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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Mittwoch, 31. Oktober 2012

Katastrophentourismus

Diesmal durchaus ernsthaft, obwohl meine Rubrik "Wort für Wort" sonst nicht ohne Ironie auskommt, habe ich mich diesem Begriff gewidmet. Der Text ist ziemlich lang geworden, sicherlich ein Manko aber kürzer ging es wirklich nicht.

Man könnte meinen, die weißen Flecken auf der Landkarte sind dem Weiß im weitaufgerissenen Auge gewichen, betrachtet man die vielen Facetten, denen unser Auge in der Fremde ausgesetzt ist. Sandy, ein Wirbelsturm immensen Ausmaßes, tobte gerade über die Westküste der USA, hat zuvor bereits die Karibik verwüstet, Todesopfer gefordert, und doch oder gerade deswegen übt eine solche Naturgewalt genügend Faszination auf uns Menschen aus, Berichten in Funk, Fernsehen und Internet gebannt zu folgen. Reporter im Auge des Sturms, Liveschaltungen, Webcams sind nur ein paar der Beispiele, wie wir uns die Katastrophe ins Wohnzimmer holen; Eindrücke in Echtzeit. Menschen pilgern in Scharen zu einem Ozeanriesen, der schlagseitig vor der italienischen Küste liegt, wo ebenfalls Menschen gestorben sind. In strahlungssicheren Anzügen stapfen Menschen über verseuchten Boden, um sich ein Bild zu machen von einer Gewalt, die Menschen entfesselt haben aber nicht kontrollieren konnten, noch immer nicht.

Doch was hat das alles mit dem Tourismus zu tun, könnte man da fragen? Und ist diese Form des Extremtourismus – was für mich persönlich die wichtigere Frage darstellt – ein heutiges Phänomen, das zu Recht oder zu Unrecht Empörung auslöst? Und welchen Anteil hat die zunehmende globale Vernetzung daran?

Tour, seit dem 17. Jh. in der deutschen Sprache belegt, leitet sich ab aus dem Französischen. Auch im Englischen findet sich ein solcher Begriff, doch die Ableitung aus dem Französischen liegt näher, denn zur Zeit des Sonnenkönigs, als an Höfen in ganz Europa französisch gesprochen wurde, wird neben dem Wort selbst auch die Bedeutung unverändert importiert und setzt sich deshalb von einem heutzutage gleichbedeutenden Wort ab, dass zu dieser Zeit längst nicht das Gleiche aussagte: die Reise. Während nämlich die Reise durchaus als Überwindung einer Entfernung gesehen werden kann, ohne dass der Reisende die gleiche Strecke auch wieder zurück unternimmt, ist im Wort Tour, aus dem der Begriff Tourismus hervorgegangen ist, durchaus eine Wiederkehr an den Ausgangsort angelegt. Die Wurzeln von Tour liegen nämlich im Griechischen tornus (heute noch bekannt und verwandt mit dem Turnus), was so viel wie Dreheisen bedeutete und ein Eisen beschreibt, dass sich auf einer Kreisbahn um einen Punkt, eine Achse o.ä. fortbewegt. Der Zweck einer solchen Unternehmung, also einer Tour im 17. Jh., lag in der Zerstreuung, so stelle ich mir das vor, und deshalb ist die Verbindung zum französischen Hof auch naheliegender denn zum englischen Pendant. Der Tourismus als Begriff der Reise, mitnichten gefahrlos, daran hatte der Engländer aber wahrscheinlich keinen unmaßgeblichen Einfluss. So gibt es Zeugnisse von Rheintourismus durch adlige Engländer, die sich bewusst auf den Weg machten, um sich auf die Spuren der Burgenromantik zu begeben, und es gibt ebenfalls bereits im 19. Jh. den Alpentourismus, der ebenfalls von Engländern unternommen wurde. Daran können sogleich zwei Facetten des Tourismus, sogar des Heutigen, in Augenschein genommen werden, die eine Antwort auf die Frage der Intention geben. Zum einen ist es die Erweiterung des geistigen Horizonts, genauer das Nacherleben von Empfindung vor Ort wie sie zuvor in Büchern und anderen Medien wahrgenommen wurde. Und zum anderen die bewusste Exposition einer Gefahr für Leib und Leben, sozusagen die Grenzerfahrung. Natürlich darf hier keine strikte Trennung erfolgen, denn es kann sowohl nur eins von beidem als auch beides zusammen Grund für eine „Tour“ sein.

Der Tourismus an sich umfasst ja auch längst nicht mehr nur den Bereich, der den Reisenden direkt betrifft, sondern auch Maßnahmen, die diese Reise erst ermöglichen, zum Beispiel Gasthäuser, Reiseführer oder Menschen, die die nötige Ausrüstung zur Verfügung stellen und an Ort und Stelle bereit stehen. Aus dieser anfangs sicherlich eher spärlichen Peripherie um den Tourismusbegriff ist im Laufe des 20. Jh. eine ganze Industrie gewachsen. Längst ist diese Industrie ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und es entstanden Orte, Sehenswürdigkeiten die allein zum Zwecke der Ansicht und des Besuchs errichtet worden sind, die auf Touristen abzielen.

Es gibt aber auch – und das rekuriert wieder auf die zuvor genannten Intentionen – einen Tourismus, der so gar nichts mit dem gemein hat, was sich der Mensch unter dem Tourismusbegriff vorstellt und auf den ersten Blick wenig damit zu haben scheint. Im Alpentourismus der Engländer klang es bereits an, es geht um die Grenzerfahrung. Auch hier muss unterschieden werden, denn Grenzerfahrung ist nicht gleich Grenzerfahrung. Während nämlich das Besteigen des Mont Blanc durchaus als Höchstleistung gelten kann und ein nicht unbeträchtliches Gefahrenpotential für die eigene „heile Haut“ darstellt, kam es bereits früh – die Rede ist vom Ende des 17. und Anfang des 18. Jh. – zu einem weiteren Grenzgang, bei dem die persönliche Gefahr nicht höher war, als beim Überqueren einer Straße. In der Literatur ist diese Art des „Tourismus“ durch nicht wenige Zeugnisse belegt. Zum Beispiel kam man als wohlsituierter Besucher Londons Ende des 18. Jh. nicht um den Besuch Bedlams herum, einer Irrenanstalt, die sich sogar darauf eingerichtet hatte, Besucher zu empfangen und dafür Geld zu nehmen. In anderem Zusammenhang schrieb auch Kleist darüber, ebenso Klingemann oder Musil. Geprägt haben den Begriff des „Irrenhaustourismus“ Reuchlein und Košenina. Vor allem Letzterer ist mir in dieser Thematik im Gedächtnis geblieben, weil seine Erklärung und Einordnung in Anbetracht des aufgeklärten und nach Aufklärung strebenden Menschen, der sich in dieser Zeit selbst in den Mittelpunkt stellt und nicht nur das Normale, den Durchschnitt erfassen will, sondern gerade am Extrem interessiert ist, eine schlüssige Erklärung für die Beweggründe liefert.

Der Neuentdeckung des Menschen könnte sich also nahtlos die Neuentdeckung des Extremereignisses anschließen, wenn sich nicht beides im Tourismusbegriff der Gegenwart bereits gefunden und die Vermischung nicht schon viel früher stattgefunden hätte. Einen Irrenhaustourismus, sofern man nicht Angehörige besucht, gibt es heute nicht mehr, aus gut verständlichen Gründen. Was es aber weiterhin gibt, ist der Katastrophentourimus. Denn während die letzten 2 Jahrhunderte genügend Aufschluss über das Seelenleben des Menschen gegeben haben und auch die Rücksicht der Interessen aller Menschen solche Reisen verbieten, hat die Katastrophe, in welcher Form auch immer sie vorliegt, nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Selbst ein Urteil darüber, wie es sicherlich dazu beigetragen hat, dass es den Irrenhaustourismus heute nicht mehr gibt, haben Menschen bereits recht früh darüber angestellt. Karl Kraus reagierte bereits 1921 auf die in seinen Augen wohl geschmacklose Anzeige der Basler Zeitung, Menschen an die Schlachtstätte Verdun zu führen und dabei Kost und Logis anzubieten. 117 Franken sollte seinerzeit die völlig „ungefährliche Tour“ kosten. Wenn es einen Ort der Varusschlacht gäbe – und nicht 4 oder 5 vermeintliche – würde dies niemanden bestürzen, wenn plötzlich alle Welt dort hinginge. Die Zahl der Besucher insgesamt ging in New York natürlich zurück nach 9/11, aber die Stadt wurde um eine makabre Attraktion reicher, die höchstwahrscheinlich den am häufigsten besuchten Ort in der Großmetropole darstellte in den darauf folgenden Jahren.

Umso länger die zeitliche Distanz zum Extremereignis liegt, desto geringer scheint auch der Grad Aufregung über den Touristen zu sein, der sich sein Reiseziel unter diesen Gesichtspunkten aussucht. Diese Beispiele unter dem Aspekt der schlichten Lust nach Sensation abzutun, könnte die kurzfristigen missbilligenden Reaktionen, wie sie oft in der Zeitung nachzulesen sind, plausibel machen. Auf längere Sicht betrachtet, liegt dem aber eher ein tiefes Unverständnis zugrunde, was von solchen Ereignissen ausgeht, sei es nun die Naturgewalt, die wir in ihrer Gänze längst nicht verstehen oder ob wir Menschen es selbst sind, die mit ungeheuerlichen Taten solche Ereignisse entstehen lassen. Neu ist weder das Eine noch das Andere. Das einzig Neue daran ist, dass der Mensch durch den gesteigerten Informationsfluss viel schneller darauf reagieren kann, als er es vor 50 Jahren noch konnte. Auch gab es gerade in puncto Gefahr für das eigene Leben, kein adäquates Mittel, trotzdem am Ort des Geschehens zu sein. Abhilfe schaffen das Radio, das Fernsehen, das Internet, in dieser Reihenfolge nicht nur dem Auftreten nach, sondern auch am Grad der Intensivierung bzw. Unmittelbarkeit gemessen. Und auch die kurzfristigen Reaktionen darauf fallen einfach häufiger aus, nicht aber anders als schon vor 100 Jahren.

Samstag, 27. Oktober 2012

Strohwitwer erstes Viertel

06:30
Aufwachen
07:00
Anziehen
07:30
Bücher anschauen
08:00
Bäcker
08:30
Frühstück
09:00
Spielpatz
10:00
Markt
10:30
Spielplatz
11:00
Marmelade kochen
11:45
Mittagessen kochen
12:00
Mittagessen
12:30
Kind schläft. Ich bin fix und fertig.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Mundtourismus

Ich bin heute zum ersten Mal auf der Schulenburger Landstraße mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Das ist eine stark befahrene Straße mit allerhand Gewerbeflächen und nur wenigen Wohnhäusern, wovon nicht wenige leer stehen. Diese Straße musste ich entlang fahren, weil ich einen Termin hatte, beim Zahnarzt, zur professionellen Zahnreinigung. Ähnlich wie diese Straße ist auch meine Mundhöhle ein stark befahrenes Areal. Meine Zunge, die sich bestens auskennt, mimt den Touristenführer und leitet alle Ankömmlinge gekonnt an Schlaglöchern, Erhebungen und sonstigen Hindernissen vorbei, direkt in die große Ausfallstraße nach Süden. Leider, und auch das hat meine Mundhöhle mit stark befahrenen Straßen gemein, bleibt häufig etwas liegen, füllt Zwischenräume, tritt sich fest, macht Fassaden grau und sorgt überhaupt für Abnutzung auf den Wegen.

Als ich beim Zahnarzt angelangte, bekam ich sogleich den üblichen Fragebogen überreicht, auf dem ich, unüblich, nichts anzukreuzen hatte, denn eine Spalte für die ganzen „Neins“ gab es nicht. Das einzige, was ganz genau geklärt werden sollte und deshalb mit Ja oder Nein zu beantworten, war die Frage, ob ich schwanger sei, ich kreuzte Nein an. Kurz darauf fand ich mich auf einem Leopardenfellbehandlungsstuhl wieder und wurde mit allerhand Tüchern belegt. Ein kleiner Becher mit rosa Flüssigkeit zum Ausspülen sollte später darüber hinwegtäuschen, wie unblutig das Ganze abgelaufen war, aber die Farbe war leider schlecht angemischt, so dass mein Eindruck von einem mittelgroßem Massaker auf der Fahrbahn nicht getäuscht werden konnte – wahrscheinlich ein Unfall durch rücksichtslose Fußgänger.

Zeit zum Nachdenken hatte ich übrigens ab Behandlungsbeginn keine mehr, vielmehr war ich damit beschäftigt, krampfartig nach Haltepunkten zu suchen und dem Schmerz im Mundraum und dem Piepen im Ohr so wenig Beachtung wie möglich zu schenken. Erst später, als die Grobheiten abgeschlossen waren, konnte ich wieder einen Gedanken fassen. Klar war dieser aber nicht, denn ich fragte mich als erstes, ob die behandelnde Zahnarzthelferin wohl Brillenputztücher gestellt bekommt oder diese, wenn sie nicht zur Verfügung gestellt wurden, von der Steuer absetzen konnte.

Nachdem sie mir dann während der abzuarbeitenden Feinheiten erklärt hatte, wie ich zu putzen habe und welche Bereiche besonders stark befahren werden, holte sie eine kleine Mundsperre heraus, auf die ich zu beißen hatte. Ein Lack wurde zum Schluss noch aufgetragen, guter alter Straßenbelag, der mir für eine Stunde jeglichen Verkehr in der Mundhöhle verbot, außer Anlieger natürlich, meine Zunge durfte also drinbleiben. Meine Zunge ist jetzt auch kein Touristenführer mehr, sondern selber fremd in der Mundhöhle und fährt deshalb erst mal alle Bereiche ab, um sich neu zu orientieren.

Einen meiner Zähne behandelte sie mit besonderer Nachsicht, denn er besteht, wie sie richtig festgestellt hatte, aus zwei schmalen Seitenwänden und einem riesengroßen Berg Beton in der Mitte. Sie sagte zu mir noch etwas von einer Krone, die da unbedingt drauf müsse, ich war mit meinen Gedanken aber gleich beim Hochbahnsteig, der zurzeit auf der Schulenburger Landstraße gebaut wird und sagte nur kurz, na klar, wird gemacht. Was das wieder kostet!

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Widerspruch

Weit verbreitet, bis ins All,
wir senden auf allen Kanälen.
Liebstes Medium ist uns der Schall,
mit dem wir andere quälen.
Ein Botschafter! Das Verlangen wiegt schwer,
die Botschaft nicht Wort, sondern Wille:
Flaute im Segel auf der Töne Meer,
ein Exporteur der Stille.

inspired by neighbours & Anja

Montag, 22. Oktober 2012

Wein und kalter Kaffee

Das Wochenende ist umgebracht. Es folgt, wie meistens, ein Montag, der mit sinnloser Hetze beginnt, in Kaffee mündet und dem ersten, richtigen Einschalten des Computers seit Freitag. Kaffee. Folgt man der etymologischen Spur dieses Gemütserregers, so endet man beim arab. qahwa, das laut Wörterbuch sowohl für Wein als auch für Kaffee stehen konnte. Daneben steht das türk. kahve wohl ebenfalls Pate, denn die venezianischen Kaufleute brachten den Kaffee nach Italien im 16. und 17. Jh. Schaut man dem Wein auf seine etymologischen Wurzeln, so erreicht man, nachdem das lat. vinum abgehakt wurde, den Pontus, bzw. Südkaukasus als Heimat der Weinkultur. Es gibt also einen Hinweis vom Kaffee zum Wein aber nicht umgekehrt. Dass es überhaupt einen Hinweis auf Wein gibt, wenn man Kaffee im etymologischen Wörterbuch nachschlägt, ist für sich genommen ja schon erstaunlich genug. Folgt man aber genau dieser Spur, stellt man nach geraumer Zeit der Recherche fest, dass sich bis auf wenige Gemeinsamkeiten kaum Hinweise finden lassen, die einen brauchbaren Zusammenhang zwischen beiden Getränken herstellen.

Vielleicht war die Erwähnung des Weines im Kaffeeartikel des etymologischen Wörterbuches ja nur Zufall? Vielleicht war es aber auch ein Überbleibsel aus längst vergessenen Tagen, als der Wein und auch der Kaffee noch als Begrüßungsgetränk gereicht wurde. Hinweise dafür ließen sich sogar finden. 1864 hieß es in einer Zeitschrift dazu: „Kaum 150 Jahre hatten ausgereicht, den Kaffee im ganzen Orient einzubürgern. Sogar Indien wurde schon sehr frühzeitig mit demselben bekannt. Bereits 1642 brachten die Holländer 83,540 Pfd. dorthin. Und noch heute steht dieses Getränk in der ganzen orientalischen Welt in hohem Ansehen. Es ist wie bei uns der Wein das Ehrengetränk, mit welchem man den Gast zu jeder Tageszeit bewirthet. Überhaupt vertritt der Kaffee bei den Muselmännern die Stelle des Weines, dessen Genuß der Koran aus ähnlichen Rücksichten verbietet wie Moses seinen Juden das Essen des Schweinefleisches…“

Über meine Recherche ist der Kaffee kalt geworden. Ich werde nicht darum herumkommen, ihn noch einmal aufzuwärmen. Diesmal lasse ich mich aber nicht vom kalten Kaffee der Etymologie ablenken und komme besser gleich zur Sache.

Freitag, 19. Oktober 2012

Die Gimmickisierung oder: Das Plastikbuch

Heute Morgen, kurz bevor ich das Haus verlassen wollte, nahm ich ein Buch aus meinem Regal. Ich weiß nicht warum ausgerechnet dieses, ich las darin. Es war ein schwarzer Einband, der Buchrücken zu dünn, um ihn zu beschriften und wüsste ich nicht, dass ich mich auf meine alphabetische Sortierung halbwegs verlassen kann, ich hätte niemals erahnen können, dass es sich um einen kleinen Band der Streichholzbriefe Umberto Ecos gehandelt hätte; Burkhardt Kröber, wie üblich, hat mir das Lesen erleichtert, indem er ins Deutsche übersetzt hat.

Nun beginnt dieses Buch damit, wie sich Eco über einen Glossenschreiber, bzw. die Glosse selbst, auslässt. Nicht unfein, durchaus als könne man teilen, was sowohl Eco als auch der Glossenschreiber gemeint haben. Mich interessierte daran auch nicht die Gimmickisierung (so nenne ich das, so nannte das nicht Eco) des Buches, darum ging es nämlich in der Glosse (ein Plastikbuch mit aufblasbarem Kissen, was man zum Schwimmen benutzen kann), sondern, wie Eco, um das Buch und seine Herstellung. Eco war fasziniert von dem Gedanken, welche Freude es machen könnte, ein Buch komplett auf Plastik zu drucken, aus Plastik bestehen zu lassen, man müsste Randnotizen einfügen können, das war noch so eine Bedingung. Und Eco hatte natürlich im Sinn, für die Ewigkeit zu konservieren; wie konnte es anders sein, er hatte auch sogleich ein Werk parat, dass er so festgehalten wissen wollte: Die Göttliche Komödie.

Ich hatte darüber hinaus noch die Idee, dieses Buch aus Recyclingmaterial herstellen zu lassen, mit eben jenen Eigenschaften, die Eco so vorschwebten. Nur ist mir Die Göttliche Komödie ehrlich gesagt zu sperrig, um sie auf Plastik zu drucken, daher wollte ich Euch, liebe Leser, fragen, welches Buch sollte gedruckt werden? Welches Buch hat denn die Qualitäten, nicht nur auf Plastik gedruckt zu werden und für die Ewigkeit zu halten (vielleicht irgendwann einmal im Stillen Ozean mit dem großen Strom des Plastikmülls zu schwimmen), sondern welches Buch wird auch gerne gelesen (nichts für ungut, an diejenigen, die gern Die göttliche Komödie lesen, ich habe mich eher durchkämpfen müssen und bin daran gescheitert)?

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Bewegt über Fußgänger

Ich möchte mit diesem Beitrag nicht weniger als eine neue Kategorie in meinem Blogkosmos einführen. Wie oft ich mich unflätig, ungehobelt, unpassend, also einfach unschön über Sachverhalte äußern werde, kann ich noch gar nicht sagen, es soll aber öfter vorkommen. Viel Spaß!


Lange genug hat es gedauert, dass der neue Hochbahnsteig vor dem Hauptgebäude der Leibniz-Universität, dem Welfenschloss, eingeweiht werden konnte. Doch pünktlich zum Semesterbeginn sind die Bauarbeiten abgeschlossen, und auf den weiträumig niedergetrampelten Rasen – man musste ja nicht selten Ausweichpfade einschlagen, um Baumaterial, -maschinen und -personal auszuweichen, das unvermittelt vor Einem auftauchte, für länger oder kürzer bereits festgetretenes Weggut versperrte und an Stellen, die nun weniger durch Fußgänger oder Radfahrer frequentiert wurden, die konsequente Grasabnutzung weiterführte – legt sich das fallende Laub der Linden wie eine Decke des Vergessens. Die Schuhe der Erstsemester, die in Erwartung einer feuchtfröhlichen Studiumseinführung auf dem Platz vor dem Schloss und weit darüber hinaus herumstehen, treten jetzt gerade den restlichen Rasen nieder, als wären sie die Genderbeauftragten der Schlosswiese, die besorgt festgestellt hatten, dass es noch Bereiche gab, wo das Gras grüner war als anderswo.

Aber was rege ich mich hier über den Rasen auf? Die heilige Kuh des Straßenverkehrs, der Fußgänger, der mir hier so unangenehm ins Auge sprang, wurde an gleicher Stelle auf das niederträchtigste diffamiert. Es reicht den hohen Herren der Stadtplanung nämlich nicht, die Gegend mit einem Hochbahnsteig zu verschandeln, sie sorgten darüber hinaus auch noch für eine Neuregelung des Verkehrs an dieser Stelle. Wo vorher zwei unscheinbare Zebrastreifen ihr Dasein fristeten und dem dahineilenden Studenten – entweder weil er zu spät zur Vorlesung kam oder weil er die Bahn nicht verpassen wollte – die Möglichkeit gab, sich unkonventionell mit dem Autofahrer zu einigen, dass er, der Fußgänger, im Recht sei, muss jetzt einen Schalter betätigen und eine Sparampel auslösen, die nur 2 Farben kennt.

Überhaupt ist blau – die beherrschende Farbe des Zebrastreifenhinweisschildes – aus verkehrstechnischer Sicht ein aussterbendes Gut auf Innerortens Straßen. Es wird zunehmend ersetzt durch Warnfarben, wahlweise komplett rot oder wenigstens mit rotem Rand. Die blauen Verkehrsschilder sind jetzt auf die Autobahnen umgezogen und künden dort von längst fälligen Abfahrten in einem Jahrhundertstau. Den Zebrastreifen, der übrigens in diesem Jahr, wahrscheinlich im März, seinen 60jährigen Geburtstag in Deutschland feierte, werden unsere Kinder vielleicht nur noch aus alten Kinderbüchern kennenlernen oder die Gefährlichkeit beim Überqueren desselben im Ausland erfahren. Auf Deutschlands Straßen hat man jedenfalls lange genug auf ihm herumgetrampelt, so ist mein Eindruck.

Doch warum rege ich mich denn über den verschwundenen Zebrastreifen auf? Weil diese Maßnahme den Fußgänger im Allgemeinen zu gängeln versucht, indem sie ihn zwingt, innenzuhalten und statt nur nach links und rechts zu schauen, vielleicht Blickkontakt mit einem heraneilenden Fahrzeughalter herzustellen, auch noch von ihm verlangt, sich einer Ampelschaltung unterzuordnen. Ich wäre längst nicht so entsetzt darüber, wenn es sich um eine Allerweltskreuzung handelte. Aber nein, dies ist eine ganz besondere Ampel. Hier entscheidet sich die Zukunft hunderter, wenn nicht tausender Studenten, ob sie sich auf dem Holzweg befinden oder mit voller Kraft voraus ins Berufsleben durchstarten können. Hier laufen die vereinigten Schicksale der Intelligenz von morgen zusammen, geben sich ein kurzes Stelldichein am Straßenrand, bevor sie dann in Richtung Straßenbahn oder Hörsaal verschwinden. Und wo doch der Student gemeinhin schon durch mäßig in Gang gesetzte Reformen gegängelt wird, er sich zusehends in einem Alltag wiederfindet, der absolut nichts mit „feuchtfröhlich“, sondern viel mehr mit der allseits verhassten Institution Schule gemein hat, da drückt ihm der Stadtplaner ein rotes Männchen aufs Auge, dem er sich vor Betreten der Universität ausgesetzt sieht. Rot, eine Warnfarbe allererster Güte! So, als wollte die Ampel bereits vom Studium abraten: „Geh da bloß nicht hin, die Zeit ist vergeudet!“ flüstert sie dem Studenten zu, der sich wegen einer Fristverlängerung mit dem Prüfungsamt auseinandersetzen muss, das hat seinen Sitz auch im Welfenschloss.

Deswegen rege ich mich auf. Und nicht nur deswegen. Sind Sie oder jemand anderes schon einmal mit einem Fahrrad an einer Fußgängerampel zum Stehen gekommen? Bestimmt. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es in den meisten Fällen nötig ist, abzusteigen? Dass Sie dann den Gleichen Stellplatz verbrauchen, wie vier Fußgänger? Kennen Sie viele Studenten mit einem eigenen Auto? Die Parkplatzsituation ist ein ganz anderes Blatt, darauf möchte ich hier gar nicht eingehen. Worauf es mir ankam, war die Menge an Fußgängern und Radfahrern, die gemeinhin einen Weg frequentieren, der von der Universität weg- oder zu ihr hinführt. Diese Massen stehen eingepfercht zwischen Metallgittern, die ihnen vorschreiben, nur der minimalen Öffnung zu folgen, die zu der roten Ampel führt. Stellen Sie sich das Geschubse und Gedränge vor. Es ist völlig klar, dass wir der Massentierhaltung bereits völlig abgestumpft gegenüberstehen, wir werden ja selber so gehalten! Und am Ende des Ganges wartet die freundliche Dame aus dem Prüfungsamt und sagt: “Dafür sind Sie leider zu spät, eine Fristverlängerung ist jetzt nicht mehr möglich.“ Peng, Bolzenschussgerät.

Und wissen Sie, wie lang die sogenannte „Grünphase“ an dieser Fußgängerampel dauert? Es verlangt ja niemand, dass man dabei einen Grashalm beim Wachsen beobachten könne. Aber zumindest die andere Straßenseite sollte doch erreicht werden! Als Fußgänger mit mäßiger Geschwindigkeit, womöglich beim Gang nach Canossa, dem eigenen, dem letzten Versuch Abbitte zu leisten für eigenes Versäumen, da sollte doch vor dem Betreten der heiligen Hallen des Verwaltungsapparates der Universität, der befindet sich nämlich fast komplett im Welfenschloss, ein Stoßseufzer möglich sein, ein tiefes Einatmen, ein „ich nehme all meinen Mut zusammen“! Aber nein, dem Stadtplaner ist das völlig fremd. Der hat ja selber noch studiert, als Heinrich IV. fast von einem Fuhrwerk erfasst worden wäre, damals beim Besteigen des Hügels. Es geht hier ja auch gar nicht um Investitur, sondern um Immatrikulation, da ist man dem Wohl und Wehe ganz anderer Entitäten ausgesetzt. Unfehlbar, natürlich, geduldig muss man da sein, aber doch bitte schön nicht an der Ampel!

Sie verstehen den Widerspruch? Sie haben genug? Eines habe ich noch: Duisburg. Stellen Sie sich einmal vor, an der Ampel wird wegen technischer Probleme nicht auf Grün umgeschaltet. Die Straßenbahn klingelt im Rücken, die Fußgängermassen knuffen und puffen, eine oder mehrere Fahrradklingeln ertönen, direkt daneben hupt ein Auto böse und in dem ein oder anderen Studenten pocht ein Herz so laut, dass es an den Presslufthammer längst vergangener Zeiten erinnert, als hier noch eine friedliche Baustelle vor sich hinschlummerte. Wen würde es da wundern, wenn sich hier nicht eine Massenpanik entwickeln könnte. Diesmal ohne Musik, keine Feier, kein vermeintlich schöner Anlass, sondern eine schlichtweg hässliche Szene wäre das. „Gemetzel am Scheideweg“, ich sehe schon die Schlagzeile in der Bild. „Not-Zelte vor dem Welfenschloss, Rettungswagen, Sanitäter, Seelsorger im Einsatz, und die Verantwortlichen hüllen sich in Schweigen!“

Ich für meinen Teil werde diesen Überweg in Zukunft meiden, zu viel Beton, zu viele Schranken; in den Köpfen und auf den Wegen. Da bleibe ich doch besser gleich zu Hause und höre mir die Melodie in der Warteschleife der universitären Hotline für geplagte Studenten an. Das macht zwar müde, bringt mich aber wenigstens nicht um.

Montag, 15. Oktober 2012

Achtung, Floskeln gefährden die Gesundheit!

Aus der knappen Antwort auf eine Mail, in der es um hier nicht weiter Relevantes ging und deren Empfänger ich war, mich also demzufolge zu antworten genötigt sah, entwickelte sich eine kleine Odyssee durch den großen Garten der Floskelgewächse und ihren Hegern und Pflegern. Um auf eine nicht weniger knapp formulierte Frage zu antworten, nahm ich hilfesuchend, hilfefindend die Dienste folgender Floskel in Anspruch: „Nicht dass ich wüßte.“ Es nicht unbedingt meine Art, in Halbsätzen zu antworten, allerdings erschloss sich mir nicht, weshalb ich die gestellte Frage in der Antwort wiederholen müsste und ließ sie deshalb weg. Kein Problem, denke ich, wenn nicht mehrere Sachen gefragt werden und ein eindeutiger Bezug herzustellen ist.

Ins erste Stocken geriet ich deshalb, weil mir das „Nicht“ nicht aussagestark genug erschien, ihm eine Konjunktion mit doppeltem „s“ anzuhängen. Es war ein ganz kurzes Stocken, ich schwöre es. Auf das erste Stocken folgte sogleich ein zweites, das mich erneut innehalten ließ: „ß“ in wüßte“? Natürlich nicht, nur eine kleine Dissonanz im Gepräge. So etwas lässt sich schnell reparieren. Doch dann, dann traf es mich wie ein Donnerschlag. Ich war ratlos, benötigte einen neuen Tab und begann mit der Recherche. Ich begann in die Googlesuchzeile einzutippen: „nicht dass…“ und wurde prompt vervollständigt auf: „nicht dass Rotlichtmilieu“, haha kleiner Witz am Rande, nein, es war: „nicht dass ich wüsste komma“. Komma? Hatte ich ein Komma vergessen? War mir hier ein gehöriger Schnitzer unterlaufen, indem ich auf mein liebstes Satzzeichen verzichtet hatte?

Das war mir noch nie passiert. In der Schule habe ich immer, wenn ich mir um den Einsatz eines Kommas nicht sicher war, einen klitzekleinen Strich gemacht, den man durchaus übersehen könnte, wenn er dort nicht hingehört, den man aber wahrnimmt, wenn es so sein muss. Noch heute bin ich Verfechter vieler Kommas. Ich würde mich sogar dazu hinreißen lassen, ein „weil“ mit Kommas zu umzäunen, wenn darauf ein Hauptsatz folgte, weil, die Pause im mündlichen Vortrag ( der Hauptsatz, eingeleitet von "weil", ist im Mündlichen schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ) kann nur so ihre volle Wirkung im Lesefluss erhalten!

Ungläubig rief ich die Einträge auf und wurde sogleich beruhigt, es handelt sich nur dann um ein notwendiges Komma, wenn eine Ellipse vorliegt, aus dem „nicht“ ein ganzer Satz gemacht werden könne à la „Es ist nicht so, dass es mich behindert, es verlangsamt mich nur.“ Es verlangsamte mein Schreiben tatsächlich soweit, dass ich, wenn ich den ganzen Sachverhalt ausgeschrieben hätte, oder auf die Floskel verzichtet hätte, wesentlich schneller fertig geworden wäre. Wahrscheinlich wäre dann kein „Halbsatz“ entstanden, wie er im Mündlichen durchaus üblich, im Schriftlichen jedoch nicht üblich ist. Ich hätte in korrektem Deutsch eine sinnvolle, verständliche Antwort abgegeben. Ich hätte mir nicht den Kopf zerbrechen müssen, ob ein „davon“ im Satz „Nicht, dass ich davon wüsste“ ein Komma evoziert, weil ich mich auf die schiefe Bahn der Elliptik eingelassen hätte. Ich wäre eilends zur nächsten Email gehuscht, um auch dort knapp und präzise zu antworten. Dieser Text wäre nicht entstanden.

Die schöne Zeit, vertan für eine Floskel. Wenn Sie also demnächst auf eine E-Mail antworten, hüten Sie sich vor dem Einsatz von Floskeln, es könnte Ihr Leben verkürzen.

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