Immer wieder fällt mir auf, dass es urplötzlich zu Neuerungen in der Wissenschaft kam, die sich auf das Prinzip der Drei herunterbrechen lassen. Das ist natürlich Nonsens, weil es wahrscheinlich genauso viele Konzepte, Theorien oder Methoden gibt, die mehr oder weniger Möglichkeiten beinhalten. Trotzdem fiel mir das auf. In meinem subjektiven Empfinden war ich sogar bereit, den Großteil dessen, was sich mit der Drei in Verbindung bringen lässt, auf die Zeit während und nach der Aufklärung zu beschränken und im wesentlichen sogar auf die Geisteswissenschaften.
Ist natürlich alles Quatsch wie sich sehr leicht beweisen ließe:
Die 3
Keplerschen Gesetze (viel zu früh, um ins Schema zu passen und außerdem Physik)
Die 3
Hauptsätze der Thermodynamik (passt zeitlich, aber leider auch Physik)
Die 3
Schlussweisen nach Peirce best. aus Induktion, Deduktion und Abduktion (passt fast, Peirce war ja u.a.a. Mathematiker)
Hegels Dialektik aus These, Antithese und Synthese (passt eigentlich)
Aber genau das Unwahrscheinliche, das Zutreffen meiner subjektiven Beobachtung, wäre für mich interessant. Daher bitte ich Sie, mir doch vielleicht noch ein paar Beispiele zu nennen, deren Prinzip sich auf die Dreierregel stützt, ob nun vor, während oder nach der Aufklärung, ob nun Physik, Mathematik oder Philosophie finde ich erstmal gar nicht so wichtig, Hauptsache die Drei ist dabei!
Am Samstag war vor der Feier noch Theater angesagt. Ich kam bereits müde zur Arbeit und der Aufbau des Stückes belebte mich nur zeitweise. 8 nummerierte Stühle, 6 Gehstöcke und ein in Sonntagsschönschrift fabrizierter Schriftzug nebst Alpenveilchen. Die Schrift gefiel erst mir nicht und später war es egal, weil das missratende Teil sowieso ausgetauscht wurde. Die Blume gefiel mir auch nicht, also neu gezeichnet. Dann doch nicht, lieber noch ein bisschen Schrift, „so hoch und runter in Wellen, bis da“. Achso und lauter Zettel wurden da und dort an Wände Instrumente, Bänke usw. geklebt.
Ich schaute mir das Stück nicht an, ich haderte mit mir, befürchtete aber, ich könnte danach zu müde für irgendwas sein. Als ich mich unten bei den Requisiten einfand, wuselten die beiden Damen, verantwortlich für die Hauptbühne, gerade aus dem Büro. Ich erinnerte mich, eine Lautsprecherbox tönte vom 3. Zeichen.
Es dauerte nicht lange, da kamen die beiden wieder. Dann gab es kurz was zu essen und schon tönte der Lautsprecher erneut: „Requisite, Techniker und Schnürmeister für Bild 10! Requisite, Techniker und Schnürmeister für Bild 10!“ Es war ein einziges Auf und Nieder. Ich saß dabei und hatte nichts zu tun. Mich sollte es erst wieder geben, wenn mein Stück auf der Bühne oben ausgespielt hätte. Bis dahin döste ich im Büro herum.
„Schnürmeister und Technik für Fluggeschirr, bitte! Techniker und Schnürmeister für Fluggeschirr!“
„Maskenbildner für Frau …, bitte! Maskenbildner für Frau…!“
„Requisite und Technik für Umbau, bitte! Requisite und Technik für Umbau!“
„Requisite, Schnürmeister und Technik für Bild 12, bitte! Requisite, Schnürmeister und Technik für Bild 12!“
„Kaffee für die Requisite, bitte! Kaffee für die Requisite!“, hörte ich als letztes, dann musste ich dringend in die Kantine!
Als ich neulich in die Bibliothek ging – ja so etwas Antiquiertes gibt es noch – und ein Buch bestellen musste, hatte ich aufgrund der einstündigen Wartezeit genügend Freiraum, um mich allen Zeitungen zu widmen, die dort herumlagen. Ich hätte natürlich auch bequem von zu Hause aus vorbestellen können, und meine Wartezeit hätte sich auf Null reduziert, ich wäre einfach erst später hingefahren. Aber so leicht ist das manchmal nicht, denn mein Mitgliedsausweis läuft regelmäßig aus. Nach gefühlt einem Monat – zumindest die Ahnengalerie früherer Bibliothekare, am Anfang steht ja der große Leibniz, ist seit meinem letzten Besuch um kein Porträt reicher geworden – laufen alle meine Bescheinigungen aus, die es mir erlauben, meinen Status als Student zu nutzen und ich muss von neuem dahin radeln und mein Abo verlängern.
Da ich nicht wusste, ob ich das Buch kopieren darf – das ist für Bücher über 80 Jahre meist nicht möglich – hatte ich einen Fotoapparat dabei. Den brauchte ich später gar nicht, denn es gab einen luftigen Scanner, auf dem ich meine erforderlichen Seiten einfach aufblätterte und mithilfe des kundigen Personals die großen Tasten und Funktionen des Geräts erkundete. Ob ich das denn mit so einem alten Buch machen durfte, habe ich gar nicht erst gefragt, sondern mich sofort vom Fachpersonal einweisen lassen – der gelbe Zettel, auf dem das Kopierverbot abgedruckt war, hatte ich natürlich zufällig in eine Position innerhalb des Buches verschoben, dass man ihn kaum erkennen konnte.
Vorher warteten allerdings noch die Feuilletons von FAZ, Welt, SZ und Frankfurter Rundschau. Bereits bei der ersten Zeitung geriet ich jedoch arg ins Stocken. Den Feuilleton in der Hand haltend, legte ich den Rest des Blattes zu meiner Rechten auf das Sofa und erblickte, ja was erblickte ich wohl? Diesen kleinen Scherz am Rande. Was das wohl zu bedeuten hatte? Wie konnte ich das verstehen?
Über diese Frage hätte ich beinah das Foto vergessen.
Meine Damen und Herren,
die Losigkeit gibt es doch! Diese neueste Erkenntnis in der Erforschung der deutschen Sprache begründet sich auf zwei Phänomene, die ich nach langem Studium endlich in Einklang gebracht habe.
Das erste Phänomen ergibt sich bereits aus dem Wort selbst. Die Losigkeit, wir kennen sie alle, beschreibt einen Zustand oder eine Eigenschaft, die entweder abhandengekommen oder nicht vorhanden ist. Das zweite Phänomen ist da schon verzwickter, denn ohne einen Verweis auf das Vorhandensein desselben kommt die Losigkeit gar nicht aus. Niemals könnte jemand davon sprechen, dass dieser Text eine offensichtliche Geschmacklosigkeit darstellt, wenn nicht irgendjemand vorher dagewesen wäre, der den Geschmack definiert hätte. Trotzdem bezeichnet die Losigkeit genau den Zustand des offensichtlichen Mangels, in unserem Fall das Fehlen des Geschmacks. Wenn es also an Geschmack mangelt, er demzufolge eigentlich gar nicht vorhanden ist, muss er, um in der Sprache seinen Ausdruck zu finden, hinzugefügt werden und ist dann, obwohl er gar nicht da ist, trotzdem da. Ist das nicht erstaunlich?
Nach gefühlten vier Monaten Durchfall des Kindes lässt der Stuhlgang immer noch zu wünschen übrig, deshalb gibt es jetzt eine Stuhlprobe an ein Institut. Das ist nichts, was jemand unbedingt wissen müsste und ich erwähne das nur, um anzuzeigen, dass ich:
1. noch lebe.
Eigentlich hatte ich bis eben noch mindestens 4 andere Gründe, die mir aber just in diesem Moment entfallen sind. Vielleicht könnte sich der Herr
Lo ja einmal intensiv mit den drei Worten "Stuhlgang", "Durchfall" und "Stuhlprobe" befassen, die kommen mir jedenfalls sehr merkwürdig vor.
Achja ( kein Name, sondern eine Zusammenziehung, das erkläre ich ein andern Mal ), und neulich las ich, dass die Deutschsprachigen sogar im Schimpfen einen "Sonderweg" einschlagen und statt mit Genitalien lieber mit Fäkalien beschimpfen. Warum das so ist, was ich doch arg bezweifeln möchte ( Wie hat er das denn empirisch nachgewiesen? Etwa gefragt, per Fragebogen, per Inserat? Oder hat der Autor sich einfach so lange vor die Ausfahrt einer Garage gestellt, bis ihn der Fahrer lauthals beschimpfend auf sein unmögliches Verhalten hin aufmerksam gemacht hat? ), hat er übrigens nicht herausgefunden.
Seit ein paar Tagen begegnet mir auf dem Weg nach Hause immer dieselbe alte Dame. Morgens gegen 8:00 Uhr verlasse ich mit meinem Sohn das Haus, er sitzt im Kinderwagen und erklärt mir, was er so alles sieht, und wenn wir dann die Kita erreicht haben, steigt er aus, er klingelt an der Eingangstür und wird dann von mir verabschiedet. Auf dem Rückweg – es kommt darauf an, wie zeitig vorher alles abgelaufen ist – treffe ich sie. Sie trägt eine grauhaarige, struppige Dauerwelle, ihr Gesicht ist von kleinen roten Äderchen gezeichnet und darin liegen, weit hinten, zwei klitzekleine, spitze, wache Augen. Ein dicker beigefarbener Mantel reicht ihr bis über die Beine, die nicht mehr stark genug sind, sie von allein zu halten, sie schiebt eine Gehhilfe vor sich her und unablässig schüttelt sie ihren Kopf.
Manchmal, wenn ich sehr spät aus der Kita komme, sehen wir uns vorn an der Limmerstraße, dort wo der Edeka bereits seine Tore geöffnet hat. Am Anfang dachte ich, sie wohnt in dem Altenheim, das direkt über dem Geschäft liegt. Aber wenn ich sehr früh aus der Kita komme, dann begegnen wir uns bereits an der Grundschule am Pfarrlandplatz, dort wo zu dieser Zeit gerade die letzten Eltern ihre kleinen Wunder in die Schule bringen. Dann wackelt sie resolut mit ihrem Gefährt durch die schmalen Gassen der parkenden Autos, umschifft Pfützen, schwatzende Eltern und Seitenspiegel. Aber es ist egal, wo wir uns treffen. Immer grüßt sie mich freundlich, als ob wir uns seit Jahren kennen.
Natürlich kenne ich sie. Ich kannte sie schon immer. Ob sie nun Frau Lampe hieß und die Mutter des mittlerweile selbst in die Jahre gekommenen Nachbarn meiner Eltern war und dort oben in der zweiten Etage des Reihenhauses mit Minka, ihrer Katze, lebte. Oder ob es Frau Kober war, die gegenüber von unserem Garten ihren Garten hatte, in dem ein herrlich großer Aprikosenbaum steht. Oder die alte Frau Obenauf, die so kurz nach der Wende als fast einzige in der Straße ein Telefon besaß, von dem aus ich einmal den Notarzt rufen musste. Oder die Eltern von Nachbarskindern, mit denen ich spielte. Immer grüßten sie. Bis ich irgendwann zuerst grüßte. Bis ich alt genug war, diesem Ritual etwas abzugewinnen und für mich beschloss, dass es ein Privileg der Jugend ist, zuerst grüßen zu dürfen. Nie wäre mir der Gedanke gekommen, grüßen zu müssen. Ich handelte und handele in dieser Sache immer als freier Mensch, der sich aussucht, wen er grüßt und wen nicht, und der eben immer zuerst grüßt, weil er jünger und schneller ist.
In unserer Straße wohnte auch eine Familie, die eine Tochter hatte. Ich kann mich nicht mehr an den Familiennamen erinnern aber in der Auffahrt stand später immer ein großer beigefarbener Opel Vectra. Ein Birnbaum musste diesem Gefährt weichen. Steffi war ein Jahr älter als ich. Einmal klingelten wir, die Kinder vom Dahlienweg, bei ihr, um sie zum Spielen in unserer Straße abzuholen. Sie durfte aber nicht raus. Seitdem habe ich ihren Vater nicht mehr gegrüßt. Immer wenn er an mir vorüber ging, was allerdings auch selten genug vorkam, weil dieser Bereich der Straße abseits unseres kleinen Zentrums lag, schaute ich ihn kurz an und ging dann grußlos an ihm vorbei. Das war meine Strafe für ihn, weil Steffi an diesem Tag nicht mit uns spielen durfte.
Als ich längst nicht mehr in Magdeburg wohnte, traf ich ihn irgendwann erneut und machte meinen Frieden mit ihm. Ich grüßte ihn wieder. Er wird das nicht verstanden haben, damals wie heute, er wird sich daran wahrscheinlich gar nicht erinnern. Wie er mich leicht konsterniert angesehen hatte, als sich unsere Wege grußlos kreuzten. Es ist auch das einzige Mal, an das ich mich erinnern kann, wo ich - heute würde ich sagen, aus einer Laune heraus – mir, der Entscheidung zu grüßen, absolut sicher war und trotzdem nicht gegrüßt hatte. Die Illusion, mit dem Gruß frei gewesen zu sein, hält sich noch immer.
In meinem jetzigen Wohnhaus leben außer unserem Jungen noch zwei weitere Kinder, die ich ebenfalls grüße, zuerst versteht sich. Sie schauen ähnlich konsterniert, wenn ich Hallo sage, wie der Vater damals, aber sie grüßen mich immer regelmäßiger zurück. Neulich haben sie sogar zuerst gegrüßt, als wir uns auf der Straße begegneten. Da war ich der Verwirrte, weil ich die beiden Kiddies gar nicht auf dem Schirm hatte, meine Gedanken waren woanders. Und als mich die alte Dame zum ersten Mal gegrüßt hatte, war ich in einer ähnlichen Stimmung. Ich war so perplex, dass ich darüber beinah nichts erwidert hätte. Ob sie das wahrgenommen hatte, weiß ich nicht, ich holte das schnell nach und grüßte hastig und leise in ihren Rücken. Ertappt hatten sie mich. Sie, die Kinder aus der Nachbarschaft und auch die alte Dame auf ihrer allmorgendlichen Mission.
Heute sah ich die Alte bereits von weitem. Unsere Wege sollten sich an besagter Grundschule kreuzen und sobald sie in Hörweite an mich heran gerollt war, hob ich zum Gruße an. Einen Guten Morgen wünschte ich ihr und war irgendwie stolz darauf. Sie grüßte natürlich zurück, verzog aber sonst keine Miene. Kein noch so kleiner Anflug von Ironie umspielte ihre Lippen, kein Aufblitzen in ihren kleinen schwarzen Augen ließ erkennen, dass sie nun erreicht hatte, was sie wollte. All das eben Geschriebene lief in einem farbigen Bilderbogen vor meinem geistigen Auge ab. Ich fühlte mich plötzlich so jung, wie schon lange nicht mehr. Ich wäre am liebsten links abgebogen und hätte meinen Ranzen schlenkernd, laut krakelend in die Schule rennen wollen, um eine lange Reihe kleiner f’s in mein Heft zu schreiben.
Ich habe den Brief von neulich immer noch nicht abgegeben. Plötzlich geht es wieder. Es herrscht Stille im Haus, und das obwohl die Nachbarn da sind. Mein Vermieter läuft mir über den Weg und ich denke mir, es gibt sogar drei Dinge, die mich tierisch nerven. Das sind ja nicht nur die Nachbarn. Da ist auch noch ein Wasserschaden aus dem Sommer - unbeglichen. Da ist auch ein viel zu kleiner Heizkörper in der Küche, der obendrein nicht richtig auf Touren kommt. Die hinteren Heizkörper kommen alle nicht richtig auf Touren, nicht einmal der hinter der Kommode im Flur, obwohl dieser Heizkörper ja vorne steht. Nur der im Wohnzimmer läuft richtig. 16,5 ° Celsius morgens in der Küche.
Und dann fahren wir heute nur so mit dem Rad herum und plötzlich steht ein Auto mitten im Weg. Die einzige Möglichkeit an dem Auto vorbei zu kommen, ist absteigen und drum herum schieben. Und das nur, weil diese Honks zu faul waren, auf dem meilenweit freien Parkplatz eine Stelle zu suchen, wo sie an beide Seiten des Wagens herankommen. Da stehen sie lieber vor dem abgesenkten Bordstein, um an den Winterreifen zu schrauben. Meine Frau schimpft vor sich hin und ich besehe mir die Herren Monteure genauer. Es sind unsere Nachbarn von über uns. Ich glaube, wir kommen einfach nicht zusammen.
Auf 4a lag ein abgetrennter Frauenkopf, dem bereits das Gesicht abbröckelte wie Putz von der Wand, nur das blonde Haarteil war immer noch perfekt drapiert, Haarfestiger vielleicht. Ich ging kleine Bögen, fast kreisförmig folgte ich dem rechteckigen Treppenhaus hinauf, dessen Mitte von einem Fahrstuhl gefüllt war, der hinter einer Fassade aus rot gestrichenem Beton nach unten brummte. Ich fuhr selten mit ihm. Von der Kantine im ersten Stock sind es nur zwei Etagen bis zur Requisite. Zwischenstopp. Und von dort aus sind es nur noch zwei Etagen bis zur Bühne.
Die Aufregung nahm mit jeder erklommenen Stufe zu. Kloß im Hals. Ein Ritter in voller Montur kam mir entgegen und löste gar nichts aus. Ich konnte nicht einmal grüßen, ich guckte nur blöde. Als ich die Tür zum Vorraum öffnete war dahinter gerade der Maskenbildner zu Gange. Er räumte einen Tisch beiseite und verließ kurz darauf den Bereich hinter der Bühne. Ich war allein. Eine kleine Ecke verstellt den Blick auf die Tür zur Bühne und auf den großen Requisitentisch, der links im kurzen Flur zum Bühnenaufgang abgestellt war. Ich ging darauf zu, vollführte die Drehung um die Ecke, ging noch einen Schritt und stand vor der ersten von zwei geschlossenen Türen, die den Vorraum von der Bühne abtrennen. Auf dem Requisitentisch stand ein Monitor, der das Geschehen auf der Bühne in Wort und Bild wiedergab. Von schräg unten hörte ich das dumpfe Dröhnen des Konzerts, das auf der Hauptbühne gerade in die Zugabe ging. Hier oben, direkt vor dem Monitor verblassten die Geräusche wieder, sobald ich mich dem Geschehen auf dem Bildschirm widmete. Meine Hände waren schweißnass. Gleich sollte es soweit sein. Vielleicht noch 5 Minuten.
Unschlüssig stand ich herum, kein Mensch war da. Ich öffnete vorsichtig die erste Tür, stellte mich zwischen beide Räume. Ich vernahm das Geschehen auf der Bühne nun in doppelter Ausfertigung. Das Original kam von rechts und der Durchschlag dröhnte vor mir aus dem Monitor, der weniger als einen Meter neben der Tür stand. Plötzlich setzte Spektakel auf der Bühne ein, ich erschrak heftig. Der Lautstärkepegel war für einen kurzen Moment enorm angeschwollen. Dopplereffekt, Interferenz hallten in meinem Bewusstsein nach. Ich schloss die Tür ebenso vorsichtig, wie ich sie geöffnet hatte. Vor dem Bildschirm lag eine Fernbedienung, ich regelte die Lautstärke herunter und begann, die Tür erneut zu öffnen. Ein feuchter Film lag bereits auf den Händen, ich wischte ihn am Ärmel ab. Als Kind hatte ich einmal einen Splitter im Zeigefinger, genau auf der Kuppe. Meine Mutter versuchte ihn mit einer Nadel zu entfernen und ängstlich beobachtete ich sie dabei. Sie hatte meinen Finger noch nicht mit der Nadel berührt, als ich bemerkte wie sich kleine Tropfen auf meiner Haut bildeten. Meine Mutter sah dies auch und staunte über meine Darbietung. Das kann ich heute noch.
Mit der schmierigen Hand strich ich mir eine Strähne aus dem Gesicht, klebte sie regelrecht hinter mein rechtes Ohr und fühlte dabei den Hammerschlag hinter der Schläfe. Ich brauchte keinen Haarfestiger. Noch 2 Minuten etwa, dann würde es losgehen. Die zuerst geöffnete Tür, sollte sie ganz geöffnet sein? Oder nur angelehnt? War der kleine dunkle Vorraum zur Bühne überhaupt groß genug, um alle aufzunehmen? Sah man nicht vielleicht das Licht der hellgrün getönten Neonröhren bereits durch die Türritzen auf die Bühne scheinen? Erschrocken ging ich in den großen Vorraum zurück und besah mir die Bühne aus der Kameraperspektive. Da war kein Lichtschein links unten. Gut. Ich ging zurück und bemerkte das Klebeband an den unteren Rändern der Tür. Noch eine Minute vielleicht.
Dem Treiben auf der Bühne konnte ich nicht folgen, musste ich glücklicherweise auch nicht. Mein Signal war der einsetzende Applaus. Ich stand herum, die Arme vor der Brust verschränkt, die Hände in klammen Ärmeln vergraben. Mein Schnaufen, ist das zu laut? Mein linkes Knie knackte mit ohrenbetäubendem Lärm. Plötzlich Stille auf der Bühne. Die ich unterbrochen hatte? Sie verflog mit der nächsten, vielleicht letzten Sentenz vor meinem Einsatz. Kein Applaus, Gelächter. Ein nächster Satz, noch einer. Musik, wieder Gelächter, Stimmengewirr. Und dann endlich: Applaus. Ich riss die zweite Tür, die seitlich auf die Bühne führt, auf, verlangsamte noch beim ersten Lichtschein, der von der Bühne auf mich fiel, meine Bewegung. Zu früh. Ich kibitzte durch den Spalt. Dann endlich hörte ich das Getrappel der Schauspieler. In großem Bogen öffnete ich die Tür, trat selber dahinter zurück in den Schatten und die Darsteller liefen an mir vorbei in den Vorraum. Sie sortierten sich in verabredeter Reihenfolge und trabten erneut auf die Bühne. Der Applaus ebbte nicht ab. Sie kamen zurück, tauschten wiederum die Positionen untereinander. „Toller Service!“, rief mir eine Schauspielerin lächelnd zu, ich lächelte zurück, sagte nichts. Was sollte ich auch sagen, mein Job war es, die Tür aufzuhalten.