Das Wetter war heute einfach zu schön, als dass der Tag nur zu Hause verbracht werden durfte. Die Vorbereitungen für einen Spaziergang summieren sich neuerdings zu einem ganzen Berg, da wird der Wunsch schon mal Vater des Gedankens:
Es geht los mit dem Stillen. Keine leichte Aufgabe für meine Frau und für mich auch nicht, ich komme mir dabei irgendwie nutzlos vor. Wenn das Stillen dann erledigt ist, kommt das Wickeln dran, schon eher mein Metier. Dann hat Fiete meistens nochmal Hunger und muss danach nochmal gewickelt werden. Wenn das alles geschafft ist, nur noch anziehen, Kinderwagen starklar machen und losgehen. Ich war heute in der ersten Pause noch dabei, in der zweiten Wickelpause war ich nicht dabei. Da versuchte ich den Kinderwagen flott zu kriegen. Als wir dann endlich draußen waren, erzählte mir meine Frau von der zweiten Wickelpause. Es war natürlich ein Krampf, zwei Paar Socken, ein Strampler und eine Jacke. Kurz bevor sie die Jacke überstreifen wollte, klingelt das Telefon in der Küche. Fiete bleibt kurz unbeaufsichtigt auf dem Wickeltisch zurück, während meine Frau das Telefon holt.
"Und als ich zurückkomme, was glaubst du, hat Fiete da gemacht?" fragt sie mich.
"Sich die Jacke angezogen?"
"Nee, vollgekotzt hat er sie."
Herr Fischer heißt mit Vornamen Rainer - oder Reiner. Das weiß ich nicht so genau. Ich sage sowieso immer Herr Fischer zu ihm. Wir duzen uns zwar aber "Herr Fischer" finde ich irgendwie passend.
Früher in der Schule haben wir im Sportunterricht immer "Herr Fischer, Herr Fischer, wie tief ist das Wasser?" gespielt. Der Fischer war natürlich niemand anderes als unser Sportlehrer, der auf der anderen Seite stand und zurückrief: "Das Wasser ist so tief, ihr müsst im Krebsgang rückwärts gehen."
Dann haben sich alle auf den Hintern geworfen - damals ging das noch, ohne befürchten zu müssen, sein Leben ab jetzt dort unten zu verbringen - und sind im Schweinsgalopp, äh Krebsgang rückwärts zur gegenüberliegenden Linie marschiert. Der Herr Fischer, den ich meine, der ruft nichts von der gegenüberliegenden Seite. Dieser Herr Fischer sieht einen nicht einmal. Herr Fischer ist nämlich immer schwer beschäftigt. Am Rumrödeln. Herr Fischer fährt mit dem Fahrrad, dem Roller oder er geht zu Fuß zu Ausstellungen, in Museen oder in eine von seinen 17 Lieblingskneipen. In einer davon haben wir uns kennengelernt. Meine Frau arbeitete dort und Herr Fischer war der kauzigste, um nicht zu sagen anstrengenste Gast, den eine Kneipe nur haben kann. Auf jeden Fall aber ist Herr Fischer der älteste Gast, den ich in dieser Kneipe jemals gesehen habe. In vielen Fällen ist er wahrscheinlich sogar der ältere, wenn am anderen Tisch zwei Gäste säßten und man das Alter der beiden zusammenaddieren würde - oder auch mal drei - vier nicht, denn die dürften gar kein Bier bestellen und für 'ne Kola braucht ja keiner in die Kneipe zu gehen.
Herr Fischer geht also auf die 80 zu, mit kleinen konsequenten Schritten. Außerdem verfügt er über eine gute Portion Humor und ein Gedächtnis, das mir Angst macht. Herr Fischer fragt mich regelmäßig nach meinem Namen aber wenn ich ihn bitte, mir ein Nonsensgedicht vorzutragen, dann fallen ihm auf Anhieb ein paar ein, die er mir ohne zu Stocken von vorne bis hinten vorträgt.
Heute sah ich Herr Fischer auf der gegenüberliegenden Straßenseite sein Fahrrad abschließen. Ich ging rüber und begrüßte ihn herzlich. Ich frage ihn immer wie es ihm so geht. Das findet er doof und verzieht das Gesicht. Er nennt mir dann auch keines seiner Zipperlein, sondern stellt mir lieber eine Gegenfrage. Naja, wir unterhielten uns ein wenig, ich erzählte davon, dass ich Vater geworden sei und Herr Fischer freute sich ein Loch in den Hut. Er war ganz begeistert. Ich sagte ihm, er hieße Fiete. "Wie Fietsche?" "Nee, Fiete", wiederholte ich. "Fiet?" "Nee, F I E T E, das ist die ostfriesische Variante von Friedrich oder Fritz"
"Achso. Ja. Zu Ostfriesland fällt mir nur eins ein:
In Aurich ist es schaurig,
in Leer noch viel mehr.
Und will Gott dich bestrafen,
gehts nach Wilhelmshaven."
Kurz gelacht und dann gings weiter, Herr Fischer hat wenig Zeit, wenn er gerade unterwegs ist.
Zum Anfang des Semesters ist alles neu. Selbst Dinge, die seit Jahren immer gleich sind, erscheinen plötzlich in einem neuem Licht - und das liegt nicht an den teilweise renovierten Räumen. Da sind zum Beispiel die neuen und alten Gesichter. Man kennt sich oder auch nicht, grüßt kurz, nimmt wenn möglich in der Nähe eines Fensters Platz und hofft, die Auswahl des Seminars war richtig. Ich gehe meistens zu den gleichen Dozenten. Das Risiko, etwas zu erwischen, was nicht gefällt, wird geringer und die Chance bekannte Gesichter zu treffen erhöht sich dazu proportional. Schade ist, dass die Geschmäcker nicht so unterschiedlich sind, wie ich mir das manchmal wünschen würde. Auf der anderen Seite wird die Qualität in der Lehre für einen Studenten nicht an den Veröffentlichungen des Dozenten gemessen - ich kenne von den wenigsten Dozenten mehr als zwei Veröffentlichung, die nicht im Rahmen eines Seminars behandelt wurden - sondern an dessen Fähigkeit, dies zu vermitteln. Ein brillianter Kopf taugt nicht unbedingt zum Professor, wird aber nicht selten dazu gemacht. Die guten Wissensvermittler, die Fessler, die Flaneure, die Alleskönner bleiben ein überschaubarer Haufen, in deren Seminaren sich jeder tummelt, der nicht nur auf der Jagd nach einem Leistungspunkt ist, sondern auch ein wenig Wissen vermittelt bekommen, gefesselt werden oder auf Streifzug gehen möchte.
Fest steht, ich gehe auf die Jagd nach der Ästhetik des Schrecklichen, werde mich mit der Frage auseinandersetzen, wer oder was ein Autor ist und ich werde mir ein paar literarische Psychopathographien zu Gemüte führen.
Ja, das ist er, meine Altersvorsorge. Hier war er gerade einmal einen Tag alt und begann schon auszuloten, was die Umgebung für ihn bereithielt. Das gefiel ihm irgendwie nicht so gut, die Augen blieben nicht lange offen.
Das bin ich derzeit. Sprachlos bin ich nicht, auch wenn dazu gerade nicht viel Zeit bleibt.
Die hauptsächlichen Besucher sind abgefrühstückt und mit ersten Eindrücken und Fotos versorgt. Fiete ist aber auch besonders herzig. Zeigte sich bei Besuch immer von der besten Seite und sobald dieser weg war, wurde Ernst gemacht. Die Waschmaschine ist mein neuer Freund. Nicht nur, dass sie die bekleckerten, beschmierten und sonstwie verunreinigten Kleidungsstücke reinigt. Sie sorgt auch für knapp 2 Stunden Entspannung, wenn Fiete im Nachbarraum schläft. Ab morgen wird das Wäschewaschen auf nachts verlagert.
Die Tage werden wieder länger. Mein Tag ist ein Kriechtier. Nicht wirklich erholsam geschlafen, gegen halb 4 aufgestanden und eine Tasche mit Sachen bepackt und dann doch wieder hingelegt. Meiner Frau gehts nicht so gut und ich lag daneben.
Jetzt sitze ich in einem Büro und klimper auf der Tastatur herum. Keine Arbeit weit und breit, die sitzt ein Fenster hinter diesem hier und verhält sich still wie ein Mäuschen. Die Sonne rutscht so langsam an der Fassade herunter. In den kommenden Stunden wird sie das Fenster fluten. Jalousien, solche, wie sie immer in Zahnarztpraxen hängen, die sich vertikal verschieben lassen anstatt horizontal, bewegen sich zur Mitte der Fensterfront und sperren das Licht aus. Ich habe Zahnschmerzen. Zahnfleischschmerzen.
So richtig bin ich nicht draus schlau geworden, aus dem Gelesenen. Das Buch ist durch, keine Geschichten mehr. Stilistisch siedelt das ganze irgendwo zwischen Nonsens-Gedicht und Schelmenroman. Der Zusammenhang ist bis auf die letzten zwei Novelletten in keiner Einzelgeschichte gegeben. Natürlich gibt es wiederkehrende Schemata und auffällig oft Wiederholungen in Redewendungen und Aussagen aber dadurch entsteht keine echte Chronologie. In den letzten beiden Novelletten treten zumindest ähnliche Wesen auf und sie spielen wie eher wenige Geschichten auf der Erde.
Die Protagonisten, also die Außerirdischen - in diesem Erklärungsversuch klingt das Wort wie ein Fremdkörper - sind Wesen von komischer Gestalt. Lange Arme, Kopftrichter - überhaupt sind Gliedmaßen und andere Organe eher Tand, denn einem echten Zweck unterworfen. Genauso verhält es sich mit den Aufgaben, die diese Wesen den ganzen Tag so verrichten. Keine davon ist nützlich, meistens dient sie nur dem besseren Verständnis von Unverständlichem. Überhaupt spielt das Unverständliche eine sehr große Rolle. Alles wird negiert oder relativiert. Weder die Naturgesetze auf den einzelnen Welten noch die dort lebenden Wesen sind in irgend einer Weise an unsere Naturgesetze gebunden. Dafür verfolgen aber fast alle Lebewesen inklusive der Sterne, auf denen sie wohnen, irgendwelche Zwecke aus und egal, was es ist - ist das Ziel erreicht, ist es viel besser als vorher. Dabei wird nicht selten der Zusammenhang aus anfänglichen Sorgen der Bewohner und dem endgültigen Entwicklungsstand vermisst. Was vorher blöd war, ist jetzt einfach nicht mehr wichtig, genannt zu werden.
Wo ich jetzt darüber schreibe, fallen mir ständig neue Sachen ein, die mindestens merkwürdig meistens eher völlig abstrus sind. Ob das das richtige Thema für eine Hausarbeit ist, ich weiß nicht.
So lang bin ich jetzt schon hier und belege einen Teil des scheinbar endlosen Speicherplatzes im Netz mit meinem Blog. Für die vielen Kommentare möchte ich mich einmal bedanken. Ich wünsche allen genügend Zeit und Lust, sich weiterhin hier hier blicken zu lassen und hin und wieder auf sich aufmerksam zu machen. Als Gern- und Vielleser komme ich mittlerweile ganz schön rum im Bloggerdorf und hoffe meine Kommentare sind dort genauso willkommen, wie sie es hier bei mir wären.