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Dienstag, 7. Juni 2011

Platte

Als ich am Wochenende in meiner alten Heimat war, besuchte ich zusammen mit meiner Frau und Kind einen guten Freund und seine Frau. Wir kennen uns schon seit unserer Geburt sozusagen, zumindest unsere Mütter kennen sich schon so lang und wir beide seit dem Kindergarten.
Meine "alte Heimat" ist eben absolut zufällig von mir geschrieben worden, und während dies geschah, musste ich mich doch über die Präzision dieser Formulierung wundern, die sowohl meine alte Verbundenheit mit Magdeburg aber auch nur ein Zurückblättern zu einem längst abgeschlossenen Kapitel bedeutete. Hier bin ich aufgewachsen, habe meine Jugend verlebt aber als es ernst wurde, bin ich abgereist und habe mir ein neues Domizil gesucht. Das ist jetzt 6 Jahre her.
Am Samstag saßen wir dann bei den beiden herum, zuerst im Wohnzimmer und später der besseren Unterhaltung wegen auf dem Dach des Hauses. Das Haus ist ein zehngeschossiger Klotz, der letzte unsanierte in einer Reihe, die im Abstand H1 zu insgesamt sieben solcher Klötzer angeordnet sind. H1 bedeutet, es ist genausoviel Platz zwischen den Gebäuden, wie jedes einzelne hoch ist. Als Architekt muss man so etwas wissen und mein Freund ist Architekt. Warum er jedoch als aus gutbürgerlichem Elternhaus stammender, niemals auf eine Plattenwohnung angewiesener in eine solche gezogen ist, erschließt sich mir nur durch solche im Nebensatz formulierten Feinheiten.
Er wohnt in der 10. Etage, die als 9. gekennzeichnet ist, weil es ja auch ein EG gibt. Auch das ist mir ein Rätsel aber danach habe ich ihn nicht gefragt. Der Fahrstuhl fährt übrigens nur bis in die 8. Etage. Das hat er schon immer so gehandhabt und bei den meisten 10ern ist das wohl heute noch so - wenn nicht die Fahrstuhlanlage komplett überholt worden ist. Wir müssen also immer noch eine Etage nach oben laufen, im Fall, dass wir auf dem Dach sitzen wollen, sogar zwei. Für die Aussicht macht man das aber gern.
Sitzt man wie wir mit Blick in die langsam untergehende Abendsonne so erschließt sich in weiter Entfernung ein Meer aus Windrädern. Ganz nah und halb links befindet sich das Gelände der medizinischen Akademie, die heute anders heißt. Ein Meer aus sattem Grün mit versprenkelt darin zum Vorschein kommenden alten Ziegeldächern. Rechts der Sonne erstreckt sich die Stadt. Früher, vor der Zerstörung im zweiten Weltkrieg muss Magdeburg mehr Kirchen als Christen gehabt haben, heute sind es weniger Kirchen, die Zahl der Christen kenne ich nicht. Ein paar neue Kirchen sind auch gebaut worden. Der Schandfleck halb rechts, die Johanniskirche, wurde ja schon vor Jahren voll saniert, mittlerweile kann man auch von dort die Aussicht genießen und vielleicht stehen dort gerade Leute auf dem Turm und schauen zu uns herüber. Um etwas zu erkennen, sind wir aber viel zu weit weg.
Noch weiter rechts kommt der Dom, den man schon deshalb nicht verwechseln kann, weil es die höchste Erhebung in der Gegend darstellt. Die Gerüste, die beide Türme bekleistern, kann man nicht mehr abnehmen, weil sich der Boden darunter - der Domfelsen - als nicht so hart präsentiert, wie es die Erbauer gern gehabt hätten. Der Dom sackt ab, langsam. Vielleicht ist es bald ein schiefer Dom. Vielleicht ist er schon schief. Hinter uns ergrünt seit ein paar Jahren das stillgelegte ehemalige Gelände der SKET, dem Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Viele der Produktionshallen sind abgerissen, dort stehen jetzt kleine Birken und Pappeln und Ahorn und Linden.
In nächster Nähe von uns zu beiden Seiten, schaut man in die langen Fensterreihen der anderen Klötzer. Wie ein Adventskalender gehen ständig irgendwo die Lichter an und es erscheinen Menschen vor den Fenstern. Dann gehen die Lichter wieder aus und das Leben zieht zu einem neuen Fenster, vielleicht auf der Rückseite, die wir nicht sehen können. Es gibt immer zwei Seiten, die Vorderseite, dort wo der Eingang ist, haben die Fenster eine klare Hierarchie. In der Mitte ist das Flurfenster. Links davon kommt zuerst das Küchenfenster, dann das Badezimmer. Danach häufig das Kinderzimmer und dann kommt noch ein häufig als Schlafzimmer genutzter Raum, danach ist Schluss. Zur rechten kommt zuerst das Badzimmerfenster, dann die Küche und auch danach häufig das Kinderzimmer - heute wohl eher der Hobbyraum, Kinder gibt es hier nicht mehr so viele. Die Symmetrie wird durch den Blockcharakter durchbrochen. Die Versorgungsleitungen sind immer gleich, deshalb ist links zuerst die Küche und nach weiter außen hin das Bad und auf der rechten Seite ist es genau anders herum.
Auf der Rückseite des Gebäudes ist es schwieriger, die Zimmer ihren Funktionen zuzuordnen. Wenn ich jedoch ganz rechts außen beginne, kommt wohl zuerst das Wohnzimmer der Wohnung, die auf der Vorderseite über das Kinderzimmer und das Schlafzimmer auf der linken Seite verfügte. Danach folgt das Schlafzimmer einer Wohnung, die nach vorn raus überhaupt kein Zimmer hat. Diese Wohnung gleicht im Grundriß der Wohnung meines Freundes bis ins kleinste Detail, die Inneneinrichtung bei ihm ist jedoch einzigartig. Dann kommt das Wohnzimmer und dann das Küchenfenster. Nun ist die linke bzw. rechte Seite eines Eingangs abgeschlossen. Es folgt die umgekehrt angeordnete Fensterreihe der rechten bzw. linke Seite des Eingangs.
Gegen 23.00 Uhr sind wir runtergegangen vom Dach, die Sonne war längst verschwunden. Die Faszination dieser aus dem Gedächtnis erfolgten Rekonstruktion lässt mich ein klein wenig nachvollziehen, was meinen Freund in die Platte treibt, die Aussicht vom Dach natürlich auch.

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Zuletzt aktualisiert: 27. Mär, 15:16

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