Gelungene Integration am Beispiel Mauer
Heute soll es einmal um den harten und steinigen Weg der Integration gehen, der Integration von Fremdwörtern. Fremdwörter sind Wörter, die aus anderen Kulturkreisen, mindestens aber aus anderen Sprachen in unseren gemütlichen Sprachschatz eindringen und dort für einigen Wirbel sorgen. Das läuft nicht immer reibungslos ab, ist mühsam und oft nicht erfolgreich.
Diese Integrationsprozesse werden im Übrigen nicht einfach so hingenommen, sie erfahren immer wieder Ablehnung durch bestimmte Gruppen in der Bevölkerung, darauf kommen wir noch zu sprechen. Häufig jedoch überwiegt der Nutzen, den die Integrationswilligen davon haben, und damit meine ich nicht nur das zu integrierende Fremdwort, sondern vor allem diejenigen, dessen Sprachschatz sich durch die Einführung solcher Wörter erweitert, ja bereichert.
Als Beispiel einer gelungenen Integration dient uns heute das Wort Mauer. Im Gegensatz zum Zaun, welches in der heutigen Integrationsdebatte immer mal wieder auftaucht, handelt es sich bei der Mauer nicht um ein Erbwort. Erbwörter sind Wörter, deren Historie weit zurück verfolgbar ist, bis hin zu einer indoeuropäischen Wurzel. Sie gehören zum sogenannten Erbwortschatz unseres lexikalischen Systems, also dem gesamten Wortschatz, auf den wir zurückgreifen.
Man sieht es der Mauer nicht an, das Wort sieht aus wie ein typisches, deutsches Wort, es verfügt weder über besondere Laute, die es bei uns nicht gibt, wie zum Beispiel in Garage. Es trägt eine Endung wie sie viele urdeutsche Wörter besitzen, wie zum Beispiel Trauer oder Dauer. Es dekliniert sich unauffällig, es ist vollständig integriert, könnte man sagen. Aber es ist eben kein Erbwort.
Die Mauer gab es im alten Germanien nicht. Erst die Römer führten diese Bauweise ein, indem sie die aus Stroh und Lehm gebaute Wand durch Gestein ersetzten. Die Germanen schauten sich das ab, und weil sie keinen eigenen Begriff dafür hatten, übernahmen sie nicht nur die äußerst stabile Bauweise, sondern auch gleich noch das Wort dafür. Murus heißt es im Lateinischen und daraus wird mura im Althochdeutschen (Längenzeichen und Betonungen habe ich zur besseren Lesbarkeit weggelassen).
Doch wieso nahmen die Germanen nicht das Wort Wand, um damit auszudrücken, was sie meinen? Schließlich geschieht dies heute durchaus, insbesondere für Teile eines Hauses. Weil die Wand ursprünglich von Winden kommt und mit dem Gewundenen, Geflochtenem einer Wand hat die Mauer nun wirklich nichts gemein. Heute wissen das nur noch wenige und plötzlich ist Wand ein durchaus gängiges Synonym für Mauer. Dem alten Germanen wäre dies wahrscheinlich nicht in den Sinn gekommen.
Die alten Germanen hätten sich allerdings auch sehr gewundert, was aus ihrer Sprache heute geworden ist. Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich ja von Haus aus eher mit dem Weg zurück, weshalb es nicht schwer gefallen ist, den Begriff Mauer mit dem latein. murus, dem ahd. mura, dem mittelhochdeutschen mure bzw. muer zu der heutigen Mauer zurückzuverfolgen. Die Veränderungen, die das ahd. mura dabei auf sich genommen hat, sind auf Integrationsbemühungen zurückzuführen, die auf den ersten Blick nicht von ihm selbst ausgingen, sondern von seiner neuen Umgebung der ahd. Sprache von ihm abverlangt wurde. Es hat sie aber mitgemacht.
Bei der Mauer war das ein Sprachwandel von großer Anstrengung, den nicht nur das Fremdwort mura durchmachen musste, sondern dem auch alle anderen Wörter des Althochdeutschen unterlagen. Da schwächt sich der unbetonte Schlussvokal von a zu e ab, das Geschlecht wird weiblich, dann kommt noch eine Lautverschiebung, Diphthongierung, die Flexion wird der von Erbwörtern wie Trauer angepasst, erste Ableitungen wie mauern entstehen, neue Bedeutungen werden hinzugefügt, das Substantiv Mauer wird groß geschrieben und, und, und. Wie ein altes Schifferklavier wurde das Wort zusammengepresst und auseinander gezogen, bis es zu dem wurde, was wir heute kennen und dem wir nicht mehr ansehen, woher es einmal kam.
lat. murus > ahd. mura > mhd. mure > mhd. mur > fnhd. muer > heute Mauer
Dieser Prozess hat mehr als tausend Jahre gedauert. Das geht nicht von jetzt auf gleich. Das klappt nicht immer und oft gibt es Widerstände, Sprachpuristen zum Beispiel. Ihnen muss man aufmerksam zuhören, denn nicht alles, was sie an Einwänden vorbringen, ist als dumm oder reaktionär abzutun. Manches erschließt sich erst viel später, manches ist sogar sinnvoll, schöpft aus dem Vollen der vielen Möglichkeiten, die unsere Sprache ohnehin bietet.
Man denke dabei nur einmal an den Sprachpuristen Joachim Heinrich Campe und seinem Wörterbuch von 1801 und 1813. Das Kompositum Festland für das Fremdwort Kontinent ist heute unhinterfragter Bestandteil des deutschen Wortschatzes. Anderes hat sich nicht durchgesetzt, wie zum Beispiel Urgemenge für Chaos. Und über manches, was einst nicht in die Zeit gepasst hat, lohnt es sich heute noch einmal nachzudenken, wie zum Beispiel den damaligen Versuch den Soldaten durch Menschenschlächter zu ersetzen. Nicht weil der Begriff jetzt besser passen könnte als einst, sondern einfach aus einer pazifistischen, grundsätzlich zivilisierteren Grundhaltung heraus, der wir uns ja immer wieder gegenseitig versichern, deren Fortschritt wir uns gerne auf die Fahnen schreiben, der uns von den „Wilden“ unterscheidet.
Heute ist aus dem Fremdwort Mauer längst ein Lehnwort geworden, das heißt, es ist dem Kern unseres lexikalischen Systems, dem Erbwortschatz, erheblich näher gekommen. Der Unterscheidung zwischen Lehnwortschatz und Erbwortschatz ist häufig nur noch mit Hilfe der Etymologie auf die Schliche zu kommen. Das ist aber keineswegs bedauerlich.
Diese Integrationsprozesse werden im Übrigen nicht einfach so hingenommen, sie erfahren immer wieder Ablehnung durch bestimmte Gruppen in der Bevölkerung, darauf kommen wir noch zu sprechen. Häufig jedoch überwiegt der Nutzen, den die Integrationswilligen davon haben, und damit meine ich nicht nur das zu integrierende Fremdwort, sondern vor allem diejenigen, dessen Sprachschatz sich durch die Einführung solcher Wörter erweitert, ja bereichert.
Als Beispiel einer gelungenen Integration dient uns heute das Wort Mauer. Im Gegensatz zum Zaun, welches in der heutigen Integrationsdebatte immer mal wieder auftaucht, handelt es sich bei der Mauer nicht um ein Erbwort. Erbwörter sind Wörter, deren Historie weit zurück verfolgbar ist, bis hin zu einer indoeuropäischen Wurzel. Sie gehören zum sogenannten Erbwortschatz unseres lexikalischen Systems, also dem gesamten Wortschatz, auf den wir zurückgreifen.
Man sieht es der Mauer nicht an, das Wort sieht aus wie ein typisches, deutsches Wort, es verfügt weder über besondere Laute, die es bei uns nicht gibt, wie zum Beispiel in Garage. Es trägt eine Endung wie sie viele urdeutsche Wörter besitzen, wie zum Beispiel Trauer oder Dauer. Es dekliniert sich unauffällig, es ist vollständig integriert, könnte man sagen. Aber es ist eben kein Erbwort.
Die Mauer gab es im alten Germanien nicht. Erst die Römer führten diese Bauweise ein, indem sie die aus Stroh und Lehm gebaute Wand durch Gestein ersetzten. Die Germanen schauten sich das ab, und weil sie keinen eigenen Begriff dafür hatten, übernahmen sie nicht nur die äußerst stabile Bauweise, sondern auch gleich noch das Wort dafür. Murus heißt es im Lateinischen und daraus wird mura im Althochdeutschen (Längenzeichen und Betonungen habe ich zur besseren Lesbarkeit weggelassen).
Doch wieso nahmen die Germanen nicht das Wort Wand, um damit auszudrücken, was sie meinen? Schließlich geschieht dies heute durchaus, insbesondere für Teile eines Hauses. Weil die Wand ursprünglich von Winden kommt und mit dem Gewundenen, Geflochtenem einer Wand hat die Mauer nun wirklich nichts gemein. Heute wissen das nur noch wenige und plötzlich ist Wand ein durchaus gängiges Synonym für Mauer. Dem alten Germanen wäre dies wahrscheinlich nicht in den Sinn gekommen.
Die alten Germanen hätten sich allerdings auch sehr gewundert, was aus ihrer Sprache heute geworden ist. Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich ja von Haus aus eher mit dem Weg zurück, weshalb es nicht schwer gefallen ist, den Begriff Mauer mit dem latein. murus, dem ahd. mura, dem mittelhochdeutschen mure bzw. muer zu der heutigen Mauer zurückzuverfolgen. Die Veränderungen, die das ahd. mura dabei auf sich genommen hat, sind auf Integrationsbemühungen zurückzuführen, die auf den ersten Blick nicht von ihm selbst ausgingen, sondern von seiner neuen Umgebung der ahd. Sprache von ihm abverlangt wurde. Es hat sie aber mitgemacht.
Bei der Mauer war das ein Sprachwandel von großer Anstrengung, den nicht nur das Fremdwort mura durchmachen musste, sondern dem auch alle anderen Wörter des Althochdeutschen unterlagen. Da schwächt sich der unbetonte Schlussvokal von a zu e ab, das Geschlecht wird weiblich, dann kommt noch eine Lautverschiebung, Diphthongierung, die Flexion wird der von Erbwörtern wie Trauer angepasst, erste Ableitungen wie mauern entstehen, neue Bedeutungen werden hinzugefügt, das Substantiv Mauer wird groß geschrieben und, und, und. Wie ein altes Schifferklavier wurde das Wort zusammengepresst und auseinander gezogen, bis es zu dem wurde, was wir heute kennen und dem wir nicht mehr ansehen, woher es einmal kam.
lat. murus > ahd. mura > mhd. mure > mhd. mur > fnhd. muer > heute Mauer
Dieser Prozess hat mehr als tausend Jahre gedauert. Das geht nicht von jetzt auf gleich. Das klappt nicht immer und oft gibt es Widerstände, Sprachpuristen zum Beispiel. Ihnen muss man aufmerksam zuhören, denn nicht alles, was sie an Einwänden vorbringen, ist als dumm oder reaktionär abzutun. Manches erschließt sich erst viel später, manches ist sogar sinnvoll, schöpft aus dem Vollen der vielen Möglichkeiten, die unsere Sprache ohnehin bietet.
Man denke dabei nur einmal an den Sprachpuristen Joachim Heinrich Campe und seinem Wörterbuch von 1801 und 1813. Das Kompositum Festland für das Fremdwort Kontinent ist heute unhinterfragter Bestandteil des deutschen Wortschatzes. Anderes hat sich nicht durchgesetzt, wie zum Beispiel Urgemenge für Chaos. Und über manches, was einst nicht in die Zeit gepasst hat, lohnt es sich heute noch einmal nachzudenken, wie zum Beispiel den damaligen Versuch den Soldaten durch Menschenschlächter zu ersetzen. Nicht weil der Begriff jetzt besser passen könnte als einst, sondern einfach aus einer pazifistischen, grundsätzlich zivilisierteren Grundhaltung heraus, der wir uns ja immer wieder gegenseitig versichern, deren Fortschritt wir uns gerne auf die Fahnen schreiben, der uns von den „Wilden“ unterscheidet.
Heute ist aus dem Fremdwort Mauer längst ein Lehnwort geworden, das heißt, es ist dem Kern unseres lexikalischen Systems, dem Erbwortschatz, erheblich näher gekommen. Der Unterscheidung zwischen Lehnwortschatz und Erbwortschatz ist häufig nur noch mit Hilfe der Etymologie auf die Schliche zu kommen. Das ist aber keineswegs bedauerlich.
Shhhhh - 28. Jan, 13:03
Ob es sich beim Wort "Dauer" nicht auch um ein Lehnwort handelt? Von lat. durare - dauern? Würde ich vermuten.
"bedauern" allerdings dürfte dann doch ein 'echtes' (ur)deutsches Wort sein. (Kann das aber leider nicht nachprüfen.)
edit: Danke übrigens für die "penible" Lektüre. Der Hintersinn war anfangs viel offensichtlicher konzipiert, habe mich allerdings, je länger der Text dauerte, dagegen entschieden.