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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Abgenickt oder mein erster und letzter Besuch

Ich sitze gerade in einer Kneipe und mich beschleicht das Gefühl, dass mein kurz zuvor eingetroffener Nebenmann gleich ein Gespräch mit mir beginnen wird. Ich lese gerade in einem furchtbar absurden Roman. Mein Nebenmann ist höflich und ich ebenfalls. Ich gebe ihm mehrere Gelegenheiten mich anzusprechen, weil ich ständig von meiner Lektüre aufschauen muss, um mir das Gelesene noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Oben auf dem Bildschirm läuft gerade ein Potpourri der 80er, eine Videocollage aus themenbezogenen Schnipseln des letzten großen Jahrzehnts des letzten Jahrtausends, mal ein Haufen Kollisionen, dann Explosionen, dann Filmküsse usw. Ich bin abgelenkt, bemerke aber immerhin, dass mein Nebenmann noch keinen wirklichen Einstieg gefunden hat. Er ruft deshalb erst einmal den Wirt heran. Der sieht aus wie die Schildkröte bei Dittsche, also von der Statur her. Er ist Russe und hat, wie ich eben erfuhr, seit vorgestern seinen deutschen Pass. Unser Barmann kommt also rüber und mein Nebenmann bestellt eine Fritz Kola. Ich musste an den Kiezneurotiker denken. Als Gentrifizierungsgegner ist ihm der Fritz-Kola-Trinker zur persona non grata geraten. Ich höre einigermaßen auf und beobachte noch unbeteiligt aussehend das nun folgende Gespräch.

Mein Nebenmann bestellt also diese Kola und der Barmann sagt, er hätte sie nicht da. Er hat sie gar nicht im Sortiment. Er schlägt ihm aber daraufhin nicht vor, auf ein anderes Kolaprodukt auszuweichen, denn er besitzt durchaus eine auf der Karte, nein, er schlägt seinem Gast vor, stattdessen doch eine Fritz Melone zu trinken. Das macht er so geschickt, dass selbst ich als jahrelang geschulter Verkäufer von Großmöbeln nur staunend aufblicken kann. Er sagt nämlich dazu, die hat er im Keller, er geht jetzt sofort los und holt ihm eine davon hoch. Noch bevor sich mein Nebenmann überhaupt äußern kann – was mich natürlich überhaupt nicht wundert, denn ich weiß ja bereits, dass er nicht zu schnellen Entscheidungen neigt – ist der Barmann bereits auf dem Weg in den Keller, um wenig später mit einer Kiste voller Melonenbrause wiederzukommen, von der er eine sofort öffnet und sie vor meinem Nebenmann auf den Tresen stellt. Garantiert war das irgendein Restposten oder Werbegeschenk, was da sonst im Keller noch grüner geworden wäre.

Jedenfalls, mein Nebenmann schlürft jetzt grüne Melonenbrause aus einem schwarzen Strohhalm und hat endlich was gefunden, womit er mich ansprechen kann. Er nuschelt, so dass ich ihn kaum richtig verstehe, etwas von grünem Bier. Ich frage nach, er wiederholt. Er meint, mein Bier hätte ja auch einen leichten Grünstich. Ich sage ihm, das könnte am Logo auf dem Glas liegen, er bestreitet das und behauptet, es läge an der Farbe. Ich sage klar, an der Farbe von dem Logo, das da durchschimmert. Er nickt und fragt den Barmann. Ich drehe mich links weg und versuche einen ähnlichen Blickwinkel einzunehmen wie er. Aber das Bier wird nicht grüner. Ich sage, vielleicht ein ganz kleines bisschen. Der Barmann sagt, vielleicht wegen des Logos auf dem Glas. Er nickt meinem Nebenmann kurz zu. Da hatte ich also mein Gespräch.

Der Barmann kehrt an seinen Platz zurück, nicht ohne mir vorher einen vielsagenden Blick hinüberzuwerfen; zumindest bilde ich mir das ein. Dort an seinem Platz sitzt ihm ein Typ gegenüber, der, so habe ich aus dem Gespräch der beiden erfahren, ein wenig jünger ist als ich, lange Haare hat und wahrscheinlich Stammgast ist. Sie tauschen diverse Dinge miteinander aus, meist geht es um Musik. Dann kommt die Frau des Barmanns herein und schreibt mit einem Stift auf die Glastür zum Raucherraum: „Heute hier ist Geschlossene Gesellschaft“. Nach einigem Hin und Her äußere ich mich und erinnere an die Verbzweitstellung im Deutschen, und daran, dass entweder das Lokale oder das Temporale vor dem Verb stehen kann aber auf keinen Fall beides.

Der Barmann bringt mir ein neues Bier, weil ich eins bestellt hatte und fragt, ob ich mich damit auskenne. Ich sage, ja, ich studiere das. Der Barmann nickt mir kurz zu und kehrt an seinen Platz zurück. Die drei, also seine Frau, der Langhaarige und er, unterhalten sich plötzlich alle auf Russisch und sehen in unsere Richtung, also in meine und die meines Nebenmannes. Mein Nebenmann hat übrigens sofort einen Anlass gefunden und erkundigt sich bei mir nach dem Sitz unseres Instituts und ob die deutsche Sprache denn nun den Bach runterginge oder besser würde. Ich verneine das und verliere mich in Details, die ihn genauso wenig interessieren wie mich. Mein Buch habe ich demonstrativ zugeschlagen. Er stellt noch ein paar Fragen, ich antworte, bis ihm plötzlich nichts mehr einfällt und mein Bier alle ist, schon wieder. Ich beschließe zu gehen, weil mir die Situation langsam unheimlich wird. Ich komme mir schon fast vor wie ein Nebenmann und rede plötzlich auch so. Der Barmann sieht mein leeres Glas und schaut mich fragend an. Ich schüttele meinen Kopf und bin gerade in Begriff mein Buch im Rucksack zu verstauen, als ich mich rufen höre, ach, doch, eins nehme ich noch.

Der Barmann zapft schnell, stellt den Humpen vor mich hin und erläutert mir kurz wie erfreut er sei, mich doch noch auf ein Bier zu überreden. Ich sage ihm, wie Recht er doch hat und denke dabei an seine filmreife Darbietung mit der Melonenbrause meines Nebenmannes. Das irritiert ihn, weil er ja nicht weiß, was ich denke, und dann nickt er wieder. Jetzt bin ich der Nebenmann, auch deshalb weil mein Nebenmann rausgeht, um eine zu rauchen, denn der Raucherraum heute hier ist ja geschlossen. Eine Gruppe von Leuten kommt rein und peilt grob den Eingang zum Raucherraum an. Vor dem Monitor bleiben sie stehen und schauen sich Steve Mc Queen an, wie er in „Bullit“ in einem Ford Mustang die wohl längste Verfolgungsjagd der Filmgeschichte fährt. Ich weiß das und sage das auch noch laut. Die jungen Leute schauen sich um und nicken und gehen weg.

Ich lasse mich dazu hinreißen, auf das akzentfreie Deutsch des Langhaarigen zu verweisen, woraufhin mir der Barmann erklärt, der wäre schon seit Jahrzehnten hier in Deutschland. Der Langhaarige spricht nicht zu mir, nickt nur. Um weiter im Geschäft zu bleiben, frage ich, ob er, der Barmann, nicht das Wort „Kwass“ kenne. Ja, kennt er. Das sei ein Getränk, das gab es in gelben Wagen, die mittlerweile verboten worden sind, wegen der Hygienebestimmungen. Kein Kwass mehr, frage ich noch einmal nach. Er nickt nur, als ich noch einmal nachhake und ihm von dem Umstand erzähle, dass früher auf eine Leninstatue zwei Kwasswagen gekommen wären. Das hätte mir jemand berichtet, der 5000 Kilometer durch die Sowjetunion zurückgelegt hätte. Und, um das noch zu toppen, berichte ich auch noch von dem Verhältnis von Stalinstatuen zu Kwasswagen in Georgien, das bei 1:1 lag.

Er nickt schnell und heftig und lächelt und will nur noch zurück in seine Ecke. Ich habe ihn angezählt, dann setze ich nach und frage eine Frage. Nämlich ob Kwass mit Alkohol sei. Sein Blick geht fragend an die beiden anderen und sie schütteln den Kopf, nein sagt er. Er taumelt jetzt und rettet sich ans andere Ende des Rings, weil die jungen Leute endlich was bestellen wollen. Mein Nebenmann kommt gerade wieder herein, als ich meine Biere bezahlt habe und schleunigst verschwinden will. Mein Nebenmann ordert eine zweite grüne Flasche und atmet einen dieser ganz tiefen Lungenzüge, die man braucht, um richtig loszulegen. Ich trollte mich, das Terrain war verbrannt.
nömix - 1. Jul, 07:37

Großes Kino, Kompliment.

Shhhhh - 1. Jul, 11:58

Grazie.
bonanzaMARGOT - 3. Jul, 13:30

achje. am ende wirst du in deiner erzählung etwas ballaballa, aber das mag am grünen bier liegen. jedenfalls gern gelesen.

Shhhhh - 3. Jul, 17:59

Danke, Bonanza. Das war Absicht.
bonanzaMARGOT - 3. Jul, 18:51

Weniger prätentiös wäre besser gewesen.
Shhhhh - 4. Jul, 08:57

Das ware auch Absicht.
Lo - 4. Jul, 14:51

Ich staune über Menschen, die sich, während die Welt um sie herum lebt und brodelt , in ein Buch vertiefen können.
In einer Kneipe mit Gästen plus Filmberieselung wäre es mir unmöglich, auch nur einer Seite eines Buches konzentriert zu folgen.

Shhhhh - 4. Jul, 15:18

Über solche Leute würde ich auch staunen, wenn sie mir begegneten;)

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Zuletzt aktualisiert: 24. Jan, 07:13

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