Heute ist Karfreitag. Ostern rückt mir auf die Pelle, wie ein Betrunkener, der mir ganz im Vertrauen von seinen Sorgen berichten möchte. Dabei habe ich selbst genug Sorgen. Er hechelt mir Ostern ins Ohr.
Trotzdem versuche ich den freien Tagen etwas Schönes abzugewinnen. Mir fällt zum Beispiel immer der
Osterspaziergang von Goethe ein, wenn ich an Ostern denke. Die ersten Zeilen bekomme ich immer noch aufgesagt, obwohl mir das Erlernen des Gedichts fast so lang her zu sein scheint wie das
Erste Konzil von Nicäa.
Als ich neulich in meiner Lieblingskneipe saß und auf
Trithemius wartete, versuchte ich zum Spaß eine Neufassung des Gedichts. Da Trithemius aber pünktlich kam und ich das Projekt aus den Augen verloren habe seitdem, ist es unvollendet geblieben. Damit es nicht verloren geht, will ich es hier reinstellen. Ich hätte es Frühjahrsputz genannt:
Mit drohend Gebärde liegt die Wäsche,
wüste Haufen versperren jeden Blick,
die Sonne scheint, was für ein Glück.
Gevatter Faulheit schlägt in die Bresche
und treibt mich in mein Bett zurück...
Es ist gar nicht so einfach, wenn Reimschema und möglichst auch noch die Reimworte identisch, mindestens aber ähnlich sein sollen. Ich hoffe, ich habe jetzt niemandem das Fest verdorben, weil die Fenster plötzlich dreckig erscheinen, der Boden voller Fussel ist oder ein Berg Wäsche wartet. Fröhliche Ostern!
Ich habe heute mein Notizbuch entdeckt, das ich im Urlaub in Thailand vor zwei Monaten benutzt hatte. Es lag unter einem Stapel dünnem Holz auf meinem Schreibtisch. Hin und wieder möchte meine Frau nämlich, dass ich meinen Schreibtisch aufräume und dabei landen dann immer jede Menge Rechnungen, Mahnungen, Erinnerungsschreiben, schlicht die ganze Post im Papierkorb. Naja, und als ich diesen Stapel bedruckter Not endlich vom Halse hatte, offenbarte sich darunter ein dünnes schwarzes Büchlein, aus dem noch der Sand eines fernen Strandes gerieselt kam:
Heute keine Eindrücke, nur Plattfüsse. Ich wandere über die Felsen am rechten Ende des Strands. Die Felsen sind fest und dulden keine Dellen. Nur Rillen. In denen das Wasser herabläuft.
Die Felsen hier sind bestimmt Tausend Jahre alt. Tausend Jahre alte Schallplatten, denen der Regen und die Gischt eine immergleiche Melodie entlockt. Das Wasser in den Rillen ist wie die Nadel eines Plattenspielers und immer mal wieder springt ein Tropfen woanders hin. Dann hüpft die Nadel, bevor sie wieder einrastet. Ob die Felsen wissen, dass wir längst im digitalen Zeitalter angekommen sind?
Als hätte man mir Scheuklappen angelegt, allerdings nicht an den Augen, sondern auf der Schulter. Eigentlich sind es auch gar keine Klappen. Es ist eher ein kompliziertes Gestänge, das schmerzhaft aus meinen Schultern ragt und meinen Kopf am Drehen hindert. Ja, so ist das.
Können Sie sich an Tyler Durden erinnern, als er endlich begriffen hatte, dass er er war. Er stand vor einem Kneipier mit genau so einem Gestänge um den Kopf herum und dieser öffnete ihm dann die Augen, indem er ihn mit seinem Namen anredete. Mir öffnet niemand die Augen, das kriege ich noch allein hin. Ich kann nur nicht mehr nach links und rechts gucken. Außer vielleicht, wenn ich einen merkwürdigen Pinguintanz aufführe. Dafür muss ich aufstehen, wenn ich säße, und meinen ganzen Körper in die jeweilige Richtung drehen.
Wenn ich jedoch auf der Straße ginge und mich riefe jemand aus einem fahrenden Auto heraus, dann wäre entweder die Straße verstopft, weil der Rufer auf meine grüßende Erwiderung warten würde oder der Rufer aus dem Auto wäre längst vorüber gefahren. 3 Straßen weiter, womöglich schon in einer anderen Stadt. Hoffentlich wartet niemand darauf von mir zurückgegrüßt zu werden. Nachher steht am nächsten Tag in der Zeitung: Umständliche Begrüßung löst zweistündigen Stau aus. Oder im Radio: Bitte umfahren sie möglichst weiträumig die Straße XY, hier wird gerade zurückgegrüßt.
Vorhin saß ich dann wieder. In einer Arztpraxis. Ich bin also gerade keine Verkehrsbehinderung. Ich bin nur eine Behinderung der Routine des Praxisalltages, weil ich mich hier eingeschlichen habe. Mein Orthopäde ist im Urlaub und ich erdreistete mir, während seiner Abwesenheit einen steifen Hals zu bekommen. Jetzt sitze ich in einem mir unbekannten Wartesaal und hoffe behandelt zu werden.
Die Steckdosen und Lichtschalter in dem Warteraum sind alle schief eingebaut. Vielleicht ist auch der Fußboden schief, oder die Tür oder alles ist gerade und ich bin schief. So wird es wohl sein. Es sind zwei Stunden vergangen seitdem. Nach einer Stunde wurde ich bereits erlöst. Ich durfte meine Praxisgebühr entrichten, ein untrügliches Zeichen, dass man bis zum Arzt vordringen wird. Ich durfte meine Allergien, meine Telefonnummern und meine Namen auf ein halbes Blatt Papier schreiben und wieder Platz nehmen. So ein Glück. Ich habe einen Termin bekommen, an einem Dienstagvormittag! bei vollem Wartezimmer.
Um 11:85 Uhr bin ich dran. Viertel vor Hundert.
Ich bin jetzt wieder im Büro und schreibe das hier gerade auf. Zwischenzeitlich war ich bei einer sehr charmanten Ärztin, die mich zwei Jahre jünger machte und mir riet, mehr Sport zu treiben. Dann häkelte sie die bleiverschwerte Gardine auf, füllte die Kügelchen in eine Spritze und trieb mir je drei von den schweren Dingern in den rechten und linken Nacken. Eine besonders große Beschwerung bekam ich noch in den linksseitigen Allerwertesten. Zuerst dachte ich, das ist ja gar nicht so schlimm aber als ich die Praxis verließ merkte ich plötzlich, dass das Blei im Nacken zu wirken begann und mich langsam in Richtung Boden drückte. Vielleicht war es aber auch der Luftdruck, es hatte geregnet in der Zwischenzeit.
Jetzt ist alles wieder völlig normal, bis auf ein paar verschmerzbare Schmerzen in der Nackengegend. Meine Arme, in die kurzzeitig das Blei gerutscht war, lassen sich jetzt auch wieder normal bewegen. Nur, ob ich Auto fahren darf, hat mir die Ärztin nicht gesagt. Macht aber nichts, ich habe keins.
Mein hoch geschätzter Blogkollege sinniert gerade
über das Zusammentreffen von Wörtern und Buchstaben. Ein schönes Beispiel, dies auf den Gipfel zu treiben kam mir neulich unter: Meine Schwiegereltern waren zu Besuch und mein Sohn stieß natürlich auf ungeteilte Aufmerksamkeit, entweder durch 5 Augenpaare ( meine Schwiegereltern, meine Frau und ihr Bruder und ich ) oder aber durch einen Fotoapparat. Diese Kamera kam ebenfalls in den Genuß unserer Aufmerksamkeit, weil sie sich in entscheidenden Momenten immer an einem Platz aufhielt, der es unmöglich machte, sie zu benutzen.
Ich habe das nie beobachtet und meiner Meinung nach hat sich mein Schwiegervater auch nie vom Sofa erhoben, um die Kamera an ihren Platz in seiner Jackentasche zu verstauen, doch immer wenn irgendjemand nach der Kamera suchte und dann danach fragte, antwortete er: "Die habe ich wieder weggepackt."
Weggepackt. Seine Frau sagte dann irgendwann völlig entnervt: "Immer dieses Weckepacke!" Das hatte ich mir sofort notiert, weil mir die lautsprachlich ins Schriftliche übertragene Variante so gut gefiel.
Nun kann man bei wegpacken bzw. weggepackt ja nicht einfach einen Konsonanten weglassen wie bei dem dreigleichkonsonantigen "Schifffahrt" aber als ich heute morgen den Eintrag bei Trithemius las, fiel mir sogleich ein, wie die Lautleser des Mittelalters über das Wort Weggepacke gestolpert wären, sie hätten sich vielleicht wie ein
mannemerisch radebrechender Haufen an dem Doppel-g versucht, bis sie sich kurz darauf berichtigt hätten.
Heute Morgen gegen 8:41 Uhr hat mein Sohn sich zum ersten Mal völlig allein aufgerichtet, hat sich an nichts außer der Luft um ihn herum festgehalten und stand dann da. Er stand völlig ruhig, er suchte meinen Blick, doch ich hatte die Augen geschlossen. Ich ruhte auf der Couch, während er meiner letzten Erinnerung zufolge am Boden spielte. Als die Ruhe im Zimmer übermächtig wurde, erwachte ich endlich. Ich schlug die verklebten Augen auf und da lächelte es mir breit und warm entgegen, bevor ein erster Schritt und zwei zum nahenden Boden ausgerichtete Arme den Moment beschlossen. Und ich hätte das beinah verschlafen.
20 Versuche jetzt einen neuen Beitrag anzulegen. Ich benutze schon gar keine Prädikate mehr im ersten Satz, weil ich den Eintrag wahrscheinlich gleich wieder löschen werde. Ich kann ja schließlich keine Handlung beschreiben, die nachher niemand nachvollziehen kann. Prädikate werden sowieso überbewertet, sie knüpfen ja nur die Bande zwischen den Akteuren im Satz. Hah, und jetzt kommt`s ganz dick: ich kann aber Sätze schreiben, die überhaupt nicht zum vorangegangenen passen: Die Gauck-Behörde könnte man zwar immer noch mit Gauck in Verbindung bringen, sie heißt aber längst nicht mehr so. Sie heißt jetzt Jahn-Behörde, zwischenzeitlich Birthler-.
Zu den Prädikaten von Gauck gehört eindeutig gaucken (was war denn das für eine Überleitung, ich zucke überrascht mit den Augenbrauen), ein Neologismus aus den 90ern, der es sogar in die Liste der Wörter des Jahres 1992
schaffte. Hartzen ist übrigens Jugendwort des Jahres
2009. Riestern hat es nur in die
Fachliteratur* geschafft, war kein Wort irgendeines Jahres und steht damit auf ebenso dünnen Beinchen wie mompern ( wer war das nochmal, der Momper? ) oder genschern. Blümern würde ich im Zusammenhang mit riestern als passende Ergänzung betrachten. Immerhin hat der gute Norbert Blüm ja mal gesagt: "Die Rente ist sicher", nur hat er die Höhe der Rente ausgeklammert. Blümern gibt es aber nicht. Wulffen dagegen gibt es, es steht aber nur im "Wörterbuch der
Jetztzeit". Tz,tz, könnte ich jetzt sagen, die Halbwertzeit dieser Verben ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.
Das wollte ich aber gar nicht sagen. Ich habe schlicht vergessen, was ich sagen wollte. Bin jetzt auf diesen
Eintrag gestoßen und lasse zur Abwechslung mal das Subjekt weg - wie bei wulffen, das Verb gibt es noch, das Subjekt ist weg. Wir haben jetzt ein neues Subjekt. Bei dem Artikel dort fällt mir auf, dass da schon so viel steht, dass ich wohl kaum noch was über das Thema verlieren kann, was noch nicht gesagt wurde. Ich bleibe also bei meiner eigenen Wortkreation von blümern stecken und schenke mir den Rest. Satzglieder werden im Allgemeinen sowieso überwertet. Der folgende Satz kommt deshalb ganz ohne aus:
Hier ist es seit Stunden langweilig. Ich habe heute Morgen wahrscheinlich gleichzeitig mit der Langeweile meinen Dienst aufgenommen und in den wenigen Minuten, die ich hier wirklich beschäftigt war, muss sie rauchen gewesen sein. Die Langeweile will sich das Rauchen höchstwahrscheinlich abgewöhnen, denn sie war nur einmal rauchen. Es dauerte keine 5 Minuten, da saß sie schon wieder an ihrem Platz und nervte mich mit ihrer endlosen Anwesenheit. Mein Kollege neben mir, dem ist auch langweilig. Die Langeweile hat heute nämlich eine Doppelschicht.
Das Schlimmste daran ist aber, dass ich hier nicht weg kann. Wegen eines Buchungsfehlers musste ich heute zum Stundenmeister und der las mir erstmal die Leviten. Ich habe doch tatsächlich noch 47 Minusstunden aufzuholen. Wie wollen Sie das schaffen, fragte er mich und ich begann zu rechnen. Da ich im April nicht mehr hier bin - ich fühle mich von der Langeweile gemobbt und habe den Job geschmissen - muss ich die Stunden alle noch bis Ende der Woche ableisten. Unser Stundenmeister gab mir nach erfolglosem Zusammenrechnen die Möglichkeit, den 1. April auch noch zu kommen, schönen Dank auch.
In ca. 2 Stunden kann ich mich wieder ausstempeln, in der Zwischenzeit werde ich das restliche Internet auslesen oder durch den Raum verlaufende Kabel zählen.
edit (gefühlte 8 Stunden später): Nachdem ich jetzt weiß, warum man Kaffeefiltertüten faltet und wie das überhaupt so richtig geht (Internetauslese), setze ich die 4873. Kaffeekanne auf und lasse, wieder an meinen Platz zurückgekehrt, meine Stoßdämpfer über den Büroboden wippen als wäre der Teppich eine Wüstenrallye. Paris-Dakar.
Wenn das Leben eine Kurve vorgesehen hat, setzt es keinen Blinker. Für alle Beteiligten - und manchmal sogar für scheinbar Unbeteiligte - kommt so etwas immer überraschend.
Als ich heute Morgen meinen Kaffee geleert hatte und das Haus verließ, um das im Hinterhof stehende Rad abzuschließen, geriet ich unfreiwillig in die Kurve eines Lebens. Anklagend laut vernahm ich die Rufe einer Katze, die zwischen einem gekippten Fenster steckte und mich mit Augen ansah, die nur noch aus Pupillen zu bestehen schienen. Die Katze kennt mich vom Sehen. Aber das half nicht, wie verrückt spukte sie plötzlich herum als ahne sie Böses, ich dagegen war noch eher interessiert als panisch. Ich kam nicht an Puma heran - so heißt die Katze, weil sie bis auf die weißen Pfoten von vornehmem Grau gekleidet ist - ich hörte auf näher zu kommen, um ihr Leid zu ersparen.
Nun verhält es sich allerdings so, dass ich einen Wohnungsschlüssel besitze, da ich die Katzen vor nicht allzu langer Zeit einmal mehrere Tage gefüttert hatte. Den Schlüssel hatten wir behalten können, weil Birgit, unsere Nachbarin, bald ausziehen wird und dem Vermieter die dazugehörigen Haustürschlüssel nicht übergeben wollte, da sie diese auf eigene Rechnung angefertigt hatte. Ich habe jedoch keine Telefonnummer von Birgit und sie ist bereits mehr in ihrem neuen Zuhause, eine Stadt nicht unbedingt um die Ecke, als hier. Ihr Sohn kümmert sich sonst um die Katzen.
Ich rannte wieder nach oben, holte den Schlüssel und ging, nachdem ich mehrere Male geklingelt hatte in die Wohnung. Die beiden anderen Katzen warteten bereits auf mich. Auch von drinnen bot sich mir ein jammervolles Bild. Es gab keine Möglichkeit, die Katze zu befreien. Sie steckte auf der grifflosen Fensterseite fest, selbst ein komplettes Öffnen hätte ihr wahrscheinlich nur mehr Schmerzen bereitet. Ich suchte das Telefon und ging das Telefonbuch durch, bei A beginnend. Bei D endlich ein Treffer. Eine verschlafene Stimme rückte die Handynummer meiner Nachbarin heraus. Sie geht ans Telefon beim dritten Klingeln. Ich ging das Alphabet jetzt rückwärts an, aus Sorge wurde Panik. Birgit war völlig aufgelöst, ich bestellte den Notruf.
Kurze Zeit später - ich stand mit dem Telefon im Hausflur und beantwortete die Rückrufe der Leute, die ich zuvor nicht erreicht hatte - kam Birgits Sohn um die Ecke. Bastian heißt er, ich hatte ihn zwar ebenfalls angerufen aber nicht erreicht. Sie schon und er musste gerannt sein. Die Katze kennt ihn besser. Sie behielt die Ruhe und wir befreiten die Katze aus ihrem Gefängnis - ich von drinnen an den Hinterbeinen und er von draußen. Ich bestellte den Notruf wieder ab. Weil ich zufällig gerade über ein Auto verfüge, fuhr ich ihn zum Tierarzt, die Panik ebbte zur Ruhelosigkeit ab und während ich draufloszitterte und das Schnatterinchen machte - also ohne Unterlass erzählte - hatte sich mein Beifahrer nebst Katze schon wieder vollends unter Kontrolle.
Als das Auto leer war und die beiden beim Tierarzt waren, fuhr ich ein kleines Stück, kaufte mir einen Kaffee und versuchte mich irgendwie zu sammeln. Da war sie also, die Kurve. Der schnell geschlagene Haken, der dich auf eingeschlagenen Wegen zurückpfeift, als wärst du ein Bumerang. Ich holte mein Fahrrad nicht mehr vom Hof, ich stellte das Auto ab, ging zur Straßenbahn und fuhr zu meinem Arbeitgeber.