Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.
Es ist fünf nach zwölf, als ich den Lokus des Falafelmannes betrete. Ich erwarte keine vor Sauberkeit strotzende Toilette, lieber ist mir schon, nur ein Stück Seife vorzufinden, ein Handtuch vielleicht und eine funktionierende Spülung. Finde ich. Alles. Ich habe Falafel bestellt, will aber ein Schawarma, ich brauche Fleisch, der Verkäufer korrigiert mich und schickt mich dann nach hinten. Dort sei das Klo.
Ich wasche mir nach verrichtetem Geschäft die Hände. Der Apparat an der Wand, der Seifenspender, ist leer. Dafür steht eine Flüssigseifenpackung auf dem Rand des Beckens. Ich sehe nach links oben und entdecke auf dem Handtuchspender einen Aufkleber: Gegen Nazis auf die Straße! Am 04.08.12 in Bad Nenndorf! Der Aufkleber ist halb abgerissen, wir haben den 10.08.12! Schon veraltet.
Ich sehe noch weiter nach oben, dort liegt, fein säuberlich gestapelt ein Papierhandtuchstapel auf dem an der Wand befestigten Spender. Der Handtuchspender ist leer. Ich muss daran denken, wie ein Mann in einem YouTube Video erklärt, wie es möglich ist, seine Hände an nur einem Handtuch zu trocknen. „How to use one towel“ heißt der Film und nach der dritten Vorstellung, also dem Akt des Trocknens der Hände mit nur einem Papierhandtuch, fangen die Leute im Publikum an zu lachen. Man sieht sie nicht. Ich aber frage mich, was daran komisch ist.
Es ist zehn nach zwölf. Auf dem Weg nach draußen fällt mir mein Stempel ein, den ich neulich morgen am Handgelenk trug. „BEZAHI“ stand darauf und ich wunderte mich, in welchem orientalischen Club ich wohl gewesen sein mochte. Erinnern konnte ich mich nicht, dafür war ich zu betrunken. Erst später fiel mir ein, wo ich war; dass nicht „BEZAHI“ auf meinem Handgelenk, sondern „BEZAHLT“ hätte stehen müssen aber die Abrollbewegung des Stempelnden zu flapsig gewesen sein musste oder mein Handgelenk zu klein. Auch dort gab es Toiletten, sehr sauber. Es saß ein alter Mann davor, mit einem Wischmopp und einem Porzellanschälchen. Er sorgte für Sauberkeit. Die Papierhandtücher lagen auch dort nur auf und nicht im Spender.
Es degeneriert vor sich hin. Wir merken es nicht. Wir feiern eine großartige Erfindung nach der nächsten, schauen nicht zurück und ignorieren die Tatsache des bereits Dagewesenen, bis der Hype auf Originalität, auf Individualität, nach Innovation uns erfasst und nach vorn schleudert. Ins Jetzt, nach Morgen, Übermorgen; Zukunft gesichert.
Ich schaue auf mein zweites Papierhandtuch – das erste ist mir zerrissen und tropfte vor Wasser, als ich es im Eimer entsorge – und knülle es zusammen. Das Wasser hängt mir zwischen den Fingern wie Schwimmhäute. Ich schüttle die Hände, wie ich es hätte vorher machen sollen, streife die letzten Tropfen am Hosenbein ab und warte auf mein Falafel, nein Schawarma – ich wollte ja Fleisch.
Ein abgebrochener Gartenteich und eine Packung Toffifee, in die ich eine Prinzenrolle zu verstauen habe. Unlösbare Aufgaben oder wie Trithemius zu sagen pflegt: „Völlig machtlos stand ich vor dieser Liste!“ Ich bin Prüfer in der wichtigsten Prüfung. Ein Holländer. Weil es um Gärten geht, frage ich ihn zum Abschluss nach der Göttin der Fruchtbarkeit. Wir machen uns auf den Weg in die Herrenhäuser Gärten, wollen den Irrgarten besuchen, doch weil es stockdunkel ist, verlaufen wir uns. Uns fehlt die Kultur, stellt einer von uns fest. Wer, weiß ich nicht mehr. Überhaupt kann ich nicht sagen, mit wem ich unterwegs bin, da sind nur zwei schemenhafte Schatten vor mir, und obwohl ich sie eigentlich kennen muss, entgleitet mir diese Bekanntschaft immer wieder.
Dann sind wir plötzlich auf der Limmer. Eine Frau putzt die Stühle vorne auf der Straße und ihre Pobacken schieben sich oben aus der Hose. Ich frage mich, ob sie dort kitzlig ist. Als sie fertig ist, fragt sie uns: "Wollt' ihr noch was trinken?" "Nein, ich nicht. Ich hatte einen Herzinfarkt", sagt Trithemius. Ich wache auf, weil meine teilverstopfte Nase bei jedem Atemzug ein kleines Tröten von sich gibt. Seltsam, so Schnupfen im Sommer.
Da sitze ich in einer Bar, trinke Pfefferminzlatte, weil ich mir dachte, diesen verdient zu haben, und versuche still ein gerade gekauftes Buch zu lesen.
Es sind furchtbar kleine Absätze, immer getrennt durch eine ganze Zeile, so dass in mir der Eindruck entsteht, es handele sich dabei immer um kleine Bonmots statt um eine Erzählung - Lektüre für Minuten. Und es ist tatsächlich verdammt oft ein umso kleinerer Satz im Absatz dabei, der funktioniert wie ein Twitter-Highlight des Monats. Nur gab es noch kein Twitter, als das Buch erschien.
Ich sitze also da, bin ständig abgelenkt und herausgehoben aus diesem Buch, als mein Tischnachbar zwei belegte, bestellte Brötchen erhält und im Berlinerisch von sich gibt: "Mann, sieht det jut aus. Kannste mir det einpacken? Das ess' ick im Keller!"
Verschlagwortung,f, Die Verschlagwortung ist eine Komposition aus den Wörtern Verschlag und Wortung. Wie bei Komposita im Allgemeinen üblich, richten sich die grammatischen Eigenschaften nach dem Grundwort (Determinatum), welches im Deutschen üblicherweise als letztes genannt wird. Die Wortung ist demzufolge zum Beispiel für das Geschlecht verantwortlich. Wortung ist die substantivierte Form einer Handlung und bedeutet, einen Gegenstand zu benennen.
Das Bestimmungswort (Determinans) hat attributive Funktion für das Grundwort und schränkt den Bedeutungsinhalt des Grundwortes ein. Der Verschlag ist die nähere, oftmals abfällige Bezeichnung für einen viel zu kleinen Ort. Bei dem Kompositum aus Verschlag und Wortung ergibt sich demzufolge, dass der benannte Gegenstand an einem viel zu kleinen Ort verstaut wird.
Das letzte, an was ich mich bewusst erinnerte, war ein Strumpf, den ich offensichtlich verloren hatte. Ich bemerkte dies nur, weil mir der Fuß aus der Decke gerutscht war und es zugig wurde, nicht unangenehm. Dann ging plötzlich ohrenbetäubender Lärm los, der sich wellenartig im ganzen Raum verteilte. Ich war sofort wieder hellwach, konnte aber vor lauter Müdigkeit die Augen nicht öffnen. So stolperte ich blinzelnd, meist mit geschlossenen Augen durch die Wohnung. Auf der Suche nach der Quelle.
Ich hatte natürlich meine Nachbarn in Verdacht und am ehesten hört man, von wo die Musik kommt – also entweder von oben oder von unten – wenn man sich in die Küche begibt. Ich hangelte mich die Wand entlang, als die Musik auch schon nachließ und durch andere Musik ersetzt wurde. Hm, dachte ich, dann ist die Quelle irgendwo direkt über dem Wohnzimmer, wo ich mich zum Schlafen hingelegt hatte. Die Musik hatte mittlerweile auch dort nachgelassen.
Ich ging wieder zurück, immer noch mit geschlossenen Augen. Von dort aus ging ich zur Haustür, trabte langsam die Treppe nach unten, aber als ich dort klingelte, machte niemand auf. Das gleiche passierte mir oben. Ich dachte an einen total fiesen Radiowecker, der auf Heavy Metal spezialisiert war.
Ich ging wieder zurück in unsere Wohnung und legte mich erneut hin. Die Musik war wieder sehr leise geworden. Ich schien sofort einzuschlafen und träumte von einer Partie Siedler auf meinem Rechner. Ich hatte gleich zwei Stämme und spielte über den guten alten Splitscreen und durch eine grandiose neue Erfindung, die meine Siedler gerade gemacht hatten, durfte ich plötzlich ein Konferenzhaus bauen. Das war die Vorstufe für eine Botschaft, also irgendwas Diplomatisches. Mir kam das alles sehr spanisch vor, weil ich doch meine Gegner durch Angreifen und Hütten erobern besiegen sollte und nicht durch Diplomatie.
Und dann war sie wieder da. Die Musik. So laut, dass ich sofort aufrecht im Bett saß. Ich konnte immer noch nicht gucken und ließ das auch vorerst bleiben. Ich legte mich wieder hin und dämmerte trotz des Krachs wieder kurz weg, bis die erste lautere Welle mich einholte, überholte und von neuem aufsitzen ließ. Es nutzte nichts, meine Augen musste ich aufbekommen. Ich versuchte es so lange, bis es ging, trabte wieder nach unten, klingelte, raste wieder nach oben, klingelte, niemand machte auf. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, wo ich lag und hörte gebannt auf die Musik. Dann dämmerte es mir.
Die Musik kam aus unserem Wohnzimmer! Von dort oben, auf meinem Bücherregal. Da oben stand der Übeltäter. Ich holte einen Stuhl und barg das Radio. Es sah aus wie die Trinkflasche meines Sohnes. Ich nahm die Batterien aus dem Deckel der Trinkflasche und dann war Ruhe – und dann wachte ich auf.
Sie nehmen die Troddeln einer Stehlampe und schneiden sie ab. Die Stehlampe sollte dafür mindestens 30 Jahre alt und die Troddeln sollten wenn möglich aus glänzendem Material sein. Es reicht übrigens, nur wenige Troddeln zu benutzen, so dass der Vorgang noch einige Male wiederholt werden kann, bevor die Lampe unbrauchbar wird. Die Troddeln werden darauf mit einer Schere aufgetrennt und in ihre Einzelfäden zerlegt, diese legt man dann auf ein Blech und schiebt sie bei mittlerer Temperatur in den vorgeheizten Ofen.
In der Zwischenzeit - die Troddeln benötigen ca. eine halbe Stunde im Backofen - kann der Rest der Zutaten verarbeitet werden. Dafür nehmen Sie eine Lautsprecherschale und entfernen mit einem spitzen Gegenstand die Membran. Für diese nicht ganz ungefährliche Angelegenheit empfiehlt es sich, den Strom abzustellen. Es reicht aber, wenn Sie den Stecker aus dem Lautsprecher nehmen, keinesfalls die Hauptsicherung, sonst geht der Ofen nicht. Sobald die Lautsprecherschale gesäubert vor einem liegt kann sie mit den Tapetenresten gefüllt werden. Die mit einem Schaber von der Wand gekratzten Reste der Marke Erfurt 70 Avantgarde können natürlich auch frisch besorgt werden, nur muss man dann auf das Aroma der Wandfarbe verzichten. Sobald die Schale mit den Bröseln gefüllt ist, sollte ein Blick in den Ofen erfolgen, denn die Troddeln dürften an Temperatur gewonnen haben. Ist die Farbe exakt gleich geblieben, ist das ein gutes Zeichen. Wenn nicht, dann öffnen sie die Backofentür vorsichtig und holen die Troddeln kurz heraus; Tageslicht eignet sich einfach besser als die Backofenbeleuchtung, um den Zustand der Troddeln abzugleichen.
Nachdem die beiden Hauptkomponenten des Gerichts fast fertig sind, können Sie sich um die Garnierung kümmern, denn das Auge ist ja bekanntlich mit. Dafür eignen sich hervorragend alte Zigarettenstummel. Allerdings sollte auch hier wieder darauf geachtet werden, dass ein gewisses Mindestalter nicht unterschritten wird und die Stummel sollten mindestens einen Regen mitgemacht haben, sonst sind sie einfach zu zäh. Lässt sich nichts in der Art auftreiben, muss man selbst ran und bereits beim Abschneiden der Troddeln die erste Zigarette rauchen und den Stummel bei Fertigstellung in lauwarmes Wasser einlegen.
Als letztes wird nun der Bleistift angespitzt. Hier empfiehlt es sich einen kleinen Handanspitzer zu benutzen und auf elektrische Geräte zu verzichten, denn die Späne werden umso sauberer, desto mehr Gefühl sie beim Anspitzen walten lassen. Das kann leider noch keine Maschine. Danach statten sie jeden Zigarettenstummel mit einem Bleistiftspitzenring aus und belegen damit vorsichtig die Ränder der Platte. In die Mitte stellen Sie die Lautsprecherschale und drapieren die Troddeln, die Sie aus dem Ofen genommen haben, kreisförmig auf die Brösel. Nach kürzester Zeit sind die Troddeln soweit abgekühlt, dass problemlos gegessen werden kann. Guten Appetit!
Zutaten:
100 Gramm mindestens 30 Jahre alte Stehlampentroddeln
1 Lautsprecherbox, rund
1 m² Wandtapete, Marke Erfurt 70 Avantgarde
15 Zigarettenstummel, mit Filter!
1 Bleistift HB
Ich stand neben dem Stand der Piratenpartei, hatte meinen Sohn auf dem Arm, als ich plötzlich dachte: hackt’s, oder was? Am liebsten hätte ich ihm das ins Gesicht gesagt, bin aber viel zu höflich für sowas. War gut so, nicht wegen der Höflichkeit. Die Piraten hatten einen Ballonkünstler da. Der machte aus einem langen orangefarbenen Ballon, der aussah wie ein Riesendildo, ein Schwert. Er knotete und faltete so lange an dem Ding herum, bis daraus ein Schwert wurde. Hunderte, wenn nicht tausende Male am Tag hatte er das gemacht und ich wollte gleich zwei haben.
Mein Sohn hat sich nämlich den Ballon eines abwesenden Kindes geschnappt und ihn zum Platzen gebracht. Jetzt wollte ich einen neuen für ihn und das andere Kind besorgen. Und neben mir steht dieser Typ, dem es egal ist, wie alt mein Sohn ist, trotzdem fragt und dann sagt: „…also ungefähr ein halbes Jahr alt. So alt ist meiner auch, nur ein bisschen älter.“ Ihm ging es nicht um die abgezählten Monate, für ihn war einfach jedes Kind über 1 Jahr anderthalb Jahr, so lange es noch keine zwei Jahre war; das ließ ich mir aber erst später durch den Kopf gehen. Zu dem zeitpunkt seiner kurzen Rede bemerkte ich nur, dass er hier am herumzabeln war, der Ballonmann war leicht genervt und ich schloss mich dem an. Dabei wollte er nur Konversation betreiben, dachte ich auch viel später erst.. Mit diesen Voraussetzungen startete dann der folgende denkwürdige Monolog, weil ich ja nur dachte – eigentlich dachte ich auch nicht, ich ließ nur meine Halsschlagader hervorquellen und gewann Land, damit ich nicht unhöflich werden würde.
„Geben Sie mir bitte zwei Schwerter, ich habe den Ballon eines anderen Kindes kaputt gemacht und mein Sohn möchte auch einen.“
„Ja, klar, dauert nur einen Moment“, der Ballonmann nutzt die Möglichkeit zur Flucht vor meinem Nachbarn. Dieser ist schon leicht angetrunken und quasselt erneut auf mich ein: „Und da drüben kannst du dir ein Poster besorgen und dir eine Scheide basteln!“
Hackt’s, denke ich, drehe mich weg, bis die Ballons kommen und stapfe dann davon – gotzeidank!