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Unter Pilzen

Der Text ist leider länger geworden, als ich ursprünglich wollte und es ansonsten meiner Gewohnheit entspricht; ich versuche ja, die Texte nicht länger als eine Seite im Textprogramm werden zu lassen und bin da mein schärfster Kritiker. Nehmen Sie sich deshalb Zeit, es könnte etwas länger dauern.

Ich war gestern in den Pilzen. Ich habe meinen Freund Trithemius, kurz bevor ich die Tankstelle zum Auftanken des Wagens erreichte, angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich in genau einer Viertelstunde vor seiner Tür stehe, um ihn zum Pilzesammeln abzuholen. Ich sagte zu ihm, dass wir in die Pilze fahren. Was, fragte er und ich erklärte ihm das Ganze genauer. Er bezweifelte, alles fertig zu haben in einer Viertelstunde, was man vor so einer Fahrt in die Natur noch alles zu erledigen habe. Ich beharrte auf die Zeit und drohte mit Klingelsturm. Er legte auf.

Als das Tanken beendet war, drehte ich noch eine nutzlose Runde um den Block. Ich war zu früh. Um Punkt eine Viertelstunde nach dem Anruf klingelte ich bei ihm. Er grüßte durch die Sprechanlage, und sagte, er würde sogleich runterkommen. Er drückte außerdem den Türsummer und ich drückte die Klinke. Ich stand plötzlich vor seiner Wohnungstür, diese ging auf und Trithemius, völlig bekleidet, Haare gewaschen und gekämmt stand vor mir und wollte los.

Ob er ein Messer dabei habe, fragte ich ihn, denn ohne Messer, kann man ja die Pilze nicht abschneiden. Nein, wir suchten eins, nein, er suchte eins und ich gab von weitem Tipps, wie das Messer anatomisch geschaffen sein müsste. Wir einigten uns auf ein kleines Messer mit Klinge und Griff, es hatte noch nie zuvor einen Waldpilz abgeschnitten. Mein mitgebrachtes Messer war ebenfalls noch Jungfrau und so klapperten dann beide Messer vor Aufregung im Körbchen, während Trithemius und ich das Auto bestiegen und lossausten.

Ich erklärte ihm im Auto, dass wir nicht in irgendeinen Ort fahren, der so ähnlich klingt wie Pritzwalk, sondern dass ich tatsächlich gesagt hatte, wir fahren in die Pilze. Das ist Pilzlatein und bedeutet so viel wie, zum Pilze sammeln in den Wald zu fahren. Ich erwähne dies hier noch einmal ausdrücklich, weil Trithemius, mittlerweile in meinem Auto sitzend, ein wenig schief geguckt hatte bei erneutem Erwähnen dieses unter Pilzkennern allseits bekannten geflügelten Wortes. Ich markierte mein Revier und Trithemius konnte nicht weg.

Wir fuhren etwa eine Stunde, weil ich nach Gefühl fahre, nicht mit. Wir verfuhren uns nur einmal ganz kurz und erreichten die als Wegmarke im Gedächtnis verbliebene Tankstelle ohne weitere Zwischenfälle. Die Tankstelle war in meiner Erinnerung übrigens grün gewesen und in der Realität war sie jetzt blau, ich machte mir deshalb aber keine unnötigen Gedanken.

Ich erstand dort eine Tafel Schokolade und eine Flasche Wasser für uns und fand im Regal bei den Süßigkeiten einen sorgsam gefalteten 50 Euroschein. Nein, das Messer hatte ich nicht mitgenommen. Leicht beschwingt verließ ich die Tankstelle mit meinem Wechselgeld und lud Trithemius, der die Idee mit der Wasserflasche hatte, großzügig auf diese ein, als er mir schon eine Münze zustecken wollte.

Endlich. Wir waren angekommen in einem Wald, in dem Wald. Der Wald ist so beschaffen, dass ihn schmale, schnurgerade Kanäle durchziehen, die früher dazu benutzt wurden, das geschlagene Holz abzutransportieren. Im Grunde habe ich keine Ahnung, wieso da Kanäle durchgezogen sind, die obendrein auch kaum noch Wasser führen. Die Erklärung war aber schlüssig genug, um jeden zu überzeugen. Ich ließ auch gar nichts anderes zu, denn als sorgsamer Beobachter wusste ich aus früheren Begegnungen mit diesen Kanälen, dass das Wasser eine leicht rötliche Färbung hat. Ich bombardierte also den armen Mann sogleich mit so viel Faktenwissen, dass er keine Zeit mehr hatte, um über meine Erklärung auch nur ein Wort verlieren zu können. Der Eisengehalt des Wassers sei ziemlich hoch, deshalb der Rotstich. Das Wasser sei aber sehr sauber, das könne man an der Entengrütze (kleine Wasserlinse) erkennen, die dafür ein Indikator sei. Entengrütze gehöre übrigens zu den Aronstabgewächsen, dessen größte Vertreter gerne in botanische Gärten stehen und dort, wenn sie blühen, einen bestialischen Gestank verbreiten. Ich redete bis dahin und dann fiel Trithemius gotzeidank ein Roman ein, in dem es um das Aronvolk ging, ein Menschenschlag, der in Ritzen und Spalten von Riesen wohnte, die sich einen Teufel um sie scherten, weil sie so klein waren. Ich gab die Gesprächsführung ab und verhielt mich kurze Zeit still. Mein Latein war zu Ende.

Auch das andere Latein, das spezielle Pilzlatein, hielt nicht allzu lange vor. Noch während wir uns in den Wald schlugen und den Boden untersuchten, rief ich bereits, dass es hier nur so nach Pilzen röche. Pilzsammler, die etwas auf sich halten, riechen Pilze zehn Meilen gegen den Wind. Ich roch Pilze, fand aber nur einen vertrockneten Kahlen Krempling auf dem abgesägten Stumpf einer Fichte oder Kiefer oder Tanne oder so. Ich ging nicht nah genug heran, um mich von seinem Geruch zu überzeugen, der Beweis war ja schließlich mit dem Fund bereits erbracht. Wir stießen auf weitere Gesellen aus dieser Liga und ich erklärte lang und breit, dass diese Pilze nicht essbar seien, man sie lange kochen müsste, was nur die Russen machen, um ihn essen zu können und überhaupt, was für ein blöder Pilz das doch sei.

Ich bin als Kind einmal mit dem Fahrrad in den Kreuzhorst gefahren, ein kleines Wäldchen bei Sohlen in der Nähe von Magdeburg. Die Fahrt war so anstrengend, weil wir ja noch so klein waren, dass wir unbedingt etwas von dort mitnehmen wollten. Wir wollten etwas zu Essen besorgen, eine schöne kleine Subsistenzromantik.

Wir hatten zufällig ein paar Plastiktüten dabei und ein paar kleine Taschenmesser, mit deren Hilfe wir dann ein paar Säcke dieses unseligen Pilzes namens Kahler Krempling einsammelten und stolz wie Oskar unseren sprachlosen Eltern präsentierten. Die wiegelten ab und warfen die Pilze in die Tonne. Den geklauten Mais vom Feld nebenan warfen wir dann weg, nachdem wir ihn gekostet hatten. Es handelte sich um Futtermais, essbar zwar aber keineswegs süß, was unsrere Eltern zwar ebenfalls zu berichten wussten, wir aber nicht glaubten, weil wir ja schließlich eine Mission hatten. Seitdem sage ich immer, wenn meine Frau das Wort Mais erwähnt, dass Mais eine Futterpflanze sei und verweise auf Schweine, Kühe und Hühner, die sich von so etwas ernähren sollen. Sie rollt dann mit den Augen und beschwört die imaginäre Phrasenkasse, ich grinse nur blöd.

Naja, ich schwärmte weiter von Steinpilzcarpaccio und in Zwiebeln und Butter angebratenen Maronen, Pfifferlingen und Goldröhrlingen. Ich erwähnte natürlich auch die unter Pilzkennern geschätzte Krause Glucke, die ich zu finden hoffte. Ein überaus ergiebiger Pilz, der aussieht, als hätte ein Bär sein Badeutensil nach dem Regen im Wald liegengelassen: wie ein großer Schwamm. Wegen der schlecht zu bewerkstelligenden Reinigung dieses Pilzes schmeckt er häufig nach Sand, was wiederum der Pilzkenner niemals zugeben würde, ganz entgegen seiner sonst offenkundigen Beredsamkeit. Überhaupt verhält sich der Geschmack der Krausen Glucke reziprok zu seinem Vorkommen, er schmeckt umso besser, je weniger man davon hat.

So liefen wir geraume Zeit einträchtig nebeneinander her. Jeder palaverte von Dingen, wovon der andere definitiv keine Ahnung hatte, und wenn doch, so übersprang man das Thema schnell und wechselte in unbekannteres Terrain. Wir fühlten uns wohl. Wem diese Beschreibung der Umstände unseres Gesprächs nicht klar genug erscheinen, der möge bitte seinen James Thurber Erzählband aus dem Regal nehmen und die Geschichte „Der Bordstein im Himmel“ nachlesen, da wird genauestens erklärt, worauf es uns in unserem Gespräch ankam.

Dann fanden wir einen Kartoffelbovisten. Ich schnitt mit meinem Messer einen dieser Gesellen auf und erklärte, ganz der Pilzkenner, wenn diese innen weiß seien, könne man sie essen. Unser Fundstück war innen schwarz.

Leider, und um es kurz zu machen, wir fanden nicht einen einzigen Steinpilz. Wir fanden auch keine Pfifferlinge, keine Maronen und all die anderen Dinger, die in Butter und Zwiebeln angebraten so herrlich schmeckten. Wir fanden nichts weiter als ein paar Kartoffelboviste und Kahle Kremplinge.
momoseven - 15. Aug, 12:38

Auch wenn Sie mein tiefstes Mitgefühl für die Erfolglosigkeit Ihres Unternehmens haben, so musste ich doch sehr über ihre Beschreibung lachen! :-)

Shhhhh - 15. Aug, 12:44

Vielen Dank, ich hoffe, genügend Pilzsammler vergrämen zu können, damit ich in Zukunft wieder was finde.
Trithemius - 15. Aug, 15:31

Mein Lieber,

das verlangt geradezu danach, dass ich die Abläufe aus meiner Sicht schildere.
http://trithemius.de/2013/08/15/frischgeduscht-in-die-pilze/
WEnn du hier schon gestehst, dass du nicht weißt, wozu die Kanäle dienen, dann vermute ich mal: zur Entwässerung. Für den Holztransport führte der, den wir gesehen haben, viel zu wenig Wasser.
Waidmannsheil!

Shhhhh - 16. Aug, 08:04

Ich habe noch einen Trumpf in der Tasche, hoffe ich, der diese Verwendung plausibel macht. Das zeige ich dir aber mal, wenn es wirklich Pilze gibt und wir ein wenig tiefer in den Wald vordringen.
Trithemius - 16. Aug, 09:50

Am besten, wenn ich den Kanal richtig voll habe. Dann glaube ich dir so gut wie alles.
Shhhhh - 16. Aug, 10:47

Eher, wenn du dich so richtig im Rausch befindest, im Pilzrausch, dann zeige ich dir die kleinen Teiche mit den schwimmenden Baumstämmen und die Kanäle, die noch genügend Wasser führen;)
Lo - 16. Aug, 09:18

Lieber einen Kahlen Krempling
als eine Frau mit Haaren auf den Zähnen.

Shhhhh - 16. Aug, 10:48

Das ist, wie vom Regen in die Traufe zu kommen, beides ungenießbar.
Treibgut - 18. Aug, 12:10

Pilze

Echt außergewöhnlich bemerkenswert, soviel Text über nicht gefundene (Speise-)Pilze.

Shhhhh - 18. Aug, 15:09

Ja, in der Tat. Nicht auszudenken, was passiert, wenn wir tatsächlich welche finden.

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