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Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

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Samstag, 16. Juni 2012

Arbeitsgrammatik

Heute Morgen um 7 fuhr ich nicht den gewohnten Weg entlang der Leine ins Theater, sondern, weil ich in einer anderen Gewohnheit drin war, einen anderen Weg. Es war aber auch nichts wie gewöhnlich und doch hat sich der Tag nicht unbedingt von anderen Arbeitstagen unterschieden. Komische Sache.

Das ging schon damit los, dass ich eine Viertelstunde zu früh da war. Der Weg am Leineufer entlang, vorbei am verschlafenen Ihmezentrum, durch die Holperstraße an der Glocksee mit ihren ewig neu entstehenden Graffitis, über die Straße, in der Karl Koch gewohnt hatte, ist nämlich nicht der direkteste aber der schönere Arbeitsweg. Heute fuhr ich über die Dornrößchenbrücke auf dem anderen Ufer, bog unter dem Schnellweg nicht ab in Richtung Glockseebahnhof, um ans Ufer zurück zu kommen, sondern fuhr die Skulpturenmeile entlang, die sich dem Königsworther Platz anschließt. Links stapeln sich die Legosteinchen, erst Contihochhaus, dann das Allianzgebäude und das Arbeitsamt. Rechts, wo ich unterwegs war, stehen ein paar ältere Stadtvillen hinter der massiven Rundung des Gewerkschaftshauses, bis sich ebenfalls ein paar Klötzer in den Blick schieben. Am Clevertor, fuhr ich bei Grün über die Ampel. An der Brücke über die Leine, schräg gegenüber der einzigen katholischen Kirche im alten Stadtkern Hannover, früher notwendig für die Kur, heute wohl eher Kür, fuhr ich bei Rot. Bis auf die wenigen Flohmarktbetreiber waren weder Menschen und erst recht keine Fahrzeuge unterwegs.

Als ich ankam, gab es bereits Kaffee und alle Kollegen waren schon da. Ungewöhnlich. Wir starteten auch nicht um zehn nach 7 wie üblich, sondern erst gegen 8. Auf die Frage, was wir denn zu tun hätten, gab es eine blumige Antwort, die besagte, dass es wohl nicht so viel sei. Weshalb wir da waren, also insgesamt drei Aushilfen, blieb rätselhaft. Auf dem Ballhof 1 angekommen – der Ballhof 2 schien fertig aufgebaut zu sein und aus nichts weiter als einem schwarzen Tanzboden zu bestehen, auf dem ein paar Scheinwerfer und Boxen standen – erwarteten uns drei Züge, an die wir mit hundert Schleifen drei weiße Vorhänge festzurrten. Dann kamen die Tontechniker und die Lichttechnik und die Requisite. Die Requisite war wohl ein Versehen, denn es wurde mir sehr schnell klar, dass nicht nur oben auf dem Ballhof 2, sondern auch unten auf der Hauptbühne nur getanzt werden würde. Und wo getanzt wird, gibt es Kulissen und Requisite in überschaubarer Zahl. Wir gingen deshalb kurze Zeit später wieder nach oben und frühstückten ausgiebig. Dann war ich zufällig gerade nicht da, als drei von uns – die beiden anderen Aushilfen waren dabei – abgeordert wurden. Ich blieb oben sitzen und betrachtete die Uhr, die wegen Batterieschwäche immer langsamer fortkroch. Zum Frühstück ging sie gerade einmal 10 Minuten nach, und ich vermutete, dass das einfach deshalb so war, weil das Frühstück ja auf der Bühne ausgerufen aber im Pausenraum beendet wurde, also 10 Minuten mehr Zeit zum Frühstücken blieb. Als es dann allerdings auf 12 zuging und die Uhr erst bei Viertel nach 11 stand, musste ich meine Theorie wieder verwerfen.

Gegen 1 rief ich einen Kumpel an, der den Dienstplan vor Augen hatte und mir sagte, dass wir nur bis 12 gebucht worden waren, da kam dann endlich ein weiterer Marschbefehl. Wir gingen nach unten, rollten 5 weiße Böden aus und nagelten und klebten die Kanten ab. Um 14 Uhr, als es nur noch darum ging, mit ein paar Bändern die Leinwand zu fixieren, fuhr ich nach Hause, total geschafft vom vielen Rumsitzen. Als ich mir das Geschriebene eben noch einmal durchlas, um eine abschließende, treffende Beschreibung des heutigen Arbeitstages abzugeben, fiel mir nicht s weiter ein, als der zweite Satz im zweiten Absatz. Er steht da mitten drin und eigentlich ist er nicht so wichtig, in seiner Struktur aber sehr ähnlich dem heutigen Schaffen: Hauptsatz ohne Prädikat und dann eine ewige Litanei, bis dann am Ende des langen Einschubs das für den Hauptsatz wichtige Verb kommt, aber eigentlich gar nichts passiert ist.

Freitag, 15. Juni 2012

idenken

Neben mir sitzt ein Typ und telefoniert über Kopfhörer und Mikrofon. In der rechten Hand hält er einen Stift und schreibt hin und wieder etwas auf ein weißes Blatt Papier. Die linke Hand huscht über ein Touchpad seines aufgeschlagenen Laptops und bewegt auf dem Bildschirm Dinge, die ich von hier aus nicht sehen kann.

Als er fertig ist mit telefonieren, legt er den Stift beiseite und tippt mit beiden Händen auf der Tastatur herum.

Als er vorhin hereinkam, unterhielt er sich kurz mit der Bedienung. Dabei fiel neben anderen Sätzen auch dieser eine, der mir im Gedächtnis blieb: „…Mit Musik lässt sich einfach kein Geld mehr verdienen…“. Ich dachte an das Urheberrecht, an die Inflation, an arme Musiker, die sich die Saiten einer Gitarre vom Munde absparen. Ich dachte er sei Musiker.

Neben mir sitzt also dieser Typ, haut in die Tasten seines Macbooks, das iPhone liegt neben ihm auf dem Tisch, das iPad auf dem Stuhl rechts von ihm, und ich denke gar nichts. Das ist nicht einfach zu beschreiben.

Donnerstag, 14. Juni 2012

Editoren an Wissenschaftsakademien: Dr. Monika Meier und Prof. Dr. Wenchao Li

Teil 8

Edieren ist von außen betrachtet eine komische Angelegenheit. Da werden lose Blätter zu einem Nachlass sortiert und dann zu Akten gebündelt, die dann in Regale gestellt werden, um die man ein Gebäude baut, das dann von Leuten besucht wird, die an die Regale gehen, die Akten entnehmen, diese transkribieren, vielleicht die einzelnen Blätter neu sortieren und ein Buch dazu verfassen, das in ein Regal gestellt wird, um das ein Gebäude gebaut wird, das dann von Leuten besucht wird, die an die Regale gehen, die Bücher entnehmen, in andere Gebäude gehen und dort Akten aus anderen Regalen nehmen – weil sie es sehr genau nehmen – um ihre dazu gemachten Notizen in einem Buch niederzuschreiben, das zu anderen Büchern in ein Regal gestellt wird, um das man ein Gebäude baut, das dann von Leuten wie mich besucht wird, die vor einem Regal mit 1000 handschriftlich verfassten Akten von Leibniz stehen und beeindruckt sind, oder in ein anderes Gebäude gehen und vor einem Regal stehen, in dem 850seitige 10bändige Leibnizeditionen stehen und beeindruckt sind oder in ein anderes Gebäude gehen und vor einem Regal stehen, das 1000 Bücher enthält, die den gesamten Stand der Leibnizforschung enthalten und beeindruckt sind und sich dann plötzlich fragen, wer war denn dieser Leibniz überhaupt?*



*Dieser Text ist einem schwarzen Notizbuch entnommen, welches insgesamt drei Entwürfe dieser Textfassung enthielt. Nach der Datierung des Verfassers zu urteilen, entstand diese endgültige Fassung am 14.06.2012 irgendwann am Vormittag. Es handelt sich dabei um einen Text, der Bezug nimmt auf die Vorlesung „Angewandte Literaturwissenschaft“, die am 13.06.2012 stattfand und das Thema „Editoren an Wissenschaftsakademien“ hatte. Der Vorlesung wohnten bei: als Hauptverantwortlicher Prof. Dr. Alexander Košenina, als Gastdozenten Dr. Monika Meier und Prof. Dr. Wenchao Li sowie 18 nicht näher beschriebene Zuhörer.


edit: Ich wurde angehalten, meine "Polemik" ein wenig verständlicher zu gestalten, da der Eindruck entstehen könnte, dass ich die Arbeit der Editoren nicht zu würdigen weiß. Im Gegensatz zu den restlichen 57 eingetragenen Teilnehmern der Veranstaltung, die nicht an dieser Sitzung teilnahmen, war ich sehr wohl anwesend; den Vorwurf möchte ich deshalb so nicht stehen lassen. Das vehemente Plädoyer von Dr. Wenchao Li gegen die "schnelle" Evaluation, dieser allgemeine Kontrollzwang, der insbesondere an den Universitäten und Forschungseinrichtungen überhand nimmt, machte mich betroffen, betrifft mich längst, auch wenn Dr. Alexander Košenina keine Anwesenheitslisten ( die letzte Instanz der Kontrolle ) herumreicht.
Den Rest lasse ich jetzt einfach unkommentiert stehen, dazu kann sich jeder seine eigenen Gedanken machen.

Teil 10

Dienstag, 12. Juni 2012

Schnabulieren? Aber nicht in der Oper!

Schnabulieren. Davon las ich heute, als ich bei der Hörbar auf einen Kaffee einzog. Auf einer Tafel zur Limmerstraße hin zugewandt stand das Wort einfach so rum und sollte Appetit machen auf die darunter beschriebenen Speisen.

Das ist schon so ein Wort dieses schnabulieren. Eine Kombination von sch und n ist noch relativ häufig, so wie Konsonantencluster im Deutschen sowieso recht häufig zu sein scheinen. Konsonantencluster sind mehr als zwei Konsonanten hintereinander ohne einen Vokal dazwischen. Wenn Konsonantencluster erstmal da sind, gehen sie auch nicht mehr so leicht weg. Das wohl berühmteste Cluster hat der Strumpf. Das Wort Strumpf hat nämlich vorn und hinten ein Konsonantencluster. Vorne wird ein s zum sch, dann kommt ein t und zum Schluss noch ein r bis endlich sonoriert werden kann. Die stille Übereinkunft von s und t, als scht ausgesprochen zu werden, könnte, wenn man es nicht besser wüsste, aus der Oper kommen. Da sitzen zwei Herren in der dritten Reihe und fangen plötzlich eine lebhafte Diskussion über Konsonantencluster an, während sich das übrige Publikum doch lieber dem Geschehen auf der Bühne widmen möchte. Oder noch besser: Eine Frau fängt an, ihre Suppe zu schnabulieren, die sie sich in der Handtasche mitgebracht hat. Dabei macht sie laut schmatzende Geräusche. Dann fliegt ein erbostes scht durch die Stuhlreihen und die beiden Herren oder die Frau vertagen sich – das ist völlig legitim. Die Oper lebt ja praktisch von dieser stillen Vereinbarung.

Schnabulieren ist nicht nur wegen des Konsonantenclusters interessant, sondern auch, weil es in mir ganz bestimmte Assoziationen weckt. Für mich ist schnabulieren die mindestens außergewöhnliche Form der Nahrungsaufnahme, vielleicht mit einem Hauch von Exklusivität für die Speise. So ähnlich steht es auch im etymologischen Wörterbuch. Dass schnabulieren mit schnappen verwandt ist, wusste ich bis dahin nicht. Und außerdem wurden all diese gemeinsamen Wurzelworte ( also schnappen, Schnaps, Schnepfe usw. ) auch nur mit sn geschrieben. Da taucht kein sch auf. Demzufolge scheint das s nicht nur eine stille Vereinbarung mit dem n gehabt zu haben, sondern wurde auch gleich noch zu schn verarbeitet. Es gibt im Deutschen übrigens gar kein Wort mehr, das noch mit sn anfängt, es steht zumindest keins im Duden ( Snob und Snowboard will ich hier nicht hinzuzählen, das sind eindeutig Lehnwörter ). Sn wurde also zu schn.

Man stelle sich einmal vor, st würde zu scht. Wir müssten dann Schtuhl schreiben oder Schtadtschparkasse. Oder lieber doch nicht, das ginge zu weit.

Montag, 11. Juni 2012

Schon wieder eingedeutscht

Ist bei mir ja schon eine Weile her, die Schule, aber erinnern kann ich mich an ein paar Details trotzdem noch. Ich kann mich zum Beispiel daran erinnern, dass ich im Topographieunterricht eine besonders große Leuchte war. Gab es irgendwo ein Land auf der Erde, ich wußte die Hauptstadt. Hörte ich den Namen eines deutschen Mittelgebirges, ich kannte die höchste Erhebung darin, die längsten Flüsse, Wüsten, Meere usw. Ich hatte da ein Köpfchen für.

Seitdem ist viel passiert, Länder wie Zaire gab es noch, Eritrea war noch nicht unabhängig und überhaupt hat sich so einiges verändert. Man spricht heute so einiges anders aus, als früher. Als ich noch in die Schule ging, sagte man nämlich noch das eingedeutschte Peking anstatt Beijin ( ich übernehme hier keine IPA Lautschrift, sondern einfach die Buchstaben, die mir bei der heutigen Sprechweise so einfallen ). Spätestens seit den olympischen Spielen dort, ich vermute aber schon früher, schlug die Aussprache der chinesischen Hauptstadt um von der eingedeutschten Variante Peking zum wohl mehr landessprachlichen Bejin. Kein Problem, solche kleine Änderungen bekomme ich sehr schnell in meinen Kopf und wegen der Besonderheit bleiben sie meistens sogar darin. Es gibt ja auch ein englischsprachiges Lied, wo es um 100.000 Fahrräder geht oder so ähnlich, die Sängerin singt auch Beijin.

Ein anderes Detail fällt mir seit ein paar Tagen auf, genauer gesagt seit Beginn der Fussballeuropameisterschaft. Zu meiner Schulzeit war es nicht nur verpönt, sondern wurde schlicht mit falsch bewertet, wenn wir Danzig oder Posen sagten. Die Städte hießen Gdańsk und Poznań. Und heute: da fällt keinem Sprecher der ARD oder ZDF auch nur im entferntesten ein, die polnischen oder ukrainischen Namen der Städte zu nennen.

Samstag, 9. Juni 2012

Jahörer

Mein Sohn sagt seit ein paar Tagen "Ja!". Es ist ein trockenes Ja ohne besondere Hebung oder Senkung. Das ganze Wort, so kurz es auch ist, wird gleichmäßig schnell gesprochen und betont. Er weiß noch nicht, was es bedeutet, aber es kommt ja auch immer auf die Frage an, die man stellt. Alle Nase lang wird jetzt ein Ja von ihm abverlangt. Nein kann er nicht sagen, dafür umso vehementer kenntlich machen. Das geht vom einfachen Kopfschütteln bis hin zum Wegdrehen, aus der Hand schlagen oder zu Boden sinken und in Tränen ausbrechen.

Gestern dann stand ich am Strandleben, bestellte mir einen Kaffee und wurde nach Milch gefragt. Ich ließ ein trockenes Ja die Kehle runterrollen und blieb wie angewurzelt stehen. Ich spreche seit über 30 Jahren Jas aus und habe gestern zum ersten Mal meins gehört. Es klang wie das Ja von meinem Sohn. Und nun kann ich mich partout nicht daran erinnern, ob ich das Ja schon immer so ausgeprochen habe, oder ob das erst seit ein paar Tagen so ist.

Donnerstag, 7. Juni 2012

Leitung eines Literaturhauses: Kathrin Dittmer

Teil 7

Abgeklärter Enthusiasmus. Auf mehrere Gastdozenten traf diese Beschreibung schon zu, wenn es darum ging, das eigene Tätigkeitsfeld mit all seinen Höhen und Tiefen vor dem Plenum breit aufzufächern; Mathias Wehrhahn ebenso wie Volker Bürger. Kathrin Dittmer, die Leiterin des Literaturhauses Hannover, verkörperte diese Art der Selbstwahrnehmung in ihrer bisher reinsten Form, doch dazu mehr im weiteren Verlauf.
Wahrscheinlich hat die Schafskälte das Plenum im Hörsaal zur Vorlesung „Angewandte Literaturwissenschaft“ ausgedünnt. Ich hätte meine Winterjacke auch gern an den Nagel gehängt und die Kapuze gern gegen ein paar Flip Flops eingetauscht, den Kugelschreiber gegen einen Cocktail mit Sahne – aber das Leben ist ja kein Ponyhof. So ähnlich schien mir auch die Berufsauffassung von Kathrin Dittmer zu funktionieren, die als eine von zwei Festangestellten das Literaturhaus Hannover leitet und als deren Vertretung in genanntem Hörsaal erschien und mit einer gehörigen Portion stoischer Pragmatik bewaffnet den Kampf gegen stille Minuten bestritt. Das ging sogar so weit, dass sie zu reden begann, wenn sich bereits abzeichnete, dass das ans Plenum übergebene Wort demselben nicht zu entlocken war.

Der von ihr präsentierte Lebenslauf gestaltete sich ähnlich unspektakulär wie die meisten Lebensläufe, die während der Vorlesungsreihe so vorgestellt worden sind. Nicht einmal das „obligatorische“ Auslandspraktikum wurde erwähnt (absolviert?). Dieses vorgebrachte Understatement der Gastdozenten ist jedesmal wie ein Sonnenstrahl, der es durch eine dunkle Wolke schafft. Und an dieser Stelle möchte ich auch gleich noch etwas klarer stellen, was missverständlich aufgefasst wurde. Mein „Bla Bla“ aus dem vorigen Artikel hätte ich gern korrigiert auf „Geplauder“, und nichts läge mir ferner, diesen immer wieder angesprochenen Punkt in jeder Vorlesung wegzustreichen, denn es ist sehr wohl interessant, wie sich so ein Berufsleben entwickelt und was der ein oder anderen Zäsur oder Weichenstellung vorausgegangen war. An solchen Stellen wünschte ich mir manchmal nur ein wenig mehr Präzision – diese Stellen werden von den Vortragenden aufgrund des guten Auskennens in der eigenen Biographie häufig als selbstverständlich angenommen und oberflächlich abgehandelt – und wenn schon keine Präzision so doch zumindest Präzisierung durch gezieltere Fragen.
Und endlich, endlich ist sich wieder jemand nicht zu fein, auszusprechen, dass Arbeit nicht nur Spaß bedeutet, sondern Arrangement mit allerlei ungeliebten „Nebentätigkeiten“ für die von jedem selbst gefordert wird, darin einen Nutzen für sich und diese Arbeit abzuleiten. Das kann eine schlichte Erfolgskontrolle sein, die es einem ermöglicht, sich danach auf die Schulter zu klopfen oder es beim nächsten Mal anders zu machen. Das kann auch bedeuten, sich mit Dingen zu beschäftigen, die kein Arbeitsvertrag vorher schriftlich als zugeteiltes Aufgabengebiet definiert hat. Oder es heißt, sich in seiner Freizeit mit Dingen zu beschäftigen, die in Teilen zur Kür (Krimi lesen) aber in anderen Teilen zur Pflicht (zur Vorbereitung auf eine Lesung den Autor anzulesen) gehören. Frau Sullner äußerte sich ja sehr diplomatisch, was ihre Lesegewohnheiten anging. Frau Dittmer sagte es offen heraus: sie liest (Kür und Pflicht) in der Freizeit. Und das macht ihr Spaß – auch an der Arbeit.

Das Literaturhaus Hannover hat ein umfangreiches Programm, das sich aus Lesungen, Diskussionen, Preisvergaben (LiteraTour Nord z.B., dessen Preisträger aus dem Jahr 2000 ebenfalls bei uns zu Gast war) uvm. zusammensetzt. Als Verein „getarnt“ arbeiten sich die beiden Mitarbeiter(:innen?, ja, die Veranstaltung hatte auch ein Genderproblem, nicht nur dass Frau Dittmer so sprach wie Frau Kiehl schreibt, nämlich die weibliche Form anhängend, als würde sie von einem Doppelpunkt, einer kleinen Pause mitten im Wort, getrennt; auch Prof. Košenina war ein ums andere Mal bemüht, aus jedem Anwesenden eine Chefin zu machen) an der Gegenwartsliteratur ab, haben ein Auge auf die Finanzen, die längst nicht nur aus Spenden und erst recht nicht nur aus Mitgliedsbeiträgen bestehen und kümmern sich um alle möglichen Dinge – von der Hotelbuchung bis hin zum Schülerwettbewerb der HAZ als Jurymitglied. Bei der Erwähnung dieses Wettbewerbes rollte Frau Dittmer mit den Augen und war froh, dem diesjährigen als Mitglied der Jury noch nicht beigewohnt zu haben. Verständlich, denn wer liest schon gerne 1000 Aufsätze. Ein kleiner Wermutstropfen blieb bis zum Schluss übrig und gab dann auch den Ausschlag für den von ihr bis zur Vollendung verkörperten „abgeklärten Enthusiasmus“: sie sagte nicht, was ihr von all den Dingen, die sie so tut, am meisten Spaß macht.

Teil 9

Montag, 4. Juni 2012

Feuilleton/Literaturredaktion: Frau Martina Sulner

Teil 6

Dieses Mal habe ich mir wirklich ungebührlich lange Zeit gelassen, um meine Beschreibung der Vorlesung „Angewandte Literaturwissenschaft“ abzuliefern. Es war Vorlesungsunterbrechung und ich war im Urlaub, deshalb dauerte es diesmal etwas länger. Zu Gast war Frau Martina Sulner von der HAZ. Thematisch „überschattet“ war die Veranstaltung von dem Titel „Feuilleton / Literaturredaktion“.
Ich habe mich während der Vorlesung schon einige Male davon überzeugen lassen können, dass es sich bei den Gastdozenten nicht ausschließlich um „Elfenbeinturmbewohner“ handelt. So wurde ich auch hier wieder angenehm überrascht von einer Dame, die ganz und gar nicht den Eindruck vermittelte, abseits des realen Lebens und in abgehobener Position vor sich hin zu arbeiten; die sich mit klarer, lauter Stimme gegen geöffnete Fenster und damit verbundenem Straßenlärm durchsetzte. Das Plenum war beschaulich brav und leise, aber auch in besonderem Maße interessiert. Frühe Fragen verzerrten den Dialogcharakter der Vorlesung, ein Pluspunkt. Inhaltlich kam nicht viel Neues auf den Tisch. Das übliche Bla Bla beim Lebenslauf. Was ich schon länger nicht mehr gehört hatte, war der ominöse Anruf eines potentiellen Arbeitgebers, der da einfach mal so wissen wollte, „ob sie (Frau Sulner) nicht diesen oder jenen Job machen wolle“, in ihrem Fall den Pauschalistenjob bei der HAZ. Mentoren seien wichtig, Praktika nicht zu vergessen usw. Was gäbe es also noch Interessantes zu berichten, fragte ich mich.



Diese Todesanzeige geht zurück auf die Äußerung Martina Sulners, in 15 Jahren werde es immer noch Zeitungen geben. Recht hat sie, nur wie sieht diese Zeitung der Zukunft aus? Die HAZ hat kein Feuilleton, genauso wenig wie jede andere Zeitung im „Madsack-Imperium“. Todesanzeigen und sinkende Auflagen haben sie aber alle. Die Todesanzeigen finden sich übrigens recht häufig in dem Teil der Zeitung, der sich Feuilleton nennt. Ist das Zufall? Ist es Zufall, dass das Feuilleton laut Prof. Košenina immer die Seiten der Zeitung sind, die in Fitnessstudios, Bibliotheken, Friseursalons usw. als erstes vergriffen sind und wie hängt das mit den Todesanzeigen zusammen? Prof. Eva Martha Eckkramer von der Universität Mannheim äußert sich dazu ungewöhnlich vage für eine Wissenschaftlerin: „Anscheinend gehört der Todesanzeigenteil zu einem der meistgelesenen Teile einer Tageszeitung, der einen sehr hohen Grad an Aufmerksamkeit genießt.“¹ Arg rüde äußert sich dieser Blogger: „Hier in meiner unmittelbaren Umgebung interessiert es den geneigten Tagesblatt-Leser weit mehr, wer in den Todesanzeigen steht und wie die Heimmannschaft der 8.Liga am vorherigen Samstagnachmittag gespielt hat, obwohl man selbst dem Spiel seine bierflaschenbewehrte Aufwartung gemacht hatte. Wenn da im Feuilleton über eine Seite hinweg nur "Zicke-zacke-Hühnerkacke" zu lesen ist, merkt dass doch keine Sau.“ Es könnte also lange und ausgiebig darüber diskutiert werden, ob die Todesanzeigen deshalb im Feuilleton stehen, weil sie so beliebt sind, oder ob das Feuilleton deshalb immer vergriffen ist, weil die Todesanzeigen darin abgedruckt sind – die altbekannte Huhn-und-Ei-Frage, wobei ich noch nicht herausgefunden habe, wer die Todesanzeigen ins Feuilleton getan hat. Es könnte auch danach gefragt werden, ob sich hinter dem Feuilleton-Leser ein Aufschneider versteckt, der, seit es den Kindle gibt, leider nicht mehr als sogenannter „Bildungsbürger“ enttarnt werden kann, weil er nicht mehr in der Straßenbahn eine leicht zerlesene Ausgabe der „Dialektik der Aufklärung“ liest, sondern in einen kleinen schwarzen Kasten guckt, der auch die neueste Ausgabe des Lustigen Taschenbuchs anzeigen könnte. Solche Fragen will ich hier aber gar nicht stellen.

Was macht eine Zeitung zukunftsfähig? Frau Sulner sagte, dass es eine Gratwanderung sei, den „etablierten“ Abonnenten (Altersgruppe 60+) nicht zu verschrecken und andererseits den „jungen Leser“ zu gewinnen. Hier wird natürlich nicht nach Antworten gesucht, sondern lediglich die Schwierigkeit des Unterfangens herausgestellt. Frau Sulner äußerte sich – nicht ohne Bedauern – zu den letzten Marktanalysen der Madsack-Gruppe, die allesamt leider schon viel zu alt sind, um noch repräsentativ zu sein. Hoffentlich sind sie nicht schon so alt, wie die Abonnenten, wobei dies allerdings erklären würde, was bei der NP gerade passiert. Wie es nicht geht, beweist nämlich seit längerem die Neue Presse, indem sie sich bei den Schlagzeilen dem Niveau der Bildzeitung nähert. Auf Rückfrage meinerseits bei einem dort tätigen Redakteur sagte dieser, dass das ein heikles Thema sei und kontrovers diskutiert wurde, letztendlich aber der Abgrenzung (Schärfung?) des eigenen Profils dienen sollte. Aha! Mein Schuss ins Blaue dazu sähe ungefähr folgendermaßen aus: man betrachte einmal die Statistiken der Seite meedia.de² und veranschauliche sich die Grafiken der HAZ/NP und der Bild nebeneinander. Da fällt auf, dass sich die Käuferschicht der Bild nicht aus Abonnenten, sondern eher aus Direkteinkäufern zusammensetzt und die der NP und HAZ größtenteils aus Abonnenten. Die Zahl der Abonnenten zu erhöhen ist wie gesagt eine „Gratwanderung“, also bleiben nur die Direktkäufer. Das heißt, derjenige, der seine Zeitung althergebracht am Kiosk oder beim Bäcker einkauft, soll statt zur Bild jetzt zur NP greifen Das macht man mit einer reißerischen Schlagzeile und funktioniert wohl ähnlich wie bei dem Impulskauf an der Supermarktkasse, wenn man dort steht, wartet und plötzlich zu den Tic Tac greift. Ähnliches dachte sich wohl die NP und versucht nun mit reißerischen Schlagzeilen und A4-formatigen Werbeaufstellern, den Käufer beim Kiosk oder Bäcker auf die NP einzuschwören. Dadurch dass auch die Bild sinkende Auflagen hat und sich die NP trotzdem dazu durchrang, diese Strategie zu fahren, hätte das Ganze durchaus etwas altruistisches – denn wer liest schon gerne die Bild. Hätte, weil es scheinbar nur funktioniert, wenn das Niveau bei der NP selbst auch sinkt. Nicht die Zeitung ist hier die Ware, sondern der Leser.

Der hier zu Tage tretende Solipsismus zeigt sich auch an anderer Stelle. Wenn zum Beispiel Di Lorenzo und Schirrmacher von Katrin Göhring-Eckardt interviewt werden und sich im Kommentarstrang unter dem Interview nicht nur gelöschte Einträge (Meinungsfreiheit?!?), sondern vor allem unbeantwortete Kommentare wiederfinden (auf den Inhalt des Interviews einzugehen, obwohl streckenweise durchaus lesenswert, würde hier zu weit führen). Ich teile nicht die Meinung, dass „schöne Worte“ den Nimbus des „Einkanalmediums Zeitung“ hinwegredigieren können. Uneingelöst bleibt somit das „Dialogangebot“ (davon sprach auch Frau Martina Sulner). Da unterhält und streitet man sich lieber über die Zeitungsgrenzen hinaus aber bitte schön im erlesenen Kreis. Die heutige Avantgarde – und damit meine ich nicht den Literaturwissenschaftler oder die, die es noch werden wollen – liest ja sowieso mehrere Zeitungstitel, sie kann dem Gequassel problemlos folgen und folgt den Quasslern natürlich überall hin; sie geht dafür ins Fitnessstudio, zum Friseur oder in die Bibliothek, denn an steigenden Abonnentenzahlen kann man die Avantgarde leider nicht ausmachen. Wenn sich die Zeitungsmacher also weiterhin vor einem „echten“ Dialog verschließen, den Leser dazu verdammen, trotz bekundetem Interesse (Abonnement) immer ein wenig außen vor zu bleiben, ist das Feuilleton nichts weiter ein Statusemblem und die Zeitung nichts weiter als gutes Papier, um die guten schwarzen Schnürschuhe zum Glänzen zu bringen.

¹Eva Martha-Eckkramer, Sabine Divis-Kastberger, Die Todesanzeige als Spiegel kultureller Konventionen, Mannheim 2009?, S.19.
²Hier können sich fast alle Zeitungstitel der Madsack-Gruppe und so ziemlich alle großen Zeitungstitel angeschaut werden, ein Blick, der sich lohnt.

Teil 8

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