Willkommen

Bei den Leisen Tönen. Manchmal braucht es einen Blog, um sich Luft zum Denken zu verschaffen. Keine Steckenpferde, Hobbies oder sonstiges Spezielles, nur Luft zum Denken.

Kontakt

shhhhtwoday(at)googlemail.com

Aktuelle Beiträge

Oder Montblancpappe
Oder Montblancpappe
Lo - 12. Mai, 14:30
Das hiesse dann Pelikanfleppe...
Das hiesse dann Pelikanfleppe 🖋
Lo - 10. Mai, 10:52
Als ich die Überschrift...
Als ich die Überschrift "Füllerführerschein" las, war...
iGing - 9. Mai, 20:34
Füllerführerschein
Machen meine Kinder in der Klasse gerade. Ist ein Heidenaufwand....
Shhhhh - 8. Mai, 22:42
Später Kaffee II
Seit neuestem habe ich einen Kollegen (abgeordnet von...
Shhhhh - 27. Mär, 15:14

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Dienstag, 20. November 2012

Gutenmorgengruß

Seit ein paar Tagen begegnet mir auf dem Weg nach Hause immer dieselbe alte Dame. Morgens gegen 8:00 Uhr verlasse ich mit meinem Sohn das Haus, er sitzt im Kinderwagen und erklärt mir, was er so alles sieht, und wenn wir dann die Kita erreicht haben, steigt er aus, er klingelt an der Eingangstür und wird dann von mir verabschiedet. Auf dem Rückweg – es kommt darauf an, wie zeitig vorher alles abgelaufen ist – treffe ich sie. Sie trägt eine grauhaarige, struppige Dauerwelle, ihr Gesicht ist von kleinen roten Äderchen gezeichnet und darin liegen, weit hinten, zwei klitzekleine, spitze, wache Augen. Ein dicker beigefarbener Mantel reicht ihr bis über die Beine, die nicht mehr stark genug sind, sie von allein zu halten, sie schiebt eine Gehhilfe vor sich her und unablässig schüttelt sie ihren Kopf.

Manchmal, wenn ich sehr spät aus der Kita komme, sehen wir uns vorn an der Limmerstraße, dort wo der Edeka bereits seine Tore geöffnet hat. Am Anfang dachte ich, sie wohnt in dem Altenheim, das direkt über dem Geschäft liegt. Aber wenn ich sehr früh aus der Kita komme, dann begegnen wir uns bereits an der Grundschule am Pfarrlandplatz, dort wo zu dieser Zeit gerade die letzten Eltern ihre kleinen Wunder in die Schule bringen. Dann wackelt sie resolut mit ihrem Gefährt durch die schmalen Gassen der parkenden Autos, umschifft Pfützen, schwatzende Eltern und Seitenspiegel. Aber es ist egal, wo wir uns treffen. Immer grüßt sie mich freundlich, als ob wir uns seit Jahren kennen.

Natürlich kenne ich sie. Ich kannte sie schon immer. Ob sie nun Frau Lampe hieß und die Mutter des mittlerweile selbst in die Jahre gekommenen Nachbarn meiner Eltern war und dort oben in der zweiten Etage des Reihenhauses mit Minka, ihrer Katze, lebte. Oder ob es Frau Kober war, die gegenüber von unserem Garten ihren Garten hatte, in dem ein herrlich großer Aprikosenbaum steht. Oder die alte Frau Obenauf, die so kurz nach der Wende als fast einzige in der Straße ein Telefon besaß, von dem aus ich einmal den Notarzt rufen musste. Oder die Eltern von Nachbarskindern, mit denen ich spielte. Immer grüßten sie. Bis ich irgendwann zuerst grüßte. Bis ich alt genug war, diesem Ritual etwas abzugewinnen und für mich beschloss, dass es ein Privileg der Jugend ist, zuerst grüßen zu dürfen. Nie wäre mir der Gedanke gekommen, grüßen zu müssen. Ich handelte und handele in dieser Sache immer als freier Mensch, der sich aussucht, wen er grüßt und wen nicht, und der eben immer zuerst grüßt, weil er jünger und schneller ist.

In unserer Straße wohnte auch eine Familie, die eine Tochter hatte. Ich kann mich nicht mehr an den Familiennamen erinnern aber in der Auffahrt stand später immer ein großer beigefarbener Opel Vectra. Ein Birnbaum musste diesem Gefährt weichen. Steffi war ein Jahr älter als ich. Einmal klingelten wir, die Kinder vom Dahlienweg, bei ihr, um sie zum Spielen in unserer Straße abzuholen. Sie durfte aber nicht raus. Seitdem habe ich ihren Vater nicht mehr gegrüßt. Immer wenn er an mir vorüber ging, was allerdings auch selten genug vorkam, weil dieser Bereich der Straße abseits unseres kleinen Zentrums lag, schaute ich ihn kurz an und ging dann grußlos an ihm vorbei. Das war meine Strafe für ihn, weil Steffi an diesem Tag nicht mit uns spielen durfte.

Als ich längst nicht mehr in Magdeburg wohnte, traf ich ihn irgendwann erneut und machte meinen Frieden mit ihm. Ich grüßte ihn wieder. Er wird das nicht verstanden haben, damals wie heute, er wird sich daran wahrscheinlich gar nicht erinnern. Wie er mich leicht konsterniert angesehen hatte, als sich unsere Wege grußlos kreuzten. Es ist auch das einzige Mal, an das ich mich erinnern kann, wo ich - heute würde ich sagen, aus einer Laune heraus – mir, der Entscheidung zu grüßen, absolut sicher war und trotzdem nicht gegrüßt hatte. Die Illusion, mit dem Gruß frei gewesen zu sein, hält sich noch immer.

In meinem jetzigen Wohnhaus leben außer unserem Jungen noch zwei weitere Kinder, die ich ebenfalls grüße, zuerst versteht sich. Sie schauen ähnlich konsterniert, wenn ich Hallo sage, wie der Vater damals, aber sie grüßen mich immer regelmäßiger zurück. Neulich haben sie sogar zuerst gegrüßt, als wir uns auf der Straße begegneten. Da war ich der Verwirrte, weil ich die beiden Kiddies gar nicht auf dem Schirm hatte, meine Gedanken waren woanders. Und als mich die alte Dame zum ersten Mal gegrüßt hatte, war ich in einer ähnlichen Stimmung. Ich war so perplex, dass ich darüber beinah nichts erwidert hätte. Ob sie das wahrgenommen hatte, weiß ich nicht, ich holte das schnell nach und grüßte hastig und leise in ihren Rücken. Ertappt hatten sie mich. Sie, die Kinder aus der Nachbarschaft und auch die alte Dame auf ihrer allmorgendlichen Mission.

Heute sah ich die Alte bereits von weitem. Unsere Wege sollten sich an besagter Grundschule kreuzen und sobald sie in Hörweite an mich heran gerollt war, hob ich zum Gruße an. Einen Guten Morgen wünschte ich ihr und war irgendwie stolz darauf. Sie grüßte natürlich zurück, verzog aber sonst keine Miene. Kein noch so kleiner Anflug von Ironie umspielte ihre Lippen, kein Aufblitzen in ihren kleinen schwarzen Augen ließ erkennen, dass sie nun erreicht hatte, was sie wollte. All das eben Geschriebene lief in einem farbigen Bilderbogen vor meinem geistigen Auge ab. Ich fühlte mich plötzlich so jung, wie schon lange nicht mehr. Ich wäre am liebsten links abgebogen und hätte meinen Ranzen schlenkernd, laut krakelend in die Schule rennen wollen, um eine lange Reihe kleiner f’s in mein Heft zu schreiben.

Suche

 

Status

Online seit 5262 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 12. Mai, 14:30

Lesen

Credits


xml version of this page
xml version of this page (summary)
xml version of this page (with comments)

twoday.net AGB

Blogverzeichnis Creative Commons Lizenzvertrag
Shhhhh.

Alles nur Theater
Auf Spatzen geschossen
Auslaufmodell Buch
Den Ball gespielt
Der alltägliche K(r)ampf
Die kleine Form
Gedankeninseln
Geldregierung Arbeitsplatz
Gelegenheitslyrik
HaCK
Herr Fischer
Klassenraum
Links
Mensagespräche
Nichts Spezielles
Ohne Brille
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren