekliniert sich unauffällig, es ist vollständig integriert, könnte man sagen. Aber es ist eben kein Erbwort.

Die Mauer gab es im alten Germanien nicht. Erst die Römer führten diese Bauweise ein, indem sie die aus Stroh und Lehm gebaute Wand durch Gestein ersetzten. Die Germanen schauten sich das ab, und weil sie keinen eigenen Begriff dafür hatten, übernahmen sie nicht nur die äußerst stabile Bauweise, sondern auch gleich noch das Wort dafür. Murus heißt es im Lateinischen und daraus wird mura im Althochdeutschen (Längenzeichen und Betonungen habe ich zur besseren Lesbarkeit weggelassen).

Doch wieso nahmen die Germanen nicht das Wort Wand, um damit auszudrücken, was sie meinen? Schließlich geschieht dies heute durchaus, insbesondere für Teile eines Hauses. Weil die Wand ursprünglich von Winden kommt und mit dem Gewundenen, Geflochtenem einer Wand hat die Mauer nun wirklich nichts gemein. Heute wissen das nur noch wenige und plötzlich ist Wand ein durchaus gängiges Synonym für Mauer. Dem alten Germanen wäre dies wahrscheinlich nicht in den Sinn gekommen.

Die alten Germanen hätten sich allerdings auch sehr gewundert, was aus ihrer Sprache heute geworden ist. Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich ja von Haus aus eher mit dem Weg zurück, weshalb es nicht schwer gefallen ist, den Begriff Mauer mit dem latein. murus, dem ahd. mura, dem mittelhochdeutschen mure bzw. muer zu der heutigen Mauer zurückzuverfolgen. Die Veränderungen, die das ahd. mura dabei auf sich genommen hat, sind auf Integrationsbemühungen zurückzuführen, die auf den ersten Blick nicht von ihm selbst ausgingen, sondern von seiner neuen Umgebung der ahd. Sprache von ihm abverlangt wurde. Es hat sie aber mitgemacht.

Bei der Mauer war das ein Sprachwandel von großer Anstrengung, den nicht nur das Fremdwort mura durchmachen musste, sondern dem auch alle anderen Wörter des Althochdeutschen unterlagen. Da schwächt sich der unbetonte Schlussvokal von a zu e ab, das Geschlecht wird weiblich, dann kommt noch eine Lautverschiebung, Diphthongierung, die Flexion wird der von Erbwörtern wie Trauer angepasst, erste Ableitungen wie mauern entstehen, neue Bedeutungen werden hinzugefügt, das Substantiv Mauer wird groß geschrieben und, und, und. Wie ein altes Schifferklavier wurde das Wort zusammengepresst und auseinander gezogen, bis es zu dem wurde, was wir heute kennen und dem wir nicht mehr ansehen, woher es einmal kam.

lat. murus > ahd. mura > mhd. mure > mhd. mur > fnhd. muer > heute Mauer

Dieser Prozess hat mehr als tausend Jahre gedauert. Das geht nicht von jetzt auf gleich. Das klappt nicht immer und oft gibt es Widerstände, Sprachpuristen zum Beispiel. Ihnen muss man aufmerksam zuhören, denn nicht alles, was sie an Einwänden vorbringen, ist als dumm oder reaktionär abzutun. Manches erschließt sich erst viel später, manches ist sogar sinnvoll, schöpft aus dem Vollen der vielen Möglichkeiten, die unsere Sprache ohnehin bietet.

Man denke dabei nur einmal an den Sprachpuristen Joachim Heinrich Campe und seinem Wörterbuch von 1801 und 1813. Das Kompositum Festland für das Fremdwort Kontinent ist heute unhinterfragter Bestandteil des deutschen Wortschatzes. Anderes hat sich nicht durchgesetzt, wie zum Beispiel Urgemenge für Chaos. Und über manches, was einst nicht in die Zeit gepasst hat, lohnt es sich heute noch einmal nachzudenken, wie zum Beispiel den damaligen Versuch den Soldaten durch Menschenschlächter zu ersetzen. Nicht weil der Begriff jetzt besser passen könnte als einst, sondern einfach aus einer pazifistischen, grundsätzlich zivilisierteren Grundhaltung heraus, der wir uns ja immer wieder gegenseitig versichern, deren Fortschritt wir uns gerne auf die Fahnen schreiben, der uns von den „Wilden“ unterscheidet.

Heute ist aus dem Fremdwort Mauer längst ein Lehnwort geworden, das heißt, es ist dem Kern unseres lexikalischen Systems, dem Erbwortschatz, erheblich näher gekommen. Der Unterscheidung zwischen Lehnwortschatz und Erbwortschatz ist häufig nur noch mit Hilfe der Etymologie auf die Schliche zu kommen. Das ist aber keineswegs bedauerlich.

Suche

 

Status

Online seit 5482 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 12. Dez, 08:51

Lesen

Credits


xml version of this page
xml version of this page (summary)
xml version of this page (with comments)

twoday.net AGB

Blogverzeichnis Creative Commons Lizenzvertrag
Shhhhh.

Alles nur Theater
Auf Spatzen geschossen
Auslaufmodell Buch
Den Ball gespielt
Der alltägliche K(r)ampf
Die kleine Form
Gedankeninseln
Geldregierung Arbeitsplatz
Gelegenheitslyrik
HaCK
Herr Fischer
Klassenraum
Links
Mensagespräche
Miniaturen bemalen
Nichts Spezielles
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren