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Freitag, 10. Juni 2011

Künstliche Menschen

Die Erscheinung des künstlichen Menschen hat sich im Laufe der Jahrhunderte einem fortwährenden Wandel unterzogen, sie fand Eingang in die unterschiedlichsten Kulturkreise und ist bis heute präsent geblieben. Der Schritt aus dem Reich der Phantasie in die Wirklichkeit ist dabei längst getan, Automaten, Maschinen, Roboter sind Teil unseres Lebens. Doch nicht nur an der Erscheinung selbst vollzog sich dieser Bedeutungswandel, auch der Schöpfer erlag dieser Veränderung. Er wandelte sich vom Künstler, zum Magier und schließlich zum Gelehrten. Das Einzige, was dabei fortwährend Bestand hatte, ist das Verhältnis zueinander. Der Schöpfer erschafft sich einen Diener.

Die Reflektion und Thematisierung von kultureller und wissenschaftlicher Entwicklung innerhalb der Literatur hält bis heute an. Von eminenter Wichtigkeit erscheint diese Entwicklung zur Zeit der Aufklärung, denn das dort geprägte Bild vom Schöpfer und seinem Diener erfährt neben einer allgemeinen Renaissance den Wandel vom magischen zum technischen Verhältnis.

Künstliche Menschen sind jedoch nicht erst seit der Epoche der Aufklärung Gegenstand der Literatur. Eine der ältesten Überlieferungen ist in der griechischen Mythologie zu finden, wonach Prometheus, den ersten Menschen formte und Athene ihm durch einen Schmetterling Leben einhauchte. Ovid beschrieb in den Metamorphosen Pygmalions Liebe zu der durch ihn geschaffenen Elfenbeinstatue, die auf seine Gebete zum Fest der Venus hin lebendig wird und seine Liebe erwidert. Ein anderes Beispiel findet sich bei Polybios. Sein Tyrann Nabis verfügte über eine Maschine, die seiner Frau Apega bis aufs Haar glich. Sie ermöglichte es ihm seine Forderungen gegenüber dem Bürger durchzusetzen, indem sie die Arme um ihn schlang und ihn an sich heranzog. Die Arme und die Brüste waren mit eisernen Nägeln beschlagen und entlockten dem Bürger entweder das von Nabis geforderte Geld oder er starb in ihren Armen. Hier erscheinen gleich drei unterschiedliche Erbauer und mit ihnen auch drei unterschiedliche Geschöpfe. Der Prometheus, der Titan und Göttergleiche, als Schöpfer der Menschheit sollte im eigentlichen Sinne ausgeklammert werden, allerdings ist er der Vorbote einer anmaßenden Menschheit, die das Werk der Schöpfung selbst in die Hand nehmen will. Bei Pygmalion und Nabis stehen hingegen nicht die Anmaßung, sondern vielmehr die Zweckmäßigkeit im Vordergrund. Außerdem sind beide Schöpfer bereits Menschen, der eine ist Künstler, der andere Tyrann.
Im Mittelalter setzt sich die literarische Auseinandersetzung mit dem Stoff weiter fort. Der Türhüter des Albertus Magnus, ein eiserner Kopf, der sogar sprechen konnte, die Golemsage um Rabbi Löw aus Prag und die Sage vom Holzmenschen aus der chinesischen Tripitaka sollen hier als Beispiele für die unterschiedlichen Kulturkreise und ihrer Verarbeitung des Motivs genügen. Zudem sind auch die antiken Inhalte weiter verarbeitet worden.

Beredte Zeugnisse der neuerlichen Weiterentwicklung des Kunstmenschenmotivs gehen auch mit dem Fortschritt der Wissenschaft einher, die Renaissance lieferte dafür einige Beispiele. Als besonders markantes Beispiel sollen hier die Ausführungen Paracelsus zur „Putrefaction“ und „generatio“ in der Schrift „De generatione rerum naturalium“ genannt werden. Er unterscheidet dabei die natürliche Erzeugung „ohne alle Kunst“ und die künstliche „durch alchiam“. Beide Prozesse bedürfen jedoch der „feuchten Wärme“. Aus diesem Prozess kann dann in wohlgefälliger Form – das heißt nicht gotteslästerlich – ein Homunkulus gezüchtet werden, der, sobald er eine gewisse Größe und Alter erlangt, über alle Geheimnisse der Welt verfügt.

Der Sieg des Individuums über die Masse – dies ist durchaus schon eine Errungenschaft der Renaissance, der Künstler zum Beispiel tritt aus seiner Anonymität hervor – bildet abgesehen von der Notwendigkeit seiner Identifizierung in frühkapitalistischer Zeit ein solides Fundament für alle Bereiche der Wissenschaft und treibt im 17. Und 18 Jh. ihre Blüten. Nicht nur die Medizin profitiert davon. Es kommt zur Begründung gänzlich neuer Wissenschaften, die nicht unbedingt neu im eigentlichen Sinne des Wortes sind, aber in ihrer Abgrenzung und Definition etwas Neues darstellen. Die Wiederentdeckung des Menschen in Kultur und Wissenschaft ist die Renaissance der Epoche der Aufklärung. Mit der Frage, was ist der Mensch muss natürlich auch die Frage einhergehen, was ist der Mensch nicht. Der Mensch ist nicht mehr nur stummer Diener sondern vielmehr Schöpfer. Den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und dies auch öffentlich zu machen sind die Maximen des aufgeklärten Menschen. Der Prometheus der Aufklärung, Goethes Prometheus, ist wieder der Vorbote, die Spitze des Eisbergs. Den Stimmen der Mahner und Moralisten entkommt er nicht gänzlich, sie sind in der Literatur des 18. Jh. immer noch in der Überzahl aber der Mensch als Schöpfer ist literarisch nicht mehr aufzuhalten. Schrieben die Jakobs ( Jakob Emden und Jacob Grimm ) noch von einem bösen Ende des Schöpfers der Golems, so ist nicht einmal 50 Jahre später schon ein guter Ausgang der Sage möglich. Lawrence Sterne, der englische Pedant zu Jean Paul, und viel später Raoul Hausmann führen den Homunkulus ins Possierliche. In Goethes Faust dient er nur noch der Ablenkung vom Wunsche Fausts, Helena zu besitzen.

Das schöpferische Element der Aufklärung lebt allerdings nicht nur von einem Zustrom immer neuer Verarbeitungen alter Stoffe, es entstehen auch etliche Neuentwicklungen. Johann Christian Wiegleb fertigt in „Vaucansons Beschreibung eines mechanischen Flötenspielers“ eine literarische Skizze zum Aufbau und der Funktionsweise des künstlichen Musikanten an, den Vaucanson 1737 erbaute und der ein Repertoire von 12 Liedern spielen konnte. Wiegleb war es auch, der dem künstlichen Menschen des Albertus Magnus ( nach der Sage, nicht nur ein eherner sprechender Kopf, wie er vielen Gelehrten des Mittelalters zugeschrieben worden ist, sondern ein komplett künstlicher Mensch ) seine Daseinsberechtigung gegenüber der kirchlichen Meinung, dass solch eine Kreatur teuflisch sein müsse, verteidigt. Aus der Zauberei wird Wissenschaft. Auch Jean Paul nimmt sich des Stoffes an und ersinnt in der aufkommenden Euphorie der Automatenherstellung einen Menschen, der sich für jede erdenkliche Tätigkeit, die ein Mensch durchzuführen hat, ein maschinelles Pendant entwickelt, um sich diesen lästigen Tätigkeiten zu entledigen. Dabei entstehen nicht nur Vorläufer heutzutage nicht mehr wegzudenkender Hilfsmittel wie zum Beispiel die Schreibmaschine, sondern auch Maschinen, die so abwegige Funktionen wie das Kauen von Nahrung vollführen.

Der künstliche Mensch hatte also schon immer seinen festen Platz in der Literatur und fast jede literarische Epoche setzte sich auf ihre Weise mit dem Phänomen auseinander. Neuerliche Entwicklungen in der Wissenschaft – ob nun die Medizin, das neu eröffnete Feld der Psychologie oder die Physik und Chemie – erschlossen der Literatur ein schier unerschöpfliches Arsenal an Ideen, Nuancen und Fokussierungen. Der eigentliche Akt der Schöpfung, die Wahrnehmung durch den Menschen oder auch seine moralische Verteidigung können bei der Verarbeitung des reichhaltigen Angebots nur noch Stichproben liefern. Vollständig erfassbar ist das Phänomen wohl nicht mehr.

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