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Zersplittert - GP und drumherum

Ich saß heute in einer GP, einer Generalprobe. Mein einziger Daseinszweck schien dieses Beisitzen gewesen zu sein, denn die Requisiten waren so spärlich gesät, man hätte sie an einer Hand abzählen können, wenn man sie denn gesehen hätte. Die meisten davon steckten nämlich in einem Bord in einem schlecht ausgeleuchteten Kubus. Eine Liste gab es nicht. Ich bin ja solche Listen gewöhnt und war deshalb lange auf der Suche nach einer, bis ich dann meinen Chef fragte, wo die Liste denn sei, und er mir sagte, es gäbe keine.

Überhaupt, meinem Chef begegnete ich auf dem Weg nach oben im Flur, wo er, mit einer Rasierklinge bewaffnet, gerade dabei war, die lackierten Beine eines Tisches vom Lack zu befreien, der am kommenden Tag zur Premiere den bisher benutzten Tisch auf der Bühne ablösen sollte. Er hatte einen blauen Kittel an, was ich bei ihm noch nie gesehen hatte, und wäre sein Kopf nicht so charakteristisch, ich wäre wohl an ihm vorbeigelaufen.

Statt der Liste fand ich oben auf der Bühne einen Kollegen, einen ehemaligen. Jetzt ist er nämlich als Bühnenbildassistent für dieses Stück tätig. Er sagte mir dann sogleich, dass die Fernbedienung funktionieren müsse und seit neuestem eine Colaflasche zu den Requisiten gehöre. Als ich dies kurz darauf meinem Chef erzählte, sagte dieser, dass er da nur mit dem Regieassistenten spreche, denn der Bühnenbildassistent hätte sich ja im Verlauf der Produktion auch sonst nicht darum gekümmert, da müsse dieser nicht kurz vor der Angst plötzlich damit anfangen.

Den Regisseur traf ich schon in der Kantine. Der guckt mich immer an, als wäre ich nur zum Betrachten da. Ist mir anfangs immer ein wenig unangenehm, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Vor ein paar Monaten saß ich einmal mit dem Intendanten allein im Raucherbereich, als er mich plötzlich zu fragen genötigt sah, was ich denn hier für eine Funktion hätte. Normalerweise lese ich ja irgendwo ganz still vor mich hin, um genau solchen Fragen keinen Halt zu bieten, aber dieses eine Mal musste ich wohl kein Buch dabei gehabt haben. Jedenfalls sagte ich ihm, dass ich seit mehr als drei Jahren in der Requisite arbeite, hihi.

Den Regieassistenten sah ich erst oben auf der Bühne. Gestriegelt und geschniegelt wie immer, geschäftig, popäftig, wie das halt so ist vor einer Premiere. Ich harrte aus, suchte mir einen Platz ganz weit oben, ganz rechts, also bühnenlinks. Von dort sah ich auf einen Monitor und musste sofort an eines dieser mittlerweile geflügelten Worte denken, dass nämlich kaum noch eine Vorstellung ohne Videoinstallation auskäme. Unter Fachgimpeln, Fachsimplern und Wichtigtuern ist das ja ein beliebter Einleitungssatz, wenn plötzlich das Gespräch auf Theater kommt. Jedenfalls hatte der Klischeebeauftragte dieser Produktion ganze Arbeit geleistet: zwei Monitore, ein Kubus, von dem zwei Wände als Projektionsfläche dienen konnten und mussten sowie der hinteren Wand, die ebenfalls als Projektionsfläche herhalten musste.

Das Stück selbst war mir zu harter Tobak. Grandios gelöst, dieser Kubus, die Videoinstallationen, die Schauspieler, das stimmte alles. Nur der Stoff. Vier Personen, vom hochrangigen französischen Manager über einen Teammanager in einem Callcenter in Dakar über eine Ingenieurin in Bukarest hin zu einer ausgebeuteten Frau in den Tiefen einer Shanghaier Produktionskette. Es ging um Überstunden, um schlechte bis schlechteste Arbeitsbedingungen, um Ausbeutung, um menschenunwürdigen Umgang, um all das Schlechte, von dem man sich sicher sein kann, dass dies keine Übertreibung, Überzeichnung mehr ist, sondern es ist real! Es passiert jeden Tag! Überall! Absolut erdrückend, wie das alles mit einander in Verbindung steht. Diese Szenenwechsel, dieses wirklich gute, intensive Spiel, Hammer! Kurz vor Stückende wünschte ich mir, dass es endlich vorbei sein möge, und dann war es vorbei. Dieser Alptraum!

Dafür würde ich nicht ins Theater gehen. Bitte gerne, wer‘s mag? Ich nicht. Ich habe auch so schon viel zu oft schlechte Laune. Wahrscheinlich hatte mein Chef auch schlechte Laune, weil er diesen Tisch abschleifen musste. Nach der GP hatten wir alle schlechte Laune. Und als ich dann den Regisseur wieder im Raucherbereich traf, und er sich mit einer Kollegin unterhielt, die sich jetzt eigentlich mit einem wirklich alten Freund treffen wollte, den sie nur heute und nur hier, da sagte er, ob sie denn kein Interesse an der Arbeit hätte, ob ihr das jetzt nicht wichtig wäre. Sie hätte keine Telefonnummer von ihrem alten Freund und würde nur kurz zum Bahnhof, dann käme sie zurück. Ja, das wäre gut, sagte er, und dann sagte er ihr, wie fürchterlich ihn doch dieser Tisch stören würde, und ob es nicht besser ohne ihn sei, da wusste ich, dass ich noch Glück hatte, indem ich nur das Stück sehen musste.

Der Bühnenbildassistent schob mir am Ende des Stückes noch eine Liste zu, auf der alle Requisiten verzeichnet wären, die ihm so eingefallen sind, die könne ich ja meinem, seinem ehemaligen Chef zukommen lassen. Meinem Chef! Requisiteur, Meister, alleinverantwortlich auf unserer Bühne! Eine Liste, hihi. Ja, ja, sagte ich und faltete die Liste ganz klein, so dass sie in meine Hemdtasche passte, wo sie noch immer sitzt. Mich kennt ja hier keiner, da kann man auch schon mal so eine Liste verschlampen.
la-mamma - 8. Feb, 12:56

popäftig finde ich ein sehr hübsches wort! beim googlen ergab´s genau einen treffer - hierher;-)

Shhhhh - 8. Feb, 13:07

Habs leider nicht erfunden, also das Prinzip. Das Wortspiel stammt von Helge Schneider:

https://de.wikipedia.org/wiki/Guten_Tach
Lo - 8. Feb, 14:38

Ganz schön listig,

das mit dem Listeverstecken ;-)
Lieber mit Lust und ohne Liste.

Shhhhh - 8. Feb, 18:41

Als er mich gestern vor der Premiere zu erreichen versuchte, hatte ich ganz schön Bammel, dass er die Liste jetzt doch irgendwie brauchte. Aber es ging letztendlich nur um eine Kladde, die er verlegt hatte. Die Liste, von der ich ihm dann berichtete, wollte er nicht haben, brauchte sie nicht.

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