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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Donnerstag, 13. September 2012

Kennig

Der Berliner, der konsequenterweise statt dem „ich“ ein „ick“ zu sprechen versteht, wird mit dieser grammatikalischen Verkürzung wahrscheinlich die wenigsten Probleme haben und im Gegensatz zum Flughafenproblem endlich einmal vor den Hessen zum Zuge kommen, die ein „-ig“ nicht als „-ich“ auszusprechen in der Lage sind, sondern lieber auf den harten Auslaut der vorrangig ( hier sogleich einmal vorgeführt ) attributiv genutzten Endung ( siehe bei der Adjektivbildung mit Endung „–ig“, z.B. schwierig, lustig usw. ) bestehen. In diesem speziellen Fall handelt es sich nämlich nicht um ein Attribut.

Das „kennig“, von dem ich spreche, ist eine schriftsprachlich umgesetzte Verkürzung des lautsprachlichen „kenne ich“. Wie in Sprachen üblich, deren Wandel von der Silben- zur Wortsprache immer weiter fortschreitet, kommt es im Laufe der Zeit zu einer Abschwächung der letzten Silbe, was vor allem am gesprochenen Vokal zu merken ist. Aus ehemals starken Vokalen, wie zum Beispiel dem „a“ wird im Zuge der Abschwächung ein sogenannter Schwalaut. Das Verb „kennen“ geht ja auf die Familie der Wörter um das Verb „können“ zurück, ist, genauer gesagt, eine Kausativbildung aus dem Verb „können“, das – wie könnte es anders sein – im ahd. „kunnan“ hieß. Man beachte vor allem den „starken Vokal“ in der letzten Silbe.

Eine sinnvolle, im Lautsprachlichen längst umgesetzte Verkürzung stellt dann der Wegfall des Vokals am Ende des Wortes dar, was natürlich nur in der gebeugten Form in Verbindung mit dem Personalpronomen „ich“ möglich ist. Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass solche Weglassungen im Schriftsprachlichen nicht ohne Apostroph zu erfolgen haben ( siehe §96 und §97 der derzeit gültigen Rechtschreibregeln ). Diese Verkürzung ist in diesem speziellen Falle auch nur deshalb möglich und nötig, weil sich das „kenne ich“ bzw. auch das „kann ich“ zu einem weit verbreiteten „geflügelten Wort“ entwickelt hat und seitdem auf eine schriftsprachliche Homogenisierung wartet. Das im Satz zuvor hinzugefügte „kann ich“ kommt übrigens bereits ohne Apostroph aus, weil es noch ein wenig „geflügelter“ daherkommt als das „kenn‘ ich“, höchstwahrscheinlich auf ein längst vergessenes Selbstverständnis im urgermanischen Naturell zurückgeht, von dem wir heute nur noch träumen dürfen.

Doch aus welchem Grund nun sollten diese beiden Wörter, also das „kenne“ und das „ich“ zu „kennig“ bzw. „kannig“ verschmelzen? Ganz einfach: Zum einen könnte dies dazu führen, dass das von mir vermutete Selbstverständnis und damit einhergehende Selbstvertrauen des deutschen Landsmannes ( und natürlich auch –frau ) zurückkehrt, und zum anderen ergäbe sich gerade in Zeiten knapper Ressourcen eine sinnvolle Einsparung. Man denke nur einmal an SMS oder Twitter, wo jedes Zeichen kostbar ist. Es wird ja nicht nur bei den Zeichen, sondern sogar in einer Leerstelle gespart, was für Journalisten zwar auf den ersten Blick nicht so schön ist ( Zeilenhonorar ), auf den zweiten jedoch ungeahnte Vorteile mit sich brächte; bei zweimaligem Einsparen der Zeichen und Leerstellen könnte bei der Formulierung „kennig“ statt „kenne ich“ bereits die Abtönpartikel „schon“ angefügt werden, als Bekräftigung sozusagen, und mit dem entsprechenden journalistischen Nachdruck auf die herausragenden Fähigkeiten des deutschen Qualitätsjournalismus verwiesen werden.

Wenn allerdings Punkt 1 meiner Ausführungen, also das wiedergewonnene Selbstverständnis, tatsächlich gesteigert werden kann, weil von „Flügeln getragen“, dann könnte man schon fast wieder von einem Attribut sprechen. Auch dass der Berliner bei der schriftsprachlichen Umsetzung im Vorteil wäre, ist bei näherer Betrachtung keineswegs sicher, denn im attributiven Sinne versteht es die Berliner Kodderschnauze durchaus ein „-ig“ von einem „-ich“ zu unterscheiden. Naja, man kann eben nicht alles haben.

Montag, 10. September 2012

Zweit-Krach

Als ich vor geraumer Zeit einen neuen PC bekam, hatte dies vor allem Gründe die Lautstärke des Alten betreffend. Der hatte nämlich die unangenehme Angewohnheit, laut vor sich hin zu brummen, wenn er angeschaltet wurde. Als eines Tages dann ein zweites Brummen hinzu kam, ein tieferes und dringlicheres als das Erste, bekam ich es zum ersten Mal mit der Angst zu tun, machte ein Backup von all meinen wichtigen Dateien und sinnierte darüber, meinen Zweit-PC, der unter dem Schreibtisch stand, wieder flott zu machen. Mein Zweit-PC war auch laut, aber er brummte kontinuierlich in einer längst vergangenen Sprache, die keine Höhen und Tiefen kannte.

Nun begab es sich aber, dass mein damaliger Erst-PC trotz der Brummmacke keinerlei Anstalten machte, die Hufe zu heben, sondern nur fröhlich vor sich hin brummte. Und als ich dann ein paar Tage später - aus schlichtem Platzmangel - ein paar Bücher darauf abstellte, hörte plötzlich das Zweitbrummen meines Erst-PCs wieder auf. Die Maßnahme, meinen Zweit-PC wieder flott zu bekommen, scheiterte nebenbei auch kläglich daran, dass es mir nicht möglich war, eine neue Version von Mozilla-Firefox zu installieren. Da gab es irgendwelche Programme im Hintergrund, die ich aus lauter Bosheit schon so lange nicht mehr aktualisiert hatte, dass selbst so schnöde Dinge wie ein Browser nicht mehr zum Laufen gebracht werden konnten.

Vor nicht genau einem halben Jahr, bekam ich dann einen neuen PC, mein vormaliger Erst-PC wurde Zweit-PC, mein Zweit-PC Dritt-PC und beide Modelle wanderten unter meinen Schreibtisch. Der neue Dritt-PC steht auf dem ehemaligen Zweit-PC, um ihm - im Falle des Gebrauchs - vom Brummen abzuhalten. Mein neuer Erst-PC brummt nur ganz leise. Eine Wohltat. Volle Geschwindigkeit bei minimaler Geräuschkulisse.

Und heute? Ich sitze hier gerade und überlege mir, wie ich diesen Blog mit unnützen Informationen füttern kann, da ertönt plötzlich ein Brummen neben mir. Mein fast neuer Erst-PC erhebt sein Lüfterrad und untergräbt meine dem Bloggen gewidmete Aufmerksamkeit. Ich nehme die CD aus dem Laufwerk und denke, damit hat es sich wohl. Hat es sich nicht. Ich parke einen PC-Speaker auf ihm. Reicht auch nicht. Ich drücke ganz leicht das Gehäuse nach unten. Es hilft. Das Brummen ist weg. Es dröhnt jetzt nur noch von Gegenüber auf der Straße, wo ein Presslufthammer die Fassade eines Hauses malträtiert, das hatte ich bis eben aber gar nicht gehört.

Freitag, 7. September 2012

Von Leberwurst und Pilzen

Heute fragte mich eine Freundin, wann wir denn diesen Herbst einmal in die Pilze gingen. Für mich war da noch Zeit, vor allem etwas mehr Regen nötig, um die gewünschten Ergebnisse zu zeitigen. Sie jedoch berichtete von einer Freundin, die offensichtlich bereits im Juli Pilze sammeln war und auch ordentlich gefunden hatte. Nur essen kann sie die nicht. Pfifferlinge aus dem Supermarkt, ok. Champignons, kein Problem. Aber selbst gesammelte Waldpilze kommen ihr nicht auf den Teller. Und das liegt nicht daran, dass sie sich selbst nicht über den Weg traue, sondern, weil, naja, nee, das ist einfach eklig.

Mein Onkel war ja – oder ist, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesprochen – leidenschaftlicher Angler. Nur Fisch essen, das wollte er nicht. Es ging, glaube ich, sogar so weit, dass er auch keinen gekauften Fisch aß. Er verschenkte den Fang oder setzte sie wieder in den Teich. Ich war nämlich auch einmal mit ihm angeln, da war ich noch keine 12 Jahre alt. Den Abend davor, spielte ich bis spät in die Nacht mit meiner Tante Monopoly und am nächsten Morgen konnte ich kaum aus den Augen gucken. Ich habe mir Fischköder als Erdbeerdrops andrehen lassen und die beiden „alten Herren“, mein Onkel und sein Kumpel, haben sich kaputt gelacht, wie ich angewidert das Gesicht verzog.

Heute hätte ich vielleicht ebenfalls ein Problem damit, ein von mir geschlachtetes Schwein zu essen. Früher fehlte mir die Abstraktion. Ich stand ruhig daneben, wie mein Vater ein Kaninchen an den Hinterläufen packte und solange schüttelte, bis es tot war. Blut tropfte auf den Estrich vor dem gartenseitigen Garagentor, wo die Kaninchenställe standen. Ich war hocherfreut, vom Nachbarn, einem entfernten Verwandten, eine Hasenpfote – eine echte! – geschenkt bekommen zu haben. Leider musste ich sie dann später entsorgen, weil sie komisch roch. Und Karnickel habe ich immer gern gegessen.

Allerdings konnte ich ab einem bestimmten Alter, ich glaube, es war so ungefähr zur gleichen Zeit, keine Leberwurst mehr essen. Ich bekam das Zeug einfach nicht hinunter. Diese grobe Masse mit ihren weißgrauen Flocken darin. Die ekelhafte Pelle, durch die das Messer schien, wenn es die Innenseite freikratzte. Ich hatte den Geschmack für Jahrzehnte in meinem Kopf gespeichert und musste mich dessen nur erinnern und dann konnte ich die Leberwurst schon schmecken. Ein Graus. Später das gleiche mit Rotwurst, dann Teewurst, dann nur noch Marmelade oder Butter und Salz. Im Gegensatz zum toten Kaninchen fehlte mir hier ein echter Bezug zum Tier. Diese reziproke Entwicklung hat sich in beidem wieder abgeschwächt. Ich esse Mortadella und Salami, Würstchen und andere Wurstprodukte, deren ehemaliges Leben ich nicht erkennen kann genauso wie ich Kaninchen oder Fisch esse. Ich gehe selber gern Pilze sammeln und esse sie dann auch gern. Ich habe mir sowohl Distanz als auch Nähe zum Lebensmittel bewahrt. Irgendwie seltsam.

Mittwoch, 5. September 2012

Die Eurohochzeit

Angelehnt an das alte Volkslied der Vogelhochzeit habe ich mir erlaubt, den Text neu auszurichten und mich den Eurostaaten zu widmen, mein besonderes Augenmerk lag dabei auf den Motiven der Ein-Euro-Münzen der Mitgliedstaaten.

Ich bin damit längst nicht fertig geworden, wollte nur ein paar Anregungen loswerden. Den Rest, liebe Leser:innen, wollte ich Ihnen überlassen. Wer sich das Lied vorher noch einmal zu Gemüte führen möchte, hier entlang und die Motive der Ein-Euro-Münzen gibt es hier. Los geht's:

Europa wollte Hochzeit machen, das ging leider nicht so gut
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala
Es fanden sich fast alle ein, doch verließ sie alsbald der Mut
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Der träge Bundesadler, er wird zum Dauertadler
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Die abgebrannte Eule nimmt Abschied mit Geheule
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Juan Carlos, das war ja klar, der flüchtet sich nach Afrika
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Dem Kreuze der Maltesen, dem blieben nur die Spesen
Fiderallala, Fiderallala, Fiderallalalala

Freitag, 31. August 2012

NVWG

Spätestens seit den Fantastischen Vier aber vermutlich schon vor ihrem Hit "MfG-Mit freundlichen Grüßen" sind einem die Abkürzungen schon mal aus den Ohren gekommen. Eine ganz besonders blöde Abkürzung, die mindestens einmal im Jahr zu nerven beginnt - ich schaue mir das nicht an, aber selbst dann kommt man wegen verschiedener Plakatwerbung nicht gänzlich drum herum - ist ja DSDS.

Gestern allerdings hörte ich seit langem mal wieder eine wirklich gute Abkürzung. Als Mittdreißiger gehört man ja nicht mehr zu denjenigen, die so etwas selbst entdecken, geschweige denn verbreiten. Man kann schon froh sein, wenn einem die Jugend überhaupt erklärt, was sie damit meint:

NVWG=Nur von Weitem geil!

Mittwoch, 29. August 2012

unscharfe Niveauletten

Ein kleines Zwischenspiel muss ich einfügen, ich warte noch auf die Stimmung, die mich trieb, auf die Erinnerung, die mich befiel. Das Stakkato der Tastatur hat noch nicht genügend Verstetigung erfahren und stolpert mehr, als dass es flüssig läuft. Ich könnte ja mehr Punkte setzen, ist mir heute eingefallen beim Beschwören, beim erneuten Lesen. Aber Stimmung und Erinnerung sind auch keine Lakaien, die sich herbeirufen lassen. Der bin ich, wie ich hier sitze und klimpere.

Gestern Abend sinnierten wir wieder einmal über das Konstrukt Wirklichkeit und welches Stück davon nicht erwartbar ist; das Drumherum, also das, was wir zu sehen glauben oder uns selbst, wie wir uns präsentieren, um einen möglichst vorteilhaften - für uns - Platz in jemand anderes Wirklichkeit einzunehmen. Heisenberg war auch mit da, blieb aber nüchtern und verschlossen für uns zwei Stammtischphilosophen. Das Ganze war wohl unter seinem Niveau, eine Niveaulette sozusagen.

Sonntag, 26. August 2012

Blankenburg: Landmarken aus allen Erinnerungen

Sogar seine Frau war am Tag unserer Abreise freundlicher, als ich es noch vor drei Tagen für möglich gehalten hatte. Sie kam zwar – wie vorher auch schon einmal – wieder durch die innerhalb der Ferienwohnung gelegene Verbindungstür zu ihrem Teil des Hauses – sie hatte ein Schlüsselbund, mit dem sie ein Klopfen an der Tür simulierte, indem sie es vernehmlich klappern ließ, bevor sie den Schlüssel ins Schloss steckte, herumdrehte und plötzlich in unserem Flur stand – aber sie erwischte uns nie mit heruntergelassenen Hosen. Sie lief unserem Sohn entgegen und ehe der noch protestieren konnte, saß er bei ihr auf dem Arm und wurde besprochen wie eine Bauchrednerpuppe. Das kennt er ja, das beeindruckt ihn nicht. Ich war beeindruckt, von so viel plötzlichem Zutrauen.

Doch ich schweife ab, denn bevor wir überhaupt wieder abreisen konnten, mussten wir ja erst einmal richtig ankommen. Mir ist das die ganze Zeit nicht gelungen, weil ich mit gewissen, positiven Vorbehalten an diesen Urlaubsort belastet bin. Die sich zwar abstellen aber nicht einstellen ließen. Also nicht oft. Ich hatte zum Beispiel trotz mehrmaliger Urlaubsaufenthalte während der Kindheit überhaupt kein Problem damit, mich an Details aus unserer damaligen Unterkunft – ein FDGB Heim – zu erinnern: den großen Wintergarten im Frühstücksraum, das mit klein gehämmerten Glas eingefasste Treppenhaus, den dunklen Teppichboden in der Wohnung oder der riesige Fernseher im Wohnzimmer, auf dem nach der Aktuellen Kamera mein erster Winnetoufilm lief. Ich war aber nicht in der Lage diese Innenansichten auf meine Umgebung zu übertragen, ich habe das Haus nicht wieder gefunden. Nicht die Straße. Ich habe nichts wiedererkannt. An was glaubte ich mich also zu erinnern? Gerüche? Geräusche? Wäre ein Trabant durch eine Straße gefahren, die wir dort zu Fuß durchschritten, ich hätte vielleicht schwören können, dass das gesuchte Haus hier irgendwo sei, umgebaut, renoviert vielleicht.

Aber auf der anderen Seite: sogar die Treppe hinauf zur Teufelsmauer – von der ich im Übrigen eine ziemlich genaue Vorstellung in meiner Erinnerung/Fantasie hatte, bis ich sie sah – war nicht die Gleiche, der Aufgang war ein ganz anderer. Dabei war ich mir sicher. Überhaupt, diese ganzen Straßen und Häuser. Soviel Leerstand. Ob Ladengeschäfte, Wohnungen oder Tiefgaragenplätze, alles konnte man hier mieten oder gleich kaufen und zwar massenhaft. Der Ausverkauf ist noch nicht am Ende. Was mit den Filetstückchen kurz nach der Wende begann, zieht seine Kreise jetzt in kleineren Bahnen, jetzt wird einfach alles verscherbelt.
Das Schloss Blankenburg war ja früher ein solches Filetstück, bis es dann fast zu spät war und bei einer Zwangsversteigerung „zurückgekauft“ werden musste von dem Verein „Stiftung Schloss Blankenburg“. Ich musste daran denken, als ich, zurück in der Stadt, wieder zum Schloss hochblickte. Ich stand links von der Touristeninformation, das Schloss Blankenburg liegt von dort in einer Flucht mit dem Rathaus und der dahinterliegenden Bergkirche St. Bartholomäus wie ein verwitterter Prometheus an den Berg gekettet. Mir huschte ein kalter Schauer um die Beine, ich sah mich danach um und entdeckte in einem verlassenen Haus ein offenes Kellerfenster.

Donnerstag, 23. August 2012

Blankenburg: An- und Unterkunft

Es hätte eine Reise in die Vergangenheit sein sollen. Was mir zu Beginn der Reise allerdings nicht klar war, wessen Vergangenheit hier bereist werden würde. Uns, meine Frau, unser Sohn und ich, verschlug es nach Blankenburg. Kennen Sie nicht? Kennen viele nicht. Es liegt zwischen Wernigerode und Quedlinburg, hat kein Welterbe zu bieten wie Quedlinburg oder eine Rennstrecke wie Oschersleben und eben auch keinen Dom wie Halberstadt oder ein Schloss wie Wernigerode. Kein Schloss? Doch Blankenburg hat ein Schloss aber dazu später mehr.
Blankenburg ist von den wenigen Erinnerungen, die ich an mein Leben vor dem 5. Lebensjahr habe, eine der einprägsamsten gewesen. Nicht nur, weil sie fast jährlich wieder aufgefrischt wurde, so lange wie die DDR Bestand hatte, sondern vor allem auch wegen meines eigenen fortschreitenden Alters. Es ist nämlich so, dass die Erinnerungen der frühen Kindheit mit dem Alter wieder in den Vordergrund rücken. Häufig stellt sich dazu eine gewisse, sagen wir mal Verklärung ein, die sowohl die schlechten Erinnerungen ihr Gutes abzugewinnen vermag als den guten das Phänomenale. Wenn ich also mit gerade einmal kurz über 30 Jahre – jaja es ist schon ein wenig länger über 30 geworden – zurückblicke auf meine Kindheit und mit unserem Sohn nach Blankenburg in den Urlaub fahre, dann wäre es ja gelacht, wenn mir nicht genau diese Erinnerungen in den Sinn kommen sollten.

Wir wohnten in der Kreuzstraße in einer alten Backsteinvilla, aus deren geöffneten Kellerfenstern ein so kalter Lufthauch wehte, dass mir trotz 30° im Schatten ein wenig fröstelte, als ich vorüber ging. In unserer Ferienwohnung, direkt über dem Keller gelegen, war es ebenfalls angenehm kühl. Die hohen Decken waren heruntergenommen und durch Styroporplatten und Kaltlichtneonröhren eingestimmt auf einen längst vergessenen Zweck. Das Türschild unseres Vermieters klärte später darüber auf, denn vor dem Nachnamen prangte kein Vorname, sondern ein Dr. Die Ferienwohnung, einstmals die Praxisräume des heutigen Rentners, bestand aus zwei solcher Räume, von denen wir einen als Schlafzimmer bewohnten, der zweite war, weil wir ihn nicht benutzen sollten und wollten, abgesperrt. Die übrigen Räume hatten eine „normale“ Deckenhöhe von ca. 3,30 m und bestanden aus einem geräumigen Wohnzimmer mit offener Küche und zwei Nassräumen: ein Duschraum und eine Toilette. Das Haus wurde von einem ansehnlichen Grundstück umschlossen, auf dem noch ein Ferienhaus stand. Dazwischen wuchsen Obstbäume auf Wiesen. Stachelige Hecken säumten schmale Beete, auf denen Rosen rankten, dazwischen allerlei Kitsch. Ein riesengroßes funktionsuntüchtiges Thermometer stand herum, auf einem blanken Stück Erde stand ein marmorner Brunnen mit gelblich grüner Flüssigkeit und drei darauf schwimmenden bunten Stumpenkerzen darin. Ein Wasserbassin mit frisch aufgefülltem Wasser krönte die einladende Stimmung und wurde uns bereits kurz nach unserer Ankunft wärmstens empfohlen. Das Wasser war eiskalt.

Den Doktor bekamen wir bis zur Abreise übrigens gar nicht zu Gesicht. Seine Frau übernahm die Formalitäten. Sie führte uns reichlich wortkarg herum, deutete auf das Bassin, lud uns ein, es zu benutzen, empfahl uns noch das „neue“ Biobad am Fuß der Straße – auch dazu später mehr. Alles in allem war es ein gemischt guter Einstand. Was gingen uns unsere Vermieter an? Wer waren wir, dass wir über das uns entgegengebrachte Misstrauen urteilen konnten? Nicht einmal meine Erwähnung, dass ich bereits vor 30 Jahren in Blankenburg Urlaub gemacht hatte, ließ ihre Reserviertheit bröckeln. Wir waren einfach eine junge Familie aus Hannover und sind durch Zufall ihrem Domizil verfallen. Ihr war es schlichtweg egal, was wir hier wollten, denn viel konnte es ja nicht sein – auch dazu mehr später.
Als am Tag unserer Abreise der Doktor erschien, reichte er uns jovial die Hand, die nur von unserem Sohn ausgeschlagen wurde. Er hat es noch nicht so mit alten Ritualen. Er sprach dabei keinen Ton, blickte uns nur taxierend mit seinen kleinen spitzen Augen an, als fröne er an uns seiner alten Gewohnheit, der Diagnose.

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